Sachmittel in der Eingliederungshilfe

  • Nicht erst seit dem Skandal um die Frankfurter AWO und deren Abrechnungsprocedere dürfte manch ein Mensch, der Eingliederungshilfe beantragt hatte, sich besonders über die Autonomie bei der Wahl seiner Leistungserbringer und Unterstützer aus persönlichem Umfeld, Familie, Bekannten, freuen. ...:-)


    Wie und ob diese Hilfestellungen aus dem persönlichen Umfeld monetarisiert bzw. kommodifiziert werden sollen und können, ohne die emotionale Seite der Verbindung zu belasten - waere allerdings eine wichtige Frage, oder ein zu klärender Sachverhalt.


    These: Kaum jemand möchte Freunde oder gute Bekannte mit Abrechnungen oder gar dem Verweis auf einen staatlichen Leistungsträger für die erfahrenen Unterstützung honorieren. Sicherlich wollen behinderte Menschen auch nicht alle Personen, von denen sie Unterstützung erhalten, darüber informieren, dass sie SGB 9 Leistungen bekommen. Im Gegensatz zu erhaltenen "Wirtschaftssubventionen" führt der Bezug von Sozialleistungen oft zu Diskriminierung. Gewaltige Probleme können entstehen, wenn man versucht, ein Freundschaftsverhältnis in ein Dienstleistungsverhältnis im reproduktiv, rekreativen Feld umzuwandeln. Beim Geld oder Geld beantragen hört die Freundschaft leicht auf...:-/


    Aus der empirischen Sozialforschung und Gesprächen aus Selbsthilfe, Betroffenen und Angehörigengruppen weiss man: Die Bezahlung von Freunden für Inklusions-Dienstleistungen kann, muss aber nicht problematisch sein, vor allem wenn diese über Geschenke, "Gaben" oder Einladungen statt Bezahlung in monetären Einheiten stattfinden.


    Also diejenige Art und Weise stabilisierender, sozialer Interaktion zwischen Menschen ohne Eingliederungsbedarf nach SGB 9 reproduziert, eben diejenige Art von zwischenmenschlicher Normalität erfahrbar macht, die Inklusion in die Gesellschaft eigentlich bedeutet oder bedeuten sollte. :) Freundschaftliches, menschliches Miteinander bedeutet eben auch als Dank für Hilfeleistungen unter Freunden (ob Umzug, das neue Regal an der Wand oder die Begleitung zu einem unangenehmen Termin oder die Mathesitzung mit der Tochter) keine oder grössere Geschenke zu machen, sprich den Austausch von nicht genau in Geldeinheiten fassbarer Gegenstände unter Menschen. Also diejenigen, seit Menschengedenken übliche soziale Interaktion zu tätigen. :-).
    Leküretipp: Marcel Mauss "Die Gabe" eine soziologischer Klassiker zu diesem Thema .


    https://www.suhrkamp.de/bueche…e-marcel_mauss_28343.html



    Und Geschenke als Mittel des gegenseitigen Gebens und Nehmens sollte man so ein Austauschverhältnis eben in den neuen Bugetplanungen auch fassen können. Geld kann nur eine Option für Freundschaftsdienste sein. Aus diesem Kontext würde sich die Notwendigkeit ein bestimmtes finanzielles Budget für Geschenke für unterstützende Menschen, die dem/derBehinderten regelmässig helfen, ergeben.




    Und eben auch für soziales Mitarbeiter mit Bekannten, verschiedene Budgetplanungen sehen als einzige Kosten für soziale Interaktion diejenigen vor, die ein Sozialpädagoge erhält.


    Wenn Sozialarbeiter oder teuer bezahlte Assistenzdienstleister, deren Mitarbeiter oft Studenten ohne besondere Kompetenzen (laut Ausschreibungen an den Schwarzenbrettern der uni: dort hängen ständig StellenAnzeigen grosser Sozialträgerverbände, die nach Studenten ohne Vorerfahrungen suchen, für die Arbeit mit Behinderten, 12,50 die Stunde auf Honorabasis), wenn also diese semiprofessionellen " Unterstützer" immer mehr zu den einzigen sozialen Kontakten werden (wie hier im Forum berichtet wurde) dann ist das kein umfassende Teilhabe oder Inklusion, sondern dient eher der staatlichen Subvention von Trägern wie im Falle der oben erwähnten AWO. ........


