Bei der Frage nach dem Persönlichen Budget für die Teilhabe im Arbeitsbereich (§ 58 SGB IX) und der damit verbundenen Rentenversicherung geht es um die die Diskrepanz zwischen der theoretische rechtlichen Möglichkeit und der derzeitigen praktischen Aussichtslosigkeit, weil - was möglich wäre - die besondere Sozialversicherungspflicht in § 179 SGB VI nicht geregelt wurde.
Das Hindernis für die Umsetzung der vollen Sachleistung (inklusive der besonderen Sozialversicherung) des § 58 SGB IX in Form eines Persönlichen Budgets liegt in der fehlenden Einbeziehung des Persönlichen Budgets in § 179 SGB VI:
§ 179 SGB VI Erstattung von Aufwendungen
(1) Für behinderte Menschen nach § 1 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe a, die im Arbeitsbereich einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen oder bei einem anderen Leistungsanbieter nach § 60 des Neunten Buches tätig sind, erstattet der Bund den Trägern der Einrichtung oder dem anderen Anbieter nach § 60 des Neunten Buches die Beiträge, die auf den Betrag zwischen dem tatsächlich erzielten monatlichen Arbeitsentgelt und 80 Prozent der monatlichen Bezugsgröße entfallen, wenn das tatsächlich erzielte monatliche Arbeitsentgelt 80 Prozent der monatlichen Bezugsgröße nicht übersteigt; der Bund erstattet den Trägern der Einrichtung oder dem anderen Leistungsanbieter nach § 60 des Neunten Buches ferner die Beiträge für behinderte Menschen im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen oder in einer entsprechenden Bildungsmaßnahme bei einem anderen Leistungsanbieter nach § 60 des Neunten Buches, soweit Satz 2 nichts anderes bestimmt. Im Übrigen erstatten die Kostenträger den Trägern der Einrichtung oder dem anderen Leistungsanbieter nach § 60 des Neunten Buches die von diesen getragenen Beiträge für behinderte Menschen; das gilt auch, wenn sie im Eingangsverfahren oder im Berufsbildungsbereich anerkannter Werkstätten für behinderte Menschen oder in einer entsprechenden Bildungsmaßnahme bei einem anderen Leistungsanbieter nach § 60 des Neunten Buches tätig sind, soweit die Bundesagentur für Arbeit, die Träger der Unfallversicherung oder die Träger der Rentenversicherung zuständige Kostenträger sind. Für behinderte Menschen, die im Anschluss an eine Beschäftigung in einer nach dem Neunten Buch anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen oder im Anschluss an eine Beschäftigung bei einem anderen Leistungsanbieter nach § 60 des Neunten Buches in einem Inklusionsbetrieb (§ 215 des Neunten Buches) beschäftigt sind, gilt Satz 1 entsprechend. (…)
Richtigerweise sind mittlerweile Inklusionsbetriebe und die anderen Leistungsanbieter im § 179 SGB VI einbezogen, nur der Budgetnehmer des Persönliche Budgets bleibt weiterhin unberücksichtigt.
Dazu gab es von Seiten der BAG UB (Bundesarbeitsgemeinschaft für Unterstützte Beschäftigung) auch Gespräche und Briefwechsel mit dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Jürgen Dusel, dem BMAS, Dr. Peter Mozet, und der BAGüS, Matthias Krömer.
Das BMAS hat im Schreiben vom 17. März 2021 an die BAG UB zwar das Persönliche Budget im Arbeitsbereich der Werkstatt „nicht ausgeschlossen“, jedoch darauf verwiesen, dass „als Alternative zum Arbeitsbereich in einer Werkstatt für behinderte Menschen (…) das Budget für Arbeit eingeführt worden“ sei.
Dieser Auffassung kann man nur widersprechen. Denn das Budget für Arbeit (§ 61 SGB IX) ist eine andere Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben, zielt auf ein „sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis mit einer tarifvertraglichen oder ortsüblichen Entlohnung“ und kann damit nur für leistungsstärkere Menschen im Arbeitsbereich der WfbM eine Alternative sein.
