Ablauf Hilfsmittelverordnung & Kostenübernahme

  • Ich steh immer wieder "auf dem Schlauch", wenn es um den Ablauf der Hilfsmittelverordnung geht. Das fängt damit an, dass mir meist nicht klar ist, welche Hilfsmittel überhaupt vom Arzt verordnet werden können und welche der Patient generell selbst zahlen muss. Beispiel: Besteck mit Griffverdickung für Rheumapatienten. Wer übernimmt Kosten, was muss ich tun, damit Patient das Besteck erhält, etc.
    Fände hierfür eine Art "Leitfaden für Hilfsmittelversorgung" sehr hilfreich.
    Viele Grüße
    kiwi

  • Diese Frage "hat es in sich" und ist nicht mit wenigen Worten zu beantworten. Ich möchte sie daher in Teilstücke zerlegen:


    1. Muss überhaupt eine Verordnung eines Arztes vorliegen?


    Kommt darauf an, oftmals muss keine ärztliche Verordnung vorliegen, hier reicht ein Antrag des Versicherten. Bitte lesen Sie meine Ausführungen zur Frage "Muss ein Arzt die Hilfsmittel verordnen? Und wer kann Anträge stellen?"


    2. Was muss ich tun um ein Hilfsmittel zu erhalten?


    Sie müssen einen Antrag stellen. Bitte lesen Sie auch hierzu meine Ausführungen zur Frage "Muss ein Arzt die Hilfsmittel verordnen? Und wer kann Anträge stellen?"


    3. Welche Hilfsmittel können überhaupt beantragt werden?


    Ich möchte dies hier auf den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung begrenzen. Danach können alle Hilfsmittel beantragt werden, die erforderlich sind um entweder

    • eine Krankenbehandlung zu unterstützen
    • einer drohenden Behinderung vorzubeugen
    • oder eine Behinderung (im Rahmen der elementaren Grundbedürfnisse) auszugleichen.

    Der Gesetzgeber hat bewusst die Hilfsmittel nicht abschließend definiert und eine weites Feld aufgemacht, da jeder Einzelfall individuell zu behandeln ist. Was für Sie ein Hilfsmittel sein kann, ist für mich noch lange kein Hilfsmittel. Daher ist auch das Hilfsmittelverzeichnis nicht abschließend, sondern nur ein Anhaltspunkt, welche Produkte Hilfsmittel sein können. Klar ist nur, dass die Produkte (= Hilfsmittel) auf keinen Fall einen Gebrauchsgegenstand darstellen dürfen. Das Bundessozialgericht hat dies mal am Beispiel eines Fernsehsessels mit Aufstehfunktion sehr deutlich gemacht. Der Fernsehsessel ist und bleibt ein Gebrauchsgegenstand, auch wenn er durch eine spezielle integrierte Aufstehhilfe für einen behinderten Menschen vorteilhaft sein mag. Er ist eben für alle Menschen, egal ob behindert oder nicht, sinnvoll und wird auch von Gesunden genutzt. Die reine Aufstehhilfe dagegen (sogenannter Katapultsitz) kann für einen bewegungsbehinderten Menschen ein Hilfsmittel darstellen, da er damit wieder selbständig vom Sitzen zum Stehen gelangen kann. Er gleicht die Behinderung im Bereich des Aufstehens aus. Das Produkt wird auch speziell für diesen Anwenderkreis hergestellt und vertrieben, eine gesunder Mensch zieht aus dem Produkt auch keine Vorteile, wird es daher also auch nicht verwenden. Damit sind wesentliche Punkte des Hilfsmittelcharakters erfüllt. Nun kommt es aber noch auf den Einzelfall an. Das Produkt ist ja z.B. für einen sehbehinderten Menschen, der keinerlei Bewegungseinschränkungen hat, nicht sinnvoll. Damit für ihn auch kein Hilfsmittel.


    Das von ihnen beispielhaft genannte Besteck kann damit im Einzelfall ein Hilfsmittel sein, muss es aber nicht. Dies hängt von den individuellen Gegebenheiten ab. Folgende Punkte wären zu prüfen:


    1. Wird das Produkt überhaupt benötigt (Notwendigkeit) um eine Behinderung auszugleichen? Ist diese Behinderung im Bereich der elementaren Grundbedürfnisse des täglichen Lebens anzusiedeln?
    2. Wenn ja, ist das Produkt auch ausreichend die Behinderung auszugleichen? D.h. Sie müssen die Frage stellen ob der Behinderungausgleich auch wie erforderlich erreicht wird (zu wenig wäre nicht ausreichend). Sie müssen aber auch die Frage stellen, ob nicht zu viel erreicht wird, es sich also um eine "Überversorgung " handeln würde, die dann auch unwirtschaftlich wäre. Ausreichend ist hier mit "auf den Punkt genau" zu verstehen.
    3. Das Produkt muss auch Zweckmäßig sein, d.h. es muss für Sie als Anwender auch in einem vernünftigen Rahmen und ohne zu großen Aufwand nutzbar sein um den Behinderungsausgleich zu erreichen.
    4. Das Produkt darf kein Gebrauchsgegenstand sein. Bei Ihrem Beispiel sehe ich hier ggf. ein Problem, das Besteck ja durchaus einen Gebrauchsgegenstand darstellt. Hier kommt es sehr auf das Produkt selbst an.
    5. Zu guter letzt wäre noch zu prüfen, ob es nicht eine alternative Versorgung gibt, die ebenfalls ausreichend (auf den Punkt genau) und zweckmäßig ist, aber wirtschaftlicher wäre.

