Wer führt die Bedarfsermittlung durch?

  • Die Bedarfsermittlung ist Aufgabe der jeweiligen Rehabilitationsträger.
    In der Eingliederungshilfe haben sich hierzu in der Vergangenheit – idealtypisch – zwei Varianten herausgebildet: in der einen Variante erfolgt die Ermittlung des individuellen Hilfebedarfs durch Mitarbeitende der Leistungserbringer, welche dann durch den Leistungsträger auf Plausibilität hin überprüft wird. Diese Überprüfung erfolgt regional äußerst heterogen über Verwaltungs- oder sozialpädagogische Fachkräfte. Diese Variante hat zur Folge, dass sich die Leistungserbringer dem Verdacht einer selbst beschafften Leistung aussetzen, während andererseits die Leistungsträger gefährdet sind, die eigene fachliche Verantwortung und ihre Gewährleistungsverpflichtung gegenüber den leistungsberechtigten Personen (Die Rehabilitationsträger verwenden systematische Arbeitsprozesse und standardisierte Arbeitsmittel und gewährleisten eine individuelle und funktionsbezogene Bedarfsermittlung (§ 13 SGB IX)) zu vernachlässigen.
    In der anderen Variante sind die Leistungsträger bestrebt, dem gesetzlichen Auftrag einer individuellen und funktionsbezogenen Bedarfsermittlung selbst nachzukommen. Hierzu wurden schon in der Vergangenheit nicht unerhebliche personelle Ressourcen aufgewandt, indem insbesondere sozialpädagogische Fachkräfte eingesetzt werden. Diese haben – bei allen Unterschieden im Detail – in der groben Linie die Aufgabe, die jeweiligen Bedarfsermittlungsinstrumente anzuwenden und den regional unterschiedlich verstandenen Bedarf zu ermitteln, während die Entscheidung über die bedarfsdeckenden Leistungen bei den Verwaltungsfachkräften liegt. Wen die sozialpädagogischen Fachkräfte im konkreten Einzelfall beteiligen, stellt sich gänzlich unterschiedlich dar: durchgängig wird die leistungsberechtigte Person sowie eine ihr vertraute Personen beteiligt. Ob darüber hinaus auch Mitarbeitende der Leistungserbringer oder andere Perspektiven eingebunden werden, scheint sehr uneinheitlich.


    Zu Bedarfsermittlung in Anwendung des bio – psycho – sozialen – Modells der ICF gehört auch die Klärung medizinischer Sachverhalte, konkret die Ermittlung und Beurteilung des Ausmaßes der Schädigung von Körperfunktionen. Diese Klärung erfolgt nach dem wissenschaftlichen Verständnis der ICF und der Auffassung des Gesetzgebers durch die Anwendung entsprechend gesicherter Tests. D. h., es sind entsprechende medizinische Verfahren und gegebenenfalls psychologische Testungen erforderlich. Demnach gehören im diagnostischen Bereich medizinische Berufsgruppen in der Bedarfsermittlung zu den Akteuren, die erforderlich wären. Dies scheint jedoch häufig noch nicht der Fall zu sein.

  • Zur Frage, wer führt die Bedarfsermittlung durch, möchte ich folgendes zur Diskussion beitragen:


    In erster Linie ist von den Festlegungen der veränderten Bedarfsermittlung die Eingliederungshilfe betroffen. Mittels neuer Instrumente, die sich am bio-psycho-sozialen Modell und der ICForientieren, wird der Hilfebedarf ermittelt. Dabei steht der „neue“ Blick auf Behinderung im Fokus. Behinderung wird hier definiert als Teilhabeeinschränkung, also als negatives Ergebnis der Wechselwirkung zwischen einer Person mit einem Gesundheitsproblem und ihren Kontextfaktoren. (vgl. https://umsetzungsbegleitung-bthg.de)


    Ein nicht unerheblicher Teil der Behindertenhilfe findet aber auch im Rahmen der „Teilhabe am Arbeitsleben“ statt. Im Bereich der Beruflichen Bildung, besonders der Ersteingliederung, sind hierfür die zuständigen Leistungsträger die „Agentur für Arbeit“ und die „Rentenversicherung“.


    Während in der Eingliederungshilfe die ersten Erfahrungen zur Bedarfsermittlung mit neuen Instrumenten bereits geprüft werden, ist die Bedarfsermittlung im Bereich der durch die Agentur für Arbeit finanzierten beruflichen Rehabilitation (Ersteingliederung am Übergang Schule/Beruf) – noch nicht gegeben.


