Wann und wie sind in den Schulen die Weichen für den Übergang in eine berufliche Ausbildung zu stellen?

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    • Was ist besonders hilfreich für die Jugendlichen und deren soziales Umfeld?
    • Wie werden die Jugendlichen in ihrer selbstbestimmten Berufswahl in der Schule und in der Familie unterstützt?
    • Welche Maßnahmen braucht es in der Berufsberatung und Orientierung, um die Bedarfe von kognitiv beeinträchtigten oder neurodivergenten jungen Menschen angemessen zu berücksichtigen und Barrieren abzubauen?

    (Dies ist ein Fragenimpuls des Teams)

  • Häufig (aber nicht immer) kommt es beim Übergang von der Grund- auf die weiterführenden Schulen zu ersten Problemen. Während neurodivergente Kinder in der Grundschule wegen ihrer innovativen Denkweise zumeist noch als etwas "Besonderes" mit einer großen beruflichen Zukunft gesehen werden kommt es auf den weiterführenden Schulen zu einem neuen Arbeitsstil, der nicht von zirkulärer, sondern kausaler Denkweise geprägt ist. Diese Denkweise wird letztlich auch im Arbeitsleben gepflegt. Ich schließe hier an meinen Beitrag unter dem anderen Topic an. Anpassungsleistungen sind von beiden Seiten erforderlich. Aber: Man kann aus einem Kolibri keinen Elefanten machen. Die Anpassungsleistung der Betroffenen, welche sie im Umgang mit einem Umfeld, dass nicht für sie gemacht ist ständig erbringen müssen ist ENORM kräfteraubend. Betroffene sollten wissen, wie die Welt funktioniert - da kann Psychoedukation helfen. Und damit kann man in der Schule schonmal anfangen. Aber dann sollten die Betroffenen selbst entscheiden - und der Arbeitgeber sollte mitspielen. Was man in der Schule nicht vergessen darf ist, den Betroffenen, die mit aller größter Wahrscheinlichkeit auf der weiterführenden Schule brutalstes Mobbing erleben werden zu helfen, die Schulzeit überhaupt einmal zu überstehen. Also das ist dann auch wichtig. Als emotionales Wrack kommt man auch nicht sanft auf dem Arbeitsmarkt an. Und ja, ich schreibe mit breiter Querschnittserfahrung.

  • Zum einen benötigen solche Jugendlichen praktische Erfahrungen aller Art. In Form von "geschützten" Bereich, wie bspw. über einen Bildungsträger, um sich erst einmal langsam an die Bereiche heranzutasten und Vertrauen zu finden. Später muss es dann in verschiedenen (begleitete) Praktikumsphasen gehen und hier ist es enorm wichtig ehrliche Rückmeldung zu geben. Die Eltern sollten da auch dabei sein. Eltern wollen ihren Kindern alles ermöglichen und stülpen daher auch Wünsche über, die die Kinder mitunter überfordern könnten. Man braucht das direkte Feedback aus der Praxis.

    Und dann muss man den Eltern und Kinder/Jugendlichen auch mehr Wissen an die Hand geben, was alles möglich ist. Welche Alternativen es gibt (Fachpratiker-Ausbildung, EQ,...). Hier fehlt das Wissen bei Eltern/Kindern, aber leider auch häufig an Schulen. Es sollten in der Schule diese Alternativen als legitime Wege zum "Normallebenslauf" besprochen und entsprechend erarbeitet werden. Leider orientiert sich diese Gruppe an Jugendlichen noch am meisten am Normallebenslauf, obwohl dieser für sie viel schwerer erreichbar ist. Da muss man gegensteuern.


    Und auf der anderen Seite stehen auch Betriebe, die unterstützt werden müssen, z.B. im Rahmen eines Praktikums. Es gibt viele engagierte Betriebe, die offen sind, allen jungen Menschen eine Chance zu geben. Da müssten Netzwerke aufgebaut werden, Bildungspartnerschaften genutzt werden, etc.

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    Interessant in diesem Zusammenhang könnte auch der Maßnahmenfinder des Projekts REHADAT sein. Er soll dabei helfen, die richtige Bildungsmaßnahme für Jugendliche mit oder ohne Schulabschluss oder für Rehabilitandinnen und Rehabilitanden zu finden.


    Zum REHADAT-Maßnahmenfinder

  • Im Beitrag von Eva-Maria Thoms ist einer der wesentlichen hemmenden Faktoren insbesondere für Menschen mit kognitiven Einschränkungen benannt. Schule ist BIS zum Ende der Schulzeit verantwortlich und die Agentur für Arbeit wird erst NACH der Schulzeit zuständig. Dies ist eine der vielen systemimmanenten problematischen Schnittstellen, die Menschen behindern und inklusive Arbeit verhindern.

