Beiträge von Wolfgang Heine

    Ergänzend zu den beiden Kollegen: Es sollte mich sehr wundern, wenn der Wunsch, eine ambulante statt einer stationäre Einrichtung in Anspruch zu nehmen, abgelehnt würde. Denn erstere ist - wegen des Wegfalls der sog. Hotelkosten - 'billiger', und das wird allen Leistungsträgern nur recht sein.

    Die Kernvorschrift zu dieser Frage ist § 19 Absatz 4 Satz 1 SGB IX: "erfolgt die Auswahl danach, welcher Dienst oder welche Einrichtung die Leistung in der am besten geeigneten Form ausführt". Dabei ist auf den Einzelfall abzustellen, sonst machte diese Regelungsvorgabe überhaupt keinen Sinn. Deshalb ist selbstverständlich auch auf solche Kriterien wie die Maßnahme-ZIel-Relation oder die Reha-Fähigkeit in dem Sinne abzustellen, oder der Betroffene die jeweilige Maßnahme überhaupt erfolgversprechend durchführen kann.

    Herr Welti stellt das völlig zutreffend dar. Das Problem dabei ist nur, dass § 9 Absatz 1 Satz 2 am Ende sagt: "im Übrigen gilt § 33 des Ersten Buches" und damit wieder einen Verweis auf den Begriff des "Angemessenen" enthält, der dem, was "Berechtigt" ist, entgegengehalten werden kann. Der Gesetzgeber hat sich bis heute nicht dazu bereit gefunden, diesen derart schwammigen Verweis aus dem Gesetz zu entfernen, wie überhaupt das SGB IX in weiten Teilen ein Kompromißgesetz war und ist und deshalb den Leistungsträgern und der Rechtsprechung derart viel Auslegungsspielraum eröffnet. Hier wäre eine Novellierung überfällig! Insbesondere auch hinsichtlich des kuriosen § 7 SGB IX, der in seinem Satz 2 das Querschnittsgesetz SGB IX unter die eiserne Fuchtel der Besonderen Teile des SGB zu stellen scheint.Gerade dies nützt der 1. Senat des BSG rigoros zu Lasten der Betroffenen aus.

    Jenseits der von Herrn Welti beantworteten Frage zur Hilfsmittelwahl möchte ich darauf hinweisen, dass gerade die Existenz des Wunsch- und Wahlrechts seriöse Werbung mit Recht fordert. Wie soll man sich denn, gerade über das Internet, sonst informieren, wo ich welche Reha-Leistungen mit welchen Maßnahmen und Standards angeboten bekomme? Der Gesetzgeber hat die Krankenhäuser seit langem verpflichtet, ihre Qualitätsberichte zu veröffentlichen, und die Einrichtungen der medizinischen oder beruflichen Rehabilitation tun das Gleiche seit langem ebenfalls (jedenfalls in der Regel). Die Herstellung solcher Transparenz ist oft die einzige Grundlage dafür, dass die Betroffenen ihr Wunsch- und Wahlrecht ausüben können. In der Tat: Transparenz schafft Wünsche - oft zu Recht.

    Ich möchte zunächst darauf hinweisen, dass der Gesetzgeber das Wunsch- und Wahlrecht selber als ein ökonomisches Mittel zur besseren Zielerreichung einer Reha-Maßnahme angesehen hat, insbesondere unter dem Aspekt der sog. Compliance (vgl. dazu Fuhrmann/Heine, SGb. 2009, Seiten 516 bis 519). Es verkörpert bereits an sich ein rehabilitationsspezifisches Ökonomieprinzip. Darum ist die in der Rechtsprechung insbesondere des Bundessozialgerichtes vorgenommene, ständige Gegenüberstellung von Wunsch- und Wahlrecht einerseits, von dem in allen Büchern des SGB genannten Wirtschaftlichkeitsgebot andererseits überaus fragwürdig. Es kann normaler Weise zwischen dem Wunsch- und Wahlrecht und dem Wirtschaftlichkeitsprinzip keinen Widerspruch geben. Vielmehr handelt es sich dabei um einen von Leistungsträgern und Rechtsprechung konstruierten Scheinkonflikt, der sich nur daraus erklären lässt, dass sich beide Institutionen mit dem Wunsch- und Wahlrecht äußerst schwer tun, weil es quer liegt zu administrativem Denken einerseits, zum seit Jahren herrschenden Ökonomismus in der Gesundheits- und Sozialpolitik andererseits.


