Beiträge von Dr. Hans-Günther Ritz

    Wenn ich Sie recht verstehe, stellen Sie Fragen zu:


    • Zur Weiterführung der Beteiligungsrechte der Schwerbehindertenvertretung in Corona Zeiten
    • Vorstellungsgespräche
    • Beteiligung von gehörlosen Menschen an Videokonferenzen


    Zu 1. Zur Weiterführung der Beteiligungsrechte der SBV in Corona Zeiten


    § 178 Abs. 2 SGB IX verpflichtet die Arbeitgeber, Sie als Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Men­schen als Gruppe betreffen, unverzüglich und umfassend zu informieren und anzuhören. Diese wichtige Regelung wird durch Corona nicht ausgesetzt, sie gilt uneingeschränkt weiter. Die Form der Information ist im Gesetz nicht vorgeschrieben. Sie kann also im persönlichen Gespräch, telefonisch, per mail oder sonst irgendwie schriftlich erfolgen. Mein Arbeitgeber hat mich letzte Woche als Schwerbehindertenvertretung z.B. wegen einer anstehenden Personalangelegenheit angerufen. Ich habe im Telefonat meine Stellungnahme abgegeben und einen bestimmte Art der Durchführung vorgeschlagen.


    Ich hätte mich natürlich auch per mail mich rückäußern können. Aber das Beispiel zeigt, so ganz viel ändert Corona nicht. In jedem einzelnen Fall muss der Arbeitgeber seine aus § 178 Abs. 2 SGB IX begründete Informations- und Anhörungspflicht gegenüber der Schwerbehindertenvertretung genüge tun. Im Falle, dass dies von Seiten des Arbeitgebers nicht geschieht


    Die Beteiligungsrechte an den Sitzungen des Betriebs- oder Personalrates sind seit 23.3. März vielerorts durch die „Ministererklärung“ von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) gestützt worden. Getragen wird diese Ministererklärung offensichtlich von seiner festen Überzeugung, dass Arbeitgeber auch in der aktuellen Krisenzeit und bei den veränderten Geschäftsprozessen in vielen Unternehmen die Betriebsräte nicht von Mitbestimmungs- und Anhörungsrechten ausschließen dürfen. So sagt Minister Heil: „Eine solche Ausnahmesituation kann […] keine Ausrede sein, um die Betriebsräte zu übergehen und ihre Rechte faktisch außer Kraft zu setzen. Ich appelliere daher an die Arbeitgeber und die Betriebsrätinnen und Betriebs­räte: Das Finden von schnellen und pragmatischen Lösungen hat derzeit die höchste Priorität, bitte beherzigen Sie dies bei all Ihrem Handeln.“


    Am 9. April erging nun eine Presserklärung der Bundesregierung mit dem Titel: Bundesregierung will betriebliche Mitbestimmung mit Audio- und Videokonferenzen sicherstellen. Dort heißt es: Die Beschränkungen infolge der Corona-Pandemie stellen die grundsätzliche Handlungs- und Beschlussfähigkeit von Personal- und Betriebsräten vor praktische Schwierigkeiten und rechtliche Unsicherheiten. Mit einem Maßnahmen Mix will die Bundesregierung die Mitbestimmung der Beschäftigten auch in der jetzigen Situation sicherstellen.


    Konkret sieht die Bundesregierung Änderungen des Betriebsverfassungsgesetzes und des Bundespersonalvertretungsgesetzes vor. Sie setzt somit die Ministererklärung von Hubertus Heil rechtlich um.


    Personalvertretungen erhalten die Möglichkeit, Beschlüsse vorerst auch per Video- und Telefonkonferenz zu fassen. Diese Regelung gilt für Betriebsräte bis zum 31. Dezember 2020, für Personalräte bis zum 31. März 2021. Ziel der Maßnahme ist es, die mit hohen Infektionsrisiken verbundenen Präsenzsitzungen möglichst zu vermeiden und gleichzeitig die Handlungs- und Beschlussfähigkeit der Personalvertretungen sicher zu stellen. Damit bereits über diese Kommunikationsform gefasste Beschlüsse rechtswirksam bleiben, sollen die Regelungen rückwirkend zum 1. März 2020 in Kraft treten.


