Wie müsste Barrierefreiheit in der Rehabilitation aussehen für Menschen aus dem Neurodiversitätsspektrum - insbesondere für ADHS und Autismus?

  • Bei Barrierefreiheit denken die meisten automatisch an Rampen und behindertengerechte Toiletten.


    Dass Barrierefreiheit aber auch für ADHS und Autismus gilt, ist vielen wohl unbekannt.


    Leider auch im Bereich Rehabilitation. Insbesondere der beruflichen Rehabilitation. (siehe Krug:Barrierefreiheit in der beruflichen Rehabilitation am Beispiel der Berufsbildungswerke; Forum E, Beitrag E6-2015 unter http://www.reha-recht.de (http://www.reha-recht.de/); 27.08.2015)


    Echte Barrierefreiheit wäre einfach gesagt z.B.:


    Schnell und einfach das zu bekommen, was einem wirklich individuell hilft, sein Potential freisetzen zu können.


    Basierend auf einem echten Verständnis der Funktionsweise, wie z.B. Filtermodell und Steuerungsmodell (siehe Lachenmeier, https://adhs-lachenmeier.ch/adhs/) und nicht Vorurteilen...


    "ADHS gilt es in seiner Funktionsweise zu verstehen, um die Vorteile zu nutzen und die Nachteile zu mildern in Beruf und Privatleben." (Dr. Heiner Lachenmeier)


    Es ist wenig barrierefrei z.B. erst jahrelang bis einschließlich Sozialgericht - 2017-2023 - um etwas kämpfen zu müssen, was individuell hilft. Aber immer noch nicht zu wissen, ob das gewonnene Urteil nun rechtskräftig ist - oder die Gegenseite - DRV Bund - das Verfahren auch weiterhin in die Länge ziehen wird. Was ihr durchaus zuzutrauen wäre.


    Oder in einer beruflichen Rehamaßnahme nach kurzer Zeit vor Erschöpfung durchzudrehen, weil dort zu viele Reize auf einen einprasseln (Achtung: Reizfilterschwäche) und man sich dort weigert anzupassen - trotz bestehender Anpassungspflicht. Lieber wird behauptet, dass wohl keine Rehafähigkeit vorliege und zum Abbruch der Maßnahme geraten.


    Tipps, die nicht wirken KÖNNEN, weil die Funktionsweise von ADHS nicht verstanden wird, sind auch weder barrierefrei noch hilfreich und kosten einfach nur unnötig Kraft und Nerven. Vor allem, weil die Schuld natürlich beim ADHSler gesehen wird (unwillig, faul, müsste sich nur mal etwas anstrengen etc ...).


    Absolut angebracht wäre also, die "Betroffenen" und ihre Selbsthilfeorganisationen bei der Entwicklung neuer Konzepte mit "einzubeziehen" (z.B. ADHS Deutschland e.V.). Und zwar federführend und das letzte Wort habend.


    Denn: wer sonst kann wirklich beurteilen, was ihm hilft/nicht hilft, was er braucht?


    Z.B. Einzelarbeitsplatz, Hilfsmittel zur Reizreduzierung, Job-Coaching, Home-Coaching, Arbeitsassistenz für Selbständige und Angestellte, konkrete Unterstützung in Organisation und Strukturierung am Arbeitsplatz UND zu Hause etc...


    Also Unterstützung bei den Dingen, die dem ADHSler funktionsbedingt - individuell - Probleme bereiten können.

    Eigentlich logisch und kein Hexenwerk. Natürlich braucht es dafür Fachleute, die sich WIRKLICH mit ADHS und seiner Funktionsweise auskennen. Das ist schon schwieriger.


    Leider ist es in der Praxis oft anders. Da wird lieber vorurteilsbehaftet u.a. behauptet, dass bestimmte Berufe (Selbstständigkeit z.B.) bei ADHS oder Psyche grundsätzlich nicht leidensgerecht wären. Anstatt zu überlegen, was es an Unterstützung braucht. Einer blinden Person würde man doch auch nicht einfach Vorlesegerät oder Brailletastatur vorenthalten und sagen: "Siehste, geht nicht". Zumindest hoffe ich das.


    So kann das mit dem "Potential freisetzen" nicht funktionieren. Von echter Teilhabe und Chancengleichheit kann schon gar nicht gesprochen werden.


    Das ist vor allem dann ungünstig, wenn - noch - keine finanzielle Ressourcen vorhanden sind, sich das, was man braucht (Sekretärin, Projektmanager, Aufräumdienst, Büroorganisation, Einrichter, Haushaltshilfe, eigenes Büro, Noise Cancelling-Kopfhörer etc...) einfach selbst einkaufen zu können.


    In dem Zusammenhang wäre es auch wünschenswert notwendige Hilfen/Unterstützung nicht an einen Schwerbehinderungsgrad zu koppeln. Denn den erhalten ADHSler oft ohnehin nicht - OBWOHL sie dringend Unterstützung bräuchten. Das aber wird nicht gesehenen/anerkannt. Oft gibt es einen Schwerbehinderungsgrad nur für den, der das "Glück" einer weiteren Diagnose hat. Was das angeht, sind unsichtbare Behinderungen oft Behinderungen 2. Klasse. Diskriminierung könnte man getrost auch dazu sagen und gehört endlich beseitigt.


    Dass und wie es funktionieren kann, beweisen Firmen wie Auticon, die sich als Inspiration wunderbar zu eignen scheinen.


    Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels:


    Kann es sich Deutschland leisten, das definitiv vorhandene Potential von ADHSlern brach liegen zu lassen, weil man lieber weiter auf Vorurteile setzt statt auf Fakten?


    Ich möchte daher eine eigene Diskussion zu diesem Thema anregen, weil gerade hier ein enormer Nachholbedarf besteht.


    Was braucht es, damit das große Potential von ADHS - aber natürlich auch der anderen Neurodiversitäten - endlich zum Wohle aller genutzt werden kann!


    Vor allem natürlich zu ihrem eigenen Wohl.