Barrierefreiheit: Verpflichtungen der Hochschulen

  • Die Pflicht der staatlichen Hochschulen zur digitalen und räumlichen Barrierefreiheit findet ihre rechtliche Grundlage insbesondere in der UN-Behindertenrechtskonvention (Art. 9 UN-BRK), im Grundgesetz (Art. 3 III 2 GG) und in dem Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes (Bund als Träger der Hochschule) bzw. in den Behindertengleichstellungsgesetzen der Länder (Land als Träger der Hochschule). Auch die Hochschulgesetze der Länder verlangen teils selbst ausdrücklich die barrierefreie Ausgestaltung ihrer Angebote (z.B. § 5b V 3 HG Berlin; § 4 VI 2 HG Bremen; § 2 IV HG Rheinland-Pfalz; § 5 VII 3 Nr. 1 HG Thüringen).


    Nach Art. 9 I UN-BRK trifft die Hochschulen die Pflicht, bestehende Barrieren festzustellen und zu beseitigen. Sie hat also zunächst die Barrieren, die beispielsweise in räumlicher und digitaler Hinsicht bestehen, zu ermitteln. Zugänglichkeit ist von den Hochschulen allerdings gem. Art. 4 II UN-BRK erst „nach und nach“ herzustellen. Führt jedoch die fehlende Zugänglichkeit des Angebotes der Hochschule dazu, dass dieses von einem*r Studierenden mit Behinderungen nicht wahrgenommen werden kann, entsteht die sofort umzusetzende Pflicht der Hochschule zur Gewährung von angemessenen Vorkehrungen. Wird diese mangelnde Zugänglichkeit nicht durch eine angemessene Vorkehrung kompensiert, liegt eine verbotene Diskriminierung vor (Art. 24 V iVm Art. 2 UAbs. 4 UN-BRK).



    Barrierefreiheit wird von § 4 I BGG NRW, der an dieser Stelle stellvertretend für die ähnlichen Formulierungen in den übrigen Landes-BGG bzw. im Bundes-BGG herangezogen sei, definiert als „die Auffindbarkeit, Zugänglichkeit und Nutzbarkeit der gestalteten Lebensbereiche (hier: Hochschule) für alle Menschen. Die Auffindbarkeit, der Zugang und die Nutzung müssen für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe möglich sein. Hierbei ist die Nutzung persönlicher Hilfsmittel zulässig.“



    Im Hinblick auf ihre digitalen Angebote sind beispielsweise die nordrhein-westfälischen Hochschulen als Träger öffentlicher Belange iSd § 2 Inklusionsgrundsätzegesetz nach § 10 I BGG NRW dazu verpflichtet „die von ihnen zur Verfügung gestellten Programmoberflächen im Bereich der elektronischen Datenverarbeitung sowie ihre Online-Auftritte und Angebote technisch“ so zu gestalten, dass sie von Menschen mit Behinderungen genutzt werden können. Dies umfasst sämtliche von der Hochschule zur Verfügung gestellten Angebote der Informationstechnik, sodass sowohl die Websites der Hochschule, Fakultäten und Lehrstühle als auch die Plattformen, auf denen das Studienmaterial hochgeladen wird, erfasst werden. Die Prinzipien und anzuwenden Standards bei der Gestaltung der Programmoberflächen ergeben sich aus der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung NRW. Darüber hinaus ist das Hochschulgebäude selbst nach Maßgabe der geltenden Rechtsvorschriften (insbesondere § 49 BauO NRW) barrierefrei zu gestalten (§ 7 BGG NRW).



    Barrierefreiheit lässt sich insbesondere durch ein universelles Design (Art. 2 UAbs. 5 UN-BRK) herstellen und durch die Beauftragten für Studierende mit Behinderungen, die 14 der 16 Bundesländer in ihren Hochschulgesetzen verankert haben, fördern.


    Von Wiss. Mit. Jana Hövelmann

    Prof. Dr. Jörg Ennuschat und Wiss. Mit. Jana Hövelmann

    Ruhr-Universität Bochum

    Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Verwaltungsrecht

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    Führt jedoch die fehlende Zugänglichkeit des Angebotes der Hochschule dazu, dass dieses von einem*r Studierenden mit Behinderungen nicht wahrgenommen werden kann, entsteht die sofort umzusetzende Pflicht der Hochschule zur Gewährung von angemessenen Vorkehrungen. Wird diese mangelnde Zugänglichkeit nicht durch eine angemessene Vorkehrung kompensiert, liegt eine verbotene Diskriminierung vor (Art. 24 V iVm Art. 2 UAbs. 4 UN-BRK).