    Diese Barriere besteht vielfach, aber sie kann auch durchbrochen werden, wenn z.B. Schulleitung und Lehrer es als ihre Aufgabe verstehen, Schüler auf ein Leben nach der Schule vorzubereiten. Dazu gehören betriebliche Erfahrungen und Praktika während der Schulzeit. Das ist in Baden-Württemberg einfacher als in anderen Bundesländern, weil dort seit 2013 die Berufswegekonferenz verpflichtend vorgeschrieben ist und engagierte Schulen bereits in der siebten oder achten Klasse damit anfangen, individuell für den einzelnen Schüler berufliche Möglichkeiten auszuprobieren.

  • Berufspraktika sind gerade für Jugendliche mit Neurodivergenz von besonderer Wichtigkeit und gleichzeitig sehr rar bzw. nur mit viel Aufwand zu finden. Außerdem stellen sie für die Jugendlichen eine Ausnahmesituation dar, ein Abweichen vom Gewohnten, Bekannten. Das verunsichert und schafft zusätzliches Konfliktpotenzial. Hier kann Schulbegleitung ansetzen und somit auch bei Berufspraktika eine große Unterstützung sein, auf vielfältigen Wegen und Formen, z.B.:


    1) Sie kann sie z.B. als Übersetzer zwischen Mitarbeitende des Unternehmen und der bzw. dem Jugendlichen fungieren. Viele Jugendliche mit Neurodivergenz, z.B. bei Asperger-Autismus, haben ein wortwörtliches Sprachverständnis. Unsere Sprache ist häufig mehrdeutig und das ist uns zu oft nicht (ausreichend) bewusst. Menschen mit Neurodivergenz verstehen dann nicht selten etwas, was nicht gemeint war und handeln nachfolgend nicht nachvollziehbar oder unverständlich.


    2) Sie kann vermittelnde und auf-/erklärende Funktionen erfüllen. Arbeits- und Handlungsweisen, aber auch Erklärungen sind oft mehrschrittig. Menschen mit Neurodivergenz werden durch zu viele Schritte schnell überfordert und verlieren den Überblick, da ihre Wahrnehmung, Aufnahme und Speicherung von Informationen anders erfolgt. Hier z.B. zu erklären, dass nur zwei, maximal drei Schritte aufgenommen und verarbeitet werden können, kann Wunder helfen.


    3) Sie kann den Jugendlichen mit Neurodivergenz als emotionale Stütze während des Praktikums dienen. Die nicht Vorhersehbarkeit dessen, was die Jugendlichen erwartet, verunsichert sie - und dass durchaus so stark, dass sie sich kaum auf die neue Situation einlassen können und in eine nicht gewollte Abwehrhaltung gehen, um sich selbst nicht zu verlieren. Das läuft unbewusst ab. Eine gute Schulbegleitung kennt solche Situationen aus dem Schulalltag und kann ggf. auch erprobte Lösungsansätze zurückgreifen und einen Konflikt, ein Weglaufen, ein "Zumachen" - einen Meltdown oder einen Shutdown verhindern.


    4) Sie kann Informationen an Eltern weitergeben, wozu der Jugendliche aufgrund der ungewohnten, neuen Situation noch nicht in der Lage ist und damit auch die Eltern zur Unterstützung und Stabilisierung mitnehmen.


    Leider ist es keine Selbstverständlichkeit, dass Schulbegleitung auch außerhalb des reinen Schulunterrichts wirken darf. Hier besteht m.E. ein großer Handlungsbedarf, gleichzeitig liegt darin aber auch eine große Chance für die Jugendlichen, ihre (inneren) Bilder eines Berufes mit ihren Handlungsmöglichkeiten und -grenzen austesten zu können. Und natürlich bedarf es einer ehrlichen Rückmeldung aus dem Unternehmen und einem zurückhaltenden Handeln durch die Schulbegleitung.


    Wir hatten diese Chance und mein Sohn hat verschiedene, z.T. durch seinen Schulbegleiter unterstützte Berufspraktika durchführen können. Das sind für ihn äußerst wertwolle und wichtige Erfahrungen, die seinen Berufswunsch stark beeinflusst haben.

  • Berufspraktika sind gerade für [...]