    Damit werden viele Beteiligungs- und Mitbestimmungsverfahren für die Geltungsbereiche des Betriebsverfassungsgesetzes und des Bundespersonalvertretungsgesetzes auch per Video- oder Telefonkonferenz möglich und gesetzlich ausdrücklich zulässig. Damit wird eine Richtung für gesundheitlich ungefährliche Kommunikation bei Beteiligungs- und Mitbestimmungsverfahren für Betriebs- und Personalräte ausdrücklich gesetzlich zugelassen. Die Geltungsbereiche der Landespersonalvertretungsgesetze sind damit noch nicht ausdrücklich in diesem Sinne geregelt. Man wird sehen, ob und wann die Länder sich zur Anpassung ihrer Gesetze an die neue Lage durchringen.


    Eine Regelung für Schwerbehindertenvertretungen ist damit auch noch nicht im SGB IX eingeführt. Das wäre wünschenswert, im strengen Sinne sogar rechtlich notwendig. Übergangsweise wäre aber nach meiner Auffassung – quasi im Vorgriff auf Regelungen die absehbar kommen müssen – schon mal auch in der Schwerbehindertenvertretung die umfassende Nutzung von Video- und Telefonkonferenzen.


    Also: Ihre Beteiligung nach § 178 Abs. 2 SGB IX ist auch in der aktuellen Situation zwingend. Sollte Sie nicht erfolgen gilt Satz 2 dieser Vorschrift. Danach ist auf Antrag der Schwerbehindertenvertretung eine Entscheidung des Arbeitgebers für 7 Tage auszusetzen. In dieser Frist ist Ihre Anhörung nachzuholen. Falls der Arbeitgeber sich weigert die Entscheidung auszusetzen, so kann die Schwerbehindertenvertretung vor dem Arbeitsgericht(§ 2a Abs. 1 Nr. 3a ArbGG) im Beschlussverfahren und ggf. mit einer einstweiligen Verfügung die Aussetzung erzwingen. Auch für den öffentlichen Dienst ist hier das Arbeitsgericht zuständig. Die einstweilige Verfügung kann auch mit einem Ordnungsgeld versehen sein. (§ 85 Abs. 1 ArbGG iVm § 890 Abs. 1 ZPO)


    2. Vorstellungsgespräche


    Vorstellungsgespräche dürften im Moment durchaus seltener als üblich sein. Sie können natürlich auch virtuell durchgeführt werden. Dabei würde ich Telefonkonferenzen als wenig geeignet ansehen, weil der Bewerber ja nur sehr schlechte Chancen hat, die Überblich über die Runde mit Fremden zu halten. Als Videokonferenz kann ich mir das allerdings schon vorstellen. Die Fragen sind vor allem auch technischer Art. Z.B. welche Vorauswahl trifft der Betrieb, wenn der Bewerber seine eigene Videokonferenzteilnahme selbst organisieren muss.


    Es gelten also bei Bewerbungen und Vorstellungsgesprächen alle Ihre Rechte auf Beteiligung nach § 164 Abs. 1 SGB IX.


    3.Beteiligung von gehörlosen Menschen an Videokonferenzen


    Gehörlose Bewerber können nach meiner Auffassung und meiner eigenen Erfahrung durchaus an Videokonferenzen teilnehmen – zusammen mit ihrem Gebärdensprachdolmetscher. Die Videokonferenzschaltung ist etwas komplizierter, aber es geht. In meiner Firma wird das für eine gehörlose Kollegin bei Teambesprechungen regelmäßig angewendet. Falls Sie dazu nähere Fragen haben, tragen Sie diese ruhig noch mal an mich heran. Ich denke mit Zustimmung des gehörlosen Bewerbers sind Bewerbungsgespräche auch per Videokonferenz möglich.


    Dr. Hans-Günther Ritz


    Dr.ritz1@gmx.de

    Naja, die Abzugsfähigkeit der Ausgleichsabgabe hat steuersystematische Gründe. IDie Ausgleichsabgabe aus den Betriebsausgaben steuerlich herauszunehmen ist vor Jahren mal im Rahmen eines der vielen Gesetzgebungsverfahren versucht worden. Aus eher technischen Gründen wurde das abgelehnt vom Finanzministerium.
    Aber eines ist klar: Netto wird trotzdem immer eine Ausgleichszahlung fällig. Die steuerliche Abzugsfähigkeit der Ausgleichsabgabe erspart diesen Unternehmen nur den kleinern Teil das fälligen Ausgleichsabgabe.

    Falls Unternehmen behinderte Auszubildende beschäftigen, erscheint es mir aus Erfahrung sinnvoll zu sein, einen „Notfallplan“ für die Aktivierung schneller Unterstützung in Krisen zu vereinbaren. Anders als bei schwerbehinderten Arbeitnehmern ist das Integrationsamt nicht unmittelbar zuständig. Am Besten ist eine Förderung durch die Agentur für Arbeit zu beantragen – entweder hilft dann die Agentur bei Schwierigkeiten wirklich oder das Unternehmen kann aus den Fördermitteln selbst eigene Schritte ohne größere finanzielle Belastung aktivieren. Falls möglich, erscheint es mir auch sinnvoll, einige Regelungen über den Umgang mit schwerbehinderten Auszubildenden in der Inklusionsvereinbarung zu treffen. Mein Formulierungsvorschlag:„ Das Unternehmen hat das Ziel, auch schwerbehinderte Auszubildende zu beschäftigen. Zur Unterstützung bei der Ausbildung schwerbehinderter Jugendlicher wird in jedem Einzelfall wird mit Integrationsamt und Agentur für Arbeit festgelegt, wie schnelle Hilfe bei Krisen sichergestellt werden kann. In jedem Falle wird eine finanzielle Ausbildungsförderung beantragt. Diese Förderung wird das Unternehmen auch nutzen, um ausreichende Zeit für Krisenlösungen finanzielle neutral bereit stellen zu können.“ Schwerbehindertenvertretungen können bei Agentur und Arbeitgeber durchaus argumentieren, dass laut Berufsausbildungsbericht 2017 ungefähr 25 % aller Ausbildungsverhältnisse vorzeitig – also ohne Abschluss – abgebrochen werden. Eine Krisenvorsorge ist also durchaus in vielen Fällen erforderlich. Die Gründe wären in jedem Einzelfall festzustellen.

    Barrieren, ja das stimmt. Die Barrieren sind vielfältig, Unternehmen und Belegschaften können diese aber selbständig nur langsam und schwer abbauen. Der Grund: Betriebliche Ausbildung ist bei der Vielfalt der Behinderungen oft ein objektiv schwieriges Thema und sehr selten. Aus eigener Erfahrung ist nur differenzierter Kompetenzzuwachs der Unternehmen und der betrieblichen Interessenvertretungen möglich - auch wegen der Seltenheit des betrieblichen Ausbildung von schwerbehinderten Auszubildenden.
    Im Jahr 2015 meldeten die ca. 156.000 beschäftigungspflichtigen Arbeitgeber zusammen nur 7099 schwerbehinderte Auszubildende. Statistisch werden damit maximal 4 % der Arbeitgeber betroffen, tatsächlich dürften es aber noch viel weniger sein. So haben Deutsche Bahn und Daimler jeweils eine Zielzahl von ca. 50 neuen Ausbildungsverhältnissen pro Jahr. Aufgrund solcher Arbeitgeber kann es durchaus sein, dass nur ein oder zwei Prozent der beschäftigungspflichtigen Arbeitgeber auch schwerbehinderte Auszubildende ausbilden.
    Der Schlüssel für die Lösung liegt mE wegen den derzeitigen Zuständigkeitsregelungen bei der Bundesagentur für Arbeit. Hier muss im Grundsatz voraussetzungslose Unterstützung bei jeder betrieblichen Krise bereit gestellt werden können. Heute werden nur Pakete (Maßnahmen mit Phasen vor der Ausbildung und begleitend zur Ausbildung) angeboten.
    Derzeit läuft ein Verfahren für die Vergabe von Rahmenverträgen über die Durchführung von Maßnahmen zur Teilhabebegleitung für Menschen mit besonderem Förderbedarf (THB) nach § 49 Abs. 3 Nr. 7 SGB IX (§ 33 Abs. 3 Nr. 6 SGB IX a.F.) Der Wortlaut des Gesetzes bezieht sich aber auf Beschäftigung und selbständige Tätigkeit, für betriebliche Ausbildung sind Leistungen nach § 49 Abs. 3 Nr. 5 SGB IX einschlägig. Die ab 2018 zu erwartenden Rahmenverträge sind also noch keine Verbesserung für die Unterstützung von Ausbildungsverhältnissen. Die Bundesagentur zeigt damit aber, dass sie auch individuelle Leistungen bereit halten könnte.

    DIe SBV kann bei der Erschließung und Sicherung von betrieblichen Ausbildungsplätzen für schwerbehinderte Jugendliche schon einen wichtigen Beitrag leisten. SIe braucht aber für diese schwierige Aufgabe Mut, Ausdauer und die Fähigkeit, zu ertragen, dass man manchmal einfach keinen geeigneten Bewerber findet.