    Ein Rahmenvertrag zwischen der Bundesagentur für Arbeit und der BAG BBW legte 2015 erstmals fest, dass eine ICF basierte Förderplanung in den Berufsbildungswerken durchzuführen sei, und diese in entsprechenden Qualitäts- und Leistungshandbüchern nachgewiesen werden soll. Dies setzte in den Berufsbildungswerken einen umfassenden Umbau der bisherigen Rehabilitationsprozesse in Gang. Die Agentur für Arbeit blieb aber bei ihren bisherigen Methoden der Festlegung des „Rehastatus“. Entsprechend ist auch die Fortschreibung der Förderung der Teilnehmenden mittlels unterschiedlicher Systemen organisiert, was zu einer Reihe von Unstimmigkeiten führt.


    So verwendet die Bundesagentur für Arbeit weiterhin einen „Kompetenzkatalog“ und konzentriert sich auf den Ausgleich von persönlichen, fachlichen und sozialen Defiziten der Betroffenen. Die ICF basierte Förderplanung beim Leistungserbringer rückt aber ihrerseits das Thema Teilhabeeinschränkungen sowie die Wechselwirkung von Beeinträchtigung und Kontextfaktoren ins Zentrum der Betrachtung und somit der Förderung.


    Wenn gleich beide Systeme Überschneidungen zeigen, treten in der Dokumentation der Leistungen, der Wirksamkeit der Zielvereinbarungen sowie in der Form der Berichtserstattung Unschärfen auf, die oft bis zur Einstellung von Leistungen seitens der Leistungserbringer führen können. Es ist der guten Zusammenarbeit von erfahrenen Beratungsfachkräften seitens der Leistungsträger und der gut geschulten und engagierten Mitarbeiter seitens der Leistungserbringer zu verdanken, dass die Teilnehmenden trotz verschiedener Blickrichtungen, die Leistungen erhalten, die sie für ihre Teilhabe benötigen.


    Im Hinblick auf die neuen Vorgaben bezüglich des Gesamt-/Teilhabeplanverfahrens wäre somit eine einheitliche Bedarfsermittlung in allen Bereichen der „Teilhabe am Arbeitsleben“ dringend erforderlich. Das Instrument der ICF mit dem Ziel, eine einheitliche Sprache über Behinderung und die Wechselwirkungen mit Kontextfaktoren zu schaffen, sowie die betroffenen Menschen selbst zu Wort kommen zu lassen, bietet hierfür eine gute Grundlage.

  • Hallo Frau Liebl,
    da bin ich ganz Ihrer Meinung.Bin darüber hinaus jedoch auch der Auffassung, dass ein einheitliches, ICF – basiertes Vorgehen nicht nur eine fachliche Forderung, sondern auch eine gesetzliche Verpflichtung der Rehabilitationsträger ist. Die Beharrungskräfte von Systemen sind, wie wir wissen, enorm. Wir dürfen daher gespannt sein, ob eine Änderung (Verbesserung) der Praxis aus Einsicht erfolgt oder eine Folge der Sanktionen (Erstattungsansprüche anderer Rehabilitationsträger § 16 Abs. 2 SGB IX;Selbstbeschaffte Leistungen § 18 SGB IX) sein wird, die sich der Gesetzgeber ausgedacht hat. Dass sich Änderungen mit der Zeit einstellen werden, davon bin ich allerdings überzeugt.

  • Die Bedarfserhebung erfolgte für unsere volljährige Tochter ganz traditionell: Wir wurden zu einem festgelegten Termin ins Gesundheitsamt gebeten. Dort unterhielten wir uns im Beisein unserer Tochter (sehr anstrengend!) 1,5 Stunden mit einer uns bekannten Ärztin, einer Sozialpädagogin und einer Pflegefachkraft. Anschließend wurden zwei Gutachten erstellt, ein sozialpädagogisches und ein pflegerisches Gutachten. Beide Gutachten wurden uns zuerst vorenthalten, erst mit massivem Nachdruck erhielten wir Kenntnis davon (über die Eingliederungshilfe). Die in Niedersachsen eingeführten B.E.N.I.-Bögen wurden NICHT genutzt.
    Beide Gutachten erwiesen sich für den Antrag auf das Trägerübergreifende Persönliche Budget als essentiell. Da das pflegerische Gutachten lapidar erklärte, unsere Tochter könne doch auch in einer Einrichtung betreut werden (obgleich wir ausführlich dargelegt hatten, warum dies nicht erwünscht ist und dass auch keine Einrichtung einen Platz mit einer 1:1-Betreuung angeboten hatte), mussten wir auch an dieser Stelle intervenieren. Die Pflegefachkraft hatte das Persönliche Budget noch überhaupt nicht verstanden.

