Beiträge von K. Nebe

    Die bisherigen Beiträge geben einen eindrucksvollen Überblick über die verschiedenen Konstellationen, wie Urlaub und Stufenweise Wiedereingliederung zusammenhängen können.

    Ich möchte noch einen weiteren Aspekt einbringen und zwar die Notwendigkeit, Urlaubsgewährung schon bei der Erstellung des ärztlichen Stufenplanes mitzudenken. Eine Stufenweise Wiedereingliederung ohne Rücksicht auf etwaige Unterbrechungen zur Urlaubsgewährung sollte vermieden werden. Zwar gilt arbeitsrechtlich der Grundsatz, dass bei ruhenden Hauptleistungspflichten (also keine Arbeit und kein Lohn) eigentlich auch ein Anspruch auf Urlaubsgewährung nicht erfüllt werden kann, weil ja die Arbeitserbringung schon an sich unmöglich ist. Diese grundsätzlich richtige Ansatz kann im Falle einer StW allerdings nicht zur generellen Verneinung von Urlaubsansprüchen während einer StW führen.

    Dies ergibt sich bereits aus dem Zweck des im Bundesurlaubsgesetz geregelten Anspruchs auf gesetzlichen Mindesturlaubs. Die Pflicht zur Urlaubsgewährung auch während einer laufenden StW folgt aber zugleich auch aus der arbeitsschutzrechtlichen Organisationspflicht des Arbeitgebers gemäß § 3 ArbSch (vgl. dazu nur die Kommentierung von Oda Hinrichs in Handkommentar-ArbSchR, Urlaub und Gesundheitsschutz, Rn. 8, 14). Der gesetzliche Mindesturlaub ist sowohl aus gesundheitsschutzrechtlichen als auch aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen normiert und vom Arbeitgeber gegenüber allen Beschäftigten und damit nicht nur gegenüber Arbeitnehmern, sondern auch gegenüber zur Wiedereingliederung Beschäftigten zu gewähren. Das Bundesarbeitsgericht hatte dies in einer Entscheidung aus dem Jahr 1994 (BAG, 19.4.1994, 9 AZR 462/92 unter Zust. der Literatur) noch anders entschieden. Allerdings zeigt auch gerade der damalige Sachverhalt, in dem es um eine StW vom 01. 05. bis 30. 11. und damit für einen Zeitraum von sieben Monaten ging, dass die im normalen Arbeitsverhältnis zutreffenden Grundsätze - kein Urlaub bei Erkrankung - nicht ohne weiteres auf das Wiedereingliederungsverhältnis übertragen werden können. Der Urlaubsanspruch kann auch im Rahmen einer StW durch Freistellung von der dann überwiegend zu therapeutischen Zwecken geleisteten Arbeit gewährt werden, wobei allerdings hinsichtlich Lage und Dauer des Urlaubs die zu erreichenden bzw. erreichten Ziele der StW berücksichtigt werden sollten (dazu schon Gagel/Schian, Behindertenrecht 2006, 53 f.). Dies kann sinnvoll im Wege der Abstimmung mit dem behandelnden Arzt/Betriebsarzt geschehen. Auch bei einer Urlaubsgewährung bzw. -inanspruchnahme im Anschluss an eine StW sollten die erreichten Eingliederungserfolge Berücksichtigung finden (dazu Schaumberg in Knittel, SGB IX, 12. A., , § 44 Rn. 68). Nur so lässt sich sicherstellen, dass die StW personzentriert erfolgt. Zugleich wird verhindert, dass sich Urlaubsansprüche unnötig aufbauen, die dann nach Ende der StW zu einer erneuten und womöglich langen Abwesenheit vom Arbeitsplatz führen.

    Wie der Urlaub im Einzelfall eingebaut wird (wöchentlich mit einem Tag oder durch eine mehrwöchige Unterbrechung, z.B. für den Sommerurlaub mit der Familie, die an Schulferien gebunden ist), kann nur mit dem Beschäftigten im Einzelfall entschieden werden.

    Ich stimme Herrn Böckmann ausdrücklich zu - eine rechtzeitige, umfassende und personenzentrierte Information ist ein wichtiger Erfolgsfaktor für eine erfolgreiche Rückkehr in das Arbeitsleben nach schwerer Erkrankung. Das belegen auch Untersuchungen von Wolfgang Bürger, der sich seit vielen Jahren mit Erfolgsfaktoren für die Stufenweise Wiedereingliederung befasst.
    Ergebnisse z.B. zu finden über rehadat:
    https://www.rehadat-literatur.…se+Wiedereingliederung%22


    Und "Sonnenschein" hat natürlich recht - entsprechend dieser Erkenntnis, dass die Information der Patient:innen bzw. Beschäftigten selbst ein wichtiger Schlüssel ist, ist die Pflicht zur Beratung vielfach gesetzlich vorgesehen und durch das Bundesteilhabegesetz die Verantwortung der Reha-Träger und der Ansprechstellen sehr deutlich verankert - das BEM und die Pflicht zur Beratung und Auskunft der Reha-Träger stehen jetzt sogar in § 3 SGB IX. § 10 SGB IX konkretisiert das. Es gibt unzählige weitere §§ zu Beratungspflichten. Ich will nur exemplarisch aufgreifen:
    § 42 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 SGB IX und wortgleich § 49 Abs. 6 S. 2 SGB IX. Darin heißt es:
    "Leistungen [der med. Reha bzw. zur Teilhabe am Arbeitsleben] sind insbesondere die Information und Beratung von Partnern und Angehörigen sowie von Vorgesetzten und Kollegen, wenn die Leistungsberechtigten dem zustimmen."


    Die Frage ist wirklich, wie wir es schaffen, dass diese klaren Pflichten in der Wirklichkeit von den Verantwortlichen beachtet und die Menschen so beraten werden, dass sie ihre berufliche Wiedereingliederung motiviert durch Erfolgsperspektiven mitgestalten können. In den Betrieben sind die SBV gestärkt worden und leisten wichtige Arbeit. Sehr engagierte Akteure finden sich bei den IFD. Die von "Sonnenschein" beklagten Missstände sind sicher im Einzelfall nicht von der Hand zu weisen.


    Gerade weil das rechtspolitisch geforderte Bußgeld bei Verletzung der BEM-Pflicht noch nicht eingeführt worden ist, müssenwir in solchen gravierenden Fällen von Rechtsverletzungen andere Durchsetzungshebel suchen und am besten unterstützt durch Dritte, denn für die Einzelnen ist es gerade mit der schweren Krankheit umso schwerer, die eigenen Rechte zu erkämpfen.
    § 85 SGB IX gibt ein Verbandsklagerecht.
    Dienstaufsichtsbeschwerden sind ein Mittel, wenn Reha-Träger nicht pflichtgemäß agieren. Über die Selbstverwaltungsstrukturen in den Reha-Trägern kann auf Misstände hingewiesen werden.


    Gewerkschaftsmitglieder können den gewerkschaftlichen Rechtsschutz im Rahmen ihrer Mitgliedschaft kostenfrei in Anspruch nehmen. Ansonsten unterstützenh Fachanwält:innen für Sozialrecht oder Arbeitsrecht in diesen komplexen Lebenslagen.

    Auch von mir ein "Hallo" in die Diskussionsrunde.


    Die Impulsfrage halte ich auch für sehr wichtig und zu den bereits erfolgten Antworten möchte ich folgendes ergänzen: Die Rückkehr nach einer schweren Erkrankung sollte typischerweise durch ein BEM-Verfahren vorbereitet und begleitet werden. Und in jedem BEM-Verfahren muss regelmäßig der betriebliche Arbeitsschutz behandelt werden. Der Arbeitgeber muss überprüfen,
    - ob für den Arbeitsplatz eine Gefährdungsbeurteilung vorliegt,
    - ob diese ggf. schon allgemein aktualisiert werden muss und
    - vor allem, ob die aufgrund der Gefährdungsbeurteilung festgelegten Arbeitsschutzmaßnahmen im Hinblick auf die besondere Situation der rückkehrenden Person ausreichend sind.
    Diese Pflichten ergeben sich aus §§ 3, 4 Nr. 6 ArbSchG. Der Arbeitgeber wird im Betrieb von der Sicherheitsfachkraft und dem Betriebsarzt/der Betriebsärztin unterstützt.


