Barrierefreiheit in medizinischen Praxen: Eine zu bewältigende Aufgabe

    • Offizieller Beitrag

    Prof. Dr. Klaus-Dieter Thomann sandte folgenden Beitrag zu dieser Diskussion:

    Auf ihrem 65. Treffen am 11. und 12. Mai 2023 in Bad Nauheim haben die Konferenz der Beauftragten von Bund und Ländern für Menschen mit Behinderungen und die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation e.V. (BAR) die „Bad Nauheimer Erklärung“ verabschiedet. Hierin heißt es in der Präambel:

    „Deutschland hat sich mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) in Artikel 25 (Gesundheit) dazu verpflichtet, das „erreichbare Höchstmaß an Gesundheit ohne Diskriminierung aufgrund von Behinderung“ zu gewährleisten. Dies bedeutet, dass der Zugang zur allgemeinen Gesundheitsversorgung inklusiv und barrierefrei gestaltet sein muss und Angebote bereitgestellt werden, die „Menschen mit Behinderungen speziell wegen ihrer Behinderung“ benötigen. Weiterhin hat sich Deutschland mit Artikel 26 (Habilitation und Rehabilitation) verpflichtet, die Zugänge zu medizinischer Rehabilitation mit dem Ziel zu gewährleisten, Menschen mit Behinderungen ein Höchstmaß an Unabhängigkeit sowie umfassende körperliche, geistige, soziale und berufliche Fähigkeiten zu ermöglichen. Dies gilt auch für geflüchtete Menschen.“

    In dem Abschnitt „Zugang zum Gesundheits- und Rehabilitationssystem“ präzisieren die Behindertenbeauftragen die Forderung an barrierefreie Arzt und Therapiepraxen:

    „In Deutschland gibt es z.B. rund 200.000 Arzt- und Therapiepraxen. Doch über 80 Prozent davon sind für Menschen mit Behinderungen nicht oder nur eingeschränkt zugänglich und nutzbar. Die Beauftragten fordern daher: „… die Einführung einer über die bereits bestehenden rechtlichen Vorgaben hinausgehende gesetzliche Verpflichtung zur Barrierefreiheit in allen Arzt- und Therapiepraxen in dieser Legislaturperiode. Die Schaffung barrierefreier Strukturen muss bei Neuzulassung, Übernahmen und Umbau verpflichtend sein sowie flankierend von Bund und Ländern gefördert werden.“

    Möglichkeiten und Schwierigkeiten der barrierefreien Anpassung einer Praxis: Ein Beispiel

    Die Forderungen sind gerechtfertigt, jedoch im Einzelfall nicht einfach umzusetzen. Viele Praxen befinden sich in Wohnhäusern oder Gebäuden, die nicht barrierefrei sind. Die Möglichkeiten und Schwierigkeiten der barrierefreien Anpassung einer Praxis können am Beispiel einer sozialmedizinischen Untersuchungsstelle In Frankfurt am Main dargestellt werden.

    Die Praxis befindet sich in Eschersheim, einem nördlichen Vorort mit guter Verkehrsanbindung (U-Bahn in unmittelbare Nähe – rollstuhlgerecht) In dieser Einrichtung werden pro Jahr etwa 150 Gutachten nach Untersuchung für Sozialgerichte erstellt. In den Praxisräumen war in den vergangenen drei Jahrzehnten eine Frauenarztpraxis ansässig. Die Patientinnen mussten, um in das Hochparterre zu gelangen acht Stufen überwinden. Rollstuhlfahrerinnen ohne Begleitung konnten die Praxis nicht besuchen.
    Bei der Übernahme der Praxisräume im Jahr 2016 wurde mit den Vermietern vereinbart, dass eine Anpassung des Gebäudes möglich sein sollte, um eine weitgehende Barrierefreiheit zu erreichen:

    • Dazu war es notwendig, an der Treppe Umbauten vorzunehmen.
    • Die Dachentwässerung musste verlagert werden, der Treppenbelag wurde deswegen teilerneuert.
    • Im Anschluss daran wurde ein Treppenlift installiert. Dieser ermöglicht es Rollstuhlfahrern oder Personen mit einer Gehbehinderung in die Praxis zu kommen.
    • Der Treppenlift wird dafür bis auf den Boden des Bürgersteigs herabgefahren, der Betroffene kann entweder im Rollstuhl oder auf einem Sitz bis in die Praxisräume hochgefahren werden. Für die Bedienung des Aufzuges und die Gewährleistung der Sicherheit der Patienten sind jeweils zwei Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter anwesend.
    • Der Treppenlift hat sich bewährt. Bei regelmäßiger Wartung hatten wir keine Ausfälle. Unfälle konnten vermieden werden.

    Die Umgestaltung der Praxis war möglich. Allerdings war der Aufwand finanziell nicht unerheblich (ca. 20.000 €). Zuschüsse wurden nicht in Anspruch genommen. Bei einer Nutzungsfrequenz von bis zu zehn Rollstuhlfahrern pro Woche erscheint die Lösung angemessen.

       


    Würde eine größere Anzahl von Rollstuhlfahren die Praxis frequentieren, so müsste einen struktureller Umbau des Gebäudes mit Einbau eines Aufzuges erfolgen, die Kosten dürften nicht unter 100.000 € liegen.

    Fazit:

    Der Umbau von Arzt- und Therapiepraxen ist grundsätzlich möglich. Allerdings dürfte sich ein nicht unerheblicher Anteil von Arztpraxen aufgrund der baulichen Situation nicht umbauen lassen. In diesen Fällen kommt nur eine Verlegung in barrierefreie Gebäude in Frage.