    Hallo Herr Ennuschat, hallo Frau Hövelmann,

    ich hätte ein paar Nachfragen:

    Weclher Raumbegriff wurde für die genannten Verordnungen hinlegt - also was bedeutet Barrierefreiheit in diesem Kontext? Die Anwendung von DIN-Normen beim Bauen oder sind Barrieren auch diejenigen Hemmnisse, die mit personenbezogenen Faktoren korrelieren?


    Um meine Fragen mal in einen konkreten Kontext zu stellen:

    Das klassische Hörsaalgebäude mit Sitzreihen und Treppen dazwischen, stellt eine Barriere für einen Rollstuhlnutzer dar.

    Für eine hörbeeinträchtigte Person sind die Treppen eher irrelevant, dafür ist die Raumakustik viel wichtiger.

    Umgekehrt kann eine vollkommen Schall-schluckende Akustik bei einer Person mit einer Erkrankung aus dem schizoformen Bereich, massive Verunsicherung auslösen.

    Für eine Person aus dem "Autismus-Spektrum" wiederum kann die Anwesenheit vieler Menschen in dem Raum die Barriere sein - oder einfach ein Wechsel des Raumes an sich (was ja nicht so selten vorkommt)....

    Ferner ist Angemessenheit ja ein - nicht nur juristisch - weit dehnbarer Begriff.

  • Vielen Dank für Ihre Fragen! Art. 24 I, V UN-BRK verlangt die Herstellung einer inklusiven Hochschule, d.h. z.B. für den von Ihnen angesprochenen Bereich, dass Studierenden mit Behinderungen der gleichberechtigte Zugang zu Vorlesungen zu gewährleisten ist. Es sind also sämtliche Barrieren, welche die Möglichkeit einer aktiven Teilnahme an der Vorlesung verhindern, abzubauen. Auch die oben aufgeführte Definition von Barrierefreiheit in § 4 I BGG NRW zeigt, dass sich diese nicht allein auf bauliche Barrieren, wie sie sich beispielsweise in Form von Treppen für Rollstuhlfahrer*innen darstellen, beschränkt, sondern jede Art von Barriere für Studierende mit Behinderungen, unabhängig von der Art der gesundheitlichen Beeinträchtigung, erfasst.


    Des Weiteren ist zwischen den Instrumenten „Barrierefreiheit“ (= Zugänglichkeit iSd UN-BRK) und „angemessene Vorkehrungen“, die beide auf die Herstellung einer inklusiven Hochschulumwelt abzielen, zu unterscheiden. Barrierefreiheit stellt sich anders als die Pflicht zu angemessenen Vorkehrungen als abstrakt-generelle Verpflichtung der Hochschulen dar. Angemessene Vorkehrungen werden u.a., wie von Ihnen bereits angedeutet, dann relevant, wenn es trotz einer an sich schon barrierefreien Gestaltung des Hörsaals dazu kommt, dass diese in einem konkreten Einzelfall für eine*n bestimmte*n Studierende*n mit Behinderungen nicht ausreichend ist. Ist dies der Fall, besteht die Pflicht der Hochschule zur Gewährung einer angemessenen Vorkehrung (Art. 24 V iVm Art. 2 UAbs. 4 UN-BRK; Art. 14 EMRK iVm Art. 2 I ZP-EMRK; Art. 3 III 2 GG, § 2 I, II iVm § 3 BGG NRW). Bei der Frage, welche Vorkehrung „notwendig und geeignet“ (Art. 2 UAbs. 4 UN-BRK, § 3 BGG NRW) ist, sollte die*der Betroffene (siehe dazu Committee on the Rights of Persons with Disabilities, General comment No. 6 (2018) on equalitiy and non-discrimination, CRPD/C/GC/6, vom 26.04.2018, Rn. 24 b) und der*die Beauftragte für Studierende mit Behinderungen (idS Art. 4 IV UN-BRK; vgl. z.B. auch § 88 III 1 HG Hamburg; § 7 I 2 HG Hessen; § 62b II 2 HG NRW; § 7 II 2 HG Saarland) einbezogen werden. Allerdings besteht kein Anspruch gegen die Hochschule auf Gewährung der auf diese Weise ermittelten Vorkehrung, wenn der Versagungsgrund der „unverhältnismäßigen und unbilligen Belastung“ (Art. 2 UAbs. 4 UN-BRK, § 3 BGG NRW) eingreift. Kurz zusammengefasst bedeutet dies: Erst mal - im Rahmen des Möglichen - Barrierefreiheit für möglichst viele herstellen, dann die "Einzelschicksale" betrachten und angemessene Vorkehrungen treffen.