    Bei schwerbehinderten oder gleichgestellten Personen muss natürlich die SBV auch in diese Fragen der zu aktualisierenden Gefährdungsbeurteilung einbezogen werden.


    Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass die herausgehobene Stellung des Arbeitsschutzes für die erfolgreiche Wiedereingliederung so früh wie möglich aufgegriffen werden muss. Ich plädiere daher dafür, dass die Beschäftigten die aktuelle Gefährdungsbeurteilung für ihren Arbeitsplatz schon während ihrer Arbeitsunfähigkeit dem behandelnden Arzt/der behandelnden Ärztin vorlegen können. Die Gefährdungsbeurteilung ist ein wichtiges Steuerungsmittel. Über die dokumentierte Gefährdungsbeurteilung kann die in den Beiträgen bereits angesprochene Kommunikation initialisiert werden.

    In der Diskussion um einen Rechtsanspruch auf StW auch für Menschen mit "einfacher" Behinderung, ist die Entscheidung des LSG München, 13. Senat, vom 25.4.2018, Az.: L 13 R 64/15, sehr hilfreich. Zwar ging es um einen sozialrechtlichen Streit. Allerdings kann die folgende Passage auch in der arbeitsrechtlichen Argumentation und gegen die neueren Entscheidungen des BAG (siehe oben) genutzt werden:


    (zitiert aus Reha-dat: https://www.talentplus.de/in-b…ngliederung&artrec=urteil)




    "c) Ein Anspruch der Klägerin auf Wiedereingliederung bei zeitlich limitierter Arbeitstätigkeit ergibt sich auch aus dem Diskriminierungsverbot des Art. 5 Abs. 2 UN-BRK. Es ist (mittlerweile) grundsätzlich anerkannt, dass das Diskriminierungsverbot von Art. 5 Abs. 2 UN-BRK unmittelbar anwendbar ist (Urteile des BSG vom 06.03.2012 - B 1 KR 10/11 und vom 15.10.2014 - B 12 KR 17/12 m.w.N.; Aichele, DRiZ 10/2016, 342 (362)). Hierzu hat das BSG im Urteil vom BSG 06.03.2012, a.a.O. Folgendes festgestellt:


    'Nach dieser Regelung verbieten die Vertragsstaaten jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung und garantieren Menschen mit Behinderungen gleichen und wirksamen rechtlichen Schutz vor Diskriminierung, gleichviel aus welchen Gründen.'


    Zu den Menschen mit Behinderungen zählen nach Art. 1 Abs. 2 UN-BRK Menschen, die - wie die Klägerin - langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können. Nach Art. 2 UN-BRK bedeutet 'Diskriminierung aufgrund von Behinderung' jede Unterscheidung, Ausschließung oder Beschränkung aufgrund von Behinderung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass das auf die Gleichberechtigung mit anderen gegründete Anerkennen, Genießen oder Ausüben aller Menschenrechte und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, bürgerlichen oder jedem anderen Bereich beeinträchtigt oder vereitelt wird. Sie umfasst alle Formen der Diskriminierung, einschließlich der Versagung angemessener Vorkehrungen. Im Sinne des Übereinkommens bedeuten gemäß Art. 2 UN-BRK 'angemessene Vorkehrungen' notwendige und geeignete Änderungen und Anpassungen, die keine unverhältnismäßige oder unbillige Belastung darstellen und die, wenn sie in einem bestimmten Fall erforderlich sind, vorgenommen werden, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen alle Menschenrechte und Grundfreiheiten genießen oder ausüben können. Nach Art. 4 Abs. 1 S. 1 UN-BRK verpflichten sich die Vertragsstaaten, die volle Verwirklichung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderungen ohne jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung zu gewährleisten und zu fördern. Zu diesem Zweck verpflichten sich die Vertragsstaaten zu den im Einzelnen in Art. 4 Abs. 1 S. 2 UN-BRK genannten Maßnahmen.



    Ein Ausschluss von Personen mit körperlichen Beeinträchtigungen aus dem Anwendungsbereich der stufenweisen Wiedereingliederung, die aus gesundheitlichen Gründen prognostisch nicht mehr eine Vollzeittätigkeit ausüben können, jedoch noch über ein Teilleistungsvermögen verfügen, stellt danach einen klaren Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 5 Abs. 2 UN-BRK dar. Schließlich besteht kein sachlicher Grund, Personen die von Anfang an in einem Teilzeitarbeitsverhältnis gestanden haben, eine Wiedereingliederung zu gewähren und Personen die ursprünglich in einem Vollzeitarbeitsverhältnis standen, jedoch aus gesundheitlichen Gründen prognostisch nur noch über ein Teilzeitarbeitsverhältnis verfügen, eine Wiedereingliederung zu verweigern. Eine derartige Verwaltungspraxis der Beklagten verstößt auch gegen Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3 S. 2 Grundgesetz (GG)."


    Eine schöne Entscheidung will ich noch zitieren:


    Bayerisches LSG, 25.4.2018, L 13 R 64/15, juris
    Leitsatz
    I. Eine stufenweise Wiedereingliederung im Sinne des § 28 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 gültigen Fassung (ab 1.1.2018 § 44 SGB IX nF) kommt zu Lasten der Rentenversicherung nicht nur in Frage, falls die stufenweise Wiedereingliederung an die bisher vertraglich vereinbarte Arbeitszeit (hier: 8 Stunden) heranreicht. Auch die Befähigung zu einer zeitlich limitierten Arbeitstätigkeit ist eine Eingliederung in das Erwerbsleben, die einen entsprechenden Anspruch auf Übergangsgeld gem. § 51 Abs. 5 SGB IX aF (seit 01.01.2018 § 71 Abs. 5 SGB IX) auslöst.(Rn.25)
    II. Nach dem Grundsatz der einheitlichen Bemessungsgrundlage ist bei der Berechnung der Höhe des Übergangsgeldes während einer stufenweisen Wiedereingliederung nicht zu berücksichtigen, dass die Klägerin beabsichtigt hat, künftig - nach durchgeführter Wiedereingliederung - nur noch in einem Teilzeitarbeitsverhältnis tätig sein zu wollen.(Rn.25)

    Mit der eingangs beschriebenen Praxis sind verschiedene rechtliche Fragen verbunden. Für die Suche nach den Antworten muss zunächst bedacht werden, welche der zitierten Regeln welchen Verbindlichkeitscharakter haben. Es muss unterschieden werden zwischen Gesetzen, für verbindlich erklärten untergesetzlichen Bestimmungen, wie z.B. den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (also auch der AU-RL), und bloßen Verwaltungsrichtlinien der einzelnen Reha-Träger. Letztere können Gesetze nicht einschränken, sondern die Verwaltung allein im Rahmen ihrer Ermessensausübung binden (vgl. dazu https://www.reha-recht.de/fach…kussionsbeitrag-c11-2011/).


