Beiträge von Cathleen Rabe-Rosendahl

    Bezüglich der Arbeitgeberpflichten zur Arbeits(platz)anpassung für chronisch erkrankte Beschäftigte:


    Chronische erkrankte Menschen können behindert i.S.d. § 2 SGBIX sein, wenn sie eine langfristige (länger als sechs Monate andauernde) Teilhabeeinschränkung haben. Selbst wenn eine solche auch nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens nicht zu einer Anerkennung einer Schwerbehinderung führen sollte, ist die Beantragung eines Grades der Behinderung (GdB) sinnvoll und anzuraten. Zum einen besteht ab einem GdB von 30 die Möglichkeit der Beantragung einer Gleichstellung (§ 151 Abs. 2 SGB IX), zum anderen hätte die betroffene Person z.B. auch bei einem GdB von 20 mit dem Feststellungsbescheid einen Nachweis über die Behinderung.


    Auch bei einem GdB unter 50 und keiner Gleichstellung hat der Arbeitgeber die Pflicht zu Arbeits(platz)anpassungen (angemessenen Vorkehrungen), auch wenn sich diese nicht wie bei schwerbehinderten und ihnen gleichgestellten Beschäftigten aus § 164 Abs. 4 SGB IX, sondern aus der Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB ergibt. Hierzu hat das Bundesarbeitsgericht bereits im Jahr 2013 den sehr anschaulichen Fall eines HIV-infizierten, jedoch noch nicht an AIDS erkrankten Laborassistenten entschieden (BAG v. 19.12.2013 - 8 AZR 190/12, https://www.bundesarbeitsgeric…ntscheidung/6-azr-190-12/).

    Das Wahlausschreiben für die SBV-Wahl ist an mindestens einer den Wahlberechtigten zugänglichen und geeigneten Stelle im Betrieb auszuhängen. Wichtig ist, dass diese Stellen von einer möglichst großen Zahl der Beschäftigten wahrgenommen werden. Nur durch einen hohen Bekanntheitsgrad der Wahl kann eine hohe Wahlbeteiligung erreicht werden. Beachtet werden sollte hier auch die Zugänglichkeit der Wahlbekanntmachung i.S.d. Barrierefreiheit. Da dies ein besonders wichtiges Thema ist, möchte ich hierauf noch einmal ausführlicher eingehen:


    Wie können Barrieren bei der Wahlbekanntmachung reduziert werden?


    Im förmlichen Wahlverfahren: Grundsätzlich sieht § 5 Abs. 2 SchwbVWO lediglich die Pflicht zum physischen Aushang des Wahlausschreibens durch den Wahlvorstand vor. Das Gesetz verlangt, dass es »an geeigneten Stellen gut lesbar« aufgehängt werden muss. Zusätzlich muss es jedoch den Anforderungen der Barrierefreiheit gerecht werden, d.h. der Aushang muss an einem auch für z. B. gehbehinderte Beschäftigte gut erreichbaren Platz angebracht werden. In der Regel sind daher mehrere gut zugängliche Aushänge erforderlich. Auch wenn die elektronische Form der Wahlbekanntmachung im Gesetz nicht vorgesehen ist, ist sie dennoch ergänzend dringend anzuraten. Die im Betrieb üblichen Informations- und Kommunikationstechniken wie Intranet, Rundmails, elektronische Infotafeln etc. sollten daher ergänzend genutzt werden.(Hierzu ausführlich bereits W. Kohte, M. Liebsch, Beitrag B6-2016 unter www.reha-recht.de)

    Durch die technische Verbreitung ist die Bekanntmachung z. B. für sehbeeinträchtigte Beschäftigte einfacher zugänglich, da sie per Bildschirmlesegerät, Sprachausgabe oder Brailleschriftumwandlung zur Kenntnis genommen werden kann.


    Sind in Betrieben oder Dienststellen Menschen mit kognitiven Einschränkungen beschäftigt, sollten das Wahlausschreiben und andere Wahldokumente in leichter Sprache ausgehängt oder über die oben genannten Verbreitungswege bekanntgemacht werden.



