Ein Hörgerät ist eine Prothese, warum gelten hier Festbeträge?

  • Hallo,
    mich würde interessieren, wieso bei Hörprothesen diese Unterscheidung gemacht wird. Sowohl ein Hörgerät wie auch ein Cochlea Implantat tragen dazu bei, dass ein Mensch besser hören und verstehen kann. Letztlich sind beide "Prothesen", ersetzen also etwas, das nicht ausreichend funktioniert, nämlich das Gehör:

    • Ein CI wird von Chirurgen implantiert. In der Regel dann, wenn ein Hörgerät keinen Nutzen für den Patienten bringt. Die Operation ist ungefähr zehnmal so teuer wie gute Hörgeräte. Die Operation wird von den KK voll bezahlt. Außen wird das CI ergänzt durch den Sprachprozessor, der seinen Strom von Batterien bezieht. Auch die Batterien finanziert die KK, weil das CI ohne Batterie nicht funktioniert. Des weiteren wird auch die Nachsorge bezahlt, denn die Patienten müssen das Hören mit CI erst lernen, es müssen nach und nach Feineinstellungen am Prozessor angepasst werden. Und nach etlichen Jahren kann eine Re-Implantation notwendig werden.
    • Ein Hörgerät zählt als Hilfsmittel. Für dieses Hilfsmittel haben die Kassen Festbeträge festgelegt, die der Akustiker erhält. Wenn er mehr Leistung gibt, als er letztlich an Geldern erhält, hat er das Nachsehen. Und wenn ich mich für ein Hörgerät entscheide, das den Festbetrag übersteigt, muss ich mich auf langwierige Diskussionen und Briefwechsel mit der Krankenkasse einstellen. Batterien müssen Hörgeräteträger schon seit vielen Jahren selbst zahlen, obwohl ihre Geräte natürlich ohne Battieren auch nicht funktionieren würden.

    Die Anpassung von Hörgeräten kann über Festbeträge einfach nicht funktionieren. Patienten werden quasi gezwungen nach Geldbeutel, und nicht nach eigenem Bedarf zu entscheiden.


    Bei Rehadat finde ich hier unter Hilfsmittel - Prothese folgendes Zitat:

    Zitat

    Hilfsmittel in der gesetzlichen Krankenversicherung sind Pflichtleistungen, für die es keine Budgetierung gibt.


    Das sollte auch für Hörhilfen gelten, die nicht implantiert werden.


    Bin gespannt auf die Meinungen hierzu.

  • Festbeträge werden, wie an anderer Stelle in diesem Forum bereits ausgeführt, vom GKV-SV gemäß § 36 SGB V festgelegt. Hierbei ist folgendes zu bedenken: Unterschiedliche Fertigungstechniken, Materialien oder Ausführungen bestimmen die Wirkungsweise bzw. die Funktionstauglichkeit eines Produktes und bewirken zwangsläufig Unterschiede bei den Produktleistungen. Stellt sich heraus, dass von konstruktiv unterschiedlichen Produkten trotzdem eine gleiche Wirksamkeit ausgeht oder dass sie in der Funktion gleichartig und gleichwertig sind, werden sie gleichen Gruppen (sogenannten Produktarten) zugeordnet. Diese werden durch die im Hilfsmittelverzeichnis veröffentlichten Standards nach § 139 SGB V definiert, die so konzipiert werden, dass eine Gruppe von Produkten einen "gängigen und vergleichbaren" Indikationsrahmen abdeckt. Die Zusammenfassung von funktional gleichartigen und gleichwertigen Mitteln ist auch Voraussetzung für die Festsetzung von Festbeträgen.


    Hörgeräte wurden demgemäß nach folgenden Eigenschaften eingeteilt: Unterteilung nach Verstärkung, technischer Ausstattung, Signalverarbeitung und Bauform zur Zuordnung der verschiedenen Schweregrade der Hörbehinderungen (Verstärkung, technische Parameter, Signalverarbeitung), Fähigkeiten (Bauform) und Lebensumfeld (Ausstattungen und Einstellmöglichkeiten, Signalverarbeitung) des Hörgeräteträgers. Für alle Produkte die als gleichwertig und gleichartig eingestuft wurden und somit gegeneinander austauschhbar wären, kann dann ein Festbetrag festgelegt werden. Zu diesem Betrag muss der Akustiker die Versorgung durchführen. Dieses Festbetragsgerät muss er auch bei der Hilfsmittelauswahl/-anpassung dem Versicherten anbieten. Dies wäre dann die für die GKV nach § 12 SGB V erforderliche ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung. Wird "mehr" beansprucht, und das "Mehr" ist nicht notwendig, muss der Versicherte für das "Mehr" zuzahlen. Wäre das "Mehr" aber notwendig (was im Einzelfall zu beweisen wäre) und könnte durch die Festbetragsgeräte nicht mehr abgebildet werden, wäre keine Zuzahlung erforderlich, die Kasse müsste das "Mehr", d.h. das höherwertige Gerät, voll bezahlen.


