Was kann die Schwerbehindertenvertretung zur Durchsetzung von Barrierefreiheit im Betrieb tun?

  • Sie können sich beispielsweise an den Integrationsfachdienst vor Ort oder den technischen Beratungsdienst wenden und sich über konkrete Ansatzpunkte zur barrierefreien Gestaltung der Arbeitsumgebung informieren. Oft erleben wir es in der betrieblichen Praxis, dass arbeitgeberseitig eine große Offenheit für die barrierenfreie Gestaltung des Arbeitsumfeldes besteht, jedoch nur wenige konkrete Ansatzpunkte bekannt sind oder auch befürchtet wird, dass entsprechende Maßnahmen sehr umfangreich werden. Wenn im Gespräch dann konkrete Maßnahmen angesprochen werden, wird das Thema besser greifbar und oft auch leichter umsetzbar.

    • Offizieller Beitrag

    Folgender Fachbeitrag des Diskussionsforums Rehabilitations- und Teilhaberecht aus dem Jahr 2014 erklärt die Rolle der Schwerbehindertenvertretung (SBV) in Betrieben:


    Schuster: Die Schwerbehindertenvertretung als betrieblicher Interessenvertreter für Menschen mit Beeinträchtigungen – Aufgaben, Rechte und Pflichten; Forum B, Beitrag B14-2014

  • Ich habe als SBV die Erfahrung gemacht, dass man Arbeitgebern, wie auch der betrieblichen Interessenvertretung und den MitarbeiterInnen mit großer Offenheit begegnen muss. Immer wieder informieren über Pflichten und Möglichkeiten, Demonstration von "best practice-Beispielen" (Betriebs-, Personalversammlungen, interne Öffentlichkeitsarbeit) und immer im Gespräch bleiben: "Jede/r kann betroffen sein!"
    Wo gibt es Verbündete? Welche dieser Verbündeten hat wohin Kontakte? Eine intern aktive, kompetente und sichtbare SBV hat es einfacher, Ziele zu erreichen, als diejenigen, die ein "Schattendasein" führen ;).
    Letztlich ist es zwar doch ein Bohren dicker Bretter ........ Der Integrationsfachdienst gehört natürlich zu den externen Verbündeten.

  • Die Schwerbehindertenvertretung kann auch wichtige Informationen liefern, wenn es um Rechtsstreitigkeiten nach dem AGG geht. Nach § 22 AGG muss der sich vermeintlich diskriminiert fühlende Anspruchsteller Indizien vortragen, die auf ine Diskriminierung schließen lassen. Wird ein schwerbehinderter Bewerber nicht zum Bewerbungsgespräch eingeladen, kann die Schwerbehindertenvertretung hier wichtige Informationen zum Auswahlverfahren, etwa zur Anzahl der (nicht) eingeladenen Bewerber machen - das darf sie auch ohne Sanktionen fürchten zu müssen.


    Dr. Martin Theben
    Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht

  • Barrierefreiheit und SBV
    Eine ausdrückliche, das Wort Barrierefreiheit erwähnende Regelung gibt es im Schwerbehindertenrecht nicht. Das ist jedoch auch nicht notwendig; denn das SGB IX will nach § 1 SGB IX die volle gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, somit auch im Arbeitsleben fördern. Das schließt Barrierefreiheit im Betrieb und in der Dienststelle mit ein.
    Die Schwerbehindertenvertretung (SBV) fördert nach § 95 Abs.1 Satz 1 SGB IX die Eingliederung schwerbehinderter Menschen in den Betrieb oder die Dienststelle, vertritt ihre Interessen in dem Betrieb oder der Dienststelle und steht ihnen beratend und helfend zur Seite. Dazu gehört auch, dass sie die schwerbehinderten Beschäftigten in Fragen der barrierefreien Zugänge und Arbeitsumgebung sowie Arbeitsmittel beratend und helfend zur Seite steht. Sie kann dazu auch nach § 95 Abs.1 Satz 2 Nr. 2 SGB IX Maßnahmen, die den schwerbehinderten Menschen dienen, insbesondere auch präventive Maßnahmen, bei den zuständigen Stellen beantragen. Zuständige Stellen sind für Übernahme von Kosten für technische Arbeitshilfen, die wegen Art und Schwere der Behinderung zur Berufsausübung erforderlich sind, nach § 33 SGB IX die REHA-Träger (zumeist: Rentenversicherung),und für die begeltende Hilfe im Arbeitsleben nach § 102 SGB IX die Integrationsämter. Ferner muss die SBV nach § 95 Abs.1 Satz 2 Nr.1 SGB IX darüber wachen, dass die zugunsten schwerbehinderter Menschen geltenden Gesetze, Verordnungen, Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen und
    Verwaltungsanordnungen vom Arbeitgeber auch durchgeführt werden. Insbesondere gehört dazu, dass der Arbeitgeber die ihm nach § 81 Abs. 4 Satz 1 SGB IX obliegende Verpflichtung zur behinderungsgerechten Beschäftigung erfüllt. Dazu gehört auch, dass der Arbeitgeber für folgende Maßnahmen sorgt:

    • für behinderungsgerechte Einrichtung und Unterhaltung der Arbeitsstätten einschließlich der Betriebsanlagen, Maschinen und Geräte sowie der Gestaltung derArbeitsplätze, des Arbeitsumfeldes, der Arbeitsorganisation und der Arbeitszeit, unter besonderer Berücksichtigung der Unfallgefahr (§ 81 Abs. 4 Satz1 Nr.4 ),
    • für die Ausstattung des Arbeitsplatzes mit den erforderlichen technischen Arbeitshilfen (§ 81 Abs. 4 Satz1 Nr. 5).

