Kostenerstattungsanspruch zur Beschleunigung der Versorgung? "Bedingter Auftrag" möglich?

  • Liebe MitdiskutantInnen, sehr geehrter Herr Professor Welti,


    kann ein Versicherter seinem Sanitätshaus eine Art "bedingten Auftrag" erteilen - wenn er bereit und in der Lage ist, das benötigte Hilfsmittel zwischenzufinanzieren, bis das Antragsverfahren und ein mutmaßlich anschließender Widerspruch abgeschlossen ist -, ohne den Sachleistungsanspruch gegen die Krankenkasse, bzw. den Anspruch auf Wandlung in Kostenerstattung zu verlieren?
    (Kann man diese Frage verstehen?)


    Konkret: Ein Versicherter hat lange recherchiert, sich gründlich beraten lassen, das in Frage kommende Hilfsmittel erprobt. Aus Erfahrung vermutet er, daß die Krankenkasse es nicht einfach bewilligt - jedenfalls nicht in der erforderlichen Ausführung (die freilich "das Maß des Notwendigen nicht übersteigt"). Das Hilfsmittel ist jetzt (!) erforderlich, es handelt sich (z.B.) um eine "Erstversorgung". Ein Provisorium ist nicht möglich. Es ist nicht anzunehmen, daß sich ein geeignetes Produkt bereits im Bestand der Krankenkassen befindet. Für die Anfertigung benötigt der ausgelastete Hersteller mindestens 4 Wochen.
    Der Versicherte ist finanziell in der Lage, notfalls das Hilfsmittel vorzufinanzieren.
    (Bzw. z.B. folgende Annahme: Er beantragt erfolgreich beim "Härtefallfonds" des Bundespräsidenten eine Ausfallbürgschaft.)


    Kann er dem Sanitätshaus einen schriftlichen Auftrag erteilen, ohne den Anspruch gegen die Kasse zu verlieren? Wie müßte dieser Auftrag formuliert oder gestaltet sein, so daß deutlich wird, daß er erst dann "wirksam" wird, wenn die Krankenkasse als Leistungsträger (teilweise) ausfällt?
    Kann er eine Anzahlung von z.B. 50 % auf eine Art Treuhandkonto zahlen, zur Sicherheit des Sanitätshauses? Kann er dazu ein "Mietkautionskonto" nehmen, wie es von den Banken angeboten wird, bzw. ein Sparbuch, das dem Sanitätshaus ausgehändigt wird?


    Wenn das Hilfsmittel fertig ist, bevor das Antragsverfahren abgeschlossen ist: darf das Sanitätshaus es dem Versicherten zur Nutzung überlassen? Spielt es eine Rolle, ob zur Miete, in einem Leasing-Modell oder kostenfrei? (Die kostenfreie Überlassung von Hilfsmitteln "zur Erprobung" ihrer Eignung ist an sich ein übliches Verfahren. Normalerweise werden hierfür freilich nicht fabrikneue individuell hergestellte Produkte eingesetzt.)


    Wenn das Hilfsmittel fertig ist, bevor das Widerspruchsverfahren abgeschlossen ist: darf das Sanitätshaus es dem Versicherten zur Nutzung überlassen?


    Wie verfährt der Versicherte weiter: führt er parallel das Widerspruchsverfahren zur Sachleistung der Krankenkasse weiter und beantragt zugleich Wandlung in einen Kostenerstattungsanspruch? Muß diese Wandlung beantragt werden, oder ergibt sie sich von selbst durch den Fortgang des Verfahrens? Zu welchem Zeitpunkt? Muß nach abgelehntem Widerspruch der Krankenkasse eine weitere Frist gesetzt werden? Als angemesse Frist nimmt man häufig 14 Tage an. Es sind nun seit Antragstellung jedoch bereits etwa 3 Monate vergangen, wenn alle Fristen ausgeschöpft wurden. Normalerweise ohne eine Versorgung des Versicherten. Gibt es eine Möglichkeit, das zu beschleunigen?


    (Nebenfrage: Bei Hilfsmitteln, die ein Versicherter "out of the box" nutzen und auch beim Händler ausleihen kann: empfiehlt es sich da, fast parallel einen Antrag auf eine Leihstellung über 3 Monate "zur Erprobung" zu stellen, und nach einigen Tagen (erfolgreicher) Erprobung einen Antrag auf unbefristete Versorgung?)


    Wie ermittelt man den Preis für einen solchen "bedingten Auftrag"? Die Krankenkassen haben mit den Herstellern Rabatte von um die 25 % ausgehandelt. Sie sind durch ihre Marktmacht gewohnt, andere, günstigere Preise zu zahlen, als die Menschen mit unmittelbarem Bedarf.
    Würde man diese Differenz zunächst selbst tragen müssen und bei einem erfolgreichen Klageverfahren müßte es die Kasse übernehmen?


    Falls sich an ein Widerspruchsverfahren ein Klageverfahren anschließt: wie kann man es "datensparsam" gestalten? Durch die Antragstellung und den "Amtsermittlungsgrundsatz" der Sozialgerichte werden viele Daten erhoben, die zum innersten Lebensbereich der Versicherten gehören. Viele dieser Informationen werden im Verfahren öffentlich gemacht.
    Kann man die Anregung geben, im Einzelfall (oder auch generell?) ein Schiedsverfahren anzustreben?


    Wie kommen Menschen, die nicht mobil sind, die nicht sprechen können, die sonst stark beeinträchtigt sind, zu fachanwaltlicher Beratung?


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    Danke für Aufklärung und Berichtigung!

  • Die von Ihnen geschilderte Konstellation - offensichtlich ein bestimmter Einzelfall - kann nicht in allgemeinen Worten aufgeklärt werden, vieles hängt vom Einzelfall ab. Dazu bedarf es individueller Rechtsberatung.
    Das Widerspruchsverfahren ist nicht-öffentlich. Erst im Klageverfahren können persönliche Daten öffentlich werden. Die "Öffentlichkeit" beschränkt sich aber im Allgemeinen auf die zur Verschwienheit verpflichteten Verfahrensbeteiligten und das Gericht. Eine wirkliche Öffentlichkeit können persönliche Daten nur in der mündlichen Verhandlung beim Sozialgericht finden. Dort kann die Öffentlichkeit nach § 61 Abs. 1 SGG, § 171b GVG ausgeschlossen werden, wenn Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich zur Sprache kommen. Wird das Urteil veröffentlicht, so erfolgt dies anonymisiert,
    Kommunikationshilfen in der Kommunikation mit Prozessvertretern können nach § 57 SGB IX Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sein. Hier würde allerdings im Regelfall Leistungsberechtigung bei der Eingliederungshilfe nach §§ 53, 54 SGB XII erforderlich sein. Inwieweit besondere Leistungen wie Dolmetschkosten und Kommunikationshilfen außerdem im Rahmen der Prozesskostenhilfe erstattet werden können, ist klärungsbedürftig. Jedenfalls die Rechtsschutz gewährenden Sozialverbände sollten diese Situation berücksichtigen.