Welche Rolle spielen Zusatzqualifikationen für die Ausbildung behinderter Menschen in den Betrieben?

    • Offizieller Beitrag
    • Von verschiedenen Seiten (Politik, Bildungsträger) werden die Rehabilitationspädagogische Zusatzqualifikation für Ausbilderinnen und Ausbilder (ReZA) bzw. die Kosten und der Zeitaufwand als eine Ursache für den Rückgang von betrieblichen Ausbildungen für Menschen mit Behinderungen gemäß § 66 BBiG / § 42r HwO gesehen. Wie beurteilen Sie dies? Welche Erfahrungen liegen hierzu vor?
    • Wie können Kammern eine inklusive Ausbildung in Betrieben unterstützen?
    • Welche Qualifikationen und Kenntnisse sind wichtig, um der Zielgruppe Menschen mit kognitiven Einschränkungen gerecht werden zu können?

    Dies ist ein Fragenimpuls des Teams.

  • Die ReZA ist DAS Hindernis für die Verbreitung von Fachpraktiker-Ausbildungen auf dem Arbeitsmarkt und DER Grund, warum diese Ausbildungen weit weit überwiegend außerbetrieblich stattfinden. Das macht die Praxis der Fachpraktiker-Ausbildung tatsächlich zu einem systemfremden Element in unserem Berufsausbildungssystem. Ich erinnere mich, dass außerbetriebliche Ausbildungen (nicht nur im Reha-Bereich) in den 80er Jahren ausdrücklich als Notnagel aufgebaut wurden, weil wir einen erheblichen Mangel an Ausbildungsplätzen hatten. Dabei war immer klar: Die betriebliche Ausbildung muss Vorrang haben, weil sie erfolgreicher bei der Integration in den Arbeitsmarkt ist - durch Lernen in der Praxis und den "Klebeeffekt", die die außerbetriebliche Ausbildung nicht per se bietet und die junge Menschen mit Behinderung sogar noch dringlicher bräuchten als andere.

    Insofern ist es sehr nachteilig für junge Menschen mit Behinderung, dass es bisher nicht gelungen ist, die ReZA-Pflicht abzuschaffen.

    Wir machen in unserem Ausbildungsprojekt die Erfahrung

    - dass den meisten Betrieben nicht bekannt ist, dass der unterstützende Träger die ReZA beisteuern kann (wird in unserem Projekt für unseren unterstützenden Träger von der Kammer so akzeptiert),

    - dass es mit Unterstützung durch einen Träger nicht notwendig ist, dass ein Ausbildungsbetrieb selbst über besondere Kenntnisse verfügen müsste. Gutes Jobcoaching führt dazu, dass Ausbilder und Kollegen sich einarbeiten, wie die Zusammenarbeit mit dem Azubi mit Behinderung gut funktioniert,

    - dass Kammern die Betriebe zu Fachpraktiker-Ausbildungen ermutigen können, dass aber selbst gut gemeinte Beratung auch das Gegenteil bewirken kann. Wir haben erlebt, dass Betriebe nach einer Beratung von ihrer Ausbildungsabsicht abgerückt sind. Die Beratung hatte offenbar so einprägsam besondere Bedürfnisse der Azubis mit Behinderung und besondere Fürsorgepflicht für diese Azubis betont, dass die Aufgabe die man sich vor der Beratung zugetraut hat, nun zu groß erschien.

    Bei aller unbestritten notwendigen Berücksichtigung besonderer Bedürfnisse: Man kann - auch in bester Absicht - die Latte so hoch legen, dass niemand mehr drüber kommt. Das ist aus meiner Sicht durchaus ein Grundproblem, warum wir mit der Inklusion nicht vorankommen.

  • In Oldenburg führen wir seit 15 Jahren erfolgreich Ausbildungen für Menschen mit Behinderungen in integrativer Form durch. In dieser Zeit konnte allerdings kein einziger Ausbildungsbetrieb für eine kooperative Form der Ausbildung gewonnen werden. Ein wesentlicher Grund hierfür ist tatsächlich der hohe zeitliche und finanzielle Aufwand für die Rehabilitationspädagogische Zusatzqualifikation (ReZA), die für viele Betriebe des allgemeinen Arbeitsmarktes eine kaum zu bewältigende Herausforderung darstellt und enorme Ausgaben beinhaltet.

