Wahlfreiheit bei der Versorgung mit Hilfsmitteln

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    Besteht bei der Versorgung mit einem Hilfsmittel (z.B. Rollstuhl) Wahlfreiheit des Betroffenen, oder kann der Kostenträger vorgeben, welche Ausführung bewilligungsfähig ist?

  • Dies hängt von der Art und Weise der Hilfsmittelverordnung im Einzelfall ab. Es können zwei grundlegende Konstellationen unterschieden werden. Für den Bereich der GKV wird dies durch die Hilfsmittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (kurz Hilfsmittel-Richtlinie, HilfsM-RL) erläutert. Bei den folgenden Ausführungen gehe ich davon aus, dass das begehrte Hilfsmittel (A) notwendig, ausreichend und auch zweckmäßig ist, d.h. das ein Leistungsanspruch im Sinne des § 33 SGB V besteht.


    Gemäß § 6 Abs. 4 und 5 HilfsM-RL ist bei der Verordnung von Hilfsmitteln der Grundsatz von Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit (vgl. § 12 SGB V) zu beachten. Vor der Verordnung eines Hilfsmittels (A) soll daher geprüft werden, ob entsprechend dem Gebot der Wirtschaftlichkeit das angestrebte Behandlungsziel durch andere Maßnahmen (= anderes Hilfsmittel B) erreicht werden kann. Wenn dem so wäre, d.h. wenn ein anderes Hilfsmittel (B) wirtschaftlicher und ebenfalls ausreichend und zweckmäßig wäre, bestände für das erste Hilfsmittel (A) kein Leistungsanspruch. Von gleichartig wirkenden Hilfsmitteln (A + B) ist nämlich gemäß Hilfsmittelrichtlinie im Rahmen der Indikationsstellung das nach Art und Umfang dem Gebot der Wirtschaftlichkeit entsprechende zu verordnen.


    Das Hilfsmittelverzeichnis dient hierbei als Orientierungs- und Auslegungshilfe und bietet einen für Vergleichszwecke geeigneten Überblick, so die Hilfsmittelrichtlinie. D.h. alle Hilfsmittel in einer Produktart werden in der Regel als gleichartig und gleichwertig und damit gegeneinander austauschbar gesehen (so. z.B. im Bereich der aufsaugenden Inkontinenzversorung). Eine Ausnahme stellen aber z.B. Beatmungsgeräte oder CPAP-Therpaiegeräte der Produktgruppe 14 dar. Auch wenn diese in einer Produktart aufgelistet sind, können diese nicht ohne weiteres gegeneinander getauscht werden.


    1. Konstellation - Produkte sind gleichartig und gleichwertig, können gegeneinander getauscht werden (A = B)


    § 7 Abs. 3 HilfsM-RL bestimmt zunächst, dass bei der Verordnung eines Hilfsmittels, das im Hilfsmittelverzeichnis aufgeführt ist, entweder die Produktart entsprechend dem Hilfsmittelverzeichnis genannt oder die 7-stellige Positionsnummer angegeben werden soll (austauschbare Produkte). Das Einzelprodukt wird dann grundsätzlich vom Leistungserbringer (z.B. Sanitätshaus) nach Maßgabe der mit den Krankenkassen abgeschlossenen Verträge zur wirtschaftlichen Versorgung mit der oder dem Versicherten ausgewählt. Zwischen mehreren gleichermaßen geeigneten und wirtschaftlichen Hilfsmitteln haben die Versicherten die Wahl. Wünschen der Versicherten soll bei der Verordnung und Auswahl der Hilfsmittel entsprochen werden, soweit sie angemessen sind. Wählen Versicherte Hilfsmittel oder zusätzliche Leistungen, die über das Maß des Notwendigen hinausgehen, haben sie die Mehrkosten und dadurch bedingte höhere Folgekosten selbst zu tragen (§ 6 Abs. 6 HilfsM-RL und § 33 SGB V).