Für Leistungsberechtigte, deren Leistungsfähigkeit erheblich geringer ist, und die trotzdem im Rahmen ihrer Möglichkeit betrieblich mitarbeiten wollen, die eben ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis mit Mindestlohn nicht ausfüllen können, ist das Persönliche Budget für die Leistungen im Arbeitsbereich (§ 58 SGB IX) notwendig, um ihnen eine betriebliche, passgenaue und inklusive Teilhabe am Arbeitsleben mit der notwendigen Unterstützung zu ermöglichen und auch um ihnen ein adäquates Entgelt für die geleistete Arbeit auszahlen zu können.
In den aktuellen BAGüS-Werkstattempfehlungen 2021 wird – im Gegensatz zu den vorherigen Fassungen – der Rechtsanspruch auf ein Persönliches Budget für Werkstattleistungen in Kapitel 18.9 jetzt zwar ausdrücklich und uneingeschränkt betont:
„(3) Grundsätzlich sind alle Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in WfbM und bei anderen Leistungsanbietern budgetfähig. Das gilt sowohl für die Leistungen der Bundesagentur für Arbeit und der anderen nach § 63 Abs. 1 SGB IX zuständigen Träger im Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich als auch für die Leistungen der Träger im Arbeitsbereich. Leistungen sind sowohl als Einzelleistungen als auch hinsichtlich des Gesamtumfangs budgetfähig.“
Diese Eindeutigkeit wird jedoch die bisherige Praxis nicht verändern, da die Orientierungshilfe zum Persönlichen Budget der BAGüS von November 2016 fortbestehen. (https://www.lwl.org/spur-download/bag/39_2016an.pdf)
„Trotz seiner geringen Verbreitung ist das persönliche Budget ein wichtiges Anliegen von Politik, Verbänden der Menschen mit Behinderung und auch der BAGüS. Dies insbesondere, seit mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention die Verpflichtung eingegangen wurde, die individuelle Autonomie, unabhängige Lebensführung und selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten. Dabei wird das Persönliche Budget als geeignete Möglichkeit angesehen, die auch aus dem unübersichtlichen und gegliederten Sozialleistungssystem erwachsenen Probleme für die Betroffenen zu überwinden.
In der praktischen Umsetzung stellen die überörtlichen Träger der Sozialhilfe Hinderungsgründe fest, die einer größeren Verbreitung dieser Leistungsform entgegenstehen. (…)
Ein (…) Grund für die geringe Verbreitung des Persönlichen Budgets dürfte auch die Tatsache sein, dass die derzeitigen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ganz wesentlich auf die Leistungen in den Werkstätten für Menschen mit Behinderung beschränkt sind. Aktuelle Rechtsprechung eröffnet zwar die Möglichkeit der Gewährung eines Persönlichen Budgets für Berufsbildungsmaßnahmen, jedoch nicht für Maßnahmen der Beschäftigung anstelle einer Maßnahme im Arbeitsbereich der Werkstatt.“
ABER: erforderlich sind aus Sicht der BAG UB die Ergänzung im § 179 SGB VI und ggf. die Korrektur weiterer Verwaltungshindernisse, damit für ALLE Menschen mit Behinderung das Persönliche Budget für Leistungen im Arbeitsbereich (§ 58 SGB IX) in der Praxis auch zugänglich und nutzbar wird, um eine selbstbestimmte, individuelle, inklusive und passgenaue Umsetzung des Leistungsanspruchs zu ermöglichen. Ein Verweis auf andere Sachleistungen ist unzulässig und höhlt den Rechtsanspruch des § 29 SGB IX aus.
Nach 20 Jahre SGB IX wäre es an der Zeit, diesen endlich Mangel zu beseitigen und den vorgesehenen Paradigmenwechsel von der Theorie auch in die Praxis zu befördern.