Beiträge von KirstenEhrhardt

    Noch ein abschließendes Wort (die Diskussion endet ja bald) zu den so viel gelobten Außenarbeitsplätzen:

    10% machen sie aus in den WfbMs, und 60% von ihnen sind "Gruppenarbeitsplätze". Das sind die ausgelagerten "Brigaden", die ihre Anleiter*innen mitbringen und meist völlig separat vor sich hin arbeiten, Zb die Gartenanlagen pflegen, putzen oder verpacken. Und wenn man die MA*innen der Unternehmen nach ihnen befragt, dann hört man Sätze wie "ja, das sind die Behinderten. Von denen bekommen wir nicht viel mit..." Und das soll ein erster Schritt für reguläre Arbeitsplätze sein? Daran glaube ich keine Sekunde.

    Lieber Herr Stache, eine interessante Lektüre, die ich mir gestern in der Sonne gegönnt habe!

    Sie bestätigt meinen (leider immer wieder unerhörten) Appell, dass es darum geht, dass junge Menschen mit Behinderung gar nicht erst ins WfbM-System "eintauchen". Für mich ein Kernsatz: "Insgesamt verdeutlichen die Aussagen der Beschäftigten, dass ein großer Teil von ihnen nicht selbst die Entscheidung zum Übergang in die WfbM getroffen hatte. Vielmehr wurde diese zentrale biografische Weichenstellung durch Lehrkräfte, Fachkräfte der BA oder nahe Angehörige vorgenommen. Selbstbestimmte Berufswahl auf der Grundlage eigener Erfahrungen, dem Wissen um die verschiedenen Möglichkeiten sowie die eigenen Kompetenzen erfolgt in der Regel nicht. Da ihnen die Möglichkeit beruflicher Erfahrung vorenthalten und die Positionen zugewiesen werden, betrachten sie sich nur eingeschränkt als aktiv Handelnde ihrer beruflichen Biografie."

    Da deckt sich mit meinen Beratungs-Erfahrungen und leider auch mit meinen Lebenserfahrungen als Mutter eines Sohnes mit Behinderung: Als es zum ersten Mal in der Schule (inklusiv) um Beruf ging, durften die Regelschüler sich einen Beruf aussuchen, recherchieren und schreiben, warum ihnen der gefällt. Mein Sohn bekam von der Sonderpädagogin ein Blatt mit Bildchen: Gartenhelfer, Helfer im Lager, Helfer in der Küche, Helfer im Altenheim. Damit sollte er sich beschäftigen. Er wollte nichts davon und kam zum Schluss: Berufe sind scheiße! Das wirkt bis heute nach...

    "

    • In seinen Abschließenden Bemerkungen 2015 hat der UN-Fachausschuss die schrittweise Abschaffung der WfbM gefordert. Wie ist diese Empfehlung vor dem Hintergrund aktueller Diskussionen und der Abschließenden Bemerkungen 2023 zu bewerten?"

    Die Abschließenden Bemerkungen 2023 ERGÄNZEN die von 2015, darauf weist das DIM, die Monitoringstelle, immer wieder hin. Die Forderung der schrittweisen Abschaffung gilt also weiterhin, auch wenn das so mancher nicht wahrhaben will und gerne umdeutet. Der 2. Spiegelstrich erübrigt sich also. Es gilt nicht, WfbMs "weiterzuentwickeln", sondern sie nach und nach abzuwickeln und die Beschäftigungsverhältnisse, die ja gar keine sind, in normale Beschäftigungen mit allen AN-Rechten und Pflichten (und natürlich den "angemessenen Vorkehrungen") umzuwandeln. On nun WfbMs zu Inklusionsunternehmen werden, sich nur noch auf Unterstützungsmaßnahmen konzentrieren, oder wie auch immer. DAS ist das politische Ziel.

    Es geht nicht darum, Außenarbeitsplätze zu "verteufeln". Aber sie halten i.d.Regel nicht das, was sie versprechen oder suggerieren.

    Denn sie konkurrieren mit einem System der massiven Fehlanreize! Der wesentliche: Die EU-Rente nach 20 Jahren WfbM.