    2. Konstellation - Produkte sind nicht gleichartig und gleichwertig, können nicht gegeneinander getauscht werden (A ≠ B)


    Alternativ ist es gemäß § 7 Abs. 3 HilfsM-RL auch möglich, dass wenn es der Verordner für erforderlich hält, ein spezielles Hilfsmittel einzusetzen, es freigestellt ist, in diesen Fällen unter Verwendung der 10-stelligen Positionsnummer eine spezifische Einzelproduktverordnung, d.h. unter Benennung eines konkreten Produkts, durchzuführen. Allerdings ist dann eine entsprechende Begründung erforderlich (z.B. bei o.g. CPAP-Therpaiegeräten die zwingend erforderliche Druckanpassung durch den Arzt im Schlaflabor) Die Begründung des Verordners muss belegen, dass das besondre Hilfsmittel mit seinen besondern Eigenschaften Notwendig ist und das andere Hilfsmittel nicht ausreichend und zweckmäßig wären. Änderungen und Ergänzungen der Verordnung von Hilfsmitteln bedürfen einer erneuten Unterschrift des Verordners mit Datumsangabe (§ 7 Abs. 4 HilfsM-RL)..



    Sinngemäß gilt diese Regelungen auch für die Verordnung von Hilfsmitteln, die nicht im Hilfsmittelverzeichnis aufgeführt sind, entsprechend.

  • Grundsätzlich besteht bei allen Leistungen zur Teilhabe (§ 9 SGB IX) und darüber hinaus bei allen Sozialleistungen (§ 33 SGB I) Wahlfreiheit innerhalb des gesetzlichen Leistungsrahmens. Der Sozialleistungsträger kann diese Wahlfreiheit also nur aus rechtlich vorgesehenen Gründen einschränken. Das Bundessozialgericht hat dazu im "Shoprider"-Fall (BSG vom 3.11.1999, B 3 KR 16/99 R) sogar schon vor dem SGB IX ausgeführt:


    Unter verschiedenartigen, aber - wie hier - gleichermaßen geeigneten und wirtschaftlichen Hilfsmitteln, von denen zur "ausreichenden" (§ 12 Abs 1 Satz 1 SGB V) Bedarfsdeckung aber nur das eine oder das andere "erforderlich" iS des § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V ist, hat der Versicherte gemäß § 33 SGB I
    die Wahl. Diese gerade auch im Rahmen des Sachleistungsprinzips geltende Vorschrift besagt: "Ist der Inhalt von Rechten oder Pflichten nach Art oder Umfang nicht im einzelnen bestimmt, sind bei ihrer
    Ausgestaltung die persönlichen Verhältnisse des Berechtigten oder Verpflichteten, sein Bedarf und seine Leistungsfähigkeit sowie die örtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen, soweit Rechtsvorschriften
    nicht entgegenstehen. Dabei soll den Wünschen des Berechtigten oder Verpflichteten entsprochen werden, soweit sie angemessen sind." Die Vorschrift gilt nicht nur im Bereich reiner Ermessensleistungen (Entscheidungsermessen), in den der Anspruch auf Hilfsmittelversorgung
    nicht fällt, sondern entfaltet ihre besondere Bedeutung auch in den Fällen eines bloßen Auswahlermessens (vgl Mrozynski, SGB I, 2. Aufl 1995, § 33 RdNrn 2 und 4; Seewald in Kasseler Komm, § 33 RdNr 3). Bei der Versorgung mit Hilfsmitteln ist die Notwendigkeit, eine Wahl zu treffen, schon deshalb häufig gegeben, weil der Wettbewerb der Leistungserbringer für mehrere, unter Umständen auch zahlreiche gleichwertige Angebote auf dem Markt sorgt. Auch dort, wo nicht speziell ein Wahlrecht des Versicherten gesetzlich hervorgehoben wird, wie zB bei der freien Arztwahl (§ 76 SGB V) oder der Wahl des Krankenhauses (§ 39 Abs 2 SGB V), will § 33 SGB I nach der Begründung des Regierungsentwurfs (BT-Drucks 7/868 S 27) mit der Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse und der Wünsche des Betroffenen sicherstellen, daß nicht nur die Menschenwürde und die Freiheit des einzelnen gewahrt wird, sondern auch Gesichtspunkte der Effizienz zum Tragen kommen. Denn unter mehreren objektiv gleichwertigen Versorgungsmöglichkeiten weiß der Betroffene im Zweifel besser als der Versicherungsträger, welches Mittel seinen Bedürfnissen am ehesten gerecht wird."