  • Die Bedarfsfeststellung ist nach § 13 SGB IX originäre Aufgabe der Rehabilitationsträger. § 13 Abs. 2 SGB IX schreibt für alle Rehabilitationsträger einheitlich die Mindestinhalte vor, die durch die Bedarfsfeststellung erfasst werden müssen (ob eine Behinderung vorliegt oder einzutreten droht; welche Auswirkungen die Behinderung auf die Teilhabe der Leistungsberechtigten hat; welche Ziele mit Leistungen zur Teilhabe erreicht werden sollen; welche Leistungen im Rahmen einer Prognose zur Erreichung der Ziele voraussichtlich erfolgreich sind). Diese Mindestanforderungen sind "abweichungsfestes Recht" von dem weder die Rehabilitationsträger noch - im Bereich der Eingliederungshilfe - die Länder (§ 118 Abs. 2 SGB IX) bei der Gestaltung der Instrumente der Bedarfserhebung abweichen dürfen (§ 7 Abs. 2 SGB IX). Der Gesetzgeber hatte das Bundesarbeitsministerium gesetzlich verpflichtet, Wirkung der Bedarfsermittlungsinstrumente zu untersuchen und darüber bis 31.12.2019 einen Bericht vorzulegen. Dieser Bericht liegt auf der Internetseite des BMAS seit Dezember 2019 als Forschungsbericht 540 vor. Der Stand der Umsetzung ist dort für die verschiedenen Zweige der Träger nachvollziehbar und stellt fest, dass man noch in allen Trägerbereichen am Anfang der Entwicklung - insbesondere auch der nach § 13 Abs. 2 SGB IX systematisch zu treffenden Feststellungen steht. Die Teilhabeleistungen dienen vor Allem dem Ausgleich einer Beeinträchtigung der Teilhabe. Die Bedarfsermittlung orientiert deshalb auf das Vorliegen einer Teilhabebeeinträchtigung, die sich daraus ableitenden Teilhabeziele, die mit den Teilhabeleistungen erreicht werden sollen, und die danach zur Zielerreichung erforderliche Leistungsqualität (einschl. Gegenstand und Umfang). Bisher werden oftmals noch ausschließlich medizinische Unterlagen (Krankenhausberichte, Befundberichte, aber auch Gutachten) herangezogen, die wenig oder keine Aussagen zur Teilhabebeeinträchtigung enthalten und den sich daraus ableitenden Folgefragen (Ziele, geeignete Leistung) enthalten, obwohl die Gemeinsame Empfehlung "Begutachtung" der Bundesarbeitsgemeinschaft für
    Rehabilitation (BAR) bereits seit 2016 an der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) orientiert ist.