    Von Wiss. Mit. Jana Hövelmann und Professor Dr. Jörg Ennuschat

    Prof. Dr. Jörg Ennuschat und Wiss. Mit. Jana Hövelmann

    Ruhr-Universität Bochum

    Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Verwaltungsrecht

  • Barrierefreiheit für Promovierende: Verpflichtungen der Hochschulen


    In Bezug auf Promovierende mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen haben Hochschulen eine Doppelrolle inne. Sie sind gleichzeitig Bildungsinstitutionen und Arbeitgeberinnen und in beiden Rollen durch die UN-BRK dazu verpflichtet chancengerechte Teilhabe und Inklusion zu ermöglichen. Allerdings ist nur ein Teil der Promovierenden an einer Hochschule beschäftigt. Während alle Promovierenden im Rahmen ihres Promotionsverhältnisses ein Recht auf Nachteilsausgleich bei Prüfungsleistungen haben, können nur Promovierende mit einer sozialversicherungspflichtigen Promotionsstelle an der Hochschule für ihre Promotion Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten.


    Ein Recht auf Nachteilsausgleiche in Prüfungsleistungen ergibt sich für Promovierende aus dem jeweiligen Landeshochschulgesetz, der Hochschulsatzung und dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung. Einige Hochschulen bzw. Fakultäten haben zudem konkrete Formulierungen zum Nachteilsausgleich in ihre Promotionsordnungen aufgenommen (eine Sammlung von Beispielen findet sich hier: https://promi.uni-koeln.de/wp-…n-Promotionsordnungen.pdf). Die Verankerung von Nachteilsausgleichen in der Promotionsordnung trägt dazu bei, Promovierende auf ihre Rechte aufmerksam zu machen und sie zu ermutigen diese auch in Anspruch zu nehmen. Entsprechende Formulierungen können zudem – je nach Ausgestaltung – Transparenz über das Verfahren schaffen. Wo nachteilsausgleichende Regelungen greifen können ist davon abhängig welche Aspekte in der Promotionsordnung wie eng geregelt sind. In der Regel beziehen sich Nachteilsausgleiche auf die Prüfung zur Verteidigung der Promotion. In Ordnungen, die bestimmte zeitliche Fristen festhalten, könnten sich nachteilsausgleichende Regelungen aber beispielsweise auch auf diese beziehen.


    Sind Promovierende mit einer Schwerbehinderung oder einer schwerwiegenden chronischen körperlichen und/oder psychischen Erkrankung an der Hochschule beschäftigt, besteht die Möglichkeit die Höchstbefristungsdauer nach Wissenschaftszeitvertragsgesetz um zwei Jahre auf bis zu acht Jahre zu verlängern (§ 2 WissZeitVG). Allerdings besteht hierauf kein Anspruch.


    Die Hochschule ist als Arbeitgeberin der bei ihr beschäftigten Promovierenden zudem dazu verpflichtet, den Arbeitsplatz und dessen Ausstattung barrierefrei zu gestalten und die besonderen Bedarfe von Beschäftigten mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen ausreichend zu berücksichtigen. Finanzielle Unterstützung für diese Maßnahmen können Reha-Träger (bei Promotionen i. d. R. die zuständige Arbeitsagentur) durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) leisten. Darunter fällt beispielsweise die (anteilige) Übernahme von Kosten für technische Arbeitshilfen, eine Arbeitsassistenz (z. B. Vorleser*innen für sehbeeinträchtigte Promovierende) oder auch die Kraftfahrzeughilfe, die die Finanzierung eines Autos unterstützt. Die Leistungen können entweder direkt an den/die Arbeitgeber*in oder als persönliches Budget für die beschäftigten Promovierenden ausgezahlt werden. Die Schwerbehindertenvertretung kann dazu informieren und bei der Bedarfsermittlung und Beantragung unterstützen.