    Zunächst zur Frage, ob während der StW Urlaub genommen werden kann. Dies ergibt sich aus dem Urlaubsrecht, vor allem aus dem Bundesurlaubsgesetz (BUrlG). Verbreitet ist die Annahme, im wegen Arbeitsunfähigkeit ruhenden Arbeitsverhältnis und damit auch während einer StW könne Urlaub nicht beansprucht und vom Arbeitgeber nicht gewährt werden. Auch die Arbeitshilfe der BAR zur StW formuliert mehrfach ausdrücklich, dass Urlaub während einer StW ausgeschlossen sei.
    Ein solch pauschaler Ausschluss wird in der Praxis häufig als nachteilig für den mit der StW angestrebten Wiedereingliederungserfolg angesehen. Auch Manfred Becker verweist zurecht auf die gegenteiligen Bedürfnisse der Rehabilitand*innen.
    Eine systematische Auslegung des BUrlG hilft, auch zugunsten von Rehabilitand*innen einen Urlaubsanspruch anzuerkennen: Der Erholungsurlaub ist Teil des Arbeitsschutzes und zu Maßnahmen des Arbeitsschutzes ist der Arbeitgeber laut Arbeitsschutzgesetz (vgl. § 2 ArbSchG) nicht nur im laufenden Arbeitsverhältnis, sondern auch gegenüber "Beschäftigten" verpflichtet. Dieser Rechtsbegriff geht über den Arbeitnehmerbegriff hinaus und erfasst auch Personen, die im Rahmen einer StW vom Arbeitgeber beschäftigt werden. Damit ist die erste Frage beantwortet: Wenn eine StW länger dauert, sollte von vornherein im ärztlichen Stufenplan Urlaub berücksichtigt und dieser mit dem Arbeitgeber vereinbart werden.
    Wird dies versäumt, dann entsteht die perplexe Situation, dass Arbeitgeber direkt nach Ende der StW, also mit Erreichen der Arbeitsfähigkeit den bisher aufgelaufenen Urlaubsanspruch erfüllen, also den Arbeitnehmer erst einmal wieder voll von der Arbeit freistellen. Ggf. gehen die Effekte der StW damit verloren und nach dem Urlaubsende besteht erneut ein Überforderungsrisiko.


    Und nun zu der Frage, ob der Sozialleistungsträger wegen vorübergehender Unterbrechung der Beschäftigung innerhalb einer begonnenen StW diese für beendet erklären kann. Im Grunde dürfte sich eine unvorhergesehene Unterbrechung aus betrieblichen Gründen, außer in Notfällen, nicht ergeben. Denn die StW bedarf der Vereinbarung zwischen Rehabilitand und Arbeitgeber, basierend auf dem ärztlichen Stufenplan. Im Rahmen dieser Planung sind Betriebsferien, die oft im Voraus langfristig feststehen, zu berücksichtigen und der Stufenplan entsprechend zu gestalten. Sollten ausnahmsweise tatsächlich mehrere Wochen Betriebsferien dazu führen, dass die StW unterbrochen werden muss, dann muss dies im Vorfeld der Vereinbarung bedacht werden. Die Reha-Träger haben hier eine Verantwortung, die StW aktiv zu unterstützen und auf eine planvolle Ausgestaltung hinzuwirken. Urlaub kann auch dabei nicht einseitig angeordnet werden. § 7 Abs. 1 S. 1 BUrlG verlangt, Wünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen.
    § 7 Abs. 1 S. 2 BUrlG besagt sogar ausdrücklich, dass Urlaubswünsche im Anschluss an eine medizinische Rehabilitation zu erfüllen sind. Dies kann auf die StW übertragen werden, d.h. dass Arbeitgeber bei der Gewährung von Urlaub zugunsten von Beschäftigten in der StW deren Wünsche besonders berücksichtigen müssen.


    Treten während einer StW unvorhergesehene, betriebsbedingte Unterbrechungen auf, ändert dies an der vereinbarten StW nichts, der Rehabilitand bleibt auch weiterhin arbeitsunfähig und behält seinen Anspruch auf Krankengeld, Verletztengeld oder Übergangsgeld. Speziell für die Kontinuität des Anspruchs auf Übergangsgeld spricht die Regelung in § 71 Abs. 1 SGB IX, die selbst nach Abschluss einer med. Reha-Maßnahme den Anspruch aufrechterhält, wenn der Rehabilitand die Unterbrechung nicht zu verzögern hat.

    Neben Krankengeld kommen auch andere Leistungen zum Lebensunterhalt in Betracht. Dies ergibt sich aus §§ 64 Abs. 1 Nr. 1, 65 Abs. 1 SGB IX. Dort sind die Leistungen zum Lebensunterhalt im Zusammenhang mit Leistungen zur medizinischen Rehabilitation geregelt:
    - Krankengeld durch die GKV gem. §§ 44-46 SGB V oder
    - Verletztengeld durch die Gesetzliche Unfallversicherung gem. §§ 45 ff. SGB VII oder
    - Übergangsgeld durch die Gesetzliche Rentenversicherung gem. §§ 20, 21 SGB VI oder
    - Versorgungskrankengeld im Versorgungsfall (BVG).


    Läuft die Höchstdauer für den Bezug der Unterhaltsleistung ab, bevor die Arbeitsfähigkeit wieder erreicht ist, dann greift der Anspruch auf Arbeitslosengeld 1 (allerdings nicht mehr als Reha-Leistung), sondern wie oben von s.schmidinger-dargie aufgeführt.


    Lange Zeit war umstritten, ob bei einer StW, die sich an eine medizinische Rehabilitation der Rentenversicherung anschloss, die GRV (mit Übergangsgeld) oder die GKV (mit Verletztengeld) zuständig ist. Das BSG hat in verschiedenen Entscheidungen zu § 71 SGB IX (Nahtlosigkeit) klargestellt, dass auch bei einer gewissen Übergangsdauer zwischen Ende der medizinischen Rehabilitation (meist Rehaklinik-Entlassung) und Aufnahme der StW im Betrieb dennoch eine einheitliche Reha vorliegt und die GRV auch für die Unterhaltssicherung während der StW zuständig bleibt. Später wurde um die Länge der Zeitspanne im Sinne der "Nahtlosigkeit" gestritten; seit 2011 liegt eine Vereinbarung zwischen den Spitzenverbänden von GKV-DRV über die Zuständigkeitsabgrenzung bei StW vor. Danach gilt der Grundsatz: Feststellung bis zum Ende der Reha-Maßnahme durch Reha-Klinik und Einleitung innerhalb von 4 Wochen, dann DRV, ansonsten GKV) - Download unter: https://www.vdek.com/vertragsp…Vereinbarung_komplett.pdf
    Im Rahmen eines Rechtsstreites über die Auslegung dieser Vereinbarung wäre ein Gericht mangels Verbindlichkeit allerdings an diese Vereinbarung nicht gebunden.

    Auch nach meiner Einschätzung hängt die konkrete Beantwortung von der konkreten Fallgestaltung ab, die aus der von Felicitas gestellten Frage allein noch nicht deutlich wird.
    Wenn der Rehabilitand/die Rehabilitandin neben einem laufenden Verfahren auf Feststellung der (Teil-)Erwerbsminderung gleichzeitig eine StW beantragt hat, dann sehe ich es wie Wolfgang, dass die Krankenkasse dies nicht einfach ablehnen kann. Mit dem BTHG ist der Vorrang der Sicherung der Erwerbsfähigkeit noch deutlicher als bisher ins SGB IX geschrieben worden, vgl. § 11 SGB IX. Die KK muss, wenn sie für die medizinische Reha zuständig ist, alles unternehmen, damit die Erwerbsfähigkeit erhalten, gebessert oder wiederhergestellt werden kann.
    Verweigert die KK dies wegen der beantragten Erwerbsminderungsrente, riskiert sie die Diskriminierung wegen einer Behinderung.
    Ob im laufenden Verfahren um die Anerkennung einer Erwerbsminderung eine StW wirklich ratsam ist, scheint mir eine andere Frage. Denn möglicherweise ist vor dem Hintergrund der vollen Erwerbsminderung wegen der sogenannten "Verschlossenheit des Arbeitsmarktes" (dazu Horstmann in Stichwortkommentar Deinert/Welti, 2. A., § 54, Rn.8) eine StW eher nachteilig für diese Annahme.


