"Stufenweise Wiedereingliederung" unter Nutzung des Resturlaubs

  • Das (tolle!) Beispiel (Danke!) unterstreicht für mich noch einmal, wie wichtig es eigentlich wäre, schon in die Erstellung des Wiedereingliederungsplans regelhaft alle relevanten Seiten (Betroffene, med.-therapeutische und betriebliche Akteur:innen) einzubinden.

    Ich möchte aber noch ein weiteres Thema einbringen. Bislang kamen die STW der KK und der DRV zur Sprache (in denen Krankengeld- bzw. Übergangsgeld bezahlt werden). In meinen Studien begegnet mir aber immer wieder noch eine weitere Form... die "(Rest-)Urlaubs(-finanzierte)-STW", bei der die zuvor häufig sehr lang krankgeschriebenen Betroffenen mit ihren Arbeitgeber:innen einen Wiedereingliederungsplan vereinbaren, in dem (Rest-)Urlaubsansprüche für (mitunter über einen sehr langen Zeitraum andauernde, mit KK/DRV-STW nicht abbildbare?) Arbeitszeitreduktionen eingesetzt werden - bei vollem Entgelt. Die Betroffenen "opfern" hier also ihren Urlaub (was nach langer Ausfallzeit von ihnen aber erst einmal gar nicht als großes Opfer empfunden wird), verhindern aber weitere Lohneinbußen (durch Kranken-/Übergangsgeldbezug, dauerhafte Arbeitszeitreduktionen; - was häufig drängender ist). Die Arbeitgeber:innen zahlen voll, müssen aber keine weiteren "Ausfallzeiten" durch angestauten Urlaub hinnehmen. Ich würde mich sehr über entsprechende Erfahrungsberichte, Meinungen und rechtliche Einordnungen freuen!

  • Ich würde mich sehr über entsprechende Erfahrungsberichte, Meinungen und rechtliche Einordnungen freuen!

    Aus der Rspr. ist bekannt, dass ein länger erkrankter Beschäftigter mehrere Wochen vor Beginn der StW „Resturlaub“ bis zum Tag vor der StW genommen hat – mit Entgelt(fort)zahlung unmittelbar vor (08.07.2020 - 11.08.2020) und auch während der StW (12.08.2020 - 22.09.2020) lt. BSG, 16.05.2024, B 1 KR 4/23 R


    Das SG Leipzig, 08.09.2021 - S 22 KR 100/21, hatte hingegen zuvor fehlerhaft lapidar „unter laufender Krankengeldgewährung“ der AOK PLUS unterstellt, obwohl weder unmittelbar zuvor noch während der Eingliederung Krankengeld gezahlt wurde laut den unstrittigen Feststellungen des LSG Sachsen.

  • Oftmals haben Langzeiterkrankte nicht oder eine schlechtere finanzielle Option bei der Stufenweisen Wiedereingliederung, wenn sie eine private Krankenversicherung haben. Das ist häufig der Grund weshalb dann nach anderen Option wie z. B. Urlaubs- bzw. Gleitzeitabbau gesucht wird, damit der Start dennoch einen Einstieg mit geringerer Belastung, also reduzierter Arbeitszeit ermöglicht.

    Wünschenswert, wäre wenn die Private Krankenversicherung die gleichen Konditionen wie die gesetzliche Krankenversicherung verpflichtend (gesetzlich vorgeschrieben) anbieten müsste.

  • Auch ich kenne die "Lösung" alte Urlaubstage nach längerer Erkrankung zur Reduktion der Arbeitszeit bei vollem Gehalt.

    Bei uns in der Beratung hatten wir Ratsuchende mit psychischer Erkrankung, die lange - z.B. 12 Monate - krank geschrieben waren. Sie haben mit einer stufenweisen Wiedereingliederung begonnen und gemerkt, das sie noch nicht ausreichend belastbar sind. Das Krankengeld läuft aber nach 18 Monaten aus. Sie haben sich also entschieden, wieder "voll" zu arbeiten. Damit erhalten sie vollen Lohn und erwerben neue Anwartschaften auf Krankengeld - bei chronischen Erkrankungen sehr wichtig. Aus den vielen Monaten Arbeitsunfähigkeit haben sich Urlaubstage von 1-1,5 Jahren angesammelt, also zusätzlich zum Jahresurlaub des aktuellen Jahres ca. 30-45 Tage, das bedeutet bei wöchentlich 1 Urlaubstag kann man ungefähr ein Jahr mit verringerter Arbeitszeit (hier 4-Tage-Woche), überbrücken und sich stabilisieren. Die Ratsuchenden entwickelten diesen Gedanken und waren sehr zufrieden damit. Vielleicht auch unter dem Aspekt, was sollen sie auf Anhieb mit 30+30-45 = 60 bzw. 75 Tage Urlaub. Sie haben weder die Energie noch wollen sie 3 Monate in den Urlaub fahren.