    Allerdings stehen einige LTA, insbesondere Arbeitsassistenzen, nur für Tätigkeiten innerhalb der vertraglich geregelten Arbeitszeit zur Verfügung, also nicht für (in der Wissenschaft leider übliche) Arbeiten an der Promotion außerhalb der Arbeitszeit. Auch bei längeren Dienst- oder Tagungsreisen kann es zu Herausforderungen kommen. Hinzu kommt, dass die Beantragung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben umständlich und langwierig ist. Deshalb können Promovierende mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen nach Beschäftigungsbeginn oft erst mit (zum Teil erheblicher) zeitlicher Verzögerung mit der Promotionstätigkeit beginnen. Sie selbst und ggf. auch ihre Betreuer*innen verlieren dadurch nicht nur viel Zeit, sondern auch Energie und Motivation in mühsamen bürokratischen Prozessen. Hier können die Hochschulen durch unbürokratische (Vor-)Finanzierung von Bedarfen zur Entlastung beitragen.


    Unter Umständen kann ein Eingliederungszuschuss (EGZ) für behinderte und schwerbehinderte Beschäftigte durch den Arbeitgeber beantragt werden. Der EGZ ist eine finanzielle Förderung des Gehalts der schwerbehinderten Person und gehört zu den Leistungen der Bundesagentur für Arbeit. Er soll die berufliche Eingliederung von Personen unterstützen, für die die Vermittlung in ein Arbeitsverhältnis erschwert ist. So kann beispielsweise eine Einarbeitung gefördert werden, die über den üblichen Rahmen hinausgeht. Der Arbeitgeber-Service schwerbehinderte Akademiker der Bundesagentur für Arbeit berät zu möglichen Leistungen und unterstützt bei der Beantragung (https://www.arbeitsagentur.de/…hwerbehinderte-akademiker)


    Antwort von Karoline Rhein, Jana Bauer und Susanne Groth

    Dr. Jana Bauer, Susanne Groth und Karoline Rhein vom Lehrstuhl für Arbeit und berufliche Rehabilitation der Universität zu Köln setzen gemeinsam das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales geförderte bundesweite Projekt PROMI - Promotion inklusive um (promi.uni-koeln.de).

  • Bauliche Barrierefreiheit

    Die Herstellung der Baulichen Barrierefreiheit ergibt sich aus den Bauordnungen der Länder und dem Umfang der Einführung der DIN 18040 - Barrierefreiheit öffentlicher Gebäude als Technische Baubestimmung, sowie den Technischen Regeln für Arbeitsstätten. Einige Länder haben bereits ein verpflichtendes Barrierefrei-Konzept als Erläuterungsbericht zu den geplanten Maßnahmen zur Baulichen Barrierefreiheit eingeführt.

    Die Vertrauensperson der schwerbehinderten Mitarbeiter*Innen und der/des Beauftragten nach §62b HG NRW sind an der Planung zu beteiligen.

    Eine Pflicht zur Ertüchtigung unverändert bestehender Gebäude besteht nicht, außer individuell Betroffene fordern dieses ein.


    Die Herstellung einer guten Baulichen Barrierefreiheit kann jedoch aus vielen Gründen scheitern:

    - Der Umfang der gesetzlichen Verpflichtung zum Barrierefreien Bauen ist Bauherren und Planungsbeauftragten nicht bekannt oder wird ignoriert.

    - Maßnahmen zur Barrierefreiheit werden aus Kostengründen abgelehnt.

    - Planungsbeauftragte setzten sich nicht mit der für ein Gebäude benötigten funktionalen Barrierefreiheit, insbesondere den Anforderungen aus universitärer Lehre und Forschung, auseinander, sondern arbeiten nur das Inhaltsverzeichnis der DIN 18040 ab.

    - Anforderungen an die Arbeitsstätte werden im Vorfeld nicht erhoben.

    - Die Belange von schwerbehinderten Menschen werden in Brandschutzkonzepten nicht berücksichtigt.

    - Die Bedürfnisse von Menschen mit Einschränkungen werden erst nach der Entwurfsplanung berücksichtigt. Die dadurch entstehende Mehrkosten für Planungsleistungen und bauliche Maßnahmen fördern des falsche Image der Barrierefreiheit als Kostentreiber.

    - Die Schwerbehinderten-Vertretungen werden übergangen, zu spät beteiligt und sind mit der Beurteilung von Planungsunterlagen überfordert.