    *Daumen hoch*

    Die Mehrdeutigkeit neurotypischer Aussagen ist definitiv ein Faktor für Missverständnisse wobei betont werden sollte, dass es da auch Ebenen gibt, die von neurotypischen Menschen kaum bewusst gesteuert werden können, die unterhalb der Wahrnehmungsschwelle laufen (also nicht offenkundig *böse*, *traurig*, *freudig* sind). Das verkompliziert das Ganze. Deswegen ist Aufklärung wichtig, um nicht automatisch eine Absicht hinter ein Missverständnis zu projizieren.

    Eine Schulbegleitung sollte definitiv außerhalb des Schulunterrichts wirken dürfen. Stichwort "verzögerte Informationsverarbeitung". Wenn die Emotion unterhalb eines Erlebens erst 5 Stunden später bei der Betroffenen Person zu wirken beginnt, ist der/die Schulbegleiterin schon im Feierabend oder beim nächsten Klienten. Sofern außerhalb der Schule auch Assistenzkräfte tätig sind ist eine enge Verzahnung notwendig.

  • Ich frage mich, welche Bedeutung Online-Angebote in der Berufsorientierung spielen. Online-Angebote sind ja etwas Übergreifendes. Sie können in Schule und zu Hause genutzt werden. Und haben möglicherweise auch einen hohen motivationalen Faktor bei den Jugendlichen.


    Wir konnten in einem Forschungsprojekt, indem wir gemeinsam mit Jugendlichen mit Lernschwierigkeiten gearbeitet haben, dass das Internet für die eigene Informationsrecherche zu Berufs- und Ausbildungsmöglichkeiten genutzt wird. In Bezug auf die Informationsbedarfe zeigte sich, dass insbesondere Informationen zu behinderungsspezifischen Ausbildungen/Maßnahmen notwendig sind. (siehe auch: https://www.hf.uni-koeln.de/37610)


    Es fiel aber auch auf, dass die Seiten/Apps häufig nicht besonders zugänglich von der Gestaltung her sind und dass mehr spezifische Informationen bereit gestellt werden könnten.


    Wie sind eure/Ihre Erfahrungen mit der Berufsorientierung im Internet? Wird das Internet in diesem Zusammenhang genutzt? Wird es in Schule gut begleitet? Welche Informationen müssten bereitgestellt werden für eine umfassende digitale Auseinandersetzung?

    wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Arbeit und berufliche Rehabilitation, Universität zu Köln

  • Ich habe im Rahmen meiner Arbeit in der BvB solche Angebote genutzt. Sie sind ganz gut für eine erste Übersicht, aber vor allem zur beruflichen Orientierung. Im nächsten Schritt sollte aus meiner Sicht immer direkt die praktische Erfahrung stehen. Und wenn diese auch in einem geschützten Bereich stattfinden.

    Ich kann mich aber nur noch einmal wiederholen. Da muss es mehr Wissen über die verschiedenen Möglichkeiten auch bei den Lehrkräften geben. Ich gebe Sonderpädagogen-Studierenden (Lehramt) ein Seminar zum Thema "Berufsvorbereitung, Ausbildung und Arbeit für Menschen mit Förderbedarfen", die Studierenden sind da zum Teil am Ende ihres Studiums und haben von den ganzen Möglichkeiten zur Berufsorientierung und zu den Perspektiven dieser Gruppe noch nie etwas gehört.

  • "

    Das ist in Baden-Württemberg einfacher als in anderen Bundesländern, weil dort seit 2013 die Berufswegekonferenz verpflichtend vorgeschrieben ist"...


    naja. Berufswegekonferenzen sind oft (nicht immer) eine Enttäuschung: Oft wird bei sog. "geistig behinderten jungen Menschen" nur von allen Seiten vorgetragen, was alles nicht geht, so dass nur noch die WfbM übrig bleibt. Und die jungen Menschen selbst hören eine Stunde lang ihre Defizite... Lösungen werden - das ist meine Erfahrung - in diesen Konferenzen nie gefunden. Man macht da nur "einen Knopf" dran, an das, was vorher schon vereinbart/gefunden/überlegt wurde. Das muss man dann aber auch (vorher) tun. "Man" sind: Schüler*innen, Lehrer*innen, Eltern. Und ja - so wie meine Vorrednerin Frau Popp schon gesagt hat: Viele Lehrkräfte kennen viel zu wenig oder gar nichts jenseits der WfbM. Ich weiß das, weil auch ich in der Sonderpädag*innen-Ausbildung tätig bin.

  • Im Normalfall bieten Regelschulen eine relativ gute Vorbereitung auf die Berufswelt an und begleiten diesen Übergang ausreichend. Das Problem ist aber, dass es sich dabei meist um einen „Einheitsbrei“ handelt, weil diese Vorbereitung nur auf neurotypische SchülerInnen ausgelegt ist. Individualität ist für neurodivergente SchülerInnen jedoch von enormer Bedeutung und funktionierende Inklusion hat gezeigt, dass auch neurotypische Menschen von diesem individuellen Vorgehen profitieren.

