Ich stimme den Bedenken von "Gast" zu, dass die Überlegungen zu einem anonymisierten Bewerbungsverfahren im Hinblick auf das Merkmal Behinderung wenig hilfreich sind.
Auf dem Weg gegen anhaltende Diskriminierungen sollte keine Idee vorschnell verworfen werden. Die Antidiskriminierungsstelle gibt an, dass von den sie erreichenden Anfragen wegen erlebter Diskriminierung ein Viertel an eine Behinderung anknüpfen. Allein das Diskriminierungsverbot und die mit Beweiserleichterung verbundene Sanktionsmöglichkeit vermögen offensichtlich noch nicht effektiv zu schützen. Sowohl Ursachen als auch Gegenmittel sind vielfältig. Sie werden politisch diskutiert und wissenschaftlich untersucht.
Die anonymisierte Bewerbung ist eine Möglichkeit, Diskriminierungen zu vermeiden. Der Internetauftritt der Antidiskriminierungsstelle berichtet detailliert über Befürworter der anonymisierten Bewerbung und Erfahrungen aus Modellprojekten. Näheres unter http://www.antidiskriminierungsstelle.de/DE/ThemenUndFo…ungen_node.html
Laut Antidiskriminierungsstelle heißt anonymisierte Bewerbung Verzicht auf folgende Angaben:
- Namen, Adresse, Geburtsdatum, Familienstand und Herkunft.
Das Merkmal Beeinträchtigung/Behinderung ist gerade nicht benannt. Und dies ist meiner Ansicht nach auch völlig plausibel. Es zeigt, dass die persönlichen Merkmale, derer wegen Menschen Benachteiligungen erfahren, höchst unterschiedlich sind und nicht pauschal gleichgesetzt werden können.
Über die Offenbarung einer (Schwer)Behinderung ist unter dem Stichwort "Fragerecht" viel und intensiv diskutiert worden. Immer noch sehr aufschlussreich ist der Beitrag von Porsche, B 8/2011. Hieraus müssen die notwendigen Konsequenzen gezogen werden. Eine pauschale Frage nach vorliegender (Schwer)Behinderung ist diskriminierend und damit verboten. Spiegelbildlich gibt es keine Pflicht, pauschal in der Bewerbung auf eine (Schwer)Behinderung hinzuweisen. Insoweit ist es auch ganz verständlich, dass das Merkmal "Behinderung" in der obigen Aufzählung fehlt.
Führt allerdings eine individuelle Beeinträchtigung dazu, dass die mit der Tätigkeit verbundenen wesentlichen beruflichen Anforderungen nicht erfüllt werden können, so kann die Behinderung zum Gegenstand der Auswahlentscheidung werden und der Arbeitgeber nach den konkreten Einschränkungen fragen (§ 8 AGG). Dabei muss er gleichzeitig seine Pflicht zu angemessenen Vorkehrungen als Beitrag zur behinderungsgerechten Beschäftigung berücksichtigen (Art. 5 RL 2000/78/EG). Das Bundesarbeitsgericht hat jüngst entschieden, dass die in einem Bewerbungsgespräch nähere Befassung mit einer angegebenen Behinderung nicht diskriminiere, wenn der Arbeitgeber Informationen sucht, um mögliche konkrete und von ihm zu leistende angemessene Vorkehrungen zu bedenken (BAG, 26.6.2014, Az.: 8 AZR 547/13, juris Rn. 53).
Die Annahme, das weitreichende Verschweigen von Beeinträchtigungen sei der sichere Weg für eine diskriminierungsfreie Bewerbungssituation, trifft schon für all die Menschen nicht zu, deren Beeinträchtigung sichtbar ist. "Gast" hat zutreffend auf einen weiteren Aspekt verwiesen, wenn Zeugnisse o.a. Unterlagen Rückschlüsse zulassen. Umso mehr müssen andere Wege gesucht werden, z.B. indem die Schwerbehindertenvertretung hinzugezogen wird, indem es verpflichtende Regelungen in Integrationsvereinbarungen gibt (vgl. die Beispiele zur Frage nach "Betriebliche Integrationsvereinbarungen...") und indem die Personen, die Personalverantwortung tragen, Diversity-Kompetenz erlangen.