Beiträge von Anita Liebl

    Frau Denner Ihrer Aussage „Diese"neue" Verantwortung des leistenden Rehabilitationsträgers muss sicherst noch etablieren. Die Verfahrensweisen müssen beschrieben und mit allenbeteiligten Akteuren abgestimmt werden“ stimme ich voll zu.
    Aus meiner Sicht bietet die ICF, mit dem hier zugrundeliegendembio-psycho-sozialen Modell, ein gutes Instrument zur Installierung einer neuenVerfahrensweise. Erst durch die Beachtung von Kontextfaktoren wie z. B. derBedarfe in der Wohnform und den generellen Wünschen der Betroffenen, kann eineganzheitliche Sicht auf vorhandene Teilhabeeinschränkungen erfolgen undentsprechend gezielte Maßnahmen eingeleitet werden.
    Dies sollte allerdings in einem einheitlichem Verfahren geschehen. D.h. idealerweise in einem gemeinsamen Treffen von Leistungsberechtigten undMitarbeitern aus dem Bereich „Werkstatt“ und dem Bereich „Wohnen“. In einerZusammenschau verschiedener Teilhabeeinschränkungen (Klassifikationen der ICF:Körperfunktionen, Körperstrukturen, Aktivität/Teilhabe und Kontextfaktoren)kann so eine differenzierte Einschätzung entstehen die v.a. auch die Klärungder Wünsche des Leistungsberechtigten im Blick hat. Diese Zusammenschau könntedann die Grundlage für die Bedarfserhebung beim Leistungsträger sein. Also nicht ein "Gegen-einander“ sondern ein „Mit-Einander“ der verschiedenen Bereiche, inden der Leistungsberechtigte ja jeweils auch andere Anteile seiner Persönlichkeitlebt.
    In der beruflichen Rehabilitation/Erstausbildung derBerufsbildungswerke arbeiten wir bereits nach diesem Modell mit gutem Erfolg.Allerdings hat hier die enge Verzahnung von Arbeit, Schule und Wohnen bereitseine lange Tradition und gehört zur Grundidee der BBW.Möglicherweise werden aber in Zukunft durch die Vorgabendes BTHG auch bei anderen Leistungserbringern und Leistungsträgern ähnlicheVerfahren etabliert.

    Rund um die Diskussion von Teilhabe, Personenzentrierung und Rehabilitation sollte eine wichtiger Aspekt - die digitale Transformation - nicht übersehen werden. Beispielsweise kann eine digitalisierte Bedarfserhebung mit einer entsprechenden Software dazu beitragen, dass die Leistungsberechtigen die Möglichkeit eines direkten Zugangs zu einem Bedarfserhebungsinstrument haben (vermutlich ist das in den meisten Fällen bereits so). Der Austausch verschiedener Leistungsträger kann ohne größeren verwaltungstechnischen Aufwand erfolgen (vorausgesetzt, die Verfahren sind entsprechend bei den Mitarbeitern eingeführt). Formen von Digitalisierung können Wahlmöglichkeiten von Leistungen eröffnen und Informationen zu Leistungen und Ansprüchen leichter zugänglich machen. Eine individuelle Leistungsplanung über elektornische Instrumente kann den Austausch und die Verbindlichkeit von Absprachen stärken. Soweit: digtale Transformation als Chance zur Teilhabe.
    Mitzudenken sind aber natürlich immer auch Aspekte, wie: Fehlen der technischen Ausstattung, Datenschutz, mangelndes Anwenderwissen und keine Unterstützung bei technischen Schwierigkeiten. All dies hier nur beispielhaft genannt, kann Teilhabe ebenso verhindern.
    Dieses Thema auf verschiedenen Ebnen und in verschiedenen Gremien zu diskutieren und gegebenfalls mit Experten aus der IT Branche in standardisierte Entwicklungen zu gehen, halte ich allerdings für lohnenswert.

