Erfahrungen mit Klagen und Schlichtungsverfahren wegen fehlender Barrierefreiheit

    • Offizieller Beitrag

    Welche Verbandsklagen hat es bereits zu Konflikten wegen Barrierefreiheit und Benachteiligung gegeben – und mit welchen Ergebnissen?

    Welche Erfahrungen gibt es zu Schlichtungsverfahren?


    Dies ist eine Impulsfrage des Teams.

  • Ich möchte die Frage gern aus der Perspektive als Schlichterin beantworten:


    Mit der Verbandsklage nach § 15 BGG, können auf Bundesebene tätige, anerkannte Verbände von Menschen mit Behinderungen gegen Barrieren und Benachteiligungen vorgehen. Gegenstand kann sowohl die Feststellung von Verstößen gegen das Benachteiligungsverbots nach § 7 Abs. 1 BGG als gegen die in dem Katalog des § 15 Abs. 1 BGG aufgeführten Barrierefreiheitsvorschriften sein.


    Das Verbandsklageverfahren wurde in der Praxis jedoch bislang kaum genutzt. Vor 2014 gab es zwei parallele Klageverfahren zur Barrierefreiheit eines Bahnsteiges (BVerwG, Urteil vom 05.04.2006 - 9 C 1.05). 2021 kam eine neue, aktuell noch laufende Verbandsklage zu Hilfeleistungen bei Bahnreisen hinzu (vgl. dazu Pressemitteilung des ISL e.V. Schlichtung gescheitert – Klage eingereicht: Menschen mit Behinderungen müssen zu allen Zeiten mit der Bahn fahren können! (isl-ev.de). Weitere Verfahren sind mir aktuell nicht bekannt.


    Im Gegensatz zum Verbandsklageverfahren hat sich das Schlichtungsverfahren nach § 16 BGG sehr gut etabliert. Seit seiner Einführung Ende 2016 wurden rund 1100 Anträge gestellt. Überwiegend kommen die Schlichtungsanträge von Einzelpersonen - aber in rund 5 Prozent der Verfahren auch von Verbänden. In etwas über 50 % aller zulässigen Verfahren gab es bislang gütliche Einigungen. Dass das Schlichtungsverfahren seit 2016 als Vorverfahren vor Verbandsklagen gegen Träger öffentlicher Gewalt des Bundes durchzuführen ist und häufig bereits in diesem Rahmen Lösungen gefunden werden konnten, könnte auch zur weiterhin nicht zunehmenden Zahl von Verbandsklageverfahren beitragen.


    Wenn eine sachliche Zuständigkeit der Schlichtungsstelle BGG nicht gegeben ist, z.B. weil der Antrag eine Landesbehörde betrifft, (ca. 50 % der Anträge), erfolgt nach Möglichkeit eine Verweisberatung im Hinblick auf zuständige Stellen, die weiterhelfen können, z.B. Aufsichtsbehörden auf Landesebene).


    Themenschwerpunkte sind seit Bestehen der Schlichtungsstelle insbesondere das Benachteiligungsverbot und die angemessenen Vorkehrungen (hier geht es häufig auch um den Zugang zu Maßnahmen der medizinischen oder beruflichen Rehabilitation), barrierefreie Informationstechnik (in Bezug auf Reha z.B. Barrieren beim Befüllen eines Online-Antragsformulars), barrierefreie Mobilität und seit 2021 auch die Mitnahme von Assistenzhunden. Die Schwerpunkte der Schlichtungstätigkeit ändern sich aber auch je nach aktuellem Geschehen. Während der Coronavirus-Pandemie waren z.B. Informationen in Deutscher Gebärdensprache durch Bundebehörden, aber auch die Barrierefreiheit wichtiger Websites und Apps Gegenstand einer Reihe von Verbandsschlichtungsverfahren.


    Im Zuge der Schlichtungsverfahren werden Rehaträger des Bundes auch hinsichtlich ihrer Verpflichtungen auch aufgeklärt - beispielsweise darüber, dass eine Seh- oder Hörbehinderung sowie die Wahlentscheidungen der Berechtigten hinsichtlich der Kommunikationshilfen oder der barrierefreien Dokumente aktenkundig zu machen und im weiteren Verlauf des Verfahrens von Amts wegen zu berücksichtigen sind (§ 2 Abs. 5 S. 5 KHV und § 5 Abs. 2 S. 4 VBD).


    Einen weitergehenden Einblick in die Arbeit der Schlichtungsstelle BGG vermitteln ihre Jahresberichte. Diese sind auf der Website der Schlichtungsstelle (unter Schlichtungsstelle BGG - Jahresberichte (schlichtungsstelle-bgg.de) abrufbar

  • Auf Grundlage der Landesbehindertengleichstellungsgesetze wurde von den dort ebenfalls enthaltenen Möglichkeiten, eine Verbandsklage zu erheben, gleichfalls nur sehr zurückhaltend Gebrauch gemacht. Mir ist nur ein Urteil aus dem Jahr 2003 zu einer Verbandsklage bekannt, welche die Barrierefreiheit eines Denkmals in Berlin zum Gegenstand hatte.


    In der Evaluation des novellierten Behindertengleichstellungsgesetzes wird zudem von einem weiteren Verbandsklageverfahren (in Bremen) berichtet, bei dem es um die bauliche Barrierefreiheit eines öffentlich zugänglichen Gebäudes ging. Hier kam es jedoch zu keinem Urteil, da das Verfahren mit einem Vergleich beendet wurde. Ein weiteres Verfahren, das E-Roller betrifft, ist nach den im Rahmen der Evaluation geführten Interviews derzeit vor Gericht anhängig (dazu Evaluation des novellierten BGG, S. 160).