Reichen die rechtlichen Rahmenbedingungen?

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    Diskussionsteilnehmende haben u. a. Förderlücken für Praktikumsstellen thematisiert (Thoms) sowie die Unterschiede beim Wechsel vom Schulsystem in den Bereich der Teilhabe am Arbeitsleben (Weiland). Wir möchten hier gezielt die rechtlichen Rahmenbedingungen in den Blick nehmen:

    • Welche rechtlichen Vorgaben unterstützen den Prozess des Übergangs von der Schule in den Beruf für junge Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen?
    • Reichen die rechtlichen Rahmenbedingungen in Schulgesetzen, im Berufsbildungs­gesetz und in Tarifverträgen, um inklusive Ausbildungsmodelle zu organisieren?

    (Dies ist ein Fragenimpuls des Teams.)

  • Die Rahmenbedingungen des (Eil-)Rechtschutzes reichen leider (je nach Bundesland) nicht aus - leider fehlt hier eine gerichtliche Kontrolle durch zB das BSG.


    Und: Kaum eine betroffene Person kennt die sozialrechtlichen Regelungen hinreichend - von verfassungsrechtlichen Optionen mal abgesehen.


    Hier wäre eine Verbesserung im Rechtsschutz geboten.

  • Zum rechtlichen Rahmen hinsichtlich verankerter Teilhabeinstrumente:


    Trotz vielfältiger Möglichkeiten der Förderung sind die Chancen auf einen Ausbildungsplatz für junge Menschen mit Behinderung – insbesondere für Schulabgänger*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf – leider noch immer gering.


    Meiner Meinung nach liegt das aber nicht (nur) an den rechtlichen Rahmenbedingungen. Tatsächlich bietet das Rehabilitations- und Teilhaberecht viele Möglichkeiten der Förderung und viele Teilhabeleistungen in unterschiedlichster Form, die sich auf die jeweiligen Kinder und Jugendlichen individuell anpassen lassen.


    So sollte beispielsweise die Stellung eines Antrages auf eine Teilhabeleistung barrierefrei und „einfach“ funktionieren. Der Antrag muss nicht zwingend explizit die Leistung erwähnen, die am geeignetsten für das Kind ist – es sollte genügen dessen Bedarfe und Wünsche zu nennen, dann kann sich der Leistungsträger gemeinsam mit den Familien, jungen Menschen und Fachkräften ein genaues Bild der Situation verschaffen und nach einem zielführenden Teilhabeinstrument suchen. Auch ist es theoretisch möglich einen Antrag bei einem beliebigen Leistungsträger abzugeben, dieser ist dann verpflichtet den Antrag an die zuständige Stelle weiterzuleiten, § 16 SGB I. Leider funktionieren diese Mechanismen ist der Realität nicht immer, oder nur sehr langsam, wodurch der Zugang zu Teilhabeleistungen erheblich erschwert wird. Dies stellt aber vor allem ein Umsetzungsproblem des rechtlichen Rahmens dar.


    Ein weiteres Problem ist, meiner Erfahrung nach, dass die Funktionsweise mancher Teilhabeleistungen – wie zum Beispiel das persönliche Budget, oder der Assistenzhund – noch nicht ausreichend bekannt sind und daher seltener bewilligt werden.


    Weiterhin wird das Wunsch- und Wahlrecht, welches grundrechtlich geschützt, und explizit in § 8 SGB IX verankert ist, in der Praxis leider zu selten ernsthaft in die Entscheidung über die Leistungsgewährung einbezogen – besonders wenn es sich um Kinder oder Jugendliche handelt.



    Zusammenfassend stelle ich fest, dass meiner Meinung nach die meisten Probleme nicht mit einem strengeren rechtlichen Rahmen gelöst werden können. Es bedarf vielmehr einem Umdenken in der Gesellschaft und bei den Leistungsträgern. Die Zusammenarbeit mit den betroffenen Familien muss gestärkt werden und vor allem müssen die Bedürfnisse, Wünsche und Meinungen der Kinder und Jugendlichen Gehör finden, ernst genommen werden und in die Entscheidungen einfließen. Es sollte auch mehr in langfristige und nachhaltige Leistungen investiert werden. Gerade bei jungen Menschen ist es entscheidend in den jeweiligen Entwicklungsphasen die passende Unterstützung zu finden und zu gewähren. Das geht nur, wenn man die betroffenen jungen Menschen mit einbezieht. Sind diese einmal isoliert, ist die Teilhabe am sozialen Leben in der Gemeinschaft sehr schwer, für die Menschen mit Behinderung sehr anstrengend und die Leistungsträger am Ende kostenintensiver.

