Bewerbungsgespräche in Zeiten von Corona

  • Als Vertrauensperson hat mich die Nachricht erreicht, dass in meiner Dienststelle für Ende April 2020 persönliche Vorstellungsgespräche geplant sind unter Beteiligung ua der Schwerbehindertenvertretung, weil ein Bewerber in der Bewerbung auf seinen GdB von 80 und die Merkzeichen G und aG hingewiesen hat.


    Hierzu habe ich zwei Fragenkomplexe, die zum einen den schwerbehinderten Bewerber betreffen und zum anderen die Arbeit der Schwerbehindertenvertretung.


    a) Kann derzeit ein herkömmliches Bewerbungsgespräch in Anwesenheit des Bewerbers, des Arbeitgebervertreters und der Mitarbeitervertretungen - hier noch verbunden mit einer Anreise des Bewerbers in Begleitung bei einer zu überwindenden Distanz von mehr als 100 km - den Grundsätzen eines fairen Bewerbungsverfahrens überhaupt noch entsprechen? Ist der Arbeitgeber unter Fürsorge- und Arbeitsschutzgesichtspunkten nicht vielmehr gehalten, auf andere Formen von Bewerbungsgesprächen (zB Videokonferenz) auszuweichen?


    b) Meine Vertreterin und ich gehören einer Risikogruppe an und sollen - nach der Empfehlung de RKI - beide persönliche Kontakte minimieren, mit der Folge, dass wir beide etwaigen Bewerbungsgesprächen aus gesundheitlichen Gründen fernbleiben müssen. Die Schwerbehindertenvertretung kann danach ihr Recht auf Teilnahme an einem Bewerbungsgespräch derzeit nicht ausüben. Hat auch dies Auswirkungen auf die Pflicht des Dienstherrns auf andere Forme von Gesprächen auszuweichen?

  • Vielen Dank an sbv für diese konkrete und praktische Anfrage, zu der ich mit einer kleinen Vorbemerkung beginnen will.
    Die jetzige Situation zeigt deutlich, dass viele Dienststellen in Deutschland bei der Digitalisierung weit zurück hängen. In einer europäischen Evaluation zur deutschen Arbeitsschutzorganisation hatten vor allem die skandinavischen Teilnehmer darauf hingewiesen, dass ihren deutschen Kolleginnen und Kollegen nur in geringem Umfang digitale Hilfsmittel zur Verfügung stehen, die in ihren Ländern üblich sind. Natürlich müsste man in der jetzigen Situation zuerst prüfen, ob eine Videokonferenz oder eine skype-Kommunikation möglich sind. In unserem Institut haben wir in der letzten Woche die Sitzung des Arbeitsschutzausschusses nicht vertagt, sondern die dringlichen Fragen in einer sehr effektiven Videokonferenz beraten. Deshalb ist natürlich zuerst zu klären, ob die Bewerbungsgespräche (das muss ja auch für die anderen Bewerbungen gelten) digital erfolgen können. Möglicherweise ist das aber in Ihrer Dienststelle nicht/noch nicht möglich.
    Für Bewerberinnen und Bewerber gilt natürlich, dass ihnen eine Anreise nicht zugemutet werden kann, wenn sie zu einer Risikogruppe gehören. Dazu ist die Liste des RKI hilfreich. Gehbehinderung ist aus meiner Sicht per se noch keine Corona-Risikogruppe, das muss mit dem Bewerber geklärt werden. Behinderung bedeutet nicht, dass alle Behinderten zu Hause bleiben müssen.
    Für die Beteiligung der SBV ist bei Ihrem Beispiel die Videokonferenz elementar, dass sie und ihre Vertreterin nicht an einem innerbetrieblichen Gespräch teilnehmen können. Aber die Bewerberinnen und Bewerber haben auch ein Recht darauf, dass über ihre Bewerbung zügig entschieden wird. Es soll ja weiter gehen. Deshalb ist die vorrangige Frage, dass nach der Neuregelung im SGB IX bei ihrer Verhinderung erst einmal die zweite oder dritte Stellvertreterin nur für diese Tätigkeit im Bewerbungsgespräch eintritt, wenn in ihrer Dienststelle die sachlich gebotene Videokonferenz nicht möglich ist.

  • Im übrigen erlangt auch gerade jetzt der Begriff der angemessenen Vorkehrungen der UN-BRK hier in Verbindung mit § 178 Abs. 2 SGB IX. Im übrigen dürfte aber die Notwendigkeit bestehen, Bewerbungsverfahren auszusetzen.


    DR. Theben