  • Das Auslaufen des Krankengelds nach 78 Wochen schürt Ängste und führt manchmal auch zu einer panikartigen stW zum "falschen" Zeitpunkt. Nach Auslaufen des Krankengelds ist die BA nach § 146 SGB III verpflichtet, Arbeitslosengeld bei stW zu zahlen, auch wenn das Arbeitsverhältnis noch besteht (BSG 17.12.2013 - B 11 AL 20/12 R). Nach längerem Zögern hat die BA das auch in ihre Dienstanweisungen aufgenommen. Gerade bei psychischen Erkrankungen bewnötigt die stW eine "mentale Vorbereitung", so dass statt Panik nach 77 Wochen eine etwas spätere stW, begleitet mit einem Antrag an die BA besser geeignet ist.

  • Die bisherigen Beiträge geben einen eindrucksvollen Überblick über die verschiedenen Konstellationen, wie Urlaub und Stufenweise Wiedereingliederung zusammenhängen können.

    Ich möchte noch einen weiteren Aspekt einbringen und zwar die Notwendigkeit, Urlaubsgewährung schon bei der Erstellung des ärztlichen Stufenplanes mitzudenken. Eine Stufenweise Wiedereingliederung ohne Rücksicht auf etwaige Unterbrechungen zur Urlaubsgewährung sollte vermieden werden. Zwar gilt arbeitsrechtlich der Grundsatz, dass bei ruhenden Hauptleistungspflichten (also keine Arbeit und kein Lohn) eigentlich auch ein Anspruch auf Urlaubsgewährung nicht erfüllt werden kann, weil ja die Arbeitserbringung schon an sich unmöglich ist. Diese grundsätzlich richtige Ansatz kann im Falle einer StW allerdings nicht zur generellen Verneinung von Urlaubsansprüchen während einer StW führen.

    Dies ergibt sich bereits aus dem Zweck des im Bundesurlaubsgesetz geregelten Anspruchs auf gesetzlichen Mindesturlaubs. Die Pflicht zur Urlaubsgewährung auch während einer laufenden StW folgt aber zugleich auch aus der arbeitsschutzrechtlichen Organisationspflicht des Arbeitgebers gemäß § 3 ArbSch (vgl. dazu nur die Kommentierung von Oda Hinrichs in Handkommentar-ArbSchR, Urlaub und Gesundheitsschutz, Rn. 8, 14). Der gesetzliche Mindesturlaub ist sowohl aus gesundheitsschutzrechtlichen als auch aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen normiert und vom Arbeitgeber gegenüber allen Beschäftigten und damit nicht nur gegenüber Arbeitnehmern, sondern auch gegenüber zur Wiedereingliederung Beschäftigten zu gewähren. Das Bundesarbeitsgericht hatte dies in einer Entscheidung aus dem Jahr 1994 (BAG, 19.4.1994, 9 AZR 462/92 unter Zust. der Literatur) noch anders entschieden. Allerdings zeigt auch gerade der damalige Sachverhalt, in dem es um eine StW vom 01. 05. bis 30. 11. und damit für einen Zeitraum von sieben Monaten ging, dass die im normalen Arbeitsverhältnis zutreffenden Grundsätze - kein Urlaub bei Erkrankung - nicht ohne weiteres auf das Wiedereingliederungsverhältnis übertragen werden können. Der Urlaubsanspruch kann auch im Rahmen einer StW durch Freistellung von der dann überwiegend zu therapeutischen Zwecken geleisteten Arbeit gewährt werden, wobei allerdings hinsichtlich Lage und Dauer des Urlaubs die zu erreichenden bzw. erreichten Ziele der StW berücksichtigt werden sollten (dazu schon Gagel/Schian, Behindertenrecht 2006, 53 f.). Dies kann sinnvoll im Wege der Abstimmung mit dem behandelnden Arzt/Betriebsarzt geschehen. Auch bei einer Urlaubsgewährung bzw. -inanspruchnahme im Anschluss an eine StW sollten die erreichten Eingliederungserfolge Berücksichtigung finden (dazu Schaumberg in Knittel, SGB IX, 12. A., , § 44 Rn. 68). Nur so lässt sich sicherstellen, dass die StW personzentriert erfolgt. Zugleich wird verhindert, dass sich Urlaubsansprüche unnötig aufbauen, die dann nach Ende der StW zu einer erneuten und womöglich langen Abwesenheit vom Arbeitsplatz führen.

    Wie der Urlaub im Einzelfall eingebaut wird (wöchentlich mit einem Tag oder durch eine mehrwöchige Unterbrechung, z.B. für den Sommerurlaub mit der Familie, die an Schulferien gebunden ist), kann nur mit dem Beschäftigten im Einzelfall entschieden werden.