Zählt ein Dreirad (Fahrrad) als Hilfsmittel und welcher Träger kommt in Frage?

    • Offizieller Beitrag

    Die Frage wurde im Vorfeld eingereicht:

    Zitat

    Zählt ein Dreirad (Fahrrad) als anerkanntes Hilfsmittel und welcher Leistungsträger kommt für Kosten oder für einen Zuschuss auf?

  • Ja, das Dreirad (Fahrrad) gehört zu einem anerkannten Hilfsmittel.
    Im GKV- Hilfsmittelverzeichnis (Link:https://hilfsmittel.gkv-spitze…/hmvAnzeigen_input.action) finden Sie hierzu unter der Produktgruppe 22 Mobilitätshilfen, Anwendungsort 51 Straßenverkehr in den Untergruppen Zwei- und Dreiräder für Kinder gelistet.
    Wie auch schon in anderen Diskussionen erwähnt ist hier die Kostenübernahme, wie bei allen Übernahmen, unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes (SGB V, § 12 Absatz 1) zu beachten und das Fahrrad darf als solches nicht als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens deklariert sein. Siehe hierzu auch unter der Diskussion Ablauf Hilfsmittelverordnung & Kostenübernahme die Antwort von Herrn Kamps.
    Im Falle der Zuständigkeit verweise ich auf die Diskussion Wann ist welcher Träger für Hilfsmittel zuständig?

  • Grundsätzlich hat Frau Cordes Recht, Therapieräder (Dreiräder) können ein Hilfsmittel der GKV sein. Doch kommt es hier - wie meist bei den Hilfsmitteln - stark auf den Einzelfall an. Dazu gibt es auch einschlägige Rechtsprechung. So hat das Bundessozialgericht (BSG) klar gestellt, dass es sich bei den Rädern um Produkte handelt, die dem Behinderungsausgleich (Alternative 3. gem. § 33 SGB V) dienen. Es handelt sich um den mittelbaren Behinderungsausgleich, weil durch das begehrte Hilfsmittel nicht das Gehen selbst ermöglicht wird, sondern lediglich die Folgen einer Funktionsbeeinträchtigung der Beine - hier in Form der eingeschränkten Mobilität und des Gehvermögens - ausgeglichen werden sollen.


    Das hier betroffene Grundbedürfnis auf Erschließung eines körperlichen Freiraums (vgl. Diskussion dazu an andere Stelle in diesem Forum) umfasst die Bewegungsmöglichkeit in der eigenen Wohnung und im umliegenden Nahbereich (BSG Urteil vom 7.10.2010 - B 3 KR 13/09 R). Anknüpfungspunkt für die Reichweite des Nahbereichs ist der Bewegungsradius, den ein Nichtbehinderter üblicherweise zu Fuß zurücklegt. Dies entspricht dem Umkreis, der mit einem vom behinderten Menschen selbst betriebenen Aktivrollstuhl erreicht werden kann. Für die Bestimmung des Nahbereichs gilt ein abstrakter, von den Besonderheiten des jeweiligen Wohnortes unabhängiger Maßstab. Die Frage, ob ein Hilfsmittel der Sicherung menschlicher Grundbedürfnisse dient, betrifft dessen Eignung und Erforderlichkeit zur Erreichung der in § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V genannten Versorgungsziele.