    Zudem kommt noch eine weitere Problematik dazu:
    Für die berufliche Erstausbildung schwerbehinderter Menschen ist die Agentur für Arbeit zuständiger Rehabilitationsträger. Das Integrationsamt ist nur nachrangig zuständig, insbesondere weigert es sich in der Regel, auf eigene Kosten einen IFD zu beauftragen.
    Die Bundesagentur macht das ebenfals nicht, weil sie nur Leistungen aus Ausschreibungen einsetzt.
    Es trifft also leider zu, dass für schwerbehinderte Auszubildende ein massives Loch im Bereich "begleitende Hilfe" fast immer besteht. Überraschend auftretende Krisen können von daher meist nur wirklich erfolgreich von Externen unterstützt werden, wenn der schwerbehinderte Jugendliche schon vor der Ausbildung in einer vorbereitenden Maßnahme war, die zugleich auch ein "Leistungspaket Ausbildungsbegelitung" umfasst. So etwas gibt es, ist aber nicht so ganz einfach zu erhalten. Schränkt meistens auch die Freiheit der Berufswahl faktisch ein, weil solche Maßnahmen sich auf eine Berufsfeldauswahl spezialisieren.


    Insgesamt ist nach meiner Erfahrung eine externe Hilfe im Bedarfsfall bei Auszubildnenden viel schlechter und meist auch noch langsamer als bei schwerbehinderten Arbeitnehmern.


    Schwerbehindertenvertretungen, Betriebs- und Personalräte haben aber eine gewisse Chance in einer neuen Inklusionsvereinbarung Regelungen auch für die externe Unterstützung von schwerbehinderten Auszubildenden zu treffen:
    Sie könnten z.B. derartigen Forderungen in die Verhandlungen zu gehen:
    Zum Thema behinderte Jugendliche ist es heute üblich eine allgemeine Absichtserklärung zur Ausbildung behinderter Jugendlicher aufzunehmen. In sehr guten Vereinbarungen finden sich auch (realistische) Zielzahlen. Selten oder nie finden sich bisher Regelungen zur Unterstützung der schwerbehinderten Auszubildenden, besonders auch schon in der Probezeit. Das sollte geregelt werden. Ohne eine solche Regelung ist bei überraschend auftretendem Unterstützungsbedarf eine Unterstützung in der Regel nicht schnell genug einwerbbar.


    Als Hintergrundwissen ist bedeutsam: Im Durchschnitt ist 2015 jedes vierte Ausbildungsverhältnis vorzeitig abgebrochen worden – bundesweit und für Auszubildende insgesamt. Es ist zwar nicht bekannt, wie oft schwerbehinderte Auszubildende vorzeitig abbrechen, aber auch hier wird es das Problem geben. Betriebliche Interessenvertreter können dem mit guten Vereinbarungen vorbeugen. Das Integrationsamt sollte gebeten werden bei der passenden genaueren Formulierung Unterstützung zu leisten.

    Im Internet sind unter dem Suchwort Assistierte Ausbildung eine Reihe von erfolgreichen Projekten zu finden, allerdings habe ich kein einziges gefunden, das schon mit Menschen mit Behinderungen arbeitet. Ich habe mich dann ein bisschen rum gehört, scheinbar ist erst im Verfahren zum Fünften Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (5. SGB IV-ÄndG)- BT-Drs. 18/3699 - S- 26 zu Nummer 5 - eingefügt worden.
    Allerdings: Der Wortlaut des § 130 SGB III und die Geschichte der Programmentwicklung "Assistierte Ausbildung" stellen nicht wirklich auf behinderte Menschen, sondern auf "förderungsbedürftige junge
    Menschen und deren Ausbildungsbetriebe während einer betrieblichen Berufsausbildung ausbildungsbegleitende Phase" ab. (§ 130 Abs. 1 SGB III). In Abs. (2) wird dann der Begriff definiert:"Förderungsbedürftig sind lernbeeinträchtigte und sozial benachteiligte junge Menschen, die wegen in ihrer Person liegender Gründe ohne die Förderung eine betriebliche Berufsausbildung nicht
    beginnen, fortsetzen oder erfolgreich beenden können."
    Alles in allem: es ist noch keineswegs erkennnbar, dass diese Norm tatsächlich auch für Menschen mit Behinderungen zukünftig eine Rolle spielen wird. In der zitierten Drs. S. 26f wird auch von einer zusätzlichen Alternative gesprochen. Dass die realisiert wird, wird von Bundesagentur und den durchführendenen Trägern abhängen.
    H-G-Ritz