Nachteilsausgleich bei Beeinträchtigungen von Konzentration, Aufmerksamkeit,...

  • Einige Prüfungsämter argumentieren, sie verhielten sich gegen deutsche Rechtsprechung, wenn der Nachteilsausgleich bei AD(H)S und bei anderen psychischen Beeinträchtigung bewilligt werde, da sich diese Beeinträchtigung auf die Leistungsfähigkeit auswirken würden und nicht lediglich auf die Darstellungsfähigkeit. So ähnlich hatte nach dem VG Würzburg u.a. im Juni 2021 das OVG Lüneburg entschieden.

    Rechtsprechung | Nds. Landesjustizportal - Dokument: OVG Lüneburg 2. Senat | 2 LA 461/20 | Beschluss | Nachteilsausgleich bei Prüfungsleistungen wegen eines Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms (ADS) | Langtext vorhanden


    Dabei lässt sich weder mit...

    a) dem Fehlen einer solchen Prüfungserwartung in den Prüfungsordnungen

    b) der Nicht-Beeinträchtigung von zu prüfenden Inhalten durch die nachteilsausgleichenden Maßnahmen

    c) der Benachteiligung von einer großen Gruppen von Menschen mit Behinderung wider Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG

    d) der generellen Möglichkeit eines Nachteilsausgleichs wie z.B. Schreibzeitverlängerung, auch für Blinde oder Hauterkrankte, deren Aufmerksamkeit ja auch beeinträchtigt ist

    e) noch der gegebenen intellektuellen Fähigkeit, einen Sachverhalt zu strukturen und ein Problem wissenschaftlich zu lösen, wenn z.B. eine Zeitverlängerung gegeben ist,

    ...argumentieren.


    Die Prüfungsämter befürchten dem gegenüber vor allem gegen deutsche Rechtsprechung zu handeln oder Überkompensation durch einen Nachteilsausgleich und damit die Benachteiligung von Studierenden ohne Nachteilsausgleich. In Anbetracht der guten Argumente a)-e) löst das auch wütende Anteile in mir aus, weil so ignorant gehandelt wird.


    Unabhängig der hochkochenden Emotionen frage ich mich jedoch:

    Gibt es inzwischen auch Urteile, die pro Nachteilsausgleich bei AD(H)S und Beeinträchtigungen von Konzentration, Aufmerksamkeit,... entschieden wurden?


    Beste Grüße

    Frieder Schumann


    Servicezentrum Inklusion | Abteilung 21 | Universität zu Köln

    E-Mail f.schumann@verw.uni-koeln.de

  • Die Konzeption Darstellungsfähigkeit versus Leistungsfähigkeit würde ich jenseits eines Studiums der Schauspielkunst oder klassischen Malerei kritisch sehen, meine Suchmaschine gibt mir interessanterweise eher Verweise auf die Schule und bestätigt die Hypothese dass es sich um etwas genuin künstlerisches handele. https://bewegungswissenschaft.…de/beispiel-tanzpruefung/ Diese beiden Scheinantagonismus werden inhaltlich nur sehr begrenz erläutert. Wie habe ich mir Darstellungsfähigkeit in einer Physikklausur vorzustellen? Wird komplexes Denken und Lösungsansätze fuer Rechnungen finden plötzlich zur Darstellung? :-o Seit vielen Jahren wird in der Bildungsforschung bekanntermassen diskutiert, ob das in Prüfungen abgefragte "Wissen/Können" überhaupt eine Garant fuer die kontinuierliche Kompetenz und Anwendungs-bzw Leistungsfähigkeit ist.

  • Des weiteren problematisch ein Urteil aus Würzbug das Menschen mit ADHS.

    1. Eine ADHS-Erkrankung rechtfertigt als nicht ausgleichsfähiges Dauerleiden keinen Nachteilsausgleich und stellt daher keinen „wichtigen Grund“ iSd § 8 Abs. 7 ASPO 2007 dar. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)"


    VG Würzburg, Urteil v. 29.11.2017 – W 2 K 16.284 - Bürgerservice


    Was soll ein nicht "ausgleichsfähiges Dauerleiden" sein? :rolleyes: Und vor allem, warum ist ein Dauerleiden nicht ausgleichsfähig aber ein temporäreres "Leiden" schon? <X Geht es beim Nachteilsausgleich nicht um das Ausgleichen von Nachteilen? 8) Die öfters herangezogene Prüfungs "Gerechtigkeit" und "Nicht Bevorzugung von Prüflingen" kann man sowieso in die Tonne treten, ^^ wenn der eine sein Studium mit regelmässiger Nachhilfe und den beliebten teuren Kompaktkursen oder der Supervision akademischer Eltern :evil: bewältigt, der andere im Bafög/Bildungsfernen Modus ressourcenfern studiert. Nach Pierre Bourdieu gibt es heutzutage mit "Arbeiterkind " eine prominente Lobbyorganisation fuer bildungsferne Menschen ; aber Privatunterricht oder das Kulturelle Kapital einer Professorinnen Mutter, die die geisteswissenschaftliche Arbeit oder den Lösungsansatz in einer QFT Aufgabe counselt, ;) kann auch eine Lobbyorganisation auch nicht bereitstellen.


    Warum also kein Nachteilsausgleich für einen Psychische Beeinträchtigung die 100.000´e intelligente Menschen betrifft? X(

    Ist da eine äusserst abel´istische Konzeption von ADHS als nicht inkludierbaren, möglicherweise gefährlichen Devianten Menschen am Werke? (Bayern ist eben auch das Land, :rolleyes: in dem ein äusserst umstrittenes Psychiatrie Gesetz dem Landtag präsentiert wurde https://www.aerzteblatt.de/nac…ychiatriegesetz-in-Bayern) Übrigens Apropos Dauerleiden: Mit ADHS kann man auch sehr viel Spass haben, :) wenn man den richtigen Beruf findet...

    "Mit ADHS erfolgreich im Beruf von Heiner Lachenmeier (ISBN 978-3-662-62289-6) "

  • Die jüngste Entscheidung ist vom OVG Lüneburg, 22. Juni 2021 - 2 LA 461/20 -, juris, die aber keine Wende in der Rechtsprechung bringt (siehe oben). M.E. werden in der Begründung die Entscheidungen, die vor dem Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention ergangen sind, wenig bzw. gar nicht in dem stattgefundenen Paradigmenwechsel reflektiert und auch der gewandelte Begriff der - drohenden - Behinderung (§ 2 SGB IX) wird nicht umfänglich diskutiert. Zudem ist mE zu berücksichtigen, dass späterhin im Arbeitsleben Anpassungen des Arbeitsplatzes an die Beeinträchtigung möglich sind und die jeweilige Person darauf ggf sogar einen Anspruch gegen den Arbeitgeber oder die zuständigen Reha-Träger haben kann. Dazu dienen insbesondere die Leistungen zu Teilhabe am Arbeitsleben. Für Menschen mit Schwerbehinderungen gelten noch einmal differenziertere Regelungen. Dh ein - erfolgeicher - Ausgleich der Beeinträchtigung im Studium könnte späterhin im Arbeitsleben durchaus auch ausgeglichen werden. Diese Perspektive fehlt aus meiner Sicht vollständig in der Diskussion und der Judikatur.


    Einen in seiner Anwendungsbreite zu diskutierenden Ansatz, in den meine obigen Ausführungen eingebracht werden könnten, bietet dagegen das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 24. Februar 2021 – 6 C 1/20 –, juris, auch wenn es die hier interessierende Frage gerade nicht beanwortet hat.