Beiträge von Angelika Thielicke BAG UB

    Das sind gut gemeinte regelhafte Ausbildungsvorbereitungen, die als Gruppenmaßnahme durchgeführt werden. Leider sind sie für den Personenkreis der Menschen mit Neurodivergenz und kognitiven Beeinträchtigung nicht hinreichend. Es braucht zumeist die passgenaue Einzelleistung unter geeigneten Rahmenbedingungen mit ausreichender Unterstützung und genügend Zeit, ausgehend von den Interessen und Kompetenzen des jeweiligen Menschen. Ob, wo und wie Gruppenelemente hilfreich sind, ergibt sich in der Praxis. Es ist bei den Menschen, die einen besonderen Unterstützungsbedarf haben, erfolgreicher, Leistungen individuell an den einzelnen Menschen anzupassen, statt unterschiedliche Menschen in befristeten, oft auch ausgeschriebenen Maßnahmen zu einem definierten Ziel bringen zu wollen. Menschen mit Neurodivergenz und Menschen mit kognitiven Einschränkungen sind Menschen, die über ihre vermeintlichen Defizite definiert werden, aber deren sehr unterschiedliche Fähigkeiten und Interessen Ausgangspunkt ihres beruflichen Lernens sein sollten.

    Solange man Menschen externen Normen unterstellt, wird man zum einen ihrer Persönlichkeit nicht gerecht und können sie zum anderen ihre Kompetenzen nicht entwickeln. Leistungen müssen personenzentriert bewilligt werden, um für alle "Menschen mit Behinderungen" "Selbstbestimmung und ihre volle wirksame und gleichberechtigte Teilhabe" gewährleisten zu können. Die derzeitige Diskrepanz von verankertem Bürgerrecht und unzureichendem Verwaltungshandeln führt zunehmend zu enttäuschten, hilflosen oder unzufriedenen Bürgern. Wir müssen umdenken!

    Obwohl die Ziele für alle Menschen mit Beeinträchtigungen mit Inklusion und Teilhabe - und damit auch die Teilhabe am Arbeitsleben - rechtlich klar und deutlich verankert sind, werden sie nicht flächendeckenden umgesetzt, weil der Übergang von der Schule in den Beruf nur in wenigen Regionen systematisch angegangen wird. Nur da, wo sich Menschen und Leistungsträger verantwortlich fühlen, gelingen Ansätze.

    Als Beispiele mögen Vorträge und Dokumentationen aus Westfalen-Lippe und aus Baden-Württemberg dienen:

    BAG UB - Dokumentation Fachtagung BAG UB 2024

    Qualifizierung BVE - KoBV - Integrationsfachdienst

    Andere Ansätze gibt es im Rheinland, in Hamburg, in Franken. Damit gelingt immer noch viel zu wenigen Personen der Übergang aus der Schule in betriebliche Arbeitsprozesse. Leider gibt es keinen Qualitätswettbewerb der jeweiligen Bundesländer, in dem man voneinander lernt oder auch abschreibt. Schüler mit Beeinträchtigung, die Unterstützung und Qualifizierung zu ihrem individuellen Berufseinstieg brauchen, stehen auf keiner Agenda an vorderer Stelle und die Instrumente zur Teilhabe am Arbeitsleben, die es gibt, werden nur partiell benutzt oder durch Ausschreibungen eingeschränkt.

    Das Motto des Bundesbehindertenbeauftragten "Demokratie braucht Inklusion" ist wichtig und richtig. Den Worten müssen auch Taten folgen. Es ist ein Prüfstein für den Sozialstaat. Man sollte es ernst nehmen.

    So war das gar nicht gemeint. Es geht nicht darum, sich wechselseitig anzupassen. Vielleicht suggeriert die Formulierung "ein breites gemeinsames Verständnis" das. Es geht immer wieder darum, Modalitäten zu erfinden, wie in konkreten Situationen Menschen in Arbeitsprozessen miteinander zurecht kommen können. Das funktioniert, wenn jeder Mensch jeden Menschen in seinem Sosein akzeptiert und ihn nicht aus dem eigenen (Un)Verständnis bewertet. Inklusion verlangt Gleichwertigkeit, Unvoreingenommenheit und die Bereitschaft passgenaue Lösungen zu suchen.

    Es ist an der Zeit, umzudenken und nicht weiter zu versuchen, Menschen an vorgegebene Rahmenbedingungen anzupassen, sondern grundsätzlich von heterogenen, unterschiedlichen, individuellen, diversen Menschen auszugehen und dazu passgenaue menschenwürdige Rahmenbedingungen zu gestalten.