    - Von Barrieren Betroffene haben keine Kenntnis ihrer Rechte oder scheuen sich, diese einzufordern


    Die Universität Duisburg-Essen hat 2018 eine Stelle für eine/-n Fachplaner/-in für Barrierefreies Bauen geschaffen und einen Prozeß implementiert der die frühzeitige Beteiligung der Schwerbehinderten-Vertretungen sicherstellt und die beratende, fachliche Begleitung aller Baumaßnahmen von der Vorplanung bis zur Bauabnahme ermöglicht. Auch erfolgt ein ständiger interner Austausch mit den Bereichen Arbeitssicherheit und Brandschutz. Die Schwerbehinderten-Vertretungen werden dadurch deutlich entlastet und intern und extern Beteiligte für das Thema Inklusion sensibilisiert.

    Die Kosten der Baulichen Barrierefreiheit werden reduziert und Planungsfehler vermieden. In der Ausführungsplanung und bei der Bemusterung von Ausstattungselementen kann so sichergestellt werden, dass die Umsetzung und Ausstattung in allen Gebäuden einheitlich erfolgt.

    Dieser Weg wird seitens aller Beteiligter begrüßt und gut angenommen.


    Von Marit Twardowski, Fachplanerin für Barrierefreies Bauen (EIPOS), Gebäudemanagement Universität Duisburg-Essen

  • Hallo Herr Prof. Dr. Jörg Ennuschat und Frau Jana Hövelmann,


    Mir geht es darum, Begrifflichkeiten richtig definieren und einordnen zu können.


    Man nehme sich folgendes Beispiel: Eine Person mit chronischer Krankheit und/ oder Behinderung möchte sich Selbstverwirklichen, um am Arbeitsmarkt zu bestehen und daher studieren. Das heißt ich nehme die beiden Komponenten als Teilhabebegriff. Aber betreffende Person gelangt physisch nicht an bestimmte Räumlichkeiten des Campus bzw. kann sich in den Räumlichkeiten aufgrund diverser Einschränkungen nur bedingt aufhalten.


    Wenn ich Sie richtig verstanden habe, liegt es im Ermessen der Universität individuelle angemessene Vorkehrungen zu treffen, die der betroffenen Person die Zugänglichkeit i.s. d. bautechnischen Komponente gewährleistet bzw. bei Neu-/Umbauten ist die Universität an die DIN Normen (v.a. 18040) verpflichtend gebunden. Was passiert aber, wenn diese Maßnahmen unzulänglich sind nach dem Ermessen der betroffenen Person? Haben Sie Beispiele, was unter "angemessenen Vorkehrungen" zu verstehen ist?


    Kann man einen Bogen spannen und sagen: Die Universität hat aufgrund des Teilhaberechts (Selbstverwirklichung, Chancengleichheit) einer betroffenen Person, dafür Sorge zu tragen, dass ihr/ihm das gelingt, weil Barrierefreiheit i.S der bautechnischen Zugänglichkeit hergestellt bzw. man individuelle angemessene Vorkehrungen getroffen hat, die die Zugänglichkeit garantieren und somit auch die Teilhabe am Studienangebot für diese Person gewährleistet ist.


    Mir ist nicht ganz klar, wie die Begriffe: Zugänglichkeit = Barrierefreiheit oder angemessene Vorkehrungen und Teilhabe im Zusammenhang stehen und ob meine vorangestellte Anrgumentationskette bestand hat. Des Weiteren stellt sich mir die Frage in welcher Verantwortung die Universität steht, möglichst allen potenziellen Betroffenen, ihr Studienangebot zugänglich zu machen, um bestmöglich inklusiv zu handeln? D.h. wie ausformuliert muss eine Inklusionsvereinbarung sein? Ich freue mich auf Antwort(en).

  • Vielen Dank für Ihre Fragen! Angemessene Vorkehrungen werden dann relevant, wenn Studierende mit Behinderungen daran gehindert werden, ihr Recht auf Hochschulbildung gleichberechtigt mit nicht-behinderten Studierenden wahrzunehmen. Dies ist der Fall, wenn die Hochschulumwelt nicht barrierefrei ausgestaltet ist. Angemessene Vorkehrungen sind folglich dann nicht mehr erforderlich, wenn der Zustand der Barrierefreiheit erfüllt ist. Ist dieser Zustand noch nicht erreicht, sind angemessene Vorkehrungen zu gewähren, um die gleichberechtigte Teilhabe an der Hochschulbildung sicherzustellen.