    Nach unserer Erfahrung läuft es in Privatschulen schon deutlich besser, weil diese sich besser auf Inklusion einlassen. Das Problem hierbei ist aber, dass dies vom finanziellen Status der Eltern abhängig ist und die Plätze rar sind.


    Familien unterstützen die Jugendlichen bereits sehr gut, stoßen aber leider oft an ihre Grenzen, weil die Bedürfnisse der neurodivergenten Jugendlichen von anderer Stelle (Ämter, Behörden,…) nicht gesehen werden. Somit können notwendige Hilfen nicht abgefordert werden.

    Insbesondere in Sachsen-Anhalt ist es für neurodivergente Menschen schwer in den Reha-Bereich der Bundesagentur für Arbeit zu fallen, weil Schwerbehinderungen durch das Landesverwaltungsamt nach wie vor nicht korrekt anerkannt werden, dies aber eine Zugangsvoraussetzung ist.

  • Aus meiner Sicht fehlt es an Angeboten - egal ob in digitalen oder analogen Medien oder in Präsenz bzw. Praxis, mit denen sich Jugendliche mit Beeinträchtigungen und Behinderungen identifizieren können. Sichtbare Inklusion endet zu häufig mit der Schulzeit.

    Inklusive Beispiele aus der Arbeitswelt, Erwachsene mit Beeinträchtigungen und Behinderungen könn(t)en eine große Vorbildwirkung entfalten und Identifikationspotenzial bieten. Doch wo sind diese Erwachsenen?

    Kinder und Jugendliche entwickeln ihre Berufswünsche doch auch aus der Identifikation mit Vorbildern, denen sie sich verbunden fühlen oder mit denen sie sich identifizieren können, weil sie ihnen ähnlich sind. Aus meiner Sicht fehlt dies für Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigungen und Behinderungen.

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    Frau Reinhardt hat die Beobachtung geäußert, dass „die Bedürfnisse der neurodivergenten Jugendlichen von anderer Stelle (Ämter, Behörden,…) nicht gesehen werden“ oder ggf. eine „Schwerbehinderung“ nicht anerkannt wird und somit Hilfsangebote nicht genutzt werden können.

    Welche Erfahrungen gibt es noch zur Anerkennung von Förderbedarfen?

  • zu der Frage wie Jugendliche in ihrer selbstbestimmten Berufswahl in ihrer Familie unterstütz werden:


    Gemäß § 1631a BGB müssen Eltern in Angelegenheiten der Ausbildung und des Berufes insbesondere auf Eignung und Neigung des Kindes rücksichtnehmen. Die Norm ist dabei sowohl für die Selbstbestimmung wie auch den Schutz des jungen Menschen von entscheidender Bedeutung. Die Regelung hebt hervor, was schon in § 1626 Absatz 2 BGB formuliert wurde, nämlich dass bei den für das Leben des Jugendlichen bedeutenden Entscheidungen, wie den Angelegenheiten der Ausbildung und des Berufes, die wachsenden Fähigkeiten und Bedürfnisse, Eignungen und Neigungen des Kindes von den Sorgeberechtigten beachtet werden müssen.


    Es geht dabei vor allem im Rahmen der Berufsausbildung regelmäßig um Dinge wie das Ausbildungsziel, den Ausbildungsgang oder die Ausbildungsstätte. Eingeschlossen sind hier zum einen die Entscheidung für eine Berufsausbildungswahl, aber auch die Entscheidung, ob der zunächst eingeschlagene Weg zielführend ist, ganz oder teilweise geändert werden soll. Eine pflichtgemäße Ausübung der Personensorge im Bereich der Ausbildungs- und Berufswahl setzt ein besonderes Eingehen auf die Persönlichkeit des Jugendlichen voraus. Dabei ist das Gebot der Rücksichtnahme in § 1631a BGB an kein Alter gebunden – es muss vielmehr auf den jeweiligen Entwicklungsstand eingegangen werden. Die Eltern müssen sich mit den Vorstellungen des jungen Menschen auseinandersetzen. Daraus geht hervor, dass dem jeweiligen Jugendlichen die Möglichkeit gegeben werden muss sich zu äußern. Das bedeutet, es muss eine Bereitschaft zu Gesprächen und Auseinandersetzungen in der Familie geben. Dabei beschränkt sich dies nicht nur auf ein Gewährenlassen, sondern erfordert auch aktive Unterstützung im Einschlagen des eigenen Weges und finanzielle Hilfe – sofern dies möglich ist.


