Versorgung mit einem Rollfiets für einen erwachsenen Menschen mit Spinaler Muskelatrophie

  • Guten Morgen,


    ich lebe seit 38 Jahren mit Spinaler Muskelatrophie und habe vor ein Rollfiets zu beantragen, damit mein Mann und ich Fahrradtouren durchführen können. Einen E-Rollstuhl besitze ich nicht, da mir die Versorgung mit einem E-Fix angetriebenen Rollstuhl ausreicht und ich im Aktivrollstuhl besser sitzen kann.


    Nun meine Frage. Habe ich eine Chance ein Rollfiets finanziert zu bekommen? Wo sollte ich am Besten einen Antrag auf Kostenübernahme einreichen?


    Vielen Dank im Voraus!


    Liebe Grüße
    Sunflowers

  • Der Antrag auf Versorgung würde wahrscheinlich von der Krankenkasse abgelehnt werden. Hintergrund: Zwar könnte das Rollfiets zunächst ein Hilfsmittel darstellen, da es speziell für den gebrauch für den behinderten Menschen konzipiert und in Verkehr gebracht wurde. Es ist nicht zum Gebrauch durch jedermann bestimmt und deshalb kein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Es handelt sich vielmehr um eine spezielle Rollstuhl-Fahrrad-Kombination, die nur für Kranke und Behinderte hergestellt wird; das Hilfsmittel ist auch nicht durch Rechtsverordnung ausgeschlossen.


    Die Frage ist jetzt aber, wofür wird es im Einzelfall benötigt. Hier kommen theoretisch zwei Möglichkeiten in Betracht:


    1. Nutzung als Hilfsmittel zum Training


    Wenn das Produkt zu Sicherung des Erfolges einer Krankenbehandlung (1. Variante des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V) eingesetzt werden würde, könnte es ggf. als Hilfsmittel erforderlich sein. Das Bundessozialgericht (BSG) hat aber für ein Therapietandem entschieden, dass dieses nicht erforderlich ist, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, weil eine regelmäßige Krankengymnastik nicht nur ausreicht, sondern sogar gezielter und vielseitiger die angestrebten Verbesserungen der körperlichen und seelischen Verfassung eines behinderten Menschen erreichen kann, einschließlich der Stärkung von Muskulatur, Lungenfunktion, Körperkoordination und Balancegefühl. Solange als im expliziten Einzelfall nicht beleget werden könnte, dass ein therapeutischen Effekte des Rollfiets vorliegt und dieses auch noch wirtschaftlicher Wäre als andere Maßnahmen, so wäre das Hilfsmittel wohl nicht ausreichend, zweckmäßig und notwendig und damit auch unwirtschaftlich.


    2. Nutzung zum Behinderungsausgleich im Bereich der Mobilität


    Die Benutzung des Rollfiets ist auch nicht zum Behinderungsausgleich erforderlich, dass BSG. Dieser in § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V als 3. Variante genannte Zweck (eines von der gesetzlichen Krankenkasse zu leistenden Hilfsmittels bedeutet nicht, dass über den Ausgleich der Behinderung als solche hinaus auch sämtliche direkten und indirekten Folgen der Behinderung auszugleichen wären (sogenannter mittelbarer Behinderungsausgleich). Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist allein die medizinische Rehabilitation (vgl § 1 SGB V sowie § 6 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 5 Nr 1 und 3 SGB IX), also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbstständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation- etwa im Bereich der Freizeit - ist hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Ein Hilfsmittel ist von der gesetzlichen Krankenversicherung daher nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Nach ständiger Rechtsprechung gehört zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens unter anderem das Erschließen eines gewissen körperlichen Freiraums. Das hier allein in Betracht kommende Grundbedürfnis des "Erschließens eines gewissen körperlichen Freiraums" hat die Rechtsprechung des BSG schon seit den 1990er Jahren immer nur im Sinne eines Basisausgleichs der Behinderung selbst und nicht im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten des Gesunden verstanden. So hat das BSG zwar die Bewegungsfreiheit als allgemeines Grundbedürfnis bejaht, dabei aber nur auf diejenigen Entfernungen abgestellt, die ein Gesunder üblicherweise noch zu Fuß zurücklegt und dies auf die Fähigkeit präzisiert, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (z.B. Supermarkt, Arzt, Apotheke, Geldinstitut, Post).
    Das Hilfsmittel dient, wie Sie ja schreiben, in erster Linie der Durchführung gemeinsamer Fahrradausflüge. Dazu hat das BSG in einem vergleichbaren Fall Folgendes ausgeführt (BSG, Urteil vom 21.11.2002 - B 3 KR 8/02 R: "Vorliegend kann dahinstehen, ob gemeinsame Fahrradausflüge mit der Familie überhaupt ein relevanter Faktor für die soziale Integration und Kommunikation eines Behinderten sein können, der die Gewährung eines Therapie-Tandems erforderlich machen könnte. Der Kläger hat durch seine vier teils älteren, teils jüngeren Geschwister und den täglichen Besuch einer Behindertenschule relativ gute Möglichkeiten der sozialen Integration und Kommunikation. Das LSG hat darüber hinaus zwar gemeinsame Fahrradausflüge mit seinen Geschwistern und seinen Eltern sowie deren Bekannten und Freunden festgestellt, diesen Ausflügen aber bereits von Anzahl und Anteil an dem gesamten Spektrum familiärer Aktivitäten her keine besondere Bedeutung zugemessen. Selbst wenn, wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat betont worden ist, in der Heimat des Klägers (Münsterland) Fahrradausflügen sowie dadurch geknüpften und gepflegten Kontakten mit anderen Familien eine besondere soziale Bedeutung zukommen sollte, ändert dies nichts an der zutreffenden Wertung des LSG, dass sie im Falle des Klägers für seine soziale Integration von untergeordneter Bedeutung sind."