    Ferner hat die SBV nach § 95 Abs.1 Satz 2 Nr.1 SGB IX die Einhaltung der Arbeitsstättenverordnung vom 12. August 2004 (BGBl. I S. 2179), die zuletzt durch Artikel 282 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474) geändert worden ist(ArbStättV) zu überwachen. Dort ist ua. bestimmt:
    "§ 3a Einrichten und Betreiben von Arbeitsstätten
    (1) 1Der Arbeitgeber hat dafür zu sorgen, dass Arbeitsstätten so eingerichtet und betrieben werden, dass von ihnen keine Gefährdungen für die Sicherheit und die Gesundheit der Beschäftigten ausgehen. 2Dabei hat er den Stand der Technik und insbesondere die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales nach § 7 Abs. 4 bekannt gemachten Regeln und Erkenntnisse zu berücksichtigen. 3Bei Einhaltung der im Satz 2 genannten Regeln und Erkenntnisse ist davon auszugehen, dass die in der Verordnung gestellten Anforderungen diesbezüglich erfüllt sind. 4Wendetder Arbeitgeber die Regeln und Erkenntnisse nicht an, muss er durch andere Maßnahmen die gleiche Sicherheit und den gleichen Gesundheitsschutz der Beschäftigten erreichen.
    (2) 1Beschäftigt der Arbeitgeber Menschen mit Behinderungen, hat er Arbeitsstätten so einzurichten und zu betreiben, dass die besonderen Belange dieser
    Beschäftigten im Hinblick auf Sicherheit und Gesundheitsschutz berücksichtigt werden. 2Dies gilt insbesondere für die barrierefreie Gestaltung von Arbeitsplätzen
    sowie von zugehörigen Türen, Verkehrswegen, Fluchtwegen, Notausgängen, Treppen, Orientierungssystemen, Waschgelegenheiten und Toilettenräumen."
    Erkennt die SBV, dass der Arbeitsgeber seine Verpflichtungen nicht oder nicht ausreichend erfüllt, so hat sie über die von ihr entdeckten Mängel den nach § 98 SGB IX vom Arbeitgeber bestellten Beauftragten für die Angelegenheiten schwerbehinderter Menschen zu unterrichten. Die Unterrichtungspflicht ergibt sich aus dem Gebot der engen Zusammenarbeit nach § 99 Abs.1 SGB IX. Der Arbeitgeberbeauftragte vertritt nach § 98 Satz 1 SGB IX den Arbeitgeber "verantwortlich". Er ist auch nach § 98 Satz 3 SGB IX verantwortlich dafür, dass die dem Arbeitgeber obliegenden Verpflichtungen aus der ArbStättV erfüllt werden. Wird der Arbeitgeberbeauftragte seiner Verantwortung nicht gerecht, muss sich die SBV unter Hinweis auf die Untätigkeit des Beauftragten direkt an den Arbeitgeber wenden. Bei Kapitalgesellschaften ist dann der Vorstand oder die Geschäftsführung zu unterrichten. Die SBV hat insoweit kein Klagerecht, dass sie gerichtlich die Herstellung barrierefreier Zustände im betrieb oder der Dienststelle durchsetzen könnte.
    Hat der schwerbehinderte Mensch insoweit Probleme, so sieht § 95 Abs.1 Satz 2 Nr. 3 SGB IX dafür vor, dass die SBV Anregungen und Beschwerden von schwerbehinderten Menschen entgegennimmt und, falls sie berechtigt erscheinen, durch Verhandlung mit dem Arbeitgeber auf eine Erledigung hinwirkt; sie hat danach die schwerbehinderten
    Menschen über den Stand und das Ergebnis der Verhandlungen zu unterrichten. Wird nicht abgeholfen muss der Betroffene sein Recht auf behinderungsgerechte Beschäftigung als Arbeitnehmer beim Arbeitsgericht und als Beamter beim Verwaltungsgericht einklagen. Allerdings kann nach § 63 SGB IX dieses in § 81 Abs. 4 SGB IX verankerte Recht auch ein Behindertenverband in einer Art Verbandsklage gerichtlich geltend machen. Diese gesetzliche Möglichkeit entlastet den Einzelnen vom psychologischen Druck, einen Prozess gegen den Arbeitsgeber/Dienstherrn führen zu müssen.
    Professor Franz Josef Düwell
    franz.duewell@uni-konstanz.de