Was ist ein inklusiver Arbeitsmarkt?

  • Ist nicht der Arbeitsmarkt, den wir kennen, eine hochgradig selektive Veranstaltung? Gilt nicht auf allen Ebenen das Prinzip der "Bestenauslese" - wohlgemerkt: beim Zugang zum Menschenrecht auf Arbeit (Art. 23 Abs. 1 UN-Charta)? Wer vom Jobcenter (Hartz IV) kommt, hat deutlich schlechtere Karten als der/die von der Arbeitsagentur (SGB III). Geringere Qualifikation? Vermittlungshemmnis. Behinderung? Vermittlungshemmnis. Über 50? Vermittlungshemmnis. Usw. usf. Kann ein hochgradig selektiver Markt mit ein paar Reförmchen "inklusiv" werden? Bedarf es nicht struktureller Veränderungen?


    Zudem: Streng genommen ist der (Arbeits-)Markt nur der Ort, an dem Waren (Arbeitskräfte) gehandelt werden. Wer sich da in der Rolle des Ladenhüters wiederfindet, ist zwar "am Markt", aber das nützt ihm/ihr ebenso wenig wie vielen Langzeitarbeitslosen ohne Behinderung. Geht es beim "inklusiven Arbeitsmarkt" nicht tatsächlich um ein inklusives Beschäftigungssystem? Und muss dazu nicht das Prinzip der (ökonomischen) "Bestenauslese" ordnungspolitisch zurückgedrängt werden? So dass sich reelle, gleichgestellte Zugänge zum Menschenrecht auch für all diejenigen finden, deren "Wettbewerbsfähigkeit" eingeschränkt ist? Was sagen die in Mode befindlichen "best practice"-Beispiel von hochmotivierten LeistungsträgerInnen mit Behinderung denen, die nach Maßstäben wirtschaftlicher Verwertbarkeit tatsächlich stärker eingeschränkt sind?


    Immerhin: Das Schwerbehindertenrecht stellt mit seiner Beschäftigungspflicht und -quote von jeher schwerbehinderte ArbeitnehmerInnen von der Verpflichtung frei, sich im Wettbewerb um Einstellungen gegenüber nichtbehinderten KollegInnen durchsetzen zu müssen. Kann/muss dieser Ansatz vielleicht weitaus stärker zur Entfaltung gebracht und auch praktisch durchgesetzt werden? (Das in der Rechtswirklichkeit die "Pflicht" zur Beschäftigung massenhaft unbeachtet bleibt, zeigt der Vergleich der anhaltend übermäßig hohen Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter mit den "unbesetzten Pflichtplätzen".)
    Wenn der "inklusive Arbeitsmarkt" das Ziel sei soll, dann braucht es ein Verständnis dessen, worin der vorfindliche Arbeitsmarkt sich davon unterscheidet. Welche Selektionsmechanismen gibt es in wieweit und WIE zu überwinden, damit wir einem Arbeitsmarkt näher kommen, der für alle (nicht bloß für Arbeitgeber) funktioniert?


    Wer keine Vorstellung hat, wo das Ziel liegt, kann auch keinen Weg dorthin beschreiten. Bei der inklusiven Bildung hatten wir Jahrzehnte der Schulversuche, die zeigten, dass und wie es ginge (wenn man denn wollte). Auch dort geht es letztlich um die Überwindung eines selektiven Systems. Beim Arbeitsmarkt stehen wir da - so mein Eindruck - noch sehr am Anfang. Mit Fragen über Fragen...


    Vielen Dank und freundliche Grüße
    Daniel Kreutz
    (Vorsitzender Sozialpolitischer Ausschuss SoVD NRW)

  • In der Tat, es wäre ein Paradigmenwechsel notwendig, um einen inklusiven Arbeitsmarkt zu schaffen. Die sogenannte Bestenauslese - vorwiegend im Öffentlichen Dienst immer als feierliche und nicht diskutierbare Monstranz vor jedem Bewerbungsverfahren hergetragen - verhindert einen inklusiven Arbeitsmarkt. Niemand anerkennt andererseits das Recht aller Bürger auf Zugang zu öffentlichen Ämtern nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung als gleichwertig!


    Wer im bestehenden System die Ware Arbeit anbietet, ist darauf angewiesen, dass es auch Abnehmer gibt. Und die Abnehmer der Ware Arbeit gestalten die Bedingungen des Marktes in der Regel allein nach Rentabilitäts- und Effektivitätsgründen. Ein behinderter Mensch ist in diesem System oft nicht rentabel und/oder effektiv im Sinne der Gewinnmaximierung oder dem Streben nach dem effektivsten Ergebnis.


    Alles in allem stellt sich mir die Frage auf dem Weg zu einem inklusiven Arbeitsmarkt nach dem Wie! Wie kann ein inklusiver Arbeitsmarkt in einer Gesellschaft realisiert werden, in der nicht die sozialen Aspekte der Teilhabe allgemein akzeptiert, gleichwohl aber augenscheinlich die ausschliesslich marktorientierte Auslese den Menschen als zu akzeptierendes Grundmotiv beigebracht wurde.


    Wir streiten mittlerweile um die (Geschwindigkeit der) Umsetzung der Inklusion in den Schulen. Diese wird vielerorts ohne Rücksicht auf die Leistungs- und Belastungsfähigkeit des Lehrpersonals umgesetzt. In den Hochschulen des Landes setzt sich sehr langsam, aber immerhin der Gedanke der Inklusion fest. Und was folgt nach Schule und Hochschule in einem System, in dem Leistung, Leistung, Leistung zählt?


    Die bestehenden gesetzlichen Regelungen reichen offensichtlich bei weitem nicht aus! Und allein auf einen gesellschaftlichen Bewußtseinswandel zu setzen, scheint mir doch ein wenig realitätsfern zu sein. Insofern teile ich den Schlusssatz "Mit Fragen über Fragen....."


    MfG - Jürgen B.

  • Ein inklusiver Arbeitsmarkt wird in Art. 27 UN-BRK gefordert. Das setzt voraus, den Arbeitsmarkt nicht alleine als Markt, sondern als rechtlich regulierte Veranstaltung anzusehen, zu deren Zielen auch der allgemeine Zugang zur Erwerbsarbeit gehört. Dennoch bleiben auch andere Ziele erhalten, insbesondere eine effiziente Güter- und Dienstleistungsproduktion, privaten Unternehmen Gewinnerzielung und öffentlichen und gemeinnützigen Unternehmen die Erfüllung ihres jeweiligen Auftrags zu ermöglichen. Die entsprechenden Abwägungen und Maßnahmen erfordern eine ständige Beobachtung und Regulierung des Arbeitsmarktes.