Je nachdem, wie stark die Beeinträchtigung ist, ist Teilhabe wohl nur mit Abstrichen möglich, auf jeden Fall wird das immer sehr individuell behandelt werden müssen. Was für einen Mindestanspruch darf man stellen?
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Aus meiner Sicht ist der "Mindestanspruch" durch die Wahrung der Menschen- und Grundrechte definiert. In der UN-Behindertenrechtskonvention, die seit 2009 Teil des deutschen Rechts ist, sind die allgemeinen Menschenrechte für die behinderten Menschen konkretisiert. Und zu den behinderten Menschen zählen auch alle pflegebedürftigen Menschen (schon nach deutschem Sozialrecht; vgl. die Definitionen von Pflegebedürftigkeit und Behinderung in SGB XI und IX). Dieser "Mindestanspruch" (bzw. die entsprechenden vielfältigen "Mindestansprüche") ist allerdings wegen entgegenstehender rechtlicher und tatsächlicher Gegebenheiten häufig nicht durchsetzbar. Beispiel: Jeder Mensch hat das Recht auf eine geschützte Privat- und Intimsphäre. Wenn im Pflegeheim aber nur ein Platz im Doppelzimmer frei ist (oder wenn das Geld für den Einzelzimmerzuschlag fehlt), ist es damit schon Essig. Deutschland ist gefordert, umfassende Anpassungen zur Verwirklichung der in der Behindertenrechtskonvention definierten Menschenrechte vorzunehmen.
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Teilhabe ist ein im SGB IX in mehrfacher Hinsicht verwendeter, jedoch an keiner Stelle definierter Begriff. Zum einen ist ein Mangel an Teilhabe eine Voraussetzung für das Vorliegen einer Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 SGB IX. Zum anderen ist die Herstellung von Teilhabe das Ziel der sog. Leistungen zur Teilhabe nach dem SGB IX. Im Recht der Pflegeversicherung stellt der Begriff der Teilhabe keinen eigenständigen Terminus dar. Mit dem Begriff der "teilhabeorientierten Pflege" wird von Verbänden etc. regelmäßig die Forderung verknüpft, das Recht der Pflegeversicherung an den Grundsätzen von Selbstbestimmung und Teilhabe nach dem SGB IX, § 1, auszurichten. Bislang sind die Pflegekassen aber keine Rehabilitationsträger und an das SGB IX nicht gebunden. Demgegenüber ist die Praxis der Pflege und der Pflegewissenschaft meiner Wahrnehmung nach wesentlich weiter und ihrem Selbstverständnis nach durchaus an einer teilhabeorientierten Pflege ausgerichtet.
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Inwieweit ist hier auch die "berufliche Teilhabe pflegebedürftiger Menschen" betroffen? Gibt es eventuell Modelle oder Beispiele hierzu?
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Soweit ein pflegebedürftiger Mensch zugleich eine Behinderung im Sinne des § 2 SGB IX hat bzw. von einer solchen bedroht ist, kommen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach §§ 33 ff. SGB IX in Verbindung mit den Leistungsgesetzen der Rehabilitationsträger in Betracht. Hier gilt aber wiederum, dass die Pflegeversicherung bislang nicht in den Kreis der Rehabilitationsträger nach dem SGB IX einbezogen und damit kein Träger der Leistungen zur beruflichen Teilhabe ist.
Ob es sinnvoll ist, die Leistungen der Pflegeversicherung im Bereich Ausbildung und Beruf gänzlich auszuschließen, war jüngst Gegenstand einer Kontroverse zum Referentenentwurf des Pflegestärkungsgesetzes II. In § 36 Abs. 2 Satz 2 des Entwurfs was das so vorgesehen. In der Praxis scheint es nach den mir bekannten Rückmeldungen weitgehend so zu laufen, dass die Pflegeleistungen im Bereich Ausbildung und Beruf von den jeweils zuständigen Rehabilitationsträgern mit übernommen werden. Im Gesetz ist dies jedoch nicht ausdrücklich sichergestellt. Solange das nicht der Fall ist, halte ich einen Ausschluss im SGB XI für problematisch. Im aktuellen Regierungsentwurf ist dieser Satz nunmehr nicht mehr enthalten.