    Im vereinfachten Verfahren: Hier sieht § 19 Abs. 1 SchwbVWO die Einladung der Wahlberechtigten zur Wahlversammlung durch Aushang oder in sonst geeigneter Weise vor. Auch wenn hier eine rein elektronische Einladung zur Wahlversammlung möglich ist, wenn alle Wahlberechtigten einen sicheren Zugang zum gewählten Medium haben, empfehlen wir beim heutigen Stand der betrieblichen Digitalisierung den klassischen Aushang sowie zusätzlich die Nutzung von (mehreren) elektronischen Kanälen, die im Betrieb üblicherweise verwendet werden: d.h. z.B. per Rundmail und auf der SBV-Seite im Intranet. Auch hier ist gegebenfalls eine Version in leichter Sprache notwendig.

    Es gibt verschiedene kommerzielle Seminaranbieter sowie die Integrationsämter, die SBV-Wahl-Schulungen in diesem Jahr durchführen. Ob davon noch eines in Bayern stattfindet, kann ich Ihnen leider nicht sagen. Vielleicht kann ein anderes Foren-Mitglied aus Bayern hier weiterhelfen?


    Es gibt auch noch die Möglichkeit der Online-Seminare. Diese werden ebenfalls von diversen Anbietern u.a. anderem auch verschiedenen Gewerkschaften durchgeführt. Hier könnten Sie z.B. bei der zuständigen Gewerkschaft einmal nachfragen.


    Für SBV-Kandidat:innen, die noch kein SBV-Amt oder ein anderes Interessenvertretungsamt innehaben und auch nicht dem Wahlvorstand angehören, gibt es keinen Schulungsanspruch. Sobald ein:e Kandidat:in jedoch ins Amt gewählt ist, besteht selbstverständlich ein Schulungsanspruch: Der Gesetzgeber hat im Sozialgesetzbuch IX § 179 Abs. 4 Satz 3 bestimmt, dass Vertrauenspersonen der (schwer-)behinderten Beschäftigten und ihre Stellvertretung ein Recht auf Schulungen haben.

    Auf die Wichtigkeit einer ausreichenden Anzahl stelllvertretender SBV-Mitglieder wurde in einem anderen Thread bereits hingewiesen: Wie viele Stellvertreterinnen und Stellvertreter der Vertrauenspersonen sollten gewählt werden? Wer legt diese Zahl fest?


    Wenn die Anzahl der zur Wahl stehenden Stellvertretungsposten festgelegt wurde (durch den Wahlvorstand im förmlichen oder die Wahlversammlung im vereinfachten Wahlverfahren) ist es natürlich wichtig, auch ausreichend Kandidat:innen für diese Posten zu finden. Um dies sicherzustellen, ist eine frühzeitige Werbung für das Amt der SBV wichtig. Es wäre ungünstig, wenn sich am Ende weniger Kandidat:innen als Stellvertretungsposten zur Wahl stellen. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund, dass eine Nachwahl der Stellvertretung nach herrschener Meinung erst möglich ist, wenn sämtliche stellvertretenden Mitglieder ausgeschieden oder nachgerückt sind.

    Wann kommt das vereinfachte Wahlverfahren in Betracht?

    Grundvoraussetzung für die Wahl zur SBV ist, dass es mindestens fünf schwerbehinderte oder ihnen gleichgestellte behinderte Menschen gibt, die dort nicht nur vorübergehend beschäftigt sind.

    Anzuwenden ist das vereinfachte Wahlverfahren, wenn es im Betrieb/der Dienststelle weniger als 50 wahlberechtigte Beschäftigte gibt. Es gibt jedoch eine Ausnahme: auch wenn es im Betrieb weniger als 50 Wahlberechtigte gibt, findet das förmliche Wahlverfahren Anwendung, wenn der Betrieb/die Dienststelle aus räumlich weit auseinanderliegenden Teilen besteht. Hiermit soll verhindert werden, dass Wahlberechtigte aus entfernungsbedingten Schwierigkeiten nicht an der Wahlversammlung und somit der Wahl im vereinfachten Verfahren teilnehmen können. Das Bundesarbeitsgericht hat in einer Entscheidung aus 2004 (07.04.2004 – 7 ABR 42/03) bei Verkaufsstellen, die bis zu 60 km voneinander entfernt liegen und die eine zeitaufwendige persönliche Kontaktaufnahme der dort beschäftigten Wahlberechtigten erforderlich machten, solche Schwierigkeiten bejaht. Hier war dann das förmliche Wahlverfahren anzuwenden.