  • Ergänzend zu den vorhandenen Beiträgen die Darstellung des Verfahrens der Bedarfsermittlung bei einem überörtlichen Träger der EGH. Im Beitrag von Hr. Schmitt-Schäfer ist die Variante bei örtlicher Zuständigkeit (wie in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Niedersachsen, und weiteren) bereits beschrieben. In Hessen wurde/wird eine Struktur aufgebaut die sicherstellt dass die Bedarfsermittlung im Rahmen des Gesamtplanverfahrens durch erfahrene sozialpädagogische/pädagogische Fachkräfte durchgeführt wird. Dies gilt für alle ersten Ermittlungen, also bei erstmaligem Antrag auf Leistungen. Bei der Fortschreibung von Leistungen erfolgt die Bedarfsermittlung durch die Leistungserbringer (in besonderen Wohnformen, bei Leistungen zum Wohnen außerhalb bes. Wohnform, bei Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben) - und zwar in 90 % aller „Fälle“. !0 % der Fortschreibungen werden durch den Fachdienst des Leistungsträgers durchgeführt. Ausnahme von diesem Verfahren sind Leistungen in Form eines Persönlichen Budgets. Hier wird die Bedarfsermittlung zur Fortschreibung immer durch den Fachdienst des Leistungsträgers durchgeführt!
    Die Feststellung des Bedarfs, die Aufstellung des Gesamtplans und die Bescheiderteilung liegen in der Verantwortung der Verwaltungskräfte. Die Aufgaben der Bedarfsermittlung und Bescheiderteilung werden durch verschiedene Organisationseinheiten durchgeführt.
    Die bisher zur Bedarfsermittlung eingesetzten Instrumente werden in einem zweijährigen Umstellungsprozess durch ein einheitliches Instrument ersetzt werden.
    Im Gesamtplanverfahren - als systematischem Arbeitsprozess - werden alle verfügbaren Informationen ermittelt und in den einzelnen Verfahrensschritten zur Verfügung gestellt. Insofern ist es nicht erforderlich alle denkbaren beteiligten Akteure in einem Termin zusammenzuführen. Dies wäre wahrscheinlich auch zum Scheitern verurteilt! Sind weitere diagnostische Informationen erforderlich (z. B. Durchführung von Testverfahren) werden diese Aufgaben i.d.R. an extern Stellen vergeben.
    Ansonsten gilt, wie in den obigen Beiträgen bereits ausgeführt, dass bei der Bedarfsermittlung neben der leistungsberechtigten Person eine Person des Vertrauens, ggfs. Unterstützer bei Bedarf UK oder Gebärden- oder Sprachdolmetscher und die rechtl. Betreuung beteiligt sein können. Bei der Beteiligung weiterer Personen muss berücksichtigt werden ob eine Bedarfsermittlung tatsächlich durchführbar ist. Dies stößt im Hinblick auf die Zahl der Beteiligten an Grenzen!

  • Vielen Dank für die Beiträge in diesem Bereich. Beim Lesen gingen mir noch folgende Inhalte durch den Kopf:


    1. Bei der Variante der Bedarfsermittlung durch Mitarbeitende der Leistungserbringer habe ich zwei Gespräche mit Mitarbeiter*innen (von Leistungsanbietern) vor Augen. Dabei wiesen diese mich darauf hin, dass ein solches Vorgehen für die Mitarbeiter*innen manchmal ein „schwieriges Trippelmandat“ darstelle, das sie in Loyalitätskonflikte bringen könne:


    • Unabhängige Beratung für die Klient*innen anbieten
    • Es ist vielleicht nicht einfach zu Angeboten zu beraten, die der Arbeitgeber nicht vorhält
    • Die „Vorarbeit“ sollte auch „im Sinne des Leistungsträgers“ erfolgen.

    Diese drei Aufgaben beim „Trippelmandat“ seien in der Praxis für die Fachkräfte nicht immer leicht zu lösen.


    2. Für die Bedarfsermittlung und die Anwendung des bio-psycho-sozialen – Modells der ICF ist auch die Klärung medizinischer Sachverhalte oft von großer Bedeutung. In einem Beitrag heißt es: „Demnach gehören im diagnostischen Bereich medizinische Berufsgruppen in der Bedarfsermittlung zu den Akteuren, die erforderlich wären. Dies scheint jedoch häufig noch nicht der Fall zu sein.“
    Hilfreich könnte sich hier in Zukunft die Möglichkeit von „Online-Konferenzen“ anbieten zu Zeiten, die es den Fachkräften möglich macht auch teilnehmen zu können. Eine ärztliche Fachkraft kann üblicherweise nicht am Montagmorgen um 10h an einer solchen Konferenz teilnehmen, nach Absprache und rechtzeitiger Terminierung vielleicht aber am Mittwochnachmittag. Überhaupt kann m.E. ein solches Instrument (Online-Konferenzen) die interdisziplinäre Zusammenarbeit verbessern helfen und zeitliche Ressourcen sparen. Aus meiner Sicht wäre es wünschenswert, wenn sich ein solches Vorgehen –auch nach der Corona-Pandemie- stärker durchsetzen könnte. Das soll selbstverständlich nicht bedeuten, dass in der Teilhabeplanung „alles“ ohne persönliche Kontakte stattfinden soll oder kann.