    Die gebräuchlichen Begrifflichkeiten "Arbeitgeber" und" Arbeitnehmer" irritieren, wer eigentlich eine Arbeitsleistung zur Verfügung stellt und wer sie entgegennimmt. Bei Einstellungen wird zumeist besprochen und in Arbeitsverträgen festgelegt, was, wann, wo, wie und in welchem Umfang vom "Lohngeber" erwartet wird und mit welcher Vergütung der "Lohnnehmer" dafür zu rechnen hat. Das allein genügt nicht.

    Es braucht ein breites gemeinsames Verständnis darüber, wie wir in Zukunft zusammenarbeiten wollen. Eine humane Gesellschaft ist eine inklusive Gesellschaft, die nicht mehr ausgrenzt, sondern Rahmenbedingungen schafft, in der möglichst alle Menschen zurecht kommen.

    Der zunehmende Fachkräftemängel könnte die notwendigen Forderungen vieler Menschen, die aus unterschiedlichsten individuellen, persönlichen, familiären, Gründen spezifische Rahmenbedingungen benötigen, befördern, indem zukünftig in jedem Arbeitsvertrag selbstverständlich und auf Augenhöhe gleichberechtigt von beiden Seiten festgelegt wird, was für den jeweiligen Menschen, der arbeitet, und was für die Firma, die einstellt, benötigt wird, um möglichst gute und zufrieden stellende Arbeitsbedingungen zu schaffen. Das könnte ein ernsthafter Ansatz sowohl für ein grundsätzlich anderes Verständnis als auch für ein stressvermeidendes und gesund erhaltende Zusammenarbeiten diverser Menschen sein.

    Ausschreibungen sind, wenn nicht grundsätzlich, aber auf jeden Fall im Sozialwesen gänzlich kontraproduktiv, weil die Zielerreichung das entscheidende Qualitätsmerkmal ist.

    Die BAG UB fordert beständig die Ausschreibungen für die Unterstützte Beschäftigung nach § 55 SGB IX abzuschaffen. Der Preis der Leistung kann nicht an einer Norm festgemacht werden, weil es sich zum einen um sehr individuelle Menschen handelt, die in unterschiedlicher Form und in unterschiedlichem Umfang qualifiziert, unterstützt und begleitet werden müssen, und zum anderen auch die Rahmenbedingungen zur potentiellen Arbeitsplatzfindung und zur Erreichbarkeit eines Arbeitsplatzes regional durch sehr unterschiedliche Faktoren begünstigt oder erschwert sind.

    Die Ausschreibungen nach § 55 SGB IX werden mit hohem zeitlichen Aufwand auf Seiten der Leistungserbringer und auf Seiten der Regionalen Einkaufszentren (REZ) der Agentur für Arbeit betrieben. Das sind Kosten, die die Qualität der Unterstützen Beschäftigung nicht verbessern sondern verschlechtern und an anderer Stelle dringend gebraucht werden.

    Nachfragen im BMAS und bei der Bundesagentur für Arbeit konnten weder begründen, warum es diese Ausschreibungen gibt, noch wer für die Abschaffung dieser unsinnigen Ausschreibung zuständig ist.

    Der personenzentrierte Ansatz wird durch eine Ausschreibung negiert und bewirkt bei Leistungserbringern, dass man im eigenen Angebot unten den vermuteten Kosten bleibt, um in der Region einen erfahrenen und gut eingespielten Leistungserbringer mit kompetenten Mitarbeitern nicht zu verlieren.

    Bundesgesetze schaffen neue Rechtsansprüche und rechtliche Rahmenbedingungen, die in den Bundesländern von den zuständigen Leistungsträgern landesweit oder regional ausgestaltet und finanziert werden müssten. Das ist der übliche Rechtsweg, der auf dem Weg der Delegation an die unteren Ebenen nicht nur bei der Kinderbetreuung und anderen sozialen Aufgaben, Länder und Kommunen in den letzten Jahrzehnten vor wachsende Aufgaben und schwindende Finanzmittel gestellt hat.

    Das soll keine Entschuldigung sein, aber etwas zu beabsichtigen, bedeutet heute nicht mehr, dass die notwendige Struktur überall vor Ort existiert oder im notwendigen Umfang aufgebaut wird.

    Es können aber Betroffene, Eltern, Lehrer, Arbeitgeber, etc. tätig werden und mit dem jeweils zuständigen Leistungsträger eine Lösung suchen - z.B. auch im Persönlichen Budget für eine Leistung, auf die die leistungsberechtigte Person einen Anspruch hätte. Das ist zwar mühsam, aber erfolgreicher als nur abzuwarten.

    Schulen, indem für alle Schüler Themen wie Leben nach der Schule, Berufswunsch, besondere Interessen, besondere Fähigkeiten, Arbeitstätigkeiten, Arbeitsorte feste Unterrichtsbestandteile von der 7. oder 8. Klasse an sind und für jeden einzelnen Schüler regelmäßig betriebliche Praktika mit der dazu notwendigen Unterstützung bis zum Schulende erprobt werden. Oft gibt es eine klare Perspektive oder zumindest einen Ansatz für eine Arbeit oder sogar einen möglichen Arbeitsort nach der Schulzeit.