    Letztlich zeigt die von Felicitas aufgeworfene Frage, dass in der sozial- und arbeitsrechtlichen Praxis das Verhältnis zwischen Erwerbsminderung und behinderungsgerechter Beschäftigung noch zu wenig in Richtung inklusiver Arbeitsmarkt gedacht wird. Exemplarisch im negativen Sinne lassen sich hier die tarifvertraglichen Regelungen anführen, die bei Gewährung einer Erwerbsminderungsrente von der automatischen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgehen (vgl. § 33 Abs. 2-4 TVöD). Hier steht natürlich die Frage, ob nicht eben diese Ausschlusssystematik nicht nur mit dem Verbot der behinderungsbedingten Diskriminierung, sondern auch mit dem Leitbild eines inklusiven Arbeitsmarktes unvereinbar ist. Nach wie vor aktuelle Reformvorschläge finden sich im Gutachten von Welti/Groskreutz, Soziales Recht zum Ausgleich von Erwerbsminderung, Download unter https://www.boeckler.de/pdf/p_arbp_295.pdf

    Nur in Ergänzung zu den Ausführungen von Wolfgang: Art und Umfang der Beschäftigung im Rahmen einer StW richten sich nach dem Ziel der StW: die vollständige Reintegration des noch arbeitsunfähigen Beschäftigten. Es muss in jedem Einzelfall geprüft werden, mit welchen Tätigkeiten und in welchem Umfang der noch arbeitsunfähige Beschäftigte an seine volle Belastungsfähigkeit herangeführt werden kann. Das kann am bisherigen Arbeitsplatz erfolgen, muss es aber auch nicht. Für die Durchführung der StW muss zwischen Arbeitgeber und arbeitsunfähigem Beschäftigten eine Vereinbarung getroffen werden, die rechtlich als "Schuldverhältnis eigener Art" bezeichnet und eingeordnet wird, weil es gerade nicht um den typischen Austausch von Arbeitsleistung gegen Arbeitslohn, sondern um eine in erster Linie therapeutischen Zielen dienende Beschäftigung geht.

    Im Hochschulbereich sind die Herausforderungen für inklusive Studierbedingungen aus meiner Sicht noch am größten. Die Gründe liegen u.a. in der föderalistischen Gesetzgebungsverantwortung (Sozialrecht in der Bundeskompetenz und Hochschulrecht Länderkompetenz). Es gibt zugunsten von Arbeitnehmer*innen/Beschäftigten zahlreiche Abstimmungspflichten zwischen Arbeitgebern/Betrieben und den dazu unterstützenden Sozialleistungsträgern, um den allgemeinen Arbeitsmarkt zugänglicher zu gestalten. Das BTHG hat in dieser Hinsicht verschiedene Regelungen im SGB IX noch einmal deutlich forciert, vgl. nur § 3 SGB IX.


    Solche konkreten Regelungen zur verpflichtenden Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Rehabilitationsträgern finden sich im SGB IX kaum, eher versteckter, z.B. in § 22 SGB IX, wo die Reha-Träger verpflichtet werden, andere öffentliche Stellen bei der Durchführung des Teilhabeplanverfahrens einzubeziehen; das müssten dann im Einzelfall die Hochschulen sein, an denen der Mensch mit Behinderung studieren möchte.


    Ein weiteres strukturelles Problem liegt darin, dass für Leistungen zur Teilhabe für ein Hochschulstudium bisher vorrangig die Träger der Eingliederungshilfe angesehen worden sind, mit dem entsprechenden Nachranggrundsatz in § 2 SGB XII. Was für den Berufszugang über eine betriebliche Ausbildung selbstverständlich ist, nämlich die Leistungsverantwortung der Bundesagentur für Arbeit für die entsprechenden Teilhabebedarfe (vgl. §§ 112 ff. SGB III), das wurde für die Hochschulbildung bislang häufig übersehen. Das ist vor allem auch deshalb unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten sehr problematisch, weil immer mehr junge Menschen (auch mit Behinderung) ihren Berufszugang über eine akademische Ausbildung finden (müssen). Umso wichtiger sind zwei Entscheidungen des 8. BSG-Senats, in denen auch für ein Hochschulstudium die Bundesagentur als der zuständige Reha-Träger angesehen worden ist (vgl. BSG v. 24.02.2016, Az.: B 8 SO 18/14 R (dazu http://juris.bundessozialgeric…016&nr=14335&pos=6&anz=60) sowie zu BSG v. 20.04.2016, Az.: B 8 SO 20/14 R (dazu http://juris.bundessozialgeric…6-2&nr=14219&pos=5&anz=21), dazu Anmerkung von Nebe/Schimank in RP Reha 2017, Heft 1, S. 16 ff.).


    Das sind auf die konkret und lebensnah gestellten Fragen noch keine zielführenden Antworten. Vielmehr sollte diese Hintergrundbeschreibung auch zeigen, wo bzw. bei welchen Stellen angesetzt werden muss.


    Nach meiner ganz persönlichen Erfahrung können die konkret gestellten Fragen entweder gut mithilfe des Deutschen Studentenwerkes beantwortet werden, welches sich sehr engagiert für inklusive Studierbedingungen und die Transparenz der Bedingungen einsetzt (Informationen unter https://www.studentenwerke.de/…behinderung_7_auflage.pdf). Aber auch die Behindertenbeauftragten/Kontakt- und Beratungsstellen an einzelnen Hochschulen sind zum Teil sehr fit und können über die konkreten Bedingungen vor Ort hilfreiche Auskünfte geben. Über die Seite des Deutschen Studentenwerkes sind Hochschulen aufgeführt, die durch eigene Aktionspläne Aktivitäten entwickelt haben. Eine Kontaktaufnahme mit diesen könnte weiterhelfen. https://www.studentenwerke.de/de/behinderung


    Ansonsten wäre rechtlich der Weg über eine Beantragung von Leistungen zur Teilhabe an Arbeit für ein Studium bei der BA zu empfehlen mit der gleichzeitigen Beantragung eines Teilhabeplanverfahrens gem. § 19 SGB IX. Es sind in den meisten Fällen Leistungen verschiedener Leistungsgruppen (vgl. § 19 Abs. 1 SGB IX und § 5 SGB IX) zu erbringen.

    Die Frage nach dem Anspruch auf Durchführung einer StW ist nicht einfach zu beantworten.


    Zunächst ist klar, dass die Organisation des Wiedereingliederungsverfahrens im Betrieb nur vom Arbeitgeber geleistet werden kann, es somit ohne seine Mitwirkung nicht geht.


    Fraglich ist, ob Arbeitgeber rechtlich zur Mitwirkung verpflichtet sind.


    Ursprünglich wurde eine Verpflichtung von der Rechtsprechung generell abgelehnt (so noch BAG, 28.07.1999, 4 AZR 192/98, BAGE 92, 140). Später hat das BAG jedenfalls für schwerbehinderte Beschäftigte die Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers aus § 81 Abs. 4 S. 1 SGB IX a.F., heute § 164 SGB IX abgeleitet (BAG, 13.06.2006, 9 AZR 229/05, NZA 2007, 91 ff.).


    In der Literatur haben sich in letzter Zeit die Stimmen gemehrt, auch zugunsten von einfach behinderten Beschäftigten oder wegen Langzeiterkrankung von Behinderung bedrohten Beschäftigten diese Mitwirkungspflicht, gestützt auf § 241 Abs. 2 BGB, zu bejahen (vgl. z.B. Gagel, Beitrag B2-2010 unter http://www.reha-recht.de; ders., jurisPR-ArbR 6/2007 Anm. 1; ders. NZA 2001, 988, 991 f.; ebenso Deinert, ZSR Sonderheft 2005, 104, 124; Deinert/Neumann-Deinert, § 16 Rn. 37; Gagel/Schian, br 2006, 53, 55).