    3.
    Im Beitrag zur Bedarfsermittlung für die volljährige Tochter habe ich als Erstes gedacht, dass die personenzentrierte Vorgehensweise nicht gut erkennbar ist. Für Wahl der ärztlichen Begutachtung sind den Leistungsberechtigten „drei möglichst wohnortnahe Sachverständige“, „soweit nicht gesetzlich die Begutachtung durch einen sozialmedizinischen Dienst vorgesehen ist“ zu nennen. Das heißt, dies ist nicht automatisch das Gesundheitsamt, sondern hier gibt es ein Wahlrecht der Leistungsberechtigten. Dies möchte ich nicht als Kritik gegenüber den Kolleg*innen in den Gesundheitsämtern verstanden wissen. Mir geht es hier auf den Hinweis des Wahlrechtes.
    Haben sich die Leistungsberechtigten für eine benannte sachverständige Person entschieden, wird diesem Wunsch gefolgt (§ 17 Abs. 1 SGB IX).In § 117 SGB IX wird festgelegt, dass das Gesamtplanverfahren auch transparent zu erfolgen hat. Deshalb sollten Gutachten den Antragsteller*innen nicht vorenthalten werden.

  • Danke, Prof. Seidel, zur Frage der Begutachtung habe ich Neues gelernt.


    Ja, wir dachten auch nicht, dass wir die Gutachten über Umwege anfordern müssten.


    Die erste Antwort, die wir nach der Bitte um Einsicht in die Stellungnahme des Gesundheitsamtes von der Eingliederungshilfe im Rahmen des Antrags auf das Persönliche Budget erhielten, lautete so:


    "... nach Rücksprache mit meiner Teamleitung, XYZ, übersende ich die Stellungnahme gerne nach Abschluss der Zielvereinbarung und entsprechender Bescheiderteilung zu dem beantragten persönlichen Budget. Momentan befindet sich das Verfahren Ihrer Tochter und Betreuten, Frau XYZ, sozusagen noch im Abstimmungsmodus zwischen den einzelnen Trägern. Daher ist es nicht gänzlich ausgeschlossen, dass es auch noch zu Änderungen kommt. Die Stellungnahme wird daher bis zum o. a. Abschluss als internes Arbeitspapier angesehen, das zum jetzigen Zeitpunkt nicht herausgegeben werden kann."


    Transparenz gemäß § 117 SGB IX? Zero.

  • Guten Abend, zur Frage von Bedarfsermittlung und dem Umgang mit Gutachten halte ich den Hinweis auf § 117 SGB IX nicht für zielführend. Die hier angesprochene Kriterium „transparenz" gibt für den Umgang mit Gutachten keine Grundlage. Für die Eingliederungshilfe gibt es eine Erläuterung zu § 117 Abs. 3 a) transparenz in der "Orientierungshilfe zur Gesamtplanung" der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Sozialhilfeträger (BAGüS).
    Mit dem SGB IX weist der Gesetzgeber auf eine partizipative Gestaltung aller Verfahren hin. Daran sollen sich alle Beteiligten orientieren. Die Praxis folgt dem bislang nur teilweise und langsam. Für die Einsicht in ein Gutachten, dass Aktenbestandteil ist/wird kann auf das Recht zur Akteneinsicht zurückgegriffen werden. Wünschenswert wäre selbstverständlich die Bereitschaft zu Kommunikation und schneller Information.

  • Die Beteiligung ergibt sich nicht direkt aus "Transparenz", aber aus § 117 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX: Beteiligung der Leistunsgberechtigten in allen Verfahrensschritten. Das geht oft nicht ohne Akteneinsicht. Das in § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB X geforderte rechtliche Interesse ergibt sich daraus. Im genannten Fall scheint sich die Behörde auf § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB X zu berufen, wonach Entwürfe für Entscheidungen sowie die Arbeiten zu ihrer unmittelbaren Vorbereitung nicht vom Recht auf Akteneinsicht erfasst sind. Es muss klartgestellt werden, dass Fachgutachten nicht Gegenstand der Aushandlung zwischen Behörden sein können und deswegen ab Erstattung auch einsehbar sein müssen - abgesehen von der fachlichen Sinnhaftigkeit, die Begutachteten auch im Begutachtungsprozess bestmöglich einzubeziehen.