    Eine vergleichbare besondere Rolle Wie die Unfallversicherungsträger nehmen die Träger der Eingliederungshilfe ein. Ich bin mir ziemlich sicher, dass eine verbesserte systematische Zusammenarbeit der anderen Rehabilitationsträgern mit den Trägern der Einführungshilfe für beide Seiten, insbesondere jedoch die Leistungsberechtigten beziehungsweise die Versicherten außerordentlich nutzbringend wäre. Leider sind mir solche Formen systematischer Kooperation zwischen den Träger der Eingliederungshilfe und im übrigen Rehabilitationsträgern bisher nicht bekannt geworden.

    Im Verfolgen der Diskussionsbeiträge wird mir deutlich, welch zentrale Rolle eine "systematische Kooerperation zwischen den Trägern der Eingliederungshilfe und den übrigen Rehaträgern", wie es Herr Schmitt-Schäfer formuliert, ist. Dabei kann es nicht von einem Bildungsstand oder andern personbezogenen Faktoren (ICF) abhängen, ob ein Betroffener die angemessene Unterstützung erhält oder nicht. Auch wir als Leistungsträger stehen seit einiger Zeit immer wieder vor dem Problem, dass die Jugendhilfe im Bereich der Unterbringung von jungen Menschen mit seelischer Behinderung und die Agentur für Arbeit (Teilhabe am Arbeitsleben) nicht Hand in Hand arbeiten. Das heißt konkret, dass die Verbindung von heilpädagogischem Wohnen für minderjährige oder junge Volljährige und die Teilnahme an einer beruflichen Maßnahme nicht mehr problemlos in Form eines Kostensplittings möglich ist. Die Leistungsträger stellen gegenseitig Erstattungsansprüche mit der Folge, dass nicht gemeinschaftlich (Teilhabeplanung) nach dem Bedarf des Betroffenen jungen Menschen entschieden wird, sondern nach dem jeweiligen Leistungskatalog des Rehaträgers. Das dies vollkommen entgegeben der Philosophie von Teilhabe nach dem BTHG ist, ist offensichtlich. So erging noch am 02.12.2020 ein gewichtiges Urteil des Verwaltungsgerichts München zur Kostenzuständigkeit der Agenturen für Arbeit und der Jugendämter. Erfreulich ist, dass sich die strittigen Parteien auf Veranlassung durch die Berufsbildungswerke und unter Moderation durch das Bayerische Sozialministerium in Fachgesprächen zu dieser schwierigen Situation austauschen. Es bleibt zu hoffen, dass dies im Sinne der Betroffen zu einer guten Kooperation führt.

    Danke für diesen wichtigen Hinweis aus der Praxis. Wir erwarten in Kürze die ersten Evaluationen aus dem Bereich der Bedarfsermittlung.Zum anderen ist mein Eindruck, dass die sozialgesetzlichen Vorgaben einfacher umgesetzt werden könnten, als dies bislang in manchen Sozialräumen der Fall ist. Es gibt Bedarfsermittlungsverfahren, die auch von den Fachkräften in der Teilhabeplanung als Barriere empfunden werden. Dies soll keine pauschale Kritik an bestimmten Verfahren sein; diese Einschätzungen habe ich von Teilhabeplaner*Innen persönlich gehört.
    Hier können uns zwei Dinge helfen:
    1. Forschung und
    2. (das kann und sollte mit 1. verknüpft sein) die stärkere Miteinbeziehung der Praktiker*innen in der Teilhabeplanung bei der Weitereintwicklung der Bedarfsermittlungsverfahren.

    Die Aussage von Herrn Wurm und von Herrn Prof. Seidel möchte ich noch ergänzen um die Erfahrung aus der beruflichen Rehabiliation. Es scheint, dass sich die Bedarfserkennung im Bereich der beruflichen Erstausbildung und der Berufsvorbereitung (Agentur für Arbeit) im Übergang befindet. Erschwert wird diese Übergangszeit dadurch, dass die Instrumente zur Bedarfserkennung und Bedarfserhebung hier noch im Umbau sind. Geändert hat sich an diesem Verfahren eine vorsichtige Annäherung an die „ICF Idee“ im psychologischem Gutachten sowie ein „kleiner“ Blick auf die Umweltfaktoren ohne eine weitere Bezugnahme auf das biopsychosoziale Modell. Wünschenswert wäre hier für die Betroffenen und für die Leistungsträger ein standardisiertes Verfahren, das für alle Beteiligten eine entsprechende Transparenz schafft. Durch die Evaluationsergebnisse aus dem Bereich der Eingliederungshilfe wird, so ist zu hoffen, Bewegung in die Sache kommen. Wichtig dabei ist, dass sich die Bedarfserkennung/Bedarfsermittlung aller Rehabilitationsträger aufgrund des BTHG immer mehr angleicht und dadurch der Wechselwirkung von einstellungsbezogenen/umweltbedingen Faktoren und gleichberechtigterTeilhabe Rechnung getragen wird. Forschung, Praxis und ich möchte noch hinzufühen, guter Austausch zwischen den verschiedenen Rehaträgern sind entscheidende Faktoren hierzu.