    Aus der BMAS-Werkstatt-Studie:

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    . Die befragten WfbM geben hier an, dass die Beschäftigten die Sorge hätten, dass diejenigen, die wechseln, ihre in der WfbM erworbenen Rentenansprüche (Rentenbeiträge in Höhe von 80% des Durchschnittsentgelts der gesetzlichen Rentenversicherung, 20 Jahre Wartezeit bis zur EMR) verlieren bzw. sie nicht mehr in dieser Höhe weiter erwerben und sich finanziell somit schlechter stellen würden.
    Auch die Werkstattleitungen schätzen dies als wichtigen und zu berücksichtigenden Faktor ein. Mehr als die Hälfte der Werkstattleitungen (57%; n=142) halten dies für einen „eher wichtigen“ bis „den wichtigsten“ Grund, der für einen Verbleib in der WfbM spricht."


    Vielleicht müssen wir endlich mal ehrlich sagen: Solange diese Regelung so Bestand hat, brauchen wir über Übergänge und mehr Übergänge aus der WfbM auf den 1. Arbeitsmarkt eigentlich nicht wirklich weiter zu reden.

    Mal ne Hypothese: Vielleicht sind sie auch so "dankbar", einen richtigen Arbeitsplatz gefunden zu haben, dass sie sich möglichst unauffällig verhalten, also auch keine Fortbildungen oder Freistellungen beantragen... Das wäre bei der Sozialisation, die viele durchlaufen haben bzw. mussten, nicht ungewöhnlich. Und ja, es braucht bestimmt auch passgenauere Angebote. Und es braucht auch ein stärkeres Bewusstsein, und das lässt sich ja stärken: Ihr habt die gleichen Rechte wie alle anderen AN*innen! Nehmt sie auch wahr.

    Ich weiß nicht, ob man wirklich von einem "gegenseitigen Kennenlernen" sprechen kann. Zumindest oft nicht. Da werden ganze "Brigaden" ausgelagert und pflegen dann zB in einem großen Möbelhaus die Grünanlagen. Sie bringen ihre eigenen "Betreuer", wie immer so schön gesagt wird (als ob Menschen mit Behinderung immer "betreut" werden müssen - ein ziemlich paternalistischer Blick) mit, also quasi die Anleitung ist auch noch ausgelagert. Sie haben oft wenig Kontakt zu den "normalen" Angestellten, sind nicht wirklich in den Betrieb eingebunden. Sie sind eben "ausgelagert", so wie eine "Außenklasse" im Baden-Württembergischen Schulsystem. Diese Konstruktionen bringen bringen aus meiner Sicht und nach meinen Erfahrungen wenig. Und wenn man die Betriebe fragt oder auch etwas energischer fragt, ob denn daraus reguläre Arbeitsplätze entstehen könnten, beenden sie lieber die ganze Konstruktion, die für sie sooooooo praktisch und auch finanziell sehr günstig war. Und die Menschen mit Behinderung "fehlen" nicht wirklich, weil sie nie wirklich dazu gehört haben.

    Welche Maßgaben sind bei der Umstrukturierung des Berufsbildungssystems zu beachten?


    Wichtig finde ich, dass wir uns von der Idee verabschieden, dass berufliche Bildung für junge Menschen mit Behinderung lediglich in Sonderstrukturen stattfinden kann. Das wäre die wichtigste Umstrukturierung und vor allem ein grundsätzliches Umdenken. Inklusion in der Berufsbildung findet im allgemeinen System statt, mit angemessenen Vorkehrungen, Unterstützung, Coaching und Begleitung und vielem mehr. Aber nicht an Sonder-Orten und in Sonder-Welten. Auch wenn wir die jahrzehntelang so hübsch eingerichtet auf aufgebaut haben. Jetzt gilt es, sie abzubauen.

    Na ja- ausgelagerte Arbeitsplätze als "erster Schritt" - das kann man auch anders sehen - die WfbM-Studie sieht das, aus meiner Sicht, durchaus kritisch:

    "

    7.2.3 Ausgelagerte Arbeitsplätze als Übergang zu sozialversicherungspflichtiger

    Beschäftigung

    Etwa 9% der Arbeitsplätze in WfbM sind ausgelagerte bzw. betriebsintegrierte Arbeitsplätze in

    Betrieben des allgemeinen Arbeitsmarkts. Die Wirksamkeit von solchen Arbeitsplätzen ist ambivalent

    zu bewerten: Zum einen ermöglichen sie ein wechselseitiges Kennenlernen von Unternehmen und

    WfbM-Beschäftigten und tragen damit dazu bei, Berührungsängste zwischen Menschen mit und

    ohne Beeinträchtigungen abzubauen. Dadurch können sie auch als „Sprungbrett“ in eine

    sozialversicherungspflichtige Beschäftigung fungieren. Zum anderen wird aber auch kritisiert, dass

    ausgelagerte Arbeitsplätze den Unternehmen lediglich als günstige „Leiharbeit“ dienen, was sich für

    diese vor allem finanziell lohne und dem Grundsatz gleicher Arbeit für gleichen Lohn widerspreche.