    Inzwischen gibt es zwei jüngere Entscheidungen des BAG, eine des 8. Senats, aus der „Wolfgang“ oben die wichtige Stelle zitiert hat, und eine des 5. Senats vom 6.12.2017 (Aktenzeichen: 5 AZR 815/16, zu finden in NZA 2018, 439). In beiden Entscheidungen haben sich beide Senate dahin positioniert, dass sie außerhalb des Schwerbehindertenrechts, also außerhalb des heutigen § 164 SGB IX, eine Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers nicht sehen.


    Mit diesen deutlichen Positionen ist natürlich fraglich, wie Instanzgerichte oder andere Senate des BAG künftig entscheiden.


    Aus meiner Sicht muss die Antwort mit Rücksicht auf das Europäische Gleichbehandlungsrecht gesucht werden. Dazu besagen die beiden neueren BAG-Urteile allerdings nicht. Immerhin wird im europäischen Gleichbehandlungsrecht, das für die deutschen Arbeitsgerichte verbindlich ist, nicht zwischen einer einfachen und einer Schwerbehinderung differenziert. Der Europäische Gerichtshof hat in mehreren Entscheidungen betont, dass Arbeitgeber angemessene Vorkehrungen unabhängig von einer Schwere der Beeinträchtigung treffen müssen (vgl. nur EuGH, Urt. v. 11.04.2013 - C-335/11 u.a. Rn. 74 „Ring, Skouboe Werge“ m. Anm. von Roetteken, jurisPR-ArbR 33/2013 Anm. 1).


    Auch wenn es im deutschen Arbeitsrecht keinen ausdrücklichen Rechtssatz gibt, wonach Arbeitgeber zugunsten aller behinderter und von Behinderung bedrohter Beschäftigter angemessene Vorkehrungen treffen müssen, ist heute, auch vom BAG anerkannt, dass diese europäisch normierte Pflicht auch aus dem nationalen Recht ablesbar ist und zwar aus § 241 Abs. 2 BGB (vgl. BAG, 19.12.2013, 8 AZR 190/12). Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat ein Rechtsgutachten von Prof. Eichenhofer veröffentlich, welches die Reichweite dieser Pflicht anschaulich beschreibt (https://www.antidiskriminierun…ne_Vorkehrungen_node.html).


    Übertragen auf die Pflicht zur Mitwirkung an einer StW heißt das, dass sich der Arbeitgeber auch gegenüber einfach behinderten Beschäftigten oder Langzeiterkrankten dem Anliegen auf StW nicht ohne Grund verwehren kann; vielmehr muss er Einwände geltend machen, aus welchen konkreten Gründen für ihn die Organisation der StW unzumutbar bzw. unangemessen ist und der Anspruch daher aus dem Arbeitsvertrag i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB nicht besteht.

    Die individuelle Paßfähigkeit des stufenweisen Wiedereinstiegs und der Schutz vor Überforderung sind in den vorherigen Beiträgen mehrfach betont worden. Auch die Rolle der Betriebsärztin/des Betriebsarztes wurde erwähnt. Aus arbeitsschutzrechtlicher Sicht lässt sich das noch dahin konkretisieren, dass ein Arbeitgeber für die besondere Situation der Wiedereingliederung des noch arbeitsunfähigen Beschäftigten eine arbeitsschutzrechtliche Gefährdungsbeurteilung erstellen muss, § 5 ArbSchG iVm. § 4 Nr. 6 ArbSchG. Auch wenn während der Arbeitsunfähigkeit die Hauptleistungspflichten ruhen, entbindet dies den Arbeitgeber nicht von den Pflichten nach dem Arbeitsschutzgesetz, einschließlich der Pflicht zur Gefährdungsbeurteilung.
    Da die Beschäftigungsbedingungen auf der Grundlage der Gefährdungsbeurteilung zu gestalten und hierbei auf die Besonderheiten des einzelnen Beschäftigten Rücksicht zu nehmen ist, ergibt sich auch aus arbeitsschutzrechtlicher Perspektive, dass der/die Rehabilitand/in in die konkrete Ausgestaltung der StW einzubeziehen ist.


    Im Grunde müsste sich bei regelmäßiger Durchführung von Stufenweisen Wiedereingliederungen im Betrieb auch unter den Arbeitsschutzverantwortlichen eine betriebsspezfische Erfahrung über gute Gelingensbedingungen für StW entwickeln.

    In zahlreichen Betrieben/Dienststellen sind - entweder wegen einer Verpflichtung (Bundes- oder Landesgleichstellungsgesetze oder Tarifverträge) oder freiwillig - Gleichstellungs- oder Familienbeauftragte aktiv. Mancherorts sind überbetriebliche Beratungsstellen zu Fragen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf eingerichtet. Diese beraten über Eltern(teil)zeit, Pflege(teil)zeit, vermitteln Betreuungsplätze, Pflegedienste u.a. wichtige Kontakte. Diese AnsprechpartnerInnen wären auch diejenigen, die Beschäftigte zu ihren persönlichen Bedürfnissen wegen der Beeinträchtigung eines Angehörigen beraten. Je seltener die Fragen dort angesprochen werden, umso weniger lässt sich Sensibilität erzeugen und Kompetenz aufbauen. Es braucht sicher, wie auch in anderen Lebenslagen, guter Beispiele, von denen alle lernen können.
    Gut vernetzte InteressenvertreterInnen können z.B. helfen, einen integrativen Kita-Platz zu vermitteln. Betriebs- und Personalräte sind gesetzlich verpflichtet, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern. Dies schließt die Verantwortung für die besonderen Belange von Beschäftigten mit behinderten Kindern ein. Allein dafür muss zunächst vielerorts Bewusstsein geschaffen werden.
    Aber auch Schwerbehindertenvertretungen (SBV) können hilfreiche UnterstützerInnen sein. Zwar sieht § 95 SGB IX als Aufgaben der SBV die berufliche Eingliederung schwerbehinderter Menschen vor. Das schließt aber nicht aus, dass die SBV mit ihrer Kompetenz und ihren Kontakten zu Sozialleistungsträgern die Beschäftigten bei der Beantragung von Sozialleistungen unterstützt.


    Nicht zu vergessen sind die Behindertenbeauftragten der Arbeitgeber (§ 98 SGB IX). Auch diese können die Arbeitgeber sensibilisieren, damit in allen Fragen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf die Vielfalt von Familien mitgedacht wird und passende Lösungen gesucht werden.

    Die klaren Worte von Frau Urse zeigen viele Unzulänglichkeiten auf, lassen aber auch erkennen, dass es regional funktionierende Netzwerke und Unterstützungsangebote gibt. Gleichwohl meine ich auch, dass trotz intensiver Familienpolitik Familien mit behinderten Kindern noch viel zu selten eine starke Lobby haben. Mich persönlich hatten die Hinweise im Bericht über die Lebenslagen behinderter Menschen zur Lebenssituation von Müttern mit behinderten Kindern aufgerüttelt - die Frauen sind häufiger alleinstehend und dann noch häufiger im langfristigen SGB-II-Bezug, also die von Frau Urse zu Recht beklagte "Armutsfalle" auch statistisch belegt.
    Unsere Sicherungssysteme werden derzeit modernisiert: gleichberechtigte Teilhabe und Inklusion als verpflichtende Ziele bewegen viele Akteure auf verschiedenen Ebenen. Dennoch kann ich dem Resümee von Frau Urse nicht widersprechen, dass behinderte Familien oft vergessen sind.
    Diese Lücke wollen wir ganz gezielt auch mit dieser Diskussion benennen, nach Beispielen, hoffentlich auch einigen guten Beispielen, suchen und hieraus Empfehlungen für die Praxis und die Politik entwickeln. Ein klares Votum, wie dieses von Frau Urse, hilft, für Forderungen und Fortschritte im Sinne der Kinder, Eltern und Geschwister zu streiten. Ich wünschte mir, in unsere Diskussion schalten sich noch mehr Personen aktiv ein.