    Was ist dabei zu beachten?

    Zu beachten ist beim vereinfachten Verfahren, dass die Vorbereitung allein der amtierenden SBV obliegt, da es hier keinen Wahlvorstand gibt. Das ist oft eine herausfordernde Aufgabe. Insbesondere ist es wichtig, dass die amtierende SBV bereits mit interessierten Beschäftigten vor der Wahlversammlung ins Gespräch kommt, die sich eine Kandidatur oder die Übernahme einer Funktion (Wahlleitung, Hilfsperson) vorstellen können, denn letztendlich läuft die ganze Wahl innerhalb von 1,5-2h in einer Veranstaltung ab und muss gut vorbereitet sein: Wahlversammlung mit Bestimmung der Wahlleitung und Hilfsperson(en), Kandidat:innenfindung und -Vorstellung sowie im Anschluss die zwei Wahlen (Vertrauensperson und Stellvertretung) und die öffentliche Auszählung.


    Wann ist eine Briefwahl möglich?

    Die Briefwahl stellt eine Ausnahme vom Regelfall der persönlichen Stimmabgabe im Wahllokal dar und ist grundsätzlich nur im förmlichen Verfahren möglich. Hier ist die individuelle und die allgemeine, vom Wahlvorstand angeordnete Briefwahl zu unterscheiden.


    Die individuelle Briefwahl kann bei Verhinderung am Wahltag beim Wahlvorstand angefordert werden. Der Grund der Verhinderung ist dabei unerheblich; zugunsten einer hohen Wahlbeteiligung sollte kein allzu strenger Maßstab angelegt werden.

    Unabhängig von der individuellen Briefwahl kann der Wahlvorstand auch eine allgemeine schriftliche Stimmabgabe anordnen. In diesem Fall gibt es dann keine Abstimmung im Wahllokal; eine Wahl ist dann nur per Briefwahl möglich. Eine solche generelle Briefwahl halten wir nicht für sinnvoll. In bestimmten Fällen kann eine Briefwahl auch nur für räumlich weit entfernt liegende Nebenstellen oder Teile einer Dienststelle bzw. eines Betriebs angeordnet werden – dies muss aber bereits deutlich im Wahlausschreiben kenntlich gemacht werden (vgl. Sachadae in: Düwell, Lehr- u. Praxiskommentar zum SGB IX, § 11 SchbVWO Rn. 14)


    Seit 2022 ist auch eine Briefwahl im vereinfachten Wahlverfahren möglich, wenn die Wahlversammlung mittels Telefon- und Videokonferenz stattfindet. Eine Wahl während einer digitalen oder Telefonkonferenz ist nicht möglich; es muss im Anschluss eine Briefwahl stattfinden. (§ 20 Abs. 5 SchwbVWO).

    Bezugnehmend auf die Ausführungen von Frau Nebe möchte ich ausdrücklich dafür werben, Betriebs- und Personalräte bei diesem Thema zu involvieren und gezielt anzusprechen. Frau Nebe hat bereits darauf aufmerksam gemacht, dass das Bewusstsein insbesondere für die besonderen Bedürfnisse von Eltern behinderter Kinder auch bei den Betriebs- und Personalräten noch gestärkt werden muss. Daher ist es besonders wichtig, dass sich Beschäftigte mit ihren Anliegen und Bedürfnissen auch an den Betriebs- bzw. Personalrat – sofern ein solcher existiert – wenden, damit dieser seiner gesetzlichen Pflicht, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch für Beschäftigte mit behinderten Kindern zu fördern, nachkommen kann.
    Die Interessenvertretungen haben - z.B. im Rahmen ihrer Möglichkeit, Betriebs- bzw. Dienstvereinbarungen mit dem Arbeitgeber zu schließen - weitere Ansatzpunkte, auf die Belange von Beschäftigten mit behinderten Kindern aufmerksam zu machen und betriebliche Lösungsansätze für eine Vereinbarkeit (mit) zu entwickeln. Dies kann z.B. in einer Arbeitszeit-Betriebs- oder Dienstvereinbarung oder aber auch – bisher jedoch leider noch wenig verbreitet– in einer eigenen Betriebs- oder Dienstvereinbarung zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf geschehen.