    Oft werde von deren Seite keine Übernahme in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung

    angestrebt."

    Quelle: https://www.bmas.de/DE/Service…6-entgeltsystem-wfbm.html

    "

    Die Ausbildung im Berufsbildungsbereich der WfbM erfolgt leider nicht nach dem BBiG und unterscheidet sich auch inhaltlich stark von den anerkannten Ausbildungsberufen. Diese mangelnde Vergleichbarkeit der zu erwerbenden Abschlüsse erschwert den späteren Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt. Es wäre daher sinnvoll, den Inhalt anerkannte Ausbildungsberufe zu flexibilisieren und auf die Bedarfe von Menschen mit Behinderung anzupassen, so könnten z.B. Ausbildungszeiten verlängert werden und in Modulen stattfinden, die Teilabschlüsse erlauben. "


    Ja, das ist ein Schlüssel. Verlängerte Ausbildungen, modulare Ausbildungen, Ausbildungen und durch die Kammern anerkannte Qualifizierungen "unterhalb" des Fachpraktiker-Levels und vieles mehr - alles nicht im Sondersystem, und auch ordentlich bezahlt.

    Noch eine Anmerkung: Von "Ausbildung" kann man ja im BBB nicht sprechen. Auch die Werkstätten selbst tun es nicht.

    "Empowerment der Menschen mit Behinderungen und ihrer Angehörigen"

    Ja, das ist zB die Aufgabe der EUTBs.

    Nur: wie soll man "empowern", wenn es keine Wege, keine Möglichkeiten, nur verschlossene Türen gibt?

    Sie haben oben viele Probleme, die uns täglich begegnen, aufgeführt.

    Das Unternehmen, das gar keinen Jobcoach will - die Fachdienste, die viel zu viele "Fälle" haben, um wirklich etwas zu bewirken - das Denken in Schubladen und fachlichen Weisungen "ohne Kundenkontakt", wie es so schön heißt. So kommen Menschen mit Behinderung nicht in Beschäftigungen auf dem 1. Arbeitsmarkt.

    Warum sollten Menschen glauben, dass ein "Budget für Arbeit" eine "Beschäftigungsbrücke in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung hinein" ist? Seit Jahrzehnten wird auch behauptet, eine WfbM sei keine "Endstation", sondern absolut durchlässig und würde wunderbar auf den 1. Arbeitsmarkt als Reha-Maßnahme "vorbereiten". Die Zahlen sprechen ganz klar eine andere Sprache!

    Ich habe immer kein gutes Gefühl, wenn immer mit dem "Fachkräftemangel" argumentiert wird. Denn das schließt viele Menschen mit Behinderung aus, die NIE eine FACHkraft sein können, aber trotzdem wertvolle und wichtige Beiträge in Unternehmen leisten könnten, wenn man sie ließe. Diese geraten damit noch mehr aus dem Focus, als sie das ohnehin schon sind.

    "offenen Berufswegeplanung " - ja, offen ist da meist gar nichts. Wenn man alle Wege versperrt, bleibt eben meist nur einer übrig. Ich frage mich: Wie viele Jahre und Jahrzehnte wollen wir eigentlich noch nach Voralberg schauen? (so wie wir seit Jahrzehnten im schulischen Bereich nach Südtirol schauen und dort hin pilgern, ohne hier etwas zu ändern)

    Das finde ich als Mutter einer 22 jährigen Tochter mit einer kognitiven Beeinträchtigung das größte Hinderniss bei allen Bemühungen, einen Platz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für sie zu finden. Eine ausreichende Rentenversorgung aufbauen zu können, ist essentiell. Da stimme ich Frau Labruier zu.

    Ja, die beschriebenen und zurecht kritisierten Regelungen sind sinnbefreit und ungerecht.

    Jobcoaching hat sehr unterschiedliche Qualität. Solange diese Maßnahmen ausgeschrieben werden und die "günstigsten" Anbieter den Zuschlag erhalten (die oft auch mit "günstigen" eigenen Beschäftigten arbeiten), ist noch viel Luft nach oben. Ich kenne "Jobcoaches", die hatten nur rudimentäre Kenntnisse von der Arbeitswelt. Ich kenne welche, die sind so unmöglich im Betrieb aufgetreten, dass sie weggeschickt wurden. Ja, und es gibt bestimmt auch die richtig Guten...