    Sie sehen, Ihre Frage kann nicht so einfach beantwortet werden. Und einen "Leitfaden zur Hilfsmittelversorgung" gibt es daher bisher in der Art eines "Kochrezeptes" nicht. Dieser Leitfaden würde, ob der vielen Besonderheiten und Einzelfälle und der Vielfalt der Hilfsmittel durchaus das Format eines kleinen Buches annehmen. Das Hilfsmittelverzeichnis der GKV kann ihnen helfen hier einen ersten Überblick zu erlangen, da es "typische Produkte" auflistet die Hilfsmittel sein können. Sie müssen aber Immer bedenken, dass viele Hilfsmittel dort eventuell noch gar nicht aufgeführt sind.

  • Ich möchte noch einmal näher auf das Thema "Leitfaden für Hilfsmittelversorgung" eingehen. Einen so genauen Leitfaden wie Herr Kamps ihn beschrieben hat gibt es bislang nicht in Deutschland und ich stimme ihm zu. Zudem sind die Hilfsmittelversorgungen genauso individuell zu sehen wie jeder einzelne Mensch und dieses lässt sich nicht in einen Leitfaden zusammenfassen.
    Da die Hilfsmittelversorgung jedoch nicht nur aus einer Verordnung und der Abgabe des Hilfsmittels besteht, sondern viel mehr als ein Prozess zu gestalten ist, hat die DVfR 2009 im Rahmen der Lösungsoptionen zur Hilfsmittelversorgung (Link: http://www.dvfr.de/fileadmin/d…lversorgung_Okt._2009.pdf) einen idealtypischen Versorgungsprozess veröffentlicht. Ziel dieses Prozesses ist eine Sicherstellung der Versorgung mit Hilfsmitteln. Er zeigt zudem notwendige und zu beachtende Schritte im Versorgungsprozess auf.


    Im Folgenden zeige ich Ihnen die Schritte des Prozesses kurz auf:
    1. Bedarfs- und Problemerkennung
    2. Assessment/ Befund/ Bestandsaufnahme
    3. Problemdefinition/ Zieldefinition, Lösungsoptionen (z.B. Medikamente, ...)
    4a. Auswahl des Hilfsmittels, Klärung der Anfroderungen an das Hilfsmittel, Kontextfaktorenanalyse, Anpassung
    4b. ggff. Ausprobieren von möglichen Hilfsmittel
    5. Erstellung einer Versorgungskonzeption, Kostenvoranschlag
    6a. Prüfung der versorgungskonzeption, ärtzliche Verordnung
    6b. ggf. Antrag auf ein Hilfsmittel zur Teilhabe nach SGB IX
    7. Prüfung der Zuständigkeit der Krankenkasse
    8. fachliche und wirtschaftliche Prüfung der Versorgungskonzeption durch Krankenkasse
    9. bei weiterer Prüfung Einbezug des MDK
    10. Prüfung der weiterer Stellungnahmen/ Angebote bzw. Änderung des Kostenvoranschlages
    11. bei Änderung Einholung einer Stellungnahme des Patienten oder Vertragsarztes
    12a. Genehmigung der Versorgungskonzeption
    12b. bei Ablehnung Widerspruchsverfahren
    13. Beschaffung und Auslieferung des Hilfsmittels
    14. Prüfung auf Zweckmäßigkeit mit ggf. weiterer Änderung
    15. Abnahme des Hilfsmittels
    16. Nachkontrolle


    Der idealtypische Versorgungsprozess umfasst insg. 16 Schritte und es wird deutlich, dass die Hilfsmittelversorgung als ein Prozess anzusehen ist und nicht "mal ebenso nebenbei" erfolgen sollte. Zu beachten ist, dass nicht bei jeder Versorgung immer alle 16 Schritte notwendig sind. In dem oben angezeigten Link finden Sie eine genauere Beschreibung des Prozesses, auch unter Einbezug der möglichen Beteiligten.
    Ich denke man kann diesen Prozess auch als einen Leitfaden für Hilfsmittelversorgung definieren und ansehen, denn er stellt für alle Beteiligten ein klares, ganzheitliches und umfassendes Bild einer Versorgung dar, so dass man selbst als Beteiligter sicherer in seinem eigenen methodischen Vorgehen wird.

  • Die S1 (Empfehlungen einer Expertengruppe) Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) könnte Ihnen vielleicht auch eine Hilfstellung in Ihrem Vorgehen bei der Hilfsmittelversorgung (im Bereich Neurologie) geben. Link der DGN: http://www.dgn.org/leitlinien-…chnische-hilfsmittel.html oder über AWMF: http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/030-127.html .
    Hier werden konkrete Möglichkeiten/ Hilfsmittel bei der Versorgung aufgezeigt und beschrieben, z.B. Rollstühle (was muss beachtet werden, welche Ausstattungsvarianten gibt es, ...), Gehhilfen, Orthesen für die untere und obere Extremität, Adaptionshilfen, Kommunikationshilfen und weitere.

  • Es gibt auch deshalb keinen einfachen allgemeingültigen Leitfaden, weil es verschiedene Zwecke, Rechtsgrundlagen und Leistungsträger frür Hilfsmittel gibt. Das obige Beispiel und die Checkliste richten sich auf Hilfsmittel zur Krankenbehandlung bei der Krankenkasse, aber nicht auf Hilfsmittel der medizinischen Rehabilitation, Teilhabe am Arbeitsleben, Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft oder Pflege, bei denen die Schritte und ihre Reihenfolge zum Teil anders sind.