    Die Darstellung des "Allgemeiner Interessen-Struktur-Test", Sonnenschein, hört sich sehr interessant an und ich werde mich genauer darüber informieren, da wir ja in der beruflichen Rehabilitation auch die Maßnahmen wie Eignungsabklärung und Berufsfindung anbieten.


    Bezogen auf das BTHG möchte ich aber hier besonders auf die neuen ICF basierten Bedarfserhebungsinstrumente eingehen:
    Während diese für die Eingliederungshilfe durch den § 118 SGB IX klar geregelt sind, ist die Anwendung von „ICF basierten Bedarfsfeststellunginstrumenten“ bei anderen Rehabilitationsträgern noch kaum thematisiert. Das führt dazu, das die Klassifikationen der ICF in unterschiedlicher Weise verwendet werden. So verwendet die Agentur für Arbeit in ihrem psychologischen Gutachten zur beruflichen Rehabilitation/Ersteingliederung zwar die Klassifikationen - Körperfunktionen/Körperstrukturen, Aktivität und Teilhabe sowie die Umweltfaktoren - als Grundorientierung, die Zuordnung der Beschreibung scheint aber nicht immer passend zu sein.
    Die Berufsbildungswerke ihrerseits haben im Rahmen der ICF basierten Förderplanung ein Core Set mit der Schwerpunktlegung Teilhabebereiches „Erziehung und Bildung“ sowie „Arbeit und Beschäftigung“ gebildet. Dies erweist sich in der Praxis der beruflichen Rehabilitation in einem BBW als hilfreich, weil es die Komplexität eingrenzt, trifft aber gerade dadurch den Grundgedanken der ICF nicht umfänglich. Als problematisch in der täglichen Arbeit mit jungen Menschen zeigt sich hier v.a., dass die Mitarbeiter*innen gut geschult werden müssen, um die vorgegeben Beurteilungsmerkmale aus dem Core Set nicht fälschlicherweise als „Assessmentkatalog“ oder „Kompetenztest“ zu verwenden.
    Auch in der Jugendhilfe werden erste zögerliche Versuche unternommen, die Hilfeplanvorgaben in eine ICF Struktur zu bringen, was oft mehr Verwirrung als Klarheit schafft.
    Die Idee, mit der ICF eine gemeinsame Sprache zu schaffen, die es ermöglicht, dass Betroffene sowie unterschiedlichste Professionen und auch unterschiedliche Rehabilitationsträger sich zum Wohle des betroffenen Menschen gut verständigen können, gleicht aktuell noch einem „babylonischem Sprachgewirr“.
    Eine einheitliche Entwicklung ICF basierter Bedarfserhebungsinstrumente, die zumindest, wie dies Herr Schmitt-Schäfer formuliert „in einer groben Linie einheitlich“ sind, scheint mir daher eine sehr wichtige Aufgabe aber auch eine sehr große Herausforderung.
    Kurz möchte hier noch auf Ihre Aussage, Herr Schmitt-Schäfer eingehen, dass zur Anwendung der ICF auch eine medizinische Stellungnahme unbedingt erforderlich ist. Bei der Entwicklung des BIBay (Bedarfserhebungsinstrument in Bayern) wird aktuell ein Teil der medizinischen Bedarfsfeststellung in einer Arbeitsgruppe (Unterarbeitsgruppe „Arztbericht“ der AG 99) direkt mit u.a. auch Kinder- und Jugendpsychiatern erarbeitet. Ich denke, dass ist ein guter Weg hin zur Entwicklung von Bedarfserhebungsinstrumenten, die eine einheitliche Sprache über Behinderung und eine gleiche Blickrichtung auf Behinderung und Teilhabe haben.