    Das ist eine wichtige Frage, auf die das Arbeitsrecht in Deutschland bis auf wenige Ausnahmen keine klaren Antworten gibt. Als eine Ausnahme kann auf die Antwort D. Kalina verwiesen werden: seit Mai 2017 sieht das Mutterschutzgesetz einen erweiterten nachgeburtlichen Mutterschutz bei der Geburt eines behinderten Kindes vor. Hier besteht eine klare Berücksichtigungspflicht des Arbeitgebers.
    Die ansonsten weitgehend fehlenden Detailregelungen bedeuten allerdings nicht, dass die persönliche Situation der Beschäftigten für Arbeitgeber rechtlich irrelevant sind.
    Die Themen "gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen" und "Vereinbarkeit von Familie und Beruf" sind jeweils Querschnittsthemen, die in allen arbeitsrechtlichen Zusammenhängen mitgedacht werden müssen. Die menschengerechte Gestaltung der Arbeit, d.h. mit Rücksicht auf das jeweilige familiäre und soziale Umfeld eines Menschen, ist auch in der EU-Grundrechtecharta verankert (vgl. Artt. 31, 33).
    Diese sehr abstrakte Vorgabe muss nun in alle Rechtsnormen hineingelesen werden. An zwei Beispielen soll das verdeutlicht werden:
    - Bei allen Maßnahmen des Arbeitsschutzes muss der Arbeitgeber die Belange besonders schutzbedürftiger Beschäftigtengruppen berücksichtigen (§ 4 Nr. 6 ArbSchG). Die in den Kommentaren angesprochenen Beispiele zeigen, welche Belange dies bei Beschäftigten mit behinderten Kindern sein können. Der Arbeitgeber ist also schon im Rahmen seiner Gefährdungsbeurteilung (§ 5 ArbSchG) verpflichtet, das persönliche Umfeld zu berücksichtigen.
    - Zu den gesetzlichen Aufgaben von Betriebsrat und Arbeitgeber gehört es, die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern sowie die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit zu fördern (§ 80 Abs. 1 Nr. 2a und Nr. 2b BetrVG). Eltern, insbesondere Mütter, behinderter und chronisch kranker Kinder, sind häufiger in ihrer Erwerbsteilhabe eingeschränkt. Um den gesetzlichen Förderpflichten zu entsprechen, müssten daher sämtliche betrieblichen Regelungen auf ihre Effekte überprüft, zumindest aber Ausnahmemöglichkeiten für die besonderen Bedarfe ermöglicht sein.

    Die Reaktion von heiko ist gut nachvollziehbar - es muss um die besonderen Bedürfnisse gehen. In diese Richtung zielte sicher auch die allgemeine Frage. Heiko hat auch schon wichtige Beispiele, wie spontane Freistellungen oder Ausnahmen bei der Festlegung der Arbeitszeiten, angesprochen. Wie können Eltern behinderter Kinder nun erreichen, dass ihre besonderen Bedarfe im Rahmen ihrer Arbeitsverhältnisse angemessen berücksichtigt werden?
    Das Arbeitsrecht enthält allgemeine und konkrete Regeln im Zusammenhang mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen bislang meist für die Konstellation, dass der/die Beschäftigte selbst behindert/beeinträchtigt ist. Dann trifft den Arbeitgeber z.B. die Pflicht, die Arbeitsbedingungen behinderungsgerecht zu gestalten. Dies kann auch organisatorische Maßnahmen umfassen, wie der Europäische Gerichtshof und das Bundesarbeitsgericht inzwischen klar entschieden haben.


    Ist nicht der/die Beschäftigte selbst, sondern z.B. ein naher Angehöriger behindert/beeinträchtigt, finden wir im Gesetz noch recht wenige konkrete Antworten. Bei einer Pflegebedürftigkeit (Vorliegen eines Pflegegrades) kann eine vorübergehende kurzfristige Freistellung von der Arbeit (max. 10 Tage bei akuten Anlässen) oder auch eine längerfristige Freistellung (nur bei mehr als 15 Beschäftigten im Unternehmen) verlangt werden, vgl. §§ 2, 3 PflegeZeitG. Für Eltern behinderte Kinder ist im Krankenversicherungsrecht ein altersunabhängiger Anspruch auf Freistellung und Krankengeldbezug geregelt, vgl. § 45 SGB V (allerdings grundsätzlich pro Kind und pro Jahr nur 10 Tage). Ansonsten gibt es keine besonderen Regeln, die die besonderen Bedarfe von Eltern behinderter Kinder im Erwerbsleben aufgreifen. Das heißt aber nicht, dass es nicht dennoch Rücksichtnahme- und Organisationspflichten zugunsten Eltern behinderter Kinder auch heute schon gibt.


    Der europäische Gesetzgeber hat den Mitgliedstaaten hier bereits verbindliche Handlungsaufträge gegeben (vgl. die Elternurlaubsrichtlinie-RL 2010/18/EG). Der deutsche Gesetzgeber hat dies nur noch nicht umgesetzt. Deshalb müssen die Gerichte im Rahmen ihrer Pflicht zur EU-rechtskonformen Auslegung des deutschen Rechts die Vorgaben aus dem Europäischen Recht berücksichtigen.


    Außerdem muss der Arbeitgeber sein Weisungsrecht nach billigem Ermessen ausüben. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff ist offen, um auch Maßnahmen zum Schutz der Eltern behinderter Kinder einfließen zu lassen. Hat also ein Arbeitgeber das betriebliche Arbeitszeitkonzept allgemein geregelt (z.B. Kernzeiten), muss er zugleich bei der Erteilung einer Weisung gegenüber einer Mutter/einem Vater eines behinderten Kindes ihm zumutbare Ausnahmen vorsehen. Ist bei Bestehen eines Betriebsrates die betriebliche Arbeitszeit unter dessen Beteiligung geregelt worden, dann müssen beide (Arbeitgeber und Betriebsrat) die besonderen Belange im Einzelfall berücksichtigen (vgl. § 75 BetrVG). Diese Berücksichtigungspflicht resultiert auch aus dem Einfluss der Grundrechte (vgl. Art. 3 Abs. 3 - Schutz vor behinderungsbedingter Benachteiligung - und Art. 6 Abs. 1 GG - Schutz der Familie) auf die Gesetze. Auf diesem juristisch nicht einfachen Weg lassen sich zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe in den einzelnen Gesetzen nutzen, um den Bedarfen der Eltern gerecht zu werden.
    Auch für die Festlegung der Urlaubszeit sind die Wünsche der Beschäftigten vom Arbeitgeber angemessen zu berücksichtigen, vgl. § 7 Abs. 1 Bundesurlaubsgesetz. Dies schließt die Belange wegen einer Behinderung des Kindes ein.

    Die beiden vorherigen Kommentare spiegeln die Herausforderungen für Eltern behinderter/besonderer Kinder, den Zugang zu kompetenter Beratung zu finden. Die von beiden angesprochenen Akteure, d.h. Sozialleistungsträger (insbesondere Rehabilitationsträger), Ärzte und andere Gesundheitsberufsgruppen (wie z.B. Hebammen) sowie die Selbsthilfegruppen spielen eine zentrale Rolle für den frühen Zugang zu den Teilhabeleistungen. Das Sozialgesetzbuch IX regelt deshalb z.B. die Pflicht der Ärzte (einschließlich der Kinderärzte), Eltern auf Teilhabeleistungen sowie auf Beratungsstellen hinzuweisen (bisher in § 61 SGB IX). Ab 1.1.2018 findet sich diese ausdrücklich an die Ärztinnen und Ärzte adressierte Pflicht in § 34 SGB IX n.F. Künftig müssen die Ärztinnen und Ärzte nicht nur auf die Reha-Träger hinweisen, sondern vor allem auch über die wohnortnahe, unabhängige Beratung (§ 32 SGB IX n.F.) informieren. Die rechtlich verankerte Schlüsselrolle der zahlreichen medizinischen und pädagogischen Berufsgruppen für die Beratung und Begleitung der Eltern wird in der Praxis leider sehr unterschiedlich gelebt.
    Neue Impulse können sich durch den Anspruch auf ergänzende unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) ergeben (ab 1.1.2018 durch § 32 SGB IX). Selbsthilfeverbände können als Stellen der ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB) Förderung erhalten. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat die Förderrichtlinie und sonstige wichtige Informationen auf seiner Homepage zusammengestellt (http://www.gemeinsam-einfach-m…/BTHG/EUTB/EUTB_node.html).