  • Guten Abend, zur Frage von Bedarfsermittlung und dem Umgang mit Gutachten halte ich den Hinweis auf § 117 SGB IX nicht für zielführend. Die hier angesprochene Kriterium „transparenz" gibt für den Umgang mit Gutachten keine Grundlage. Für die Eingliederungshilfe gibt es eine Erläuterung zu § 117 Abs. 3 a) transparenz in der "Orientierungshilfe zur Gesamtplanung" der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Sozialhilfeträger (BAGüS).Mit dem SGB IX weist der Gesetzgeber auf eine partizipative Gestaltung aller Verfahren hin. Daran sollen sich alle Beteiligten orientieren. Die Praxis folgt dem bislang nur teilweise und langsam. Für die Einsicht in ein Gutachten, dass Aktenbestandteil ist/wird kann auf das Recht zur Akteneinsicht zurückgegriffen werden. Wünschenswert wäre selbstverständlich die Bereitschaft zu Kommunikation und schneller Information.

    Vielen Dank für den Hinweis auf Erläuterungen zum § 117 SGB IX durch die BAGüS. Ich habe mir die Erläuterungen dort angesehen:


    "... transparent: Das Verfahren soll so gestaltet werden, dass alle Beteiligten - vor allem aber der Leistungsberechtigte unter Berücksichtigung seiner kommunikativen Fähigkeiten – Ziel, Ablauf und Hintergrund des Gesamtplanverfahrens nachvollziehen können. Es muss deutlich werden, wie und nach welchen Kriterien, mit welchen Methoden und mit welchen Instrumenten der individuelle Bedarf ermittelt und festgestellt wird. Nur ein transparentes Verfahren führt zu vergleichbaren und überprüfbaren Ergebnissen."


    Zu einem transparenten Verfahren gehört für mich, dass Gutachten selbstverständlich zur Verfügung gestellt werden. Es geht mir also nicht um den Umgang mit dem Inhalt von Gutachten, sondern um die Selbstverständlichkeit, mit der Gutachten nach der Erstellung umgehend der/dem Antragsteller*in geschickt werden sollten. Ich finde, dass § 117 SGB IX einschlägig ist, denn sonst hätte es an dieser Stelle heißen müssen "Nur ein verständliches Verfahren führt zu vergleichbaren und überprüfbaren Ergebnissen."


    Und Ergebnisse sind nur überprüfbar, wenn auch die Inhalte von Gutachten bekannt sind. Und bitte nicht erst mit der Bewilligung, denn dann bleibt nur noch der Rechtsweg.
    Eine Bedarfsermittlung unter Beteiligung der Leistungsberechtigten gemäß § 117 SGB IX berührt daher m.E. die Frage des Umgangs mit Gutachten.

  • Welche Akteure führen die Bedarfsermittlung durch? Wer ist daran beteiligt?


    (Dies ist eine Impulsfrage des Teams.)


    Dr. Harry Fuchs hat oben klargestellt, wer verantwortlich ist.
    Mehrere Teilnehmende haben dankenswerterweise aus der Praxis berichtet.

    Der andere Thread "Wege der Bedarfserkennung" ergänzt in mehrfacher Hinsicht.
    Insbesondere wird anscheinend unterschieden zwischen Bedarfserkennung und Bedarfsermittlung, letzteres durch den Leistungsträger. Das ist formalistischer Sprachgebrauch: es muß doch darum gehen, daß die Betroffenen in der Lage sind, ihren eigenen Bedarf zu erkennen und die entsprechende Leistung durchzusetzen. Sie müssen also Zugang zu entsprechender Beratung und zu effizienter rechtlicher Unterstützung haben – beides im Sinn von"Assistenz": die Betroffenen sind die Regisseure.


    Daß Bedarfserkennung und Bedarfsermittlung nicht erfolgen, weder selbst- noch fremdbestimmt, zeigen zeigen die meisten den mittlerweile mehr als 11.000 Kommentare zur gerade laufenden Petition "Stoppt die Blockade der Krankenkassen":
    openpetition.de/petition/online/stoppt-die-blockade-der-krankenkassen-bei-der-versorgung-schwerst-behinderter-kinder-erwachsene-3


    Wer ist denn derzeit kompetent, wer hat Bedarfserkennung und -ermittlung "gelernt"?
    Mir fallen ein, fast überall lediglich für einen Teilbereich:


    1.)


    • Sozialpädagog:innen
    • Orthopädietechniker:innen
    • die Berater:innen der EUTB
    • ein Teil der Betroffenen selbst
    • die früheren "Fürsorgerinnen"
    • die früheren Gemeindeschwestern

    2.)