    Leistungsträger, indem tatsächlich der individuelle Unterstützungsbedarf des einzelnen Menschen für eine betriebliche Tätigkeit in ausreichendem Maße ermittelt wird, über alle zur Verfügung stehen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben informiert wird, auf alle möglichen Dienstleister der Region und auch die Möglichkeit der Umsetzung im Persönlichen Budget hingewiesen wird. Mit einem individuell personenzentrierten "Unterstützungsrucksack" ausgerüstet zu sein, ist die notwendige Voraussetzung für eine individuelle betriebliche Qualifizierung, von der man zu Anfang nicht weiß, auf welchem Level sie enden kann. Die Möglichkeit alle vorhandenen Teilhabeleistungen (§§ 49 ff SGB IX) so lange wie notwendig nahtlos auch nacheinander personenzentriert nutzen zu können, ist die Herangehensweise, um für Menschen mit Behinderungen wie in § 1 SGB IX zugesichert tatsächlich "ihre Selbstbestimmung und ihre volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern".

    Dienstleister, indem sie in ihrer Region gut mit Schulen, Arbeitgebern und den Leistungsträgern vernetzt sind, qualifiziertes Fachpersonal haben, über wachsende Erfahrungen und Arbeitgeberkontakte verfügen und die mit jedem Menschen und mit jedem Arbeitgeber neue individuelle und für beide Seiten (Mensch mit Beeinträchtigung und Arbeitgeber) passgenaue Lösungen finden.

    Arbeitgeber sind dann, wenn Schulen, Leistungsträger und Dienstleister so konstruktiv zusammenarbeiten, dass sich notwendigen Maßnahmen und ausreichende Unterstützung aneinanderreihen nach der ersten erfolgreichen Vermittlung für weitere Menschen mit Beeinträchtigungen aufgeschlossen und entwickeln eigene Ideen, wie sie weitere Menschen in ihre Betriebsabläufe einbeziehen können.

    Es sind die langjährigen erfolgreichen betrieblichen Vermittlungen von Menschen auf unterschiedlichstem Leistungsniveau, die den allgemeinen Arbeitsmarkt zu einem inklusiven Arbeitsmarkt werden lassen.

    Es gibt Regionen, in denen seit Jahren sehr erfolgreich zusammengearbeitet wird und es gibt Regionen, in denen immer noch sehr wenig oder gar nichts passiert. Eltern, Lehrer, Schulen, Leistungsträger, Dienstleister, Arbeitgeber, ... - alle sind erforderlich, aber jeder kann anfangen! Es gibt nichts Gutes, außer: man tut es.

    "Menschen mit Beeinträchtigungen" sind Menschen, die an den üblichen gemeinhin als "normal" bezeichneten Anforderungen und Erwartungen scheitern. Ihre Kompetenzen, Wünsche und Erwartungen werden oft nicht wahrgenommen oder diskreditiert. Das gilt auch für neurodiverse oder autistische Menschen.

    Es gibt keinen einfachen Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt, aber es gibt den Versuch, "autistischen Menschen" den Zugang zur Teilhabe am Arbeitsleben zu erleichtern, indem in einem "Leitfaden Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit Autismus" aus den Erfahrungen der Praxis heraus versucht wird, all das, was hilfreich sein könnte, aufzulisten und darzustellen. Dazu gehört in erster Linie, "autistische Menschen" nicht infrage zu stellen, sondern zu versuchen, sie zu verstehen, weil sie anders wahrnehmen, anders denken und anders kommunizieren. Dazu gehört auch ein umfangreiches Kompendium von Möglichkeiten der Unterstützung zur Teilhabe am Arbeitsleben sowie die Auflistung von Institutionen, Beratungsstellen und Leistungen. Der Leitfaden wurde gemeinsam von autismus Deutschland e.V. und der BAG UB 2023 erstellt und ist unter folgendem Link

    https://www.bag-ub.de/news/3/838544/firmennachrichten/leitfaden-teilhabe-am-arbeitsleben-für-menschen-mit-autismus.html
    abzurufen.

    Probleme fangen an, wenn von einem Menschen etwas erwartet wird, was er nicht erfüllen kann. Solange es Normvorstellungen von Menschen gibt, bei "Menschen mit Beeinträchtigungen" die Defizitwahrnehmung im Fokus liegt und "die Behinderung" als Problem gesehen wird, wird man dem individuellen Menschen nicht gerecht und er gerät in die Sackgasse der Aussonderung.

    Menschen müssen in ihrem Sosein akzeptiert werden, um den Blick auf ihre besonderen Fähigkeiten richten zu können. Es ist zunächst die Aufgabe von Eltern, Erziehern und Lehrern, Kinder und Jugendliