Beibehaltung der 42-Tage-Regelung trotz Corona-Pandemie (Abwesenheitsreglungen § 16 FFV LRV)

  • Ich habe in den letzten Woche mitbekommen (besonders aus Niedersachsen), dass trotz der Schließung der WfbMs und der damit einhergehenden Notwendigkeit, dass die dort (unentlohnt) arbeitenden Personen nun zu Hause bleiben; bei Personen, die in WGs des ‚vollstationären Wohnens‘ leben, die sogenannte 42-Tage-Regelung (Abwesenheitsreglungen § 16 FFV LRV) nicht ausgesetzt wird.


    Aktuell ist es nämlich so, dass - durch die Aufrechterhaltung dieser sowieso grunsätzlich problematischen Regelung - Menschen, die in vollstationären WGs leben durch eine Entscheidung, die Zeit der Corona-Pandemie vielleicht lieber bei ihren Freund/innen, Familien oder oder wo auch immer verbringen zu wollen, der eigene WG-Platz gefährdet wird und/oder die Personen Gefahr laufen sich hohen Kosten ausgesetzt zu sehen (und das bei sowieso keiner Entlohnung ihrer Arbeit). Schließlich ist es ja momentan unklar, ab wann die WfbMs wieder öffnen und der Alltag wieder eingekehrt, sodass mit einer Entscheidung, die akute Pandemiezeit NICHT in vollstationären WGs zu verbringen, die Personen potentiell sehr schnell „über“ die 42 Tage außerhalb der Regelung kommen. Diese Aufrechterhaltung führt dazu, dass einige Menschen keinerlei Wahl haben, wo sie diese Zeit verbringen wollen, ohne dass die eigenen Wohnbedingungen bedroht sind.


    In Niedersachsen wurde schon Kontakt mit Personen aus dem Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung aufgenommen . Da kamen eher desinteressierte Antworten. Außerdem wurde auch schon mit der Landesbeauftragten von NDS für Menschen mit Behinderungen aufgenommen, sowie auch zum Bundesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen - allerdings gab es da bisher noch keine weitere Antwort. Die Kontaktaufnahme ging bisher nur von Einzelpersonen aus. Erste Einschätzungen aus juristisch-menschenrechtlicher Perspektive kommen (wenig überraschend) zu dem Schluss, dass das eigentlich nicht geht.


    Außerdem gibt es auch mit dem aktuellen Gesetzesbeschluss des Bundestages vom 26.03.2020 (Drucksache 148/20) nach Artikel 10 § 2 und § 3 (und Begründung S. 35/36) für die Leistungserbringer keine Grundlage für eine Kündigung oder auch Zwang der Nutzer*innen zur Eigenfinanzierung, weil die Leistungerbringer sich refinanzieren können bzw. der Leistungsträger das Entgelt wegen des Sicherstellungsauftrags von vornherein nicht kürzen darf.
    http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/181/1918107.pdf


    In Niedersachsen gibt es mittlerweile Gespräche mit den Landesregierung und der LAG FW (Landesarbeitsgemeinschaft FreieWohlfahrt) und der LACB (Landesarbeitsgemeinschaft der Angehörigenvertretungen in Caritaseinrichtungen der Behindertenhilfe in Niedersachsen) bezüglich der Aufhebung der Regelung, aber bisher noch kein Ergebnis.


    Ich freue mich über Ideen, Kommentare, Einschätzungen oder weitere Infos zu diesem Thema bzw. welche Schritte vielleicht noch gegangen werden können.

