Beiträge von Dr. Harry Fuchs

    Die Inhalte, die mit den Instrumenten zur Ermittlung des Rehabilitationsbedarfs festzustellen sind, sind in den § 13 Abs. 2/ 118 SGB IX als Mindestinhalte für alle Träger einheitlich abweichungsfest vom Gesetzgeber vorgegeben.
    Dabei geht darum, ob die Aktivitäten und - daraus abgeleitet - die Teilhabe eines Menschen mit Behinderung als Folge von Krankheit oder Behinderung beeinträchtigt ist, welche - wiederum daraus abgeleitet - Teilhabeziele mit
    den Leistungen zur Teilhabe erreicht werden sollen welche Leistungen im Rahmen einer Prognose zur Erreichung dieser Ziele voraussichtlich erfolgreich ( d.h., nach ihrer jeweiligen Struktur und Prozessqualität geeignet) sind.
    Maßgebend für die Entscheidung über eine beantragte Teilhabeleistung sind mithin weniger Art und Schwere einer Erkrankung, als vielmehr Art und Umfang der Beeinträchtigung der Teilhabe. Das gilt auch für die Ausübung des
    den Trägern eingeräumten Auswahlermessens, welcher Leistungserbringer der zur Erreichung der Teilhabeziele nach seiner Struktur- und Prozessqualität geeignet ist. Die Träger haben jeweils den "geeignesten" auszuwählen
    (§ 36 SGB IX). Obwohl die Gemeinsame Empfehlung Begutachtung der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) seit ihrer Überarbeitung 2016 an der ICF orientiert ist, hat sich das in der Praxis zumTeil
    nicht durchgesetzt. Einige Rehabilitationsträger stützen sich auch auf rein medizinische Unterlagen (Krankenhaus- und Befundberichte), die nichts zur Beeinträchtigung der Teilhabe aussagen. In diesen Fällen bestehen Zweifel, ob die Bedarfsermittlung
    auf der Grundlage des seit Inkrafttreten des BTHG geltenden Rechts rechtmäßig erfolgt ist.

    Das mit dem BTHG für alle Rehabilitationsträger einheitlich vorgeschriebene Teilhabeplanverfahren geht davon aus, dass der leistende Rehabilitationsträger (derjenige bei dem erstmals ein Antrag eingeht) eine Steuerungsfunktion für das gesamte weitere Verfahren hat, die bis zur Inklusion oder solange dauert, bis ein anderer Träger mit Zustimmung des Berechtigten die Steuerungsfunktion übernimmt.
    Mit der Verpflichtung ein Teilhabeplanverfahren durchzuführen und als Bestandteil des Teilhabeplanverfahrens den Bedarf festzustellen und zu dokumentieren, enthält das SGB IX eine gesetzliche Verpflichtung zur Erhebung, Verarbeitung und Weiterleitung von Daten. In Verbindung mit den übrigen Regelungen zum Sozialdatenschutz im SGB X bzw. SGB X bestehen rechtlich zum Bedarfsfeststellungsverfahren keine Datenschutzprobleme.
    Die Intention des Gesetzgebers zum Teilhabeplanverfahren ist, dass im Zusammenhang mit einer erstmaligen Antragstellung von dem leistenden Rehabilitationsträger ein Teilhaberplan erstellt wird, der die zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Beeinträchtigungen der Teilhabe eines Menschen mit Behinderung - losgelöst von der Zuständigkeit oder Leistungsverpflichtung eines Rehabilitationsträgers - vollständig feststellt und nachprüfbar dokumentiert. Im weiteren Verlauf sollen nicht bei jedem neuen Leistungsantrag neue Teilhabepläne erstellt, sondern der erste Teilhabeplan von dem leistenden Rehabilitationsträger überprüft und auf den aktuellen Entwicklungsstand fortgeschrieben werden. Dies wird in der Praxis nur funktionieren, wenn die Rehabilitationsträger auf der Ebene der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation ein gemeinsames Verfahren zum digitalen Austausch des Teilhaberplanes entwickeln. Im Rahmen der Begleitforschung zur Umsetzung des Bedarfsermittlungsverfahrens nach § 13 SGB IX (vergl. Forschungsbericht 540 auf der Internetseite des BMAS) waren dazu bei den Trägern noch keine Aktivitäten wahrnehmbar.

    Der Leistende Rehabilitationsträger ist im Rahmen des Teilhabeplanverfahrens für die Feststellung der nach dem individuellen Bedarf voraussichtlich erforderlichen Leistungen und die Ermittlung des Rehabilitationsbedarfs verantwortlich (§§ 19, 13, 118 SGB IX). An dieser Verantwortung ändert sich nichts, wenn die Träger in der Praxis (Inder Vergangenheit insbesondere die Träger der Eingliederungshilfe) dazu die bei den Leistungserbringern vorhandenen Informationen und Fakten nutzen. Die Rehabilitationsträger tragen im Rahmen ihrer Verantwortung für die Bedarfsermittlung auch die Verantwortung für die Gewährleistung datenschutzrechtlicher Bestimmungen.

    Die Rehabilitationsträger sind an den Inhalt eines Gutachtens nicht gebunden. Das Gutachten dient ausschließlich der Sachverhaltsklärung und hat - wenn es denn überhaupt konkrete Empfehlungen zur Leistungsentscheidung enthält - rein empfehlenden Charakter, an den der Träger nicht gebunden ist. Anders als im Bereich der Pflegeversicherung, wo die Begutachtung möglichst in der Wohnung gesetzlich vorgeschrieben ist, enthält das SGB IX keine vergleichbare Regelung. Da die Gutachten von den Rehabilitationsträgern in Auftrag gegeben werden, können sie auch die Rahmenbedingungen bestimmen, unter denen das Gutachten erstellt werden soll. Wenn eine Begutachtung behinderungsbedingt außerhalb der Wohnung nicht möglich oder sinnvoll ist, sollten die Betroffenen oder Angehörigen im Vorfeld der Erteilung des Gutachtenauftrages den Träger bitten, im Gutachtenauftrag die Begutachtung in der Wohnung vorzusehen.

    Die Bedarfsfeststellung ist nach § 13 SGB IX originäre Aufgabe der Rehabilitationsträger. § 13 Abs. 2 SGB IX schreibt für alle Rehabilitationsträger einheitlich die Mindestinhalte vor, die durch die Bedarfsfeststellung erfasst werden müssen (ob eine Behinderung vorliegt oder einzutreten droht; welche Auswirkungen die Behinderung auf die Teilhabe der Leistungsberechtigten hat; welche Ziele mit Leistungen zur Teilhabe erreicht werden sollen; welche Leistungen im Rahmen einer Prognose zur Erreichung der Ziele voraussichtlich erfolgreich sind). Diese Mindestanforderungen sind "abweichungsfestes Recht" von dem weder die Rehabilitationsträger noch - im Bereich der Eingliederungshilfe - die Länder (§ 118 Abs. 2 SGB IX) bei der Gestaltung der Instrumente der Bedarfserhebung abweichen dürfen (§ 7 Abs. 2 SGB IX). Der Gesetzgeber hatte das Bundesarbeitsministerium gesetzlich verpflichtet, Wirkung der Bedarfsermittlungsinstrumente zu untersuchen und darüber bis 31.12.2019 einen Bericht vorzulegen. Dieser Bericht liegt auf der Internetseite des BMAS seit Dezember 2019 als Forschungsbericht 540 vor. Der Stand der Umsetzung ist dort für die verschiedenen Zweige der Träger nachvollziehbar und stellt fest, dass man noch in allen Trägerbereichen am Anfang der Entwicklung - insbesondere auch der nach § 13 Abs. 2 SGB IX systematisch zu treffenden Feststellungen steht. Die Teilhabeleistungen dienen vor Allem dem Ausgleich einer Beeinträchtigung der Teilhabe. Die Bedarfsermittlung orientiert deshalb auf das Vorliegen einer Teilhabebeeinträchtigung, die sich daraus ableitenden Teilhabeziele, die mit den Teilhabeleistungen erreicht werden sollen, und die danach zur Zielerreichung erforderliche Leistungsqualität (einschl. Gegenstand und Umfang). Bisher werden oftmals noch ausschließlich medizinische Unterlagen (Krankenhausberichte, Befundberichte, aber auch Gutachten) herangezogen, die wenig oder keine Aussagen zur Teilhabebeeinträchtigung enthalten und den sich daraus ableitenden Folgefragen (Ziele, geeignete Leistung) enthalten, obwohl die Gemeinsame Empfehlung "Begutachtung" der Bundesarbeitsgemeinschaft für
    Rehabilitation (BAR) bereits seit 2016 an der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) orientiert ist.

    Ist für die Feststellung des Rehabilitationsbedarfs ein Gutachten erforderlich, beauftragt der leistende Rehabilitationsträger einen "geeigneten" Sachverständigen. Geeignet ist nur der Sachverständige, der für die im Rahmen der Bedarfsermittlung zu begutachtenden Fragen über die notwendige Fachkunde und eine hinreichende persönliche Eignung und Erfahrung verfügt. Erfüllt der beauftragte Sachverständige diese Eignungskriterien nicht, kann das dazu führen, dass die Bedarfsfeststellung iSd § 13 Abs. 2 SGB IX im Ergebnis als nicht rechtmäßig durchgeführt angesehen werden muss. Ein auf einem Gutachten eines nicht geeigneten Sachverständigen basierender Verwaltungsakt kann auf dem Rechtsweg (Widerspruch, Klage) angegriffen werden.