    Lieber Herr Müller-Wrasmann,


    Sie sprechen ein sehr diffiziles Thema an, das in der Tat höhere Aufmerksamkeit verdient. Schon heute muss realistisch gesehen werden, dass mit der angestrebten Überleitung geeigneter Werkstattbeschäftigter in den allgemeinen Arbeitsmarkt ein Verlust an Kompetenzvielfalt in der WfbM verbunden sein kann. Schon unter dem Gesichtspunkt der Betreuungsschlüssel muss der mit dem Weggang leistungsstärkerer Beschäftigter sich ggf. erhöhende Aufwand berücksichtigt werden.
    Ihr Fokus geht verständlich noch weiter und fragt, inwieweit auch die WfbM selbst Ort der Inklusion sein kann. Dies ist rechtlich keineswegs ausgeschlossen. Die WfbM kann auch Menschen ohne Leistungseinschränkungen beschäftigen. Dies ist auch nicht unüblich. In den Inklusionsprojekten, die als Zwischenschritt auf dem Weg von der Sonderarbeitswelt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu verorten sind, versucht der Gesetzgeber mit einer Sollvorgabe, ein ausgewogenes Verhältnis behinderter und nicht behinderter Menschen zu erreichen (vgl. § 132 Abs. 3 SGB IX, ab 1.1.2018: § 215 Abs. 3 SGB IX neu).
    Verstärkt durch die Debatte im Zuge des BTHG sehen auch die WfbM, dass sie einerseits ihren gesetzlichen Überleitungsauftrag erfüllen, sich gleichzeitig aber auch als Ort von Beschäftigung öffnen müssen. Ich kann Ihnen hierzu die Homepage der BAG WfbM (Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen) und den dort nachvollziehbaren Diskussionsprozess empfehlen.

    Nur ergänzend zur klaren Antwort des Kollegen:


    Der Anspruch auf das Budget für Arbeit (ab 1.1.2018 in § 61 SGB IX) setzt lediglich voraus, dass der behinderte Mensch die Voraussetzungen für die Aufnahme in den Arbeitsbereich der WfbM erfüllt. Diese (ab 1.1.2018 in § 58 SGB IX) bleiben unverändert (noch: § 41 Abs. 1 SGB IX) und verlangen:
    dass für den behinderten Menschen
    1. eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt oder
    2. Berufsvorbereitung, berufliche Anpassung und Weiterbildung oder berufliche Ausbildung (§ 33 Abs. 3 Nr. 2 bis 4)
    wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder in Betracht kommen.


    Auch in der Begründung zum BTHG ist eindeutig zu lesen, dass ein Anspruch auf ein Budget für Arbeit (BfA) nicht verlangt, dass der behinderte Mensch zuvor in der WfbM beschäftigt worden ist (BT-Drs. 18/9522, S. 253). Alles andere liefe auch dem gesetzgeberischen Anliegen zuwider, von vornherein Alternativen zur WfbM zu ermöglichen. Damit kommt das BfA gerade auch für jene in Betracht, die infolge einer erst während der Erwerbstätigkeit auftretenden Beeinträchtigung (vorübergehend) ohne Unterstützung aus dem allgemeinen Arbeitsmarkt fallen würden. Da eine volle Erwerbsminderung wiederum nicht zu den Voraussetzungen für die Beschäftigung im Arbeitsbereich der WfbM und damit auch nicht für den Bezug eines BfA zählt, unterbricht ein Anspruch auf ein BfA nicht per se die bereits eingetretene Leistungszuständigkeit anderer Rehabilitationsträger, insbesondere nicht die der Gesetzlichen Rentenversicherung bzw. der Bundesagentur.

    Die Ermöglichung von Teilzeitarbeit selbst kann schon als angemessene Vorkehrung in Betracht kommen. Ist die Umorganisation für den Arbeitgeber zumutbar, dann können behinderte Menschen unabhängig von der Schwere ihrer Beeinträchtigung die Anpassung ihrer vertraglichen Arbeitszeit verlangen (EuGH, 11.04.2013 - C-335/11 und C-337/11; vgl. auch BAG, 19.12.2013, 6 AZR 190/12). Dies wird im deutschen Recht aus § 241 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Art. 2 UN-BRK bzw. Art. 5 RL 2000/78/EG abgeleitet. Auch bei einem schon bestehenden Teilzeitverhältnis kann sich ein Anspruch auf weitere Absenkung der Arbeitszeit ergeben, stets vorausgesetzt, die Umorganisation ist für den Arbeitgeber zumutbar. Dies ist stets eine Einzelfallprüfung.
    Schwerbehinderte Menschen können sich direkt auf den deutlich formulierten Anspruch in § 81 Abs. 5 SGB IX berufen.
    Wollen (schwer)behinderte Menschen eine Absenkung der Arbeitszeit als angemessene Vorkehrung geltend machen, können sie sich von den betrieblichen Interessenvertretungen unterstützen lassen, vgl. § 80 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG, § 95 SGB IX.


    Falls die Frage darauf zielte, ob im Rahmen einer bereits bestehenden Teilzeitbeschäftigung angemessene Vorkehrungen vom Arbeitgeber verlangt werden können, ist auch dies mit einem klaren "Ja" zu beantworten. Die o.g. Rechtsnormen unterscheiden nicht nach dem Umfang der Arbeitszeit. Eine pauschale Ablehnung angemessener Vorkehrungen unter Verweis auf das Teilzeitverhältnis stünde auch im klaren Widerspruch zum Verbot wegen Teilzeitbeschäftigung, vgl. § 4 Abs. 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz. Bei etwaigen Verstößen sollten Beschäftigte wieder die betrieblichen Interessenvertretungen einschalten.


    Die Pflicht zu "angemessenen Vorkehrungen" richtet sich an Arbeitgeber. Der darf, wie gesagt, nicht nach Teilzeit/Vollzeit differenzieren, sondern muss konkret nach Zumutbarkeit entscheiden.


    Soll eine betriebliche Maßnahme durch Sozialleistungen (z.B. durch Hilfsmittel oder technische Arbeitsplatzausstattung) unterstützt werden, dann müssen die Voraussetzungen der Leistungsansprüche gegen die Rehabilitationsträger vorliegen. Hier gibt es grundsätzlich auch keine Unterscheidung nach dem Umfang der Arbeitszeit, vgl. §§ 33, 34 SGB IX. Allenfalls im Rahmen der Ermessensausübung können Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkte eine Rolle spielen. Eine konkrete Beschränkung gibt es hinsichtlich der Förderung durch das Integrationsamt. Dies erbringt Leistungen als begleitende Hilfe im Arbeitsleben erst ab einer Wochenarbeitszeit von 15 Stunden, vgl. § 102 Abs. 2 S. 3 SGB IX (ab 1.1.2018: § 185 Abs. 2 S. 3 SGB IX neu, dann in Inklusionsprojekten auch ab 12 Wochenstunden).

