Rechtsprechung zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement

  • Das BEM ist häufig für den Wiedereinstieg oder zur Vermeidung krankheitsbedingter Kündigungen von entscheidender Bedeutung. Nachfolgend einige aktuelle Gerichtsentscheidungen zu dem Thema


    VIS Berlin - 26 Sa 1200/19 | LArbG Berlin-Brandenburg 26. Kammer | Urteil | Darlegungslast bei krankheitsbedingter Kündigung - negative Gesundheitsprognose
    Leitsatz


    1. Treten während der letzten Jahre jährlich mehrere (Kurz-)Erkrankungen auf, spricht dies für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes, es sei denn, die Krankheiten sind ausgeheilt (vgl. BAG 1. März 2007 - 2 AZR 217/06, Rn. 17; 10. No-vember 2005 - 2 AZR 44/05, Rn. 20). (Rn.21)
    2. Vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls ist für die Erstellung der Gesundheitsprognose ein Referenzzeitraum von drei Jahren maßgeblich (vgl. BAG 25. April 2018 - 2 AZR 6/18, Rn. 23; 23. Januar 2014 - 2 AZR 582/13, Rn. 32).(Rn.23)
    3. Für die Beurteilung der Wirksamkeit einer Kündigung kommt es auf den Zeitpunkt ihres Zugangs an.(Rn.27)
    Es ist aber - insbesondere, wenn dem Kündigungsgrund ein prognostisches Element innewohnt - nicht unzulässig, die spätere Entwicklung in den Blick zu nehmen, soweit sie - wie hier - die Prognose bestätigt (vgl. BAG 23. Januar 2014 - 2 AZR 582/13, Rn. 32; 13. Mai 2004 - 2 AZR 36/04, zu III der Gründe; vgl. für den Fall der betriebsbedingten Kündigung BAG 27. November 2003 - 2 AZR 48/03, zu B I 1 a der Gründe).(Rn.27)



    VIS Berlin - 26 TaBV 865/19 | LArbG Berlin-Brandenburg 26. Kammer | Beschluss | Erforderlichkeit einer umfassenden Betriebsratsschulung zum betrieblichen Eingliederungsmanagement ...



    Leitsatz


    1. Dem Betriebsrat steht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ein Initiativrecht für eine Ausgestaltung des Klärungsprozesses nach § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX durch generelle Verfahrensregelungen zu (vgl. BAG 22. März 2016 - 1 ABR 14/14, Rn. 12). Er hat im Zusammenhang mit der Kontrolle und der Durchführung des Verfahrens zahlreiche Aufgaben.(Rn.30)
    2. Die Erforderlichkeit einer Schulungsteilnahme setzt nicht notwendig voraus, dass die Durchführung eines bEM im Zeitpunkt des Entsendebeschlusses des Betriebsrats aktuell bevorstand. Der erforderliche konkrete betriebsbezogene Anlass ist nicht im Sinne eines akuten Ereignisses, sondern im Sinne eines gegenwärtigen Bedürfnisses zu verstehen (vgl. BAG 14. Januar 2015 - 7 ABR 95/12, Rn. 20). Hier gab es zudem konkrete Fälle, die ein betriebliches Eingliederungsmanagement erforderlich gemacht hätten.(Rn.33)
    3. Die Aufbauschulung diente der Vertiefung und dem Erfahrungsaustausch. Das Arbeitsgericht hat es zutreffend für die Erforderlichkeit der Schulung nicht als notwendig angesehen, dass es in dem Betrieb bereits eine Betriebsvereinbarung gab. Erforderlich ist eine umfassende Schulung, insbesondere wenn ein Arbeitgeber im Umgang mit dem betrieblichen Eingliederungsmanagement und der Beteiligung des Betriebsrats - wie hier - erhebliche Defizite erkennen lässt.(Rn.36)
    VIS Berlin - 10 Sa 864/19 | LArbG Berlin-Brandenburg 10. Kammer | Urteil | Offensichtlich nutzloses BEM - Arbeitsunfähigkeit - Rehabilitationsmaßnahme



    Leitsatz


    Ob die Zeiten einer Rehabilitationsmaßnahme als Arbeitsunfähigkeitszeiten anzusehen sind, bestimmt sich nach der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie.(Rn.43) Wenn ein Arbeitgeber sich darauf beruft, dass ein BEM bei häufigen Kurzerkrankungen offensichtlich aussichtslos ist, hat er darzulegen, dass auch etwaige Maßnahmevorschläge der Berufsgenossenschaften und der DGUV konkret nicht umsetzbar wären oder nicht zu einer Reduzierung der Fehlzeiten geführt hätten.(Rn.47)





    Soweit mal ein erster Aufschlag von mir.