    Die Untersuchung der Böckler-Stiftung zum Thema „chancengleich und familienfreundlich“ führt einzelne Beispiele aus Betriebsvereinbarungen auf, die besondere Rechte für Beschäftigte mit behinderten Kindern vorsehen. Beispielsweise sieht eine Betriebsvereinbarung im Grundstücks- und Wohnungswesen vor, dass Behinderte oder von Behinderung bedrohte Kinder in allen Kinderhäusern (die dem Kooperationsabkommen zwischen Arbeitgeber und Betreuungseinrichtung unterliegen) im Rahmen von Einzel-Integrationsmaßnahmen aufgenommen werden müssen, wenn die Eltern dies wünschen.


    Die Untersuchung mit weiteren Beispielen ist abrufbar unter: https://www.boeckler.de/pdf/p_…ncengleich_u_familien.pdf


    Auch darüber hinaus stellt die Homepage der Hans-Böckler-Stiftung ein gutes Informationsportal insbesondere zu möglichen Betriebs- oder Dienstvereinbarungsinhalten dar: http://www.boeckler.de

    Neben den von Frau Nebe angesprochenen Aspekten gibt es zusätzlich den flankierenden Diskriminierungsschutz bei nicht gerechtfertigten Benachteiligungen, die Beschäftigte wegen der Behinderung eines Angehörigen erfahren. Der Europäische Gerichtshof hat bereits 2008 betont, dass Beschäftigte nicht nur wegen einer eigenen Behinderung, sondern auch dann vom europäischen Diskriminierungsschutz umfasst sind, wenn sie wegen der Behinderung eines Angehörigen benachteiligt werden. Diese Diskriminierungsform wird oftmals auch als „Diskriminierung wegen der Assoziation mit einem behinderten Menschen“ bezeichnet. Im vom Europäischen Gerichtshof 2008 entschiedenen Fall (Rechtssache Coleman, Az. C-303/06) war die Mutter eines behinderten Sohnes aufgrund der Behinderung ihres pflegebedürftigen Kindes gegenüber anderen Eltern von ihrem Arbeitgeber benachteiligt worden. Im Gegensatz zu Beschäftigten ohne ein behindertes Kind wurde es ihr verwehrt, nach der Rückkehr aus dem Mutterschaftsurlaub an ihren früheren Arbeitsplatz zurückzukehren. Des Weiteren wurden ihr keine flexiblen Arbeitszeiten gewährt, obwohl diese für Beschäftigte mit Kind ohne Behinderung genehmigt wurden. Auch waren Ms Coleman und ihr Sohn herablassenden und unangemessenen Bemerkungen ausgesetzt. Das Verhalten des Arbeitgebers wurde vom Europäischen Gerichtshof und den britischen Arbeitsgerichten zu Recht als diskriminierend gewertet.
    Für das deutsche Recht gilt daher ebenso: Wird die Mutter oder der Vater eines behinderten Kindes gegenüber anderen Beschäftigten ohne ein behindertes Kind wegen der Behinderung des Kindes benachteiligt, so liegt – sofern es keine Rechtfertigung für diese benachteiligende Behandlung gibt - eine rechtswidrige Diskriminierung vor. Im deutschen Recht steht der diskriminierten Person dann ein Entschädigungsanspruch aus § 15 Abs. 2 AGG und ggf. ein Schadensersatzanspruch aus § 15 Abs. 1 AGG zu.