    Wenn auf Grund ökonomischer Armut, die behinderte Menschen massiv betrifft, eine normale gesellschaftliche Interaktion in typischen sozialen Räumen wie Cafés, Museen, Konzertsälen, Festen, Restaurants, oder Theater 8) massiv eingeschränkt ist, sollte Eingliederungshilfe neben den Kosten von Sozialdiensten auch Gelder für soziale Aktivitäten, die aus den Budgets des Bafögs,der Grundsicherung, dem Verdienst in Werkstätten oder ähnlicher Transferleistungen nicht finanzierbar sind, in Anteilen bereitstellen.


    Denn ohne Gelder für sozial kulturelles Erleben erfährt ein behinderter Mensch, dessen Lebensraum aus finanziellen Gründen auf bestimmte, meist von kirchlichen Trägern ausgerichtete Treffpunkte wie Kirchencafes, Treffpunkten sozialer Träger de Behindertenhilfe, Armenspeisungen und Strassenfeste, aber ohne Konsumptionsoptionen beschränkt ist, gesellschaftliche Teilhabe nur sehr eingeschränkt. Die Möglichkeit ob man an Orten, wo sich sozial marginalisierte Menschen vermehrt treffen, ein gutes Gefühl der demokratischen Verwurzelung und Teilhabe an der Gesellschaft finden kann, ist ausserdem fraglich. :rolleyes:


    "...Denn Armut heißt auch, dass finanzielle Mittel fehlen, um am sozialen, kulturellen oder politischen Leben teilzuhaben, dass kein Geld da ist für einen Kinobesuch, für Zeitungen oder für den Besuch des Stadtteilfestes...."
    https://www.lebenshilfe.de/inf…ie/armut-und-behinderung/


    Auch die ehrenamtliche Mitarbeit behinderter Menschen in Vereinen benötigt ein finanzielles Budget, eben da für Mitgliedsbeiträge selbst beim VdK oder dem lokalen Tierschutzverein sind das knapp 70 Euro im Jahr. Auch die Mitgliedschaft in einem Chor kostet gut und gerne 20 EU im Monat. Niemand möchte immer der "Behinderte" sein, der immer um Beitragsbefreiung bittet den niedrigsten Beitrag zahlt, und milde belächelt wird. Und wer nie nach den regelmässigen Treffen oder Singen mit in die Kneipe gehen kann, verpasst wichtige Interaktionen und die Chance auf neue Bekanntschaften und ein soziales Miteinander jenseits des beengten Kreises, der wenn überhaupt vorhandenen sozialen Bezugsgruppe..

  • Das Armutsrisiko steigt mit einer Behinderung. Wendet man sich aktuellen Forschungsergebnissen des Armuts und Reichtumsberichtes der Bundesregierung und Forschungen aus dem Bereichen der Disability Studies und der empirischen Sozialforschung zu, erfährt man, dass die Verschränkung zwischen einer familiären Tradierung ökonomischer Armut und Leben mit einer Behinderung quantitativ belegt werden kann. Wie sich soziale Herkunft auf das Leben mit Behinderung auswirkt, wird ebenso beforscht. Aus kritischer Sicht ist einen Trennung der beiden Bereiche problematisch, da dem Narrativ liberaler Gesellschaften, sich durch die eigene Arbeit aus Armut zu befreien auf Grund behinderungsbedingter Barrieren auf dem Ausbildungsplätze und Arbeitsmarkt, für die meisten Beeinträchtigten Menschen über Jahrzehnte durch mangelnde Eingliederungshilfen gar nicht erfüllt werden konnte. . Auch wenn ökonomische Armut aufgrund prekärer Arbeitsbedingungen bis in die Mittelschichten verbreitet ist, sind die Möglichkeiten auch für behinderte Menschen und auch Akademiker einen angemessenen Job mit entsprechender Bezahlung zu erhalten, geringer. Einrichtungen der Arbeitsagentur zur Förderung behinderter Akademiker versuchen, dagegen zu intervenieren. Die gesetzlichen Vorgaben für quotierte Arbeitsplätze (§ 154 Absatz 1 SGB IX) für behinderte Arbeit"nehmer" werden leider von zu schwachen Sanktionsmöglichkeiten flankiert.

  • Armutsvermeidung für Menschen mit Behinderungen ist ein wichtiges Thema und könnte - wie oben beschrieben - manche Probleme der Scah- und Dienstleistungen lösen helfen. Dazu wäre es im deutschen Sozialleistungssystem am Besten, Zugang zu und Höhe von Erwerbsminderungsrenten neu auszugestalten. Die Diskussion um die armutsvermeidende Grundrente müsste nicht nur für das Alter, sondern auch für die Erwerbsminderung geführt werden. Hier sollten sich die einschlägigen Verbände stärker positionieren.