  • Sicherlich wären an einigen Stellen gesetzliche Verbesserungen möglich. Aus unserer Erfahrung wäre die z.B. die Einschränkung einer Arbeitsassistenz auf Arbeitsstellen mit mindestens 15 Stunden Arbeitszeit. Dies betrifft z.B. Arbeitsnehmer*innen mit Behinderung, die mehrere Teilzeitstellen haben, oder es betrifft Menschen mit Behinderung, die eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung erst aufbauen, dies wird durch die Bestimmung der Mindestarbeitszeit behindert. Probleme mit der Bewilligung von Assistenz haben verstärkt auch Menschen mit Behinderung in selbständigen Tätigkeiten.

    Hier machen wir derzeit interessante Beobachtungen im künstlerischen Bereich. In Köln wird modellhaft eine Schauspielausbildung für Werkstattberechtigte betrieben. Analog gibt es die Idee, auch eine Tanzausbildung anzubieten. Bei beiden Vorhaben stoßen die Initiatoren auf folgendes Problem: Sie wollen die werkstattberechtigten Menschen für Engagements auf dem künstlerischen Arbeitsmarkt ausbilden. Sie können diese Engagements als bezahlte Tätigkeiten jedoch nicht annehmen, weil sie kein Honorar einnehmen bzw. dies mit anderen Leistungen verrechnen müssten. Ganz aus dem Werkstattrahmen auszusteigen und sich vollständig auf den volatilen künstlerischen Arbeitsmarkt zu verlassen, ist für den Personenkreis jedoch auch nicht möglich, jedenfalls nicht zu Beginn. Sollten wir also wert darauf legen, dass auch werkstattberechtigte Menschen die Möglichkeit haben sich eine künstlerische Berufstätigkeit aufzubauen, müssten hier Regelungen entworfen werden, wie dies gelingen kann.


    Gegen die z.T. sehr langen Bearbeitungszeiten von Anträgen auf Teilhabe würde die Ausweitung der Genehmigungsfiktion nach § 18 (3) SGB IX auf alle Bereiche der Eingliederungshilfe helfen können.


    Abgesehen davon denke ich: Wir haben inzwischen ein gesetzliches Instrumentarium, mit dem wir sehr viel mehr Teilhabe an Arbeit realisieren könnten, als uns aktuell gelingt. Das Hauptproblem sind nicht fehlende Gesetze, sondern die zähe, restriktive, bürokratische Umsetzung.

  • Mitte letzten Jahres sind mit dem Berufsvalidierungs- und -digitalisierungsgesetz (BVaDiG) wesentliche Änderungen im Berufsbildungsgesetz (BBiG) und in der Handwerksordnung (HWO) in Kraft getreten.


    Unter anderem wurde die „mobile Ausbildung“ in § 28 Absatz 2 S. 2 BBiG eingeführt. Nach dieser Regelung sollen in Zukunft Ausbildungsinhalte in angemessenem Umfang auch digital, also mobil und ohne gleichzeitige Anwesenheit der Auszubildenden und ihrer Ausbilder vermittelt werden können. Der Gesetzgeber will dadurch die Attraktivität von Ausbildungsplätzen steigern und Auszubildende schon mit einer zeitgemäßen Ausbildung auf ein späteres Berufsleben mit mobiler Arbeit vorbereiten (BT-Drucksache 20/10857, S. 33). Hiervon könnten in Zukunft auch Menschen profitieren, die aufgrund ihrer Beeinträchtigung in der Mobilität eingeschränkt sind. Bei den berechtigten Erwartungen durch die Änderung darf allerdings keinesfalls vernachlässigt werden, dass auch digitale Vermittlungsformate barrierefrei gestaltet werden müssen. Vorschläge wie das gelingen kann, sammelt das Studierendenwerk (https://www.studierendenwerke.…othek/barrierefreie-lehre). Die Ergänzung des § 28 Abs. 2 S. 3 BBiG durch das BVaDiG ermöglicht es dem Hauptausschuss des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB), Empfehlungen zur näheren Ausgestaltung bezüglich des digitalen mobilen Ausbildens zu beschließen. Die aktuelle Empfehlung des Hauptausschusses des BIBB vom 20. Juni 2023 zum „Mobilen Ausbilden und Lernen“ enthält bisher keinerlei Inhalte zur Barrierefreiheit. Hier gilt es nachzusteuern.


    Wie Ausbilder die mobile Ausbildung anwenden und welche tatsächlichen Besserungen für ein inklusives Ausbildungssystem eintreten, muss aufmerksam beobachtet werden.