    • ein Teil der Ergotherapeut:innen
    • ein Teil der Logopäd:innen
    • ein Teil der Physiotherapeut:innen
    • vermutlich Fachärzt:innen für rehabilitative Medizin?
    • ein kleiner Teil der niedergelassenen Ärzt:innen
    • was Basisfertigkeiten angeht: Pflegefachkräfte

    3.) in bezug auf Institutionen:


    • Frühförderstätten für junge Kinder
    • Förderschulen
    • Rehakliniken, insoweit die Gesetzliche Unfallversicherung verantwortlich ist
    • manche Einrichtungen für Menschen mit Behinderung
    • sehr wenige Selbsthilfeorganisationen
    • Alten- und Pflegeheime, m.E. in der Regel defizitär und altersdiskriminierend


    Wo gibt es eine (teilweise) Übereinstimmung von Kompetenz und Verantwortlichkeit?

    Im Bereich der Jugendhilfe, der Gesetzlichen Unfallversicherung und – neu: der Pflege-Begutachtung; durch die neue Regelung, daß der/die MD(K)-Gutachter:in im Zuge der Begutachtung Hilfsmittel empfehlen kann, die (mit Einverständnis des/der Versicherten) als beantragt gelten.


    (Ganz vereinzelt werden Pflegefachkräfte als Sachbearbeiter:innen bei Gesetzlichen Krankenkassen eingesetzt. Dann sind sie zugleich verantwortlich und teil-kompetent.)
    Die allermeisten Sachbearbeiter:innen der Gesetzlichen Krankenkassen sind zwar verantwortlich, aber nicht kompetent, und, was m.E. schwerer wiegt: sie haben einen Arbeitsauftrag, daß sie auch bedarfsgerechte, d.h. vom Gesetz verlangte Leistungen ganz oder teilweise verweigern sollen.


    Im aktuellen Zweiten Teilhabeverfahrensbericht ist zu lesen, daß einige Gesetzliche Krankenversicherungen Anträge auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation zu über 90 % erst im Widerspruchsverfahren bewilligen.
    Die "Gesundheitsreform", die mit der Einführung des Sozialgesetzbuches V 1989 verbunden war, hatte u.a. das ausdrückliche Ziel, die Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung für Hilfsmittel deutlich zurückzufahren. Dies ist nach wie vor der Arbeitsauftrag der Sachbearbeiter:innen.


    Menschen, die keinen Zugang zu kompetenten Fachkräften oder Institutionen haben, bekommen keine Unterstützung bei der Bedarfsermittlung.

    Not tut daher Information zu Bedarfsermittlung, in erster Linie für die Betroffenen selbst. Was ich in den verschiedenen Beiträgen hier lese, klingt sehr danach, daß es gebräuchliche Praxis ist, daß sich die Betroffenen verschiedenen Begutachtungsverfahren unterwerfen müssen. Wie können sie "Herr des Verfahrens" sein und bleiben, ohne daß andere mit ihrer Fachlichkeit oder Macht auftrumpfen?


    In zweiter Linie für die Ärzteschaft, die ja eine umfangreiche Fortbildungsverpflichtung hat. Das Angebot von Inflammatio.de zeigt, wie mit wenig Aufwand online-Lehrgänge angeboten werden könnten. Wer macht's in bezug auf Leistungen zur Rehabilitation?
    (Und wer fordert Zugang zu (Fach-)Ärzt:innen auch für Immobile und nicht-Sprechende?)



    Not tut weiter ein Kurswechsel bei jenen Leistungsträgern, die bisher und gegenwärtig Leistungen regelmäßig und gesetzwidrig verweigern. Wo bleibt die Versicherungs-Aufsicht?

    Not tut effiziente Rechtsdurchsetzung!
    Ich erfahre weit mehr von Rechtshilfe für Hartz-IV-Empfänger:innen oder für Flüchtlinge. Ist das eine Verzerrung meiner Wahrnehmung? Sind VdK, die Rechtshilfe-Stellen des DGB, die Rechtsberatung des Blinden-und Sehbehindertenvereins, die Jurist:innen des Forum Reha-Recht längst gut vernetzt? Gibt es regelmäßige Rundbriefe wie die von Harald Thomé (der seinen Schwerpunkt im SGB II und angrenzenden Rechtsgebieten sieht)? Wie steht es mit jenen juristischen Kolleg:innen, die einen paternalistischen Blick auf Menschen mit Behinderung zu haben scheinen, nimmt man sie kollegial ins Gespräch?



    Welche Möglichkeiten haben Betroffene zu juristischer Qualifizierung?