    Eltern sollten einerseits ihr jugendliches Kind nicht auf eine nur von ihnen gewählte Berufsschule schicken, aber andererseits auch nicht alle Entscheidungen dem jungen Menschen allein überlassen. Es sollte im Sinne des § 1631a BGB eine gemeinsame Entscheidung getroffen werden.


    Für den Fall, dass Eltern bei der Entscheidung in Angelegenheiten der Ausbildung und des Berufes überfordert, unsicher, untereinander oder mit dem Kind uneinig sind, wird ihnen vom Gesetz § 1631a Satz 2 BGB zu einer externen Beratung geraten. Solche Unsicherheiten können sich zum einen daraus ergeben, dass die Sorgeberechtigten die Fähigkeiten des Kindes nicht richtig einschätzen können oder nicht über ausreichend Informationen im Zusammenhang mit dem angestrebten Beruf verfügen. Bei dieser Regelung handelt es sich aber lediglich um eine Empfehlung des Gesetzgebers – es besteht also kein Zwang sich bei Unsicherheiten zum Wohle des Jugendlichen beratende Hilfe zu suchen.


    Beraten können je nach Art der bestehenden Zweifel: Lehrkräfte, Verwandte, Berufsberater*innen; Menschen die bereits in dem angestrebten Beruf arbeiten, Ärzt*innen oder Psycholog*innen. Den Eltern bleibt bei der Wahl einer externen Beratungshilfe ausreichend Raum. Sie müssen nur wissen, dass ihnen diese Beratungshilfe zu steht.

  • In Bezug auf ihre Frage "Welche Erfahrungen gibt es noch zur Anerkennung von Förderbedarfen?":


    Ich habe in meiner Arbeit auch immer wieder wahrgenommen, dass auch die Eltern selbst eine Hürde darstellen können. Man möchte das vermeintlich Beste für sein Kind und möchte nicht, dass es einen "Stempel aufgedrückt bekommen". So werden Hilfen teilweise erst viel zu spät in Anspruch genommen, wenn der /die Jugendliche schon mehrfach in der Schule gescheitert sind. Wenn dann irgendwann mal ein Sozialpädagoge, eine Lehrkraft, etc. dazu kommen die Eltern zu beraten, ist hier teilweise auch erst einmal Abwehr der Eltern zu spüren. Hier braucht es wirklich gute Eltern-/Aufklärungsarbeit von Anfang an, was trotz Förderbedarfen und auch dank einer Anerkennung der Förderbedarfe alles möglich ist (z.B. Reha-Status erlaubt es, erst einmal eine FP-Ausbildung zu machen).


    Die Schulen (oder soagr schon der Kindergarten) nehmen hier eine extrem wichtige Stellung ein. Lehrkräfte/Pädagogen sollten immer handeln, wenn Sie das Gefühl haben, dass ein Schüler/Schülerin Förderbedarfe hat und von Anfang an mit den Eltern sensibel ins Gespräch gehen. Hier sollten Lehrkräfte auch im Studium schon besser geschult werden und sie bräuchten in ihrem Arbeitsalltag auch mehr Zeit für solche Themen.

  • Die von Frau Popp betonte wichtige Stellung von Schulen und Kindergärten möchte ich unterstreichen.

    Meine Erfahrung ist, dass in Kindergärten und Schulen die Sensibilität für besondere Bedarfe von Kindern und Jugendlichen sehr gestiegen ist und hier auch eine durchaus gute und sensible, zugewandte Elternarbeit stattfindet. Eltern werden angeregt und unterstützt, z.T. auch begleitet bei der Kontaktierung und Diagnostik in Sozialpädiatrischen Zentren, bei Kinder- und Jugendpsychiatrien, -psychotherapeuten/-psychiatern, Autismusambulanzen, ...

    Häufig schließt sich aber keine Diagnostik, sondern ein monatelanges Warten auf einen ersten Vorstellungstermin an. Im hiesigen SPZ betragen die aktuellen Wartedauern 14 Monate... Viel zu viel Zeit für Kinder oder Jugendliche mit Unterstützungs- oder Förderbedarf! Auch hier bedarf es mehr Angebote, mehr Personal und vielleicht auch kürzere Verfahren.

    Aus meiner Sicht ist dies besonders dramatisch für die betroffenen Kinder und Jugendlichen und deren Familien, da die medizinische Diagnose leider fast immer die Voraussetzung für eine Schulbegleitung oder Nachteilsausgleiche darstellt.