    Eine Legaldefinition der angemessenen Vorkehrungen findet sich in Art. 2 UAbs. 4 UN-BRK. Danach sind angemessene Vorkehrungen „notwendige und geeignete Änderungen und Anpassungen, die keine unverhältnismäßige oder unbillige Belastung darstellen und die, wenn sie in einem bestimmten Fall erforderlich sind, vorgenommen werden, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen alle Menschenrechte (hier: Recht auf Hochschulbildung, Art. 24 V UN-BRK) und Grundfreiheiten genießen oder ausüben können.“ Dieses Begriffsverständnis hat ausdrücklich auch Eingang in § 3 BGG NRW gefunden. Erfasst sind also geeignete Maßnahmen, um in einem konkreten Einzelfall, die für eine*n Studierende*n mit Behinderungen bestehenden Barrieren zu überwinden. Das kann z.B. eine Rampe sein, um überhaupt Zugang zu einem Hörsaal zu bekommen. Dies kann aber beispielsweise auch eine barrierefreie Aufbereitung eines Vorlesungsskriptes sein.


    Studierende mit Behinderungen haben einen Anspruch auf die Gewährung einer solchen angemessenen Vorkehrung, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage (Art. 24 V iVm Art. 5 II iVm Art. 2 UAbs. 4 UN-BRK; Art. 14 EMRK iVm Art. 2 I ZP-EMRK; Art. 3 III 2 GG; § 2 I, II iVm § 3 BGG NRW) erfüllt sind. Es steht also nicht im Ermessen der Hochschule, ob sie eine angemessene Vorkehrung gewährt. Ein Ermessen der Hochschule besteht nur im Hinblick auf das „Wie“ der Vorkehrung, sodass kein Anspruch auf eine ganz bestimmte Vorkehrung besteht.


    Ein Anspruch gegen die Hochschule auf eine an sich angezeigte Vorkehrung besteht aber, wie oben aufgezeigt, dann nicht, wenn der Versagungsgrund der „unverhältnismäßigen und unbilligen Belastung“ eingreift. Auf diesen Versagungsgrund darf sich die Hochschule aber nicht vorschnell berufen. Vielmehr hat sie darzulegen, wie sie die begrenzten Ressourcen insgesamt einsetzen will, um das Recht auf Hochschulbildung auch der im konkreten Einzelfall betroffenen Person sicherzustellen (Dazu Ennuschat, Nachteilsausgleiche für Studierende mit Behinderungen – Prüfungsrechtliche Bausteine einer inklusiven Hochschule, S. 64. https://www.studentenwerke.de/…eiche-_ennuschat-2019.pdf).


    Von Wiss. Mit. Jana Hövelmann und Professor Dr. Jörg Ennuschat

    Prof. Dr. Jörg Ennuschat und Wiss. Mit. Jana Hövelmann

    Ruhr-Universität Bochum

    Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Verwaltungsrecht

  • Sehr geehrter Herr Prof. Ennuschat,


    auch ich danke für Ihr sehr lehr- und hilfreiches Gutachten (das ich von einem Richter "zugespielt" bekommen hatte). Offiziell hat es noch keinen rechten Eingang in die (höchst)richterliche Rechtsprechung gefunden....aber ich als Rechtsanwalt arbeite dran ;)


    Machen Sie weiter so.


    Beste Grüße Ihr


    Dr. Martin Theben

  • Nach internationalem und supranationalem Recht sind deutsche Hochschulen dazu verpflichtet Barrierefreiheit für Studierende, Promovierende, sowie Mitarbeiter sicher zu stellen. Insbesondere sind hier Art. 9 und 24 der UN BRK, sowie die EU Richtlinie (EU) 2016/210, die Richtlinie (EU) 2019/882 und Directive 2000/78/EC und de zu nennen.


    Jedoch auf Grund meiner eigenen Forschung und Erfahrung kann ich sagen, dass diese Gesetze nicht oder nicht vollständig umgesetzt worden sind. Hindernisse dafür stellen die geteilten Gesetzgebungszuständigkeiten zwischen Bund und Ländern dar. Barrierefreiheitsregelungen sind nicht einheitlich und nicht vollständig.


    Für eine bessere Umsetzung bedarf es einer vollständigen Umsetzung der internationalen und supranationalen Rechte auf Länderebene sowie partizipativ ausgearbeiteter und einheitlicher Inklusionspläne. Ferner wäre es wichtig, dass neben den individuellen auch die institutionellen Förderungen/ Finanzierung möglich sind. Für institutionelle Barrierefreiheitsvorkehrungen ist ein einheitlicher Förderungstopf notwendig.