    Bei Fragen....fragen ;)



    DR. Theben

  • Hallo,
    dieses Urteil sollte man vielleicht ergänzen, um klarzustellen des selbst Gerichte kein einheitliches Vorgehen haben.



    Kein klagbarer Anspruch auf ein betriebliches Eingliederungsmanagement
    Die Verpflichtung des Arbeitgebers, bei Vorliegen der Voraussetzungen ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen, stellt keinen klagbaren Anspruch des Arbeitnehmers dar. Dies hat das LAG Nürnberg mit Urteil vom 08.10.2020 – 5 Sa 117/20 entschieden.




    Wenn dem Betriebsrat erst mitgeteilt wird, des der Arbeitgeber die Eingliederung abgebrochen hat, (ohne nähere Informationen) was sollte er dann tun?
    Wenn der AG. kein Interesse an einem BEM hat. Wo oder wann wurde ein AG verurteilt, ein BEM in seinem Betrieb umzusetzen?
    Wie soll eine Eingliederung erfolgreich sein, wenn kein Interesse besteht.
    ?(
    Gruß Jürgen

  • @Jürgen09


    es ist halt so, dass es in der Regel keinen Rechtsanspruch des Arbeitnehmers auf Durchführung eines BEM gibt. Insoweit kann dann auch die Schwerbehindertenvertretung - rechtlich verbindlich - wenig durchsetzen, wenn Arbeitgeber BEM verweigert...mehr und detaillierter dazu demnächst....


    Grüße


    DR. Theben

  • Hallo zusammen,


    ich möchte an dieser Stelle gerne auf die Urteilssammlung von REHADAT-Recht verweisen: dort finden Sie mehr als 280 Urteile zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement im Volltext - thematisch und chronologisch sortiert. Z. B. Kündigungsschutzklagen, in denen die Pflicht der Betriebe zur Durchführung eines BEM thematisiert werden und Urteile zu Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechten der Personalvertretungen.


    Jeder kann dort kostenlos recherchieren - REHADAT wird vom BMAS gefördert.


    Hier der Link: https://www.rehadat-recht.de/d…tz-praevention/index.html.


    Grüße sendet
    Anja Brockhagen

  • Hier nun Leitsätze einiger Entscheidungen des Bundesarbeitsgericht zum Betrieblichen Eingliederungsrechts:
    Bundesarbeitsgericht


    WEISUNGSRECHT - Die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements iSv. § 84 Abs. 2 SGB IX ist keine formelle oder unmittelbare materielle Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Versetzung oder einer anderen Ausübung des Weisungsrechts durch den Arbeitgeber. Dies gilt auch in den Fällen, in denen die Anordnung des Arbeitgebers (auch) auf Gründe gestützt wird, die im Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand des Arbeitnehmers stehen


    Bundesarbeitsgericht


    MITBESTIMMUNG
    1. Durch einen Spruch der Einigungsstelle kann das Verfahren nach § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX (juris: SGB 9) über die Klärung von Möglichkeiten, eine bestehende Arbeitsunfähigkeit zu überwinden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen und eine möglichst dauerhafte Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses zu fördern, nicht auf ein Gremium übertragen werden, das aus Mitgliedern besteht, die Arbeitgeber und Betriebsrat jeweils benennen.
    2. Die Beteiligung des Betriebsrats an dem Klärungsprozess nach § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX (juris: SGB 9) setzt das Einverständnis des betroffenen Arbeitnehmers voraus. Dieser ist im Rahmen der Unterrichtung nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX (juris: SGB 9) darauf hinzuweisen, dass von der Beteiligung des Betriebsrats abgesehen werden kann.


    Bundesarbeitsgericht


    HÄUFIGE KURZERKRANKUNGEN KÜNDIGUNG


    1. Es ist Sache des Arbeitgebers, die Initiative zur Durchführung eines gesetzlich gebotenen betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) zu ergreifen. Dazu gehört, dass er den Arbeitnehmer auf die Ziele des bEM sowie die Art und den Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinweist.
    2. Hat der Arbeitgeber die gebotene Initiative nicht ergriffen, muss er zur Darlegung der Verhältnismäßigkeit einer auf krankheitsbedingte Fehlzeiten gestützten Kündigung nicht nur die objektive Nutzlosigkeit arbeitsplatzbezogener Maßnahmen iSv. § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG aufzeigen. Er muss vielmehr auch dartun, dass künftige Fehlzeiten ebenso wenig durch gesetzlich vorgesehene Hilfen oder Leistungen der Rehabilitationsträger in relevantem Umfang hätten vermieden werden können.




    Soweit wieder von mir. Gerne beantworte ich hier Ihre Fragen.


    Herzliche Grüße


    DR. Theben