  • Die Frage des Verlustes des Wohnheimplatzes nach 42 Tagen Abwesenheit sollte meines Erachtens erst mal etwas angstfreier Betrachtet werden. Alle Bewohner von Wohnheimen sollten ja in etwa so behandelt werden wie alle anderen Bürger: Der Schutz Ihrer Wohnung ist bezüglich Mietrückständen auf Bundesebene geregelt worden. Ich denke aus Gleichbehandlungsgründen muss auch eine Wohnheimplatz erhaltende zumindest befristete Regelung getroffen werden, leider wohl in jedem Bundesland für das eigene Land.
    Argumente gibt es ja viele: Wohnheime sind ja nur bedingt als tagesstrukturierende Plätze aufgestellt. Der "Familienbesuch" des WfbM-Beschäftigten kann zudem ja wirtschaftlich entlasten, ist vermutlich in (fast) jedem Falle gut für soziale Teilhabe.
    Ich denke, die angesprochenen Gremien und Beauftragte haben eigentlich keine Wahl, als sich zumindest für eine befristet Aussetzung dieser 42 Tage-Regelung einzusetzen.
    Auch bei allen Bewegungseinschränkungen wegen Corona bleibt ja der Familienbesuch (bisher) erlaubt. Und man sollte ja jetzt neben de Gruppe der Senioren in Pflegeheimen keine weitere Gruppe schaffen, denen die soziale Teilhabe übermäßig eingeschränkt wird. Das Recht auf soziale Teilhabe hat auch juristisch einen hohen Wert und ist nur soweit wie unbedingt notwendig auch in Corona Zeiten einzuschränken.

  • Die Hauptproblematik besteht nicht nur in der Abwesenheitsregelung von 42 Tagen, die spezifisch für bestimmte Bundesländer ist, allerdings nicht bundesweit gilt. Hiermit möchte ich feststellen, dass die Finanzierung von Wohnangeboten gegenwärtig bundesweit noch nicht sichergestellt ist und zwar unabhängig von der Abwesenheitsregelung von 42 Tagen. Artikel 10 im Sozialdienstleister-Einsatzgesetz (SoeDG) regelt die Voraussetzungen für die Gewährung von Zuschüssen an Einrichtungen und soziale Dienste zur Bekämpfung der Coronavirus SARS-CoV-2 Krise, die entweder die Leistungen aufgrund von Schließungen nicht mehr erbringen bzw. nur zum Teil erbringen; insbesondere fallen die Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderung nicht unter den Schutz dieses Gesetzes, wenn Leistungen weiter erbringen und Mehrkosten für Sachkosten (Schutzausrüstung, Masken, Desinfektionsmittel) und Personalkosten (durch die Betreuung und Versorgung zu den Zeiten, in der sich die Menschen tagsüber nicht in Tagesförderstätten, Schulen, Kitas oder Werkstätten aufhalten) haben. Heute kommt es schon zu teilweisen Refinanzierungslücken aufgrund von immensen Zusatzkosten, die bisher nicht refinanziert werden.


    Selbstverständlich müßte eine Regelung, die über die Abwesenheitsregelung hinausgeht, getroffen werden. Zuständig sind die einzelnen Träger der Eingliederungshilfe, die gegenwärtig sehr unterschiedlich sich verhalten. In NRW und in Bayern wurde die Finanzierung in Aussicht gestellt, in anderen Bundesländern ist die Finanzierung von Wohnangeboten noch nicht sichergestellt. Gleichwohl werden die Träger von Einrichtungen alles Menschliche tun, um die Wohnorte für Menschen mit Behinderung zu erhalten.

  • @J.Bessenich


    soweit Sie schreiben, dass das SoeDG auf Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderungen keine Anwendung finden würde,lese ich die entsprechende Gesetzesbegründung S. 35 anders. Auch der Wortlaut in § 1 gibt das m.E. so nicht her.


    Im übrigen gehe ich eigentlich davon aus, dass etwaige Abwesenheitsregelungen derzeit grundsätzlich keine Anwendung finden...


    DR. THeben

  • Vielen Dank für die Antworten,


    nur um noch einmal die aktuelle Situation zumindest in Niedesachsen darzustellen: Aktuell ist es so, dass dort weiterhin die Regelung gilt und zumindest bisher die Landesregierung darauf besteht, dass die Regelung für die Pandemie-Zeit nicht angepasst oder ausgesetzt wird. Deswegen stellt das momentan leider konkret ein Problem für Nutzer*innen dar.


    In Sachsen-Anhalt wurde sie wohl ausgesetzt, habe ich nun gestern gehört.

  • In der Tat sind die Informationen hierzu recht spärlich und intransparent. Ein rechtlich durchsetzbarer Anspruch auf Aussetzung besteht nur ggf. nur im Einzelfall. Generell können darüber nur die Vertragspartner der jeweiligen Rahmenverträge befinden.


    Dr. Theben