    Hörgeräte stellen definitiv Hilfsmittel im Sinne des § 33 SGB V dar, werden ja sogar als Hörhilfen dort explizit benannt. Da sich für Hörgeräte gut vergleichbare Gruppen schaffen lassen und sich jeweils für die resultierenden Arten eine Grund- oder Festbetragsversorgung definieren lassen und zudem Hörgeräte einen Großteil der Hilfsmittelversorgungen ausmachen, haben die Krankenkassen schon vor vielen Jahren von der Möglicheit der Festbeträge gebrauch gemacht, um die Kosten hier einzudämmen. Ebenfalls zu den Hilfsmitteln zählen gemäß § 33 Abs. 1 SGB V die Verbrauchsmaterialien, dazu wiederum die Energiekosten, hier also die Hörgerätebatterien. Nun hat aber der Gesetzgeber, nicht die Krankenkassen, bestimmt, dass für Versicherte mit Vollendung des 18. Lebensjahrs Kosten für Hörgerätebatterien nicht übernommen werden dürfen (vgl. § 34 Abs. 4 SGB V und dazugehörige Rechtsverordnung).


    Cochlear Implantate (CI) zählen - gemäß Aussage des GKV-Spitzenverbands - nicht zu den Hilfsmittel und werden, wie andere Implantate auch (z.B. Herzschrittmacher, künstliche Kniegelenke) vielmehr als Medizinprodukte die im Rahmen einer ärztlichen bzw. stationären Behandlung genutzt werden, gesondert geregelt. Für diese gelten dann aber die Vorgaben des § 33 SGB V und auch die Festbetragsregelungen gemäß § 36 SGB V nicht. Vielmehr werden hier - je nach Produkt - entweder entsprechende DRG (Diagnosis Related Groups) oder spezielle Regelungen und Zusatzentgelte mit den versorgenden stationären Einrichtungen vereinbart. Auch der Sprachprozessor stellt kein Hilfsmittel im Sinne des § 33 SGB V dar (so der GKV-SV), da der Prozessor nur mit dem Implantat zusammen eine Funktion erfülle, damit externes Zubehör oder Bestandteil des Implantats sei und damit den gleichen Regelungen unterliegt. In der Folge greifen dann aber auch nicht die Regelungen des § 34 Abs. 4 SGB V zu den Batterien (zudem ist das CI ja auch gemäß GKV-SV kein Hörgerät) und die Energiekosten müssen, wie für andere Implantate auch, von der GKV übernommen werden.


    Aber: Das SG Aachen hat mit Urteil vom 18.02.2010 unter dem Az. S 15 (21) KR 12/07 festgehalten, dass das CI ein dem unmittelbaren Behinderungsausgleich dienendes Hilfsmittel im Sinne von § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V darstellt und unmittelbar auf die mindestens teilweise Wiederherstellung des körpereigenen Hörvermögens ziele; es sei damit ein Körperersatzstück. Somit könnte der GKV-SV danach Festbeträge für CI definieren, hat er aber nicht, da er ja, wie oben dargelegt, nicht der Meinung ist, dass CI Hilfsmittel darstellen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat im übrigen in einem weiteren Verfahren (13.05.2009 Aktenzeichen IVZR 217/08) CI ebenfalls als Hilfsmittel deklariert. Zwar ging es hier um eine Versorgung im Bereich der Privaten Krankenversicherung (PKV) und damit sind die Sachverhalte nicht auf auf den Bereich der GKV übertragbar, aber auch hier haben die Richter, ähnlich wie das SG Aachen argumentiert und deutlich eine Funktion im Rahmen des Behinderungsausgleichs gesehen und CI den Hilfsmitteln (hier der PKV) zugeordnet.

  • Der Gesetzgeber hat sich bei der Einführung der Festbeträge vorgestellt, dass diese durch Markt und Wettbewerb dazu führen, dass die Preise für Hörgeräte sinken und eine bedarfsgerechte Versorgung zum Festbetrag möglich ist. Markt und Wettbewerb funktionieren aber nicht immer. So können Kartelle von Produzenten und Händlern die Preise hoch halten. Betroffen benötigen bei Produkten wie Hörgeräten eine Beratung und Bedarfsfeststellung, die ihnen hilft, das bestmögliche und günstigste Angebot zu identifizieren. Da die Krankenkassen ihre Pflicht zur Beratung und Bedarfsfeststellung an die Hörgeräteakustiker delegiert haben, die kein Interesse am Verkauf der günstigsten Geräte haben, kann das Marktmodell hier nicht funktionieren.