    Die integrative Form der Ausbildung, wie sie von uns umgesetzt wird, hat sich in der Praxis hier als äußerst wirkungsvoll erwiesen. Sie ermöglicht eine schrittweise, individuell begleitete Annäherung an den allgemeinen Arbeitsmarkt. Durch die intensive Unterstützung durch das Fachpersonal erhalten die Auszubildenden nicht nur eine fachlich fundierte Qualifikation, sondern auch die notwendige sozialpädagogische Begleitung, um den Übergang in das Berufsleben erfolgreich zu gestalten.

    Ein zentraler Erfolgsfaktor sind die zahlreichen begleiteten Praxisphasen in Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarktes. Diese ermöglichen es den Auszubildenden, Erfahrungen zu sammeln und Netzwerke zu knüpfen. Gleichzeitig gewinnen Unternehmen wertvolle Einblicke in das Potenzial der zukünftigen Fachkräfte. In den meisten Fällen führt diese enge Verzahnung zwischen Theorie und Praxis dazu, dass die Auszubildenden nach Abschluss ihrer Ausbildung heimatnah in den Betrieben übernommen werden.

    Umso bedauerlicher ist es, dass in Oldenburg in diesem Jahr keine neuen Ausschreibungen für diese Form der Ausbildung erfolgen. Dies liegt auch daran, dass die Beschulung der Auszubildenden nicht mehr gewährleistet werden kann – trotz des bestehenden Rechtsanspruchs!

    Diese Entwicklung stellt eine erhebliche Einschränkung für junge Menschen mit Behinderungen dar, die auf eine spezialisierte, begleitete Ausbildung angewiesen sind, um eine realistische Chance auf eine nachhaltige berufliche Integration zu erhalten.

    Unsere langjährige Erfahrung zeigt, dass die integrative Ausbildung mit fachlicher Begleitung eine wesentliche Brücke zwischen Schule und Beruf bildet, es ist daher von großer Bedeutung, dass nachhaltige Lösungen gefunden werden, um diese erfolgreiche Ausbildungsform auch weiterhin anbieten zu können.

    Wir müssen weg von dem Vergaberecht!

  • Interessant das es bei Ihnen so geht. Wo sind Sie ansässig und wie ist Ihr Ausbildungsprojekt organisiert bzw. finanziert?

    Das ist hier vor Ort nicht möglich, dass die Qualifikation durch jemanden anderen gestellt wird. Nichts desto trotz bin ich für einen Teil der jungen Menschen überzeugt von dem Konzept der Fachpraktiker.

  • Die ReZA bietet sicherlich Unterstützung für größere Betriebe, die regelmäßig auch Menschen mit Behinderungen ausbilden. Hier lohnt sich der Zeitaufwand für die zusätzliche Qualifizierung und intensivere Begleitung während der Ausbildung und auch danach.

    Die Ausbildungsberechtigung in einem Handwerksbetrieb hat der Betriebsinhaber durch seine Meisterausbildung erworben. Gegebenenfalls gibt es einen Gesellen, der den Ausbildereignungsschein (AdA-Schein) erworben hat und die Gesellen im Betrieb betreut. Dies ist in der Regel nur bei größeren Betrieben der Fall, die regelmäßig und in großer Zahl ausbilden. Dies ist im Handwerk eher selten der Fall.

    Meiner Erfahrung nach ist die Akzeptanz einer ReZA im Handwerk sehr gering. Dafür gibt es meines Erachtens mindestens drei Gründe:

    • Es gibt für den Betrieb keinen konkreten Anlass für eine Qualifizierung. Die Qualifizierung wird nicht "auf Vorrat" erworben.
    • Der Zeitaufwand von 400 UE steht in keinem Verhältnis zur Chance, einen geeigneten Auszubildenden zu finden. Auch "Crashkurse", die dann 80 UE umfassen, scheinen keinen Anreiz zu bieten.
    • Es fehlen Strukturen im Betrieb, die dem erhöhten Ausbildungsaufwand gerecht werden. Die Betriebe sind angesichts des Fachkräftemangels einmal mehr damit beschäftigt, die vorhandenen Personalressourcen effizient einzusetzen. Da bleibt in der Regel keine Zeit, sich um Auszubildende mit erhöhtem Betreuungsaufwand zu kümmern.