    Der Nahbereich wurde nicht im Sinne einer Mindestwegstrecke bzw. einer Entfernungsobergrenze festgelegt, sondern lediglich beispielhaft im Sinne der Fähigkeit konkretisiert, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind. Dagegen umfasst der von der GKV zu gewährleistende Basisausgleich - so das BSG in ständiger Rechtsprechung - nicht die Fähigkeit, weitere Wegstrecken, vergleichbar einem Radfahrer, Jogger oder Wanderer, zu bewältigen. Von dieser Zielsetzung ausgehend sind dem der Zuständigkeitsabgrenzung der GKV von anderen Rehabilitationsträgern dienenden Nahbereich beim mittelbaren Behinderungsausgleich solche Wege zuzuordnen, die räumlich einen Bezug zur Wohnung und sachlich einen Bezug zu den Grundbedürfnissen der physischen und psychischen Gesundheit bzw der selbständigen Lebensführung aufweisen. In räumlicher Hinsicht ist der Nahbereich auf den unmittelbaren Umkreis der Wohnung des Versicherten beschränkt. Diese ist Ausgangs- und Endpunkt der zum Nahbereich zählenden Wege, so dass die Mobilität für den Hin- und Rückweg durch Leistungen der GKV sicherzustellen ist. Hierfür sind allerdings nicht die konkreten Wohnverhältnisse des behinderten Menschen maßgebend, weil der Nahbereich ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens konkretisiert und somit die Eignung und Erforderlichkeit des Hilfsmittels als objektive Anspruchsvoraussetzung betrifft. Sachlich umfasst der Nahbereich gesundheitserhaltende Wege, Versorgungswege sowie elementare Freizeitwege. Zu den gesundheitserhaltenden Wegen zählen Entfernungen, die zur Aufrechterhaltung der physischen und psychischen Existenz zurückgelegt werden (z.B. Besuch von Ärzten und Therapeuten, Aufsuchen der Apotheke). Der Versorgungsweg umschreibt dagegen die Fähigkeit, die Wohnung zu verlassen, um die für die Grundbedürfnisse der selbständigen Existenz und des selbständigen Wohnens notwendigen Verrichtungen und Geschäfte (Einkauf, Post, Bank) wahrnehmen zu können. Die Mobilität für Freizeitwege ist in Abgrenzung zu der durch andere Leistungsträger sicherzustellenden Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft jedoch nur durch Leistungen der GKV abzudecken, wenn (und soweit) diese Wege von besonderer Bedeutung für die physische und psychische Gesundheit sind. In diesem Sinne zählen zu den Freizeitwegen Entfernungen, die bewältigt werden, um die körperlichen Vitalfunktionen aufrechtzuerhalten (kurzer Spaziergang an der frischen Luft) und um sich einen für die seelische Gesundheit elementaren geistigen Freiraum zu erschließen (z.B. Gang zum Nachbarn zur Gewährleistung der Kommunikation, Gang zum Zeitungskiosk zur Wahrnehmung des Informationsbedürfnisses).


    Hiervon ausgehend eröffnet das Therapierad (Dreirad) dem behinderten Menschen grundsätzlich eine dem Radfahren vergleichbare und somit über den nach den dargelegten Grundsätzen bestimmten Nahbereich hinausgehende Mobilität. Diese ist aber von der Krankenkasse nur durch Hilfsmittel sicherzustellen, wenn die dem Versicherten eine über den Nahbereich hinausgehende Mobilität erforderlich ist, d.h. wenn besondere qualitative Momente dieses "Mehr" an Mobilität erfordern.


    Solche besonderen qualitativen Momente liegen z.B. vor, wenn der Nahbereich ohne das begehrte Hilfsmittel nicht in zumutbarer Weise erschlossen werden kann oder wenn eine über den Nahbereich hinausgehende Mobilität zur Wahrnehmung eines anderen Grundbedürfnisses notwendig ist. So ist etwa die Erschließung des Nahbereichs ohne das begehrte Hilfsmittel unzumutbar, wenn Wegstrecken im Nahbereich nur unter Schmerzen oder nur unter Inanspruchnahme fremder Hilfe bewältigt werden können oder wenn die hierfür benötigte Zeitspanne erheblich über derjenigen liegt, die ein nicht behinderter Mensch für die Bewältigung entsprechender Strecken zu Fuß benötigt. Andere Grundbedürfnisse, die eine über den Nahbereich hinausgehende Mobilität erfordern, sind vom BSG in der Integration von Kindern und Jugendlichen in den Kreis Gleichaltriger sowie in der Erreichbarkeit von Ärzten und Therapeuten bei Bestehen einer besonderen gesundheitlichen Situation gesehen worden. Zur Beantwortung der Frage, ob besondere qualitative Umstände ausnahmsweise die Gewährung eines Therapie- oder Dreirads erfordern, sind somit die Umstände des jeweiligen Einzelfalls maßgebend.