Wer trägt die Beweislast für die Ursachen der Ausfallzeit?

  • Wenn der Arbeitgeber durch das Betriebsklima, Führungsverantwortung, mangelnde Unterweisung für die Ausfallzeiten (mit-)verantwortlich ist, gelten Beweiserleichterungen für den AN? Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen? Wenn nein, welche Offenlegungspflichten hat der AG dem AN gegenüber?

  • Ich muss ganz ehrlich gestehen, dass mich die Begrifflichkeiten (Beweislast, Beweiserleichterungen, Offenlegungspflichten) im Zusammenhang mit BEM doch etwas irritieren.


    Ja, auch Klima, Führungsverhalten oder Informationsverhalten können zu Ausfallzeiten führen.
    Im Verfahren geht es m.E. jedoch um Vertrauen.
    Dazu gehört vertrauensvolle Zusammenarbeit genauso wie Verschwiegenheit nach außen (was in BEM besprochen wird, bleibt im Raum - mit Ausnahme definierter Inhalte, die i.R. der Umsetzung erforderlich sind + denen der Betroffene zugestimmt hat) und die Tatsache, dass BEM allein nicht immer zum Erfolg führt.


    Oder verstehe ich die Frage von "ImTomtom" falsch?

  • BEM kommt aus dem präventiven Kündigungsschutz. Nach meiner Erfahrung geht es nicht um Vertrauen. Ausfallzeiten werden entweder im Kontext "Blaumachen" oder Belastung für die Organisation diskutiert. Natürlich bin ich geprägt von den 18 Jahren Tätigkeit als Vertrauensperson der schwerbeh. Menschen bei meinem Arbeitgeber. Dennoch sind meine Fragen durchaus ernst gemeint. Wie weit reicht die Offenlegungspflicht des Arbeitgebers? Beispiel: Schlechtleistung, Fehler. Reicht die Behauptung und Unterschrift des Dienststellenleiters?

  • ...dann bin ich "raus". BEM wird bei uns anders gelebt.



    Woher BEM kommt sollte mir bekannt sein - bin seit ü 30 Jahren bei meinem Arbeitgeber, "kümmere" mich seit 2001 um schwerbehinderte/gleichgestellte Menschen sowie Rehabilitanden, bin ebenfalls gewählte Vertrauensperson (dafür auch freigestellt) und "wir machen BEM" bei uns in der Dienststelle seit 2009.


    Offenbar hat man bei dir in der Dienststelle den Sinn und die Möglichkeiten entweder noch nicht erkannt bzw. sie verkannt oder einfach nur schlecht handelnde Personen.
    Ich wünsche dir und vor allem deinen Kollegen, dass das anders wird.

  • Im Tomtom: in welchem Verfahrensschritt des BEM bewegt sich die Frage hinsichtlich der Beweiserleichterung? Im BEM-Verfahren ist mir keine Beweispflicht bekannt. Das Verfahren ist unabhängig von der Frage, wer für die Krankheit/en die Verantwortung trägt. Kann es sein, dass es bei euch Krankenrückkehrgespräche gibt und du aus dieser Erfahrung schreibst?

    Christine Zumbeck
    Projekt - RE-BEM
    (gemeinsam mit Dr. Christiane Stegmann und Dr. Regina Richter)

  • Die Irritationen um die Frage der Beweislast hinsichtlich der Ursache der Arbeitsunfähigkeit sind gut nachvollziehbar. Sie stellt sich für § 84 Abs. 2 SGB IX nicht.


    Wie schon zuvor gesagt besteht die BEM-Pflicht des Arbeitgebers unabhängig von der Ursache der Arbeitsunfähigkeit. Auch die in der Freizeit, möglicherweise gar leichtfertig zugezogene Verletzung/Erkrankung mit daraus folgender Arbeitsunfähigkeit löst die Pflicht des Arbeitgebers zum BEM aus. Im Recht der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist in den seltenen Fällen der selbstverschuldeten Erkrankung der Arbeitgeber von der Entgeltfortzahlung befreit, § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG. Aber selbst dort wird ein Selbstverschulden nur ganz ausnahmsweise angenommen; es verlangt eine vorsätzliche oder besonders leichtfertige Selbstverletzung. Auf die Präventionspflicht gem. § 84 Abs. 2 SGB IX ist dies nicht zu übertragen.


    Über die Beweislast ist erst zu sprechen, wenn der Arbeitgeber krankheitsbedingt kündigen will. Dann geht es aber auch nicht um den Beweis der Ursache der Arbeitsunfähigkeit, sondern um die Prognose der künftigen Vertragsstörung infolge der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Hat nämlich der Arbeitgeber ein BEM entweder ganz unterlassen oder in einer Weise durchgeführt, die nicht den Mindestanforderungen entspricht, so treffen ihn im Kündigungsschutzprozess erhöhte Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast, dass der langfristig erkrankte Beschäftigte weder auf seinem bisherigen Arbeitsplatz, gegebenenfalls nach dessen befähigungsgerechter Anpassung, noch auf einem anderen, ebenfalls befähigungsgerecht angepassten Arbeitsplatz hätte weiterbeschäftigt werden können (so die laufende Rechtsprechung, vgl. BAG 10.12.2009 – 2 AZR 400/08 – DB 2010, 621 ff.).
    Nur für den selten denkbaren Fall, dass auch ohne ein BEM eine Weiterbeschäftigung unmöglich wäre, erwächst dem Arbeitgeber kein Nachteil aus einem unterlassenen BEM. Dies setzt aber voraus, dass umfassend und detailliert vorgetragen worden ist, warum weder ein Einsatz auf dem bisherigen Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung möglich gewesen wären und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit hätte eingesetzt werden können. Es handelt sich hierbei um die primäre Darlegungslast des Arbeitgebers für die Nutzlosigkeit des BEM. Mit dieser eindeutigen Aussage ist das LAG Hamm in einer sehr aktuellen Entscheidung (19.7.2016, 7 Sa 1707/15, DB 2016, 2244) dem Versuch des Arbeitgebers entgegengetreten, die BEM-Pflicht zu verneinen, weil die Arbeitsunfähigkeit nicht betrieblich verursacht sei. Auf die Ursache kam es ganz klar nicht an.


    Wird im BEM-Prozess eine konkrete Anpassungsmaßnahme ermittelt, dann kann die Pflicht des Arbeitgebers zur Umsetzung der ermittelten Maßnahmen (z.B. Arbeitsplatzanpassung oder Vertragsanpassung) im Einzelfall an die Grenze der Zumutbarkeit stoßen. Erst hier kann sich im Abwägungsprozess die Frage nach der Ursache der Arbeitsunfähigkeit stellen. Auf die Einleitung und Durchführung eines BEM bleibt dies aber völlig ohne Einfluss.