    Im Kreis der Inklusionsberater der Handwerkskammern bundesweit wird das Thema ReZA durchaus kontrovers diskutiert. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass auf der einen Seite der Nutzen für den Betrieb gesehen wird, auf der anderen Seite aber auch die Problematik der oben skizzierten Gründe für die Nicht-Akzeptanz gesehen wird.

    So hat sich bei den meisten Handwerkskammern ein eher pragmatischer Weg durchgesetzt. Ausbildungsverhältnisse werden auch ohne ReZA akzeptiert, wenn die Auszubildenden von einer fachkundigen Person begleitet werden. Das kann jemand vom IFD oder BBW sein, ein Jobcoach oder eine andere Begleitung. Nach meiner Erfahrung stellt sich dann eher die Frage nach der Finanzierung dieser Begleitung.

    Ich habe schon vor über 20 Jahren Gespräche mit regionalen Arbeitskreisen der Unternehmerfrauen im Handwerk geführt. Schon damals wurde der Wunsch nach externer Unterstützung für verhaltensauffällige oder als "schwierig" bezeichnete Jugendliche laut. Fachlich können sich die Betriebe um diese Menschen kümmern, aber für eine sozialpädagogische bzw. hier rehapädagogische Begleitung der jungen Menschen fehlte und fehlt nicht nur die fachliche Kompetenz, sondern häufig auch die Zeit. Dabei geht es ja nicht nur um die fachliche Qualifizierung der Betroffenen während der Ausbildung, sondern auch um Gespräche mit Eltern, Schule und ggf. anderen Beteiligten, wenn Probleme auftreten.

  • Ich kann das nur unterstreichen, was mein direkter Kollege Herr Schwarz sagt. Für kleine Handwerksbetriebe ist die Reza-Qualifizierung nicht attraktiv, auch wenn sie teilweise auch Jugendliche mit einer Behinderung oder Förderbedarf aufnehmen könnten. Allerdings braucht es aus meiner Sicht hier dann eh eine Begleitung durch Sozialpädagogen. Wenn Betrieb und junger Mensch diese Ansprechperson an die Seite gestellt bekommen, dann kann das ganze schon funktionieren.

    Im Stuttgarter Raum gibt es sowohl integrative Ausbildungen (also im Bildungsträger), als auch kooperative Ausbildungen (über Bildungsträger, aber betriebliche Ausbildung findet im Betrieb statt). Für letzteres benötigt der Betrieb keine Reza, sondern nur der Bildungsträger.

    Noch attraktiver ist für junge Menschen die begleitet betriebliche Ausbildung. Hier wird dann sogar der Ausbildungsvertrag über den Betrieb geschlossen und der Azubi bekommt - meines Wissens - die normale Ausbildungsvergütung. Dennoch stellt ein Bildungsträger die Begleitung/Betreuung von jungem Mensch und Betrieb sicher.

    Hier liegt es aus meiner Sicht bei der Arbeitsagentur bzw. der Bundesagentur für Arbeit solche Ausbildungsformen noch mehr zu finanzieren.

    Die Kammern müssen Betriebe mehr darüber informieren, dass es Möglichkeiten bei Jugendlichen mit Lernschwierigkeiten oder psychischen Beeinträchtigungen gibt, Unterstützung über die Agentur für Arbeit zu erhalten. Vielleicht kann auch durch die vermehrte Nachfrage auf lange Sicht ein größeres Angebot bei der Bundesagentur für Arbeit erwirkt werden.

    Eine enge Zusammenarbeit zwischen Agentur, Bildungsträger und Kammer wäre hier wünschenswert, um der Reha-Zielgruppe entsprechend gute Möglichkeiten zu bieten.