    Ich stimme R. Neuhauser zu, dass Kommunikation und gute Zusammenarbeit wichtige Voraussetzungen für gelingende BEM-Prozesse sind. Wenn allerdings der Arbeitgeber auch auf Druck der inner- oder außerbetrieblichen Akteure nicht reagiert, dann muss über gerichtlichen Rechtsschutz nachgedacht werden. Insoweit stimme ich auch "Arbeitsmedizin 2016" zu.
    Allerdings ist das Warten auf eine Kündigung nicht im Sinne der Prävention, die so früh wie möglich einsetzen soll. Was, wenn der Arbeitgeber die notwendigen Schritte aussitzt? Hinzu kommt, dass viele Arbeitsverhältnisse nicht dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) unterfallen. Außerhalb des KSchG ist die Überprüfung einer Kündigung deutlich erschwert. Das Bundesarbeitsgericht hat leider entschieden, dass ein unterbliebenes BEM nur im Anwendungsbereich des KSchG, dort im Rahmen der Verhältnismäßigkeit, zu berücksichtigen ist (BAG, 22.10.2015, 2 AZR 720/14, NZA 2016, 473). Das Bundesarbeitsgericht sieht außerdem - jedenfalls bislang - im Unterlassen eines BEM-Verfahrens kein Indiz für eine behinderungsbedingte Diskriminierung (BAG, 28.4.2011, 8 AZR 515/10, BehR 2012, 62; kritisch Nebe SDSRV Bd. 63, S. 57, 67 f.). Damit hilft auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz nach derzeitiger Rechtsprechung zur Durchsetzung des BEM nicht weiter. Ist der Arbeitsvertrag nur befristet, braucht der Arbeitgeber nicht einmal kündigen.
    Umso wichtiger ist es, den Beschäftigten einen unmittelbaren Anspruch auf ein BEM-Verfahren zuzusprechen.
    Aus dem Gesetzeswortlaut des § 84 Abs. 2 SGB IX ergibt sich ein Anspruch des Beschäftigten auf ein BEM-Verfahren nicht direkt. Das ist im Recht aber auch nichts Besonderes. Denn schon bei systematischer und schutzzweckbezogener Auslegung ergibt sich korrespondierend zur Pflicht des Arbeitgebers zugleich ein Recht des Beschäftigten auf Durchführung eines BEM bei Erreichen der 6wöchigen Arbeitsunfähigkeit. Ausführlich dargelegt ist diese Auslegung der Norm in Forum B, Beitrag B18-2011 unter www.reha-recht.de.
    Von anderen Kommentatoren ist diese Auffassung positiv aufgegriffen worden (FKS/Feldes, SGB IX, § 84 Rn. 37; KSW/Kohte § 84 SGB IX Rn 37; für eine privatvertragliche Nebenpflicht Fabricius in: jurisPK-SGB IX, § 84 SGB IX Rn. 24). Der DGB hat in der Diskussion um das Bundesteilhabegesetz aus den oben genannten Gründen für eine ausdrücklich Verankerung des individuellen Rechtsanspruchs auf ein BEM im Gesetz plädiert. Auch wenn diese Forderung nicht umgesetzt wird, steht dies der oben beschriebenen Auslegung der Norm bei unverändertem Wortlaut nicht entgegen. D.h. auch bei bloßem Fortbestand der bisherigen Regelung ergibt sich ein individueller Anspruch auf ein BEM.
    Interessenvertretungen sollten arbeitsunfähige Beschäftigte ermutigen, bei verweigertem BEM gerichtlichen Rechtsschutz aktiv zur Durchsetzung des BEM-Anspruches in Anspruch zu nehmen.

    Die Irritationen um die Frage der Beweislast hinsichtlich der Ursache der Arbeitsunfähigkeit sind gut nachvollziehbar. Sie stellt sich für § 84 Abs. 2 SGB IX nicht.


    Wie schon zuvor gesagt besteht die BEM-Pflicht des Arbeitgebers unabhängig von der Ursache der Arbeitsunfähigkeit. Auch die in der Freizeit, möglicherweise gar leichtfertig zugezogene Verletzung/Erkrankung mit daraus folgender Arbeitsunfähigkeit löst die Pflicht des Arbeitgebers zum BEM aus. Im Recht der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist in den seltenen Fällen der selbstverschuldeten Erkrankung der Arbeitgeber von der Entgeltfortzahlung befreit, § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG. Aber selbst dort wird ein Selbstverschulden nur ganz ausnahmsweise angenommen; es verlangt eine vorsätzliche oder besonders leichtfertige Selbstverletzung. Auf die Präventionspflicht gem. § 84 Abs. 2 SGB IX ist dies nicht zu übertragen.


    Über die Beweislast ist erst zu sprechen, wenn der Arbeitgeber krankheitsbedingt kündigen will. Dann geht es aber auch nicht um den Beweis der Ursache der Arbeitsunfähigkeit, sondern um die Prognose der künftigen Vertragsstörung infolge der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Hat nämlich der Arbeitgeber ein BEM entweder ganz unterlassen oder in einer Weise durchgeführt, die nicht den Mindestanforderungen entspricht, so treffen ihn im Kündigungsschutzprozess erhöhte Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast, dass der langfristig erkrankte Beschäftigte weder auf seinem bisherigen Arbeitsplatz, gegebenenfalls nach dessen befähigungsgerechter Anpassung, noch auf einem anderen, ebenfalls befähigungsgerecht angepassten Arbeitsplatz hätte weiterbeschäftigt werden können (so die laufende Rechtsprechung, vgl. BAG 10.12.2009 – 2 AZR 400/08 – DB 2010, 621 ff.).
    Nur für den selten denkbaren Fall, dass auch ohne ein BEM eine Weiterbeschäftigung unmöglich wäre, erwächst dem Arbeitgeber kein Nachteil aus einem unterlassenen BEM. Dies setzt aber voraus, dass umfassend und detailliert vorgetragen worden ist, warum weder ein Einsatz auf dem bisherigen Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung möglich gewesen wären und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit hätte eingesetzt werden können. Es handelt sich hierbei um die primäre Darlegungslast des Arbeitgebers für die Nutzlosigkeit des BEM. Mit dieser eindeutigen Aussage ist das LAG Hamm in einer sehr aktuellen Entscheidung (19.7.2016, 7 Sa 1707/15, DB 2016, 2244) dem Versuch des Arbeitgebers entgegengetreten, die BEM-Pflicht zu verneinen, weil die Arbeitsunfähigkeit nicht betrieblich verursacht sei. Auf die Ursache kam es ganz klar nicht an.


    Wird im BEM-Prozess eine konkrete Anpassungsmaßnahme ermittelt, dann kann die Pflicht des Arbeitgebers zur Umsetzung der ermittelten Maßnahmen (z.B. Arbeitsplatzanpassung oder Vertragsanpassung) im Einzelfall an die Grenze der Zumutbarkeit stoßen. Erst hier kann sich im Abwägungsprozess die Frage nach der Ursache der Arbeitsunfähigkeit stellen. Auf die Einleitung und Durchführung eines BEM bleibt dies aber völlig ohne Einfluss.

    Ich möchte die wichtigen Hinweise aus den vorherigen Antworten noch einmal unterstreichen: Der Arbeitgeber muss den/die Beschäftigte(n) auf die Ziele des BEM sowie auf Art und Umfang der hierfür zu erhebenden und zu verwendenden Daten hinweisen. Gleichzeitig muss das Einverständnis des/der Beschäftigten mit der Durchführung des BEM und mit der Datenerhebung und -verwendung eingeholt werden. Das Bundesarbeitsgericht hat verdeutlicht, dass die Belehrung nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX zu einem regelkonformen Ersuchen des Arbeitgebers um Zustimmung des Arbeitnehmers zur Durchführung eines BEM zählt. Die Belehrung soll den Beschäftigten die Entscheidung ermöglichen, ob er/sie dem BEM zustimmt oder nicht (so ausdrücklich BAG 24.3.2011 – 2 AZR 170/10 – NZA 2011, 993, 994).