Was sind Grundbedürfnisse des täglichen Lebens?

  • Im Gesetz heißt es immer so schön, dass Hilfsmittel solche Hilfen umfassen, die erforderlich sind, um "eine Behinderung bei der Befriedigung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens auszugleichen, soweit sie nicht allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens sind". Dazu zwei Fragen:

    • Was sind Grundbedürfnisse und wer legt das fest?
    • Was ist der Unterschied zwischen Hilfsmitteln und Gebrauchsgegenständen?
  • Zum Unterschied zw. Hilfsmitteln und Gebrauchsgegenstände vgl. meine Antwort zur Frage: Was ist ein Hilfsmittel?


    Die Grundbedürfnisse sind weitgehend in Einzelfällen in der Rechtsprechung ausdifferenziert worden: Danach gehört der unmittelbare Ausgleich einer beeinträchtigten oder ausgefallenen Körperfunktion regelmäßig zu den Grundbedürfnissen, zB. durch eine Prothese oder Hörhilfe. Hilfsmittel dienen darüber hinaus regelmäßig nur dann der Befriedigung eines allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens, wenn sie erforderlich sind, um ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Dazu gehören das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Hören, Sehen, die Nahrungsaufnahme und Ausscheidung, die elementare Körperpflege, selbständiges Wohnen und das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (Mobilität). Für Erwachsene ist der Bereich der Mobilität, der zum Grundbedürfnis gehört, begrenzt worden auf die Bewegung innerhalb der Wohnung, zum Verlassen der Wohnung und im Nahbereich der Wohnung zur Erledigung von Alltagsgeschäften.
    Dient ein Hilfsmittel dem Behinderungsausgleich demgegenüber nur in bestimmten Lebensbereichen, wie bestimmten Freizeit-, sportlichen oder beruflichen Aktivitäten, dient es regelmäßig nicht der Befriedigung von Grundbedürfnissen des "täglichen Lebens".

  • Ich möchte hier noch die erweiterten Grundbedürfnisse ergänzen, welche die Aufnahme von Informationen und die Kommunikation mit anderen zur Vermeidung von Vereinsamung umfassen. Für die Versorgung von Kindern und Jugendlichen gelten zudem noch die Integration und die Gruppe Gleichersalter und die Herstellung und die Sicherung der Schulfähigkeit eines Schülers bzw der Erwerb einer elementaren Schulausbildung als Grundbedürfnis.

  • Was Grundbedürfnisse sind und was nicht, legt in letzter Instanz das Bundessozialgericht fest. Ob die - von Ursula Waßer dargestellte - Rechtsprechung dabei immer mit den Wertungen des SGB IX und der UN-BRK übereinstimmt und welchen Einfluss das gegliederte System der Rehabilitation auf die Auslegung des Begriffs der Grundbedürfnisse haben sollte, ist umstritten. So meint das BSG, dass Erwerbsarbeit kein Grundbedürfnis im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung ist (BSG, Urt. v. 24.1.2013, Az. B 3 KR 5/12 R; vgl. Waldenburger, Diskussionsforum A Nr. 26/2013) und dass Bildung nur ein Grundbedürfnis bis zum Abschluss der allgemeinen Schulpflicht ist (BSG, Urt. v. 22.7.2004, Az. B 3 KR 13/03 R; vgl. Reimann, Diskussionsforum A Nr. 1/2005). Insbesondere diese Wertungen sind sind umstritten. Der Leistungsumfang für Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich könnte von den zuständigen Rehabilitationsträgern durch Gemeinsame Empfehlung nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX oder vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales durch rechtsverordnung nach § 32 Nr. 2 SGB IX näher bestimmt werden. Bislang ist das nicht geschehen.

  • Die Ausführungen von Felix Welti verdienen Zustimmung. Der im Hilfsmittelrecht des SGB V zentrale Begriff des "Grundbedürfnis" muss im Lichte der Bestimmungen der UN-Behindertenrechtskonvention neu ausgelegt werden. Das BSG folgt in der Entscheidung vom 10.3.2011 zum "Einkaufsfuchs" (az. B 3 KR 9/10 R) bereits der Spur des Art. 19 UN-BRK, der Unterstützungen für eine unabhängige Lebensführung von Menschen mit Behinderungen in der eigenen Wohnung einfordert. Das in dieser Entscheidung ausgeweitete Grundbedürfnis des selbständigen Wohnen umfasse auch die Fähigkeit, die für eine selbständige Lebens- und Haushaltsführung notwendigen Informationen erhalten bzw aufnehmen zu können. Es wäre zu wünschen, wenn das BSG auch das in Art. 24 UN-BRK verbriefte Recht auf inklusive Bildung für die Hilfsmittelversorgung fruchtbar macht. Die Beschränkung der Hilfsmittelversorgung auf die allgemeine Schulpflicht (in der Regel bis 10. Klasse) erscheint vor dem in Art. 24 UN-BRK verbrieften umfassenden und ganzheitlichen Bildungsbegriff überholt. Es müsste auch ein "Grundbedürfnis" sein, über die Basisschulbildung hinaus, fähig zu sein, sich grundlegendes neues soziales und anderes Wissen anzueignen.

  • Die Ausführungen der Herren Welti und Dillmann kann man nur unterstützen. Noch fraglicher ist die Rechtsprechung des BSG zu den Grundbedürfnissen im Hinblick auf die Wertungen des SGB IX oder der UN-BRK, wenn man die Differenzierung zwischen mittelbaren und unmittelbarer betrachtet. Im Ergebnis hängt der Umfang und damit auch die Möglichkeit der Teilhabevon der Art der Behinderung ab, z.B. Gleichziehen mit den Möglichkeiten eines Nichtbehinderten Menschen beim Prothesenträger oder nur Basisausgleich beim Rollstuhlfahrer.