    Was die Preisgestaltung betrifft, so hat die frühere Rechtsprechung des 3. Senates des BSG schon seit langem für den Reha-'Markt' (tatsächlich ist das kein Markt im Sinne der Markttheorie) eine vollständige Preistransparenz verlangt (BSGE 89, Seite 305: "und die Vergleichbarkeit aller Preise mit denen anderer Anbieter gewährleistet ist"). Deshalb ja stellt insbesondere der Bundesrechnungshof, auch aus Antikorruptions-Gesichtspunkten heraus, seit langem die Forderung auf, dass die Träger Reha-Leistungen ausschreiben sollen. Ob dieses Mittel sinnvoll ist, möchte ich dahingestellt sein lassen - dazu gibt es eine riesige Diskussion, und die Bundesagentur für Arbeit, die ihre Reha-Leistungen seit langem ausschreibt, nutzt dieses Instrument zur bloßen Preisdrückerei.


    Diese ganze Angelegenheit würde aber spätestens dann wesentlich, wenn sich ein Sozialgericht dazu bereit finden würde, die Leistungen von zwei als "gleich geeignet" durch den Leistungsträger angesehenen Reha-Einrichtungen zu vergleichen, für den Fall nämlich, dass ein Versicherter in eine andere Einrichtung gehen möchte als die vom Leistungsträger für ihn vorgesehene, und diese möglicher Weise für den Betroffenen besser geeignet, aber auch teuerer ist. Dann müsste die Preisgestaltung in Relation zur angebotenen bzw. realisierten Leistungsqualität auf den Prüfstand gestellt werden. Das wäre nicht einfach, aber auch seitens eines Sozialgerichtes machbar. Man finde ein solches Gericht!

    Ich möchte, ergänzend zu den Kollegen, auf folgende Regelung aufmerksam machen, die ausschließlich für die stationäre Rehabilitation im Bereich der Krankenversicherung gilt: § 40 Absatz 2 Satz 2 1. Alternative SGB V. Dort heißt es zwar lediglich, dass Versicherte eventuell entstehende Mehrkosten tragen müssen, falls sie sich eine Reha-Klinik aussuchen, die zwar nach den Vorgabe der BAR (Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation - vgl. § 20 Absätze 2 und 2a SGB IX) zertifiziert ist, aber mit den gesetzlichen Krankenkassen keinen Versorgungsvertrag besitzt. Das bedeutet jedoch im Erst-Recht-Schluss: Wenn ich mir eine Reha-Klinik frei wählen kann, die keinen solchen Vertrag hat und bloß eventuelle Mehrkosten selber tragen muss, dann kann ich mir erst recht eine zertifizierte Vertragseinrichtung aussuchen, ohne irgendwelche Mehrkosten tragen zu müssen. Dass dies so auszulegen ist, ergibt sich auch aus den Gesetzgebungsmaterialien zum GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz, BT-Drucks. 16/3100, dort Seite 87, linke Spalte unten. Das bedeutet, dass Versicherte in der GKV, deren Antrag auf eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme bewilligt wurde, sich bundesweit die für sie und ihren individuellen Fall geeignete Vertrags-Reha-Klinik aussuchen können, ohne einen Pfennig zuzahlen zu müssen. Die Krankenkasse hat insoweit kein Zuweisungsermessen mehr, sie muss die Wahl der Betroffenen akzeptieren, es sei denn, es gäbe gewichtige Gründe, dass die Klinik im Einzelfall nicht "geeignet" ist (vgl. § 19 Absatz 4 Satz 1 SGB IX). Das BSG hat diese Regelung in seinen Urteilen vom 7.5.2013 völlig falsch ausgelegt (und die Vorinstanzen ebenfalls).