BEM freiwillig oder sonst Kündigung?

  • Hallo,
    ich erlebe immer wieder, dass in den Betrieben mit/ohne Betriebsvereinbarungen die Nicht-Teilnahme am BEM mit Konsequenzen belegt ist. Wenn z.B. ein Mitarbeiter 2mal ablehnt, können arbeitsrechtliche Schritte folgen. Obwohl das BEM ein freiwilliges Instrument ist. Aber viele betriebliche Akteure habe schon von etlichen krankheitsbedingten Kündigungen gehört, trotz Einleitung eines BEM, und nehmen dies als gelebte Praxis an. Durch das BAG-Urteil 1 ABR 14/14 vom 22.03.2016 hat ein Betriebsrat weniger Möglichkeiten gleich beim Erstgespräch am BEM teilzunehmen, außer der Mitarbeiter wünscht sich den Betriebsrat an seiner Seite. Das BEM verkommt in den Betrieben mehr und mehr zu einem Krankenrückkehrinstrument mit Maßnahmen wie Beinstütze, höhenverstellbarer Tisch usw. Aber nur wenige betreiben wirklich Arbeits- und Gesundheitsschutz. Dies nämlich würde die Ursachen der AU aufdecken, aber da wollen die wenigsten an dem Thema ran, weil zu aufwendig. Und wenn der Mitarbeiter die Änderung seiner Arbeitsbedingungen nicht mehr erwartet, nimmt er auch nicht an einem BEM teil, weil es im Betrieb ein schlechtes BEM ist. Dann, nach einer späteren weiteren Krankheitsperiode kann er nur noch die Kündigung erwarten.


    Wie ist es eigentlich zu verstehen, dass es so viele Gerichts-Urteile gibt, die dem Arbeitgeber ermöglichen krankheitsbedingte Kündigungen auszusprechen, wo bleibt denn da die Freiwilligkeit?
    Wird erwartet, dass der Mitbestimmungsbezug mehr zugunsten des Mitarbeiters und des Betriebs- bzw. Personalrates konkretisiert wird? Denn das BAG-Urteil geht ja in einer anderen Richtung und ermöglicht es dem Arbeitgeber, den Betriebsrat nicht an den BEM-Gesprächen teilnehmen zu lassen. Aber genau da ist die Teilnahme so wichtig, denn da passiert der ganze Druck auf den Mitarbeiter und die einseitigen und nicht nahhaltigen Lösungsversuche, bis es heißt, der Mitarbeiter ist nicht einzugliedern. Also lasst uns ihn kündigen. Es gibt wohl vor Gericht eine dichte Beweislast für den Arbeitgeber, aber wendet er erstmal solche unternehmerische Methoden an, glaubt doch keiner mehr im Betrieb an das BEM. Eher an das BAM.


    Es gibt bestimmt gute Ausnahmen, aber ich habe jetzt die vielen schlechten Beispiele gemeint.

  • Hallo,
    vielen Dank für diesen Beitrag, der viele Probleme anspricht, so dass er auch gut in das Thema "Erfahrungen aus der Praxis: typische Probleme" passen würde. Vielleicht kann man die Fragen aber auch erst hier diskutieren und ggf. später verschieben.
    Zu dem genannten BAG-Urteil gibt es eine gute Übersichtsseite von REHADAT.
    Viele Grüße vom Team

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    Diskussionsforum Rehabilitations- und Teilhaberecht
    Mitarbeiterin Online-Redaktion/Öffentlichkeitsarbeit

  • In der Praxis gibt es inzwischen diverse Negativbeispiele. Dennoch: Unsere Befragung zum BEM in den Betrieben mit ca. 2.100 Teilnehmenden bestätigt nicht die Annahme, es käme nach dem BEM häufiger zu krankheitsbedingten Kündigungen. Die Teilnehmenden der Befragung gaben mehrheitlich an, dass die Beschäftigten alle (38,5%) oder überwiegend (57,3%) nach Abschluss des BEM-Verfahrens im Unternehmen verblieben sind. Gemäß einer anderen Fragestellung waren die Befürchtungen, dass es zu erleichterten Kündigungen kommen könne, innerhalb der Planungsphase des BEM deutlich höher als nach Einführung des BEM. Offensichtlich trägt die reale Durchführung von BEM-Verfahren eher zu einer gewissen Sicherheit bei, dass das Verfahren nicht missbraucht wird. Die genannten Ergebnisse sind bisher noch nicht veröffentlicht, wir werden sie auf einem Fachtag am 20.2.2017 in Berlin einem Fachpublikum vorstellen.
    Ich möchte zusätzlich darauf hinweisen, dass die Arbeitsgerichte in der Vergangenheit Kündigungen häufig zurückwiesen, weil kein ordnungsgemäßes BEM durchgeführt wurde. Hier sind einige Urteile zu diesem Thema zu finden: http://www.re-bem.de/tag/urteil/

    Christine Zumbeck
    Projekt - RE-BEM
    (gemeinsam mit Dr. Christiane Stegmann und Dr. Regina Richter)