    Zur Frage, wer führt die Bedarfsermittlung durch, möchte ich folgendes zur Diskussion beitragen:


    In erster Linie ist von den Festlegungen der veränderten Bedarfsermittlung die Eingliederungshilfe betroffen. Mittels neuer Instrumente, die sich am bio-psycho-sozialen Modell und der ICForientieren, wird der Hilfebedarf ermittelt. Dabei steht der „neue“ Blick auf Behinderung im Fokus. Behinderung wird hier definiert als Teilhabeeinschränkung, also als negatives Ergebnis der Wechselwirkung zwischen einer Person mit einem Gesundheitsproblem und ihren Kontextfaktoren. (vgl. https://umsetzungsbegleitung-bthg.de)


    Ein nicht unerheblicher Teil der Behindertenhilfe findet aber auch im Rahmen der „Teilhabe am Arbeitsleben“ statt. Im Bereich der Beruflichen Bildung, besonders der Ersteingliederung, sind hierfür die zuständigen Leistungsträger die „Agentur für Arbeit“ und die „Rentenversicherung“.


    Während in der Eingliederungshilfe die ersten Erfahrungen zur Bedarfsermittlung mit neuen Instrumenten bereits geprüft werden, ist die Bedarfsermittlung im Bereich der durch die Agentur für Arbeit finanzierten beruflichen Rehabilitation (Ersteingliederung am Übergang Schule/Beruf) – noch nicht gegeben.


    Ein Rahmenvertrag zwischen der Bundesagentur für Arbeit und der BAG BBW legte 2015 erstmals fest, dass eine ICF basierte Förderplanung in den Berufsbildungswerken durchzuführen sei, und diese in entsprechenden Qualitäts- und Leistungshandbüchern nachgewiesen werden soll. Dies setzte in den Berufsbildungswerken einen umfassenden Umbau der bisherigen Rehabilitationsprozesse in Gang. Die Agentur für Arbeit blieb aber bei ihren bisherigen Methoden der Festlegung des „Rehastatus“. Entsprechend ist auch die Fortschreibung der Förderung der Teilnehmenden mittlels unterschiedlicher Systemen organisiert, was zu einer Reihe von Unstimmigkeiten führt.


    So verwendet die Bundesagentur für Arbeit weiterhin einen „Kompetenzkatalog“ und konzentriert sich auf den Ausgleich von persönlichen, fachlichen und sozialen Defiziten der Betroffenen. Die ICF basierte Förderplanung beim Leistungserbringer rückt aber ihrerseits das Thema Teilhabeeinschränkungen sowie die Wechselwirkung von Beeinträchtigung und Kontextfaktoren ins Zentrum der Betrachtung und somit der Förderung.


    Wenn gleich beide Systeme Überschneidungen zeigen, treten in der Dokumentation der Leistungen, der Wirksamkeit der Zielvereinbarungen sowie in der Form der Berichtserstattung Unschärfen auf, die oft bis zur Einstellung von Leistungen seitens der Leistungserbringer führen können. Es ist der guten Zusammenarbeit von erfahrenen Beratungsfachkräften seitens der Leistungsträger und der gut geschulten und engagierten Mitarbeiter seitens der Leistungserbringer zu verdanken, dass die Teilnehmenden trotz verschiedener Blickrichtungen, die Leistungen erhalten, die sie für ihre Teilhabe benötigen.


    Im Hinblick auf die neuen Vorgaben bezüglich des Gesamt-/Teilhabeplanverfahrens wäre somit eine einheitliche Bedarfsermittlung in allen Bereichen der „Teilhabe am Arbeitsleben“ dringend erforderlich. Das Instrument der ICF mit dem Ziel, eine einheitliche Sprache über Behinderung und die Wechselwirkungen mit Kontextfaktoren zu schaffen, sowie die betroffenen Menschen selbst zu Wort kommen zu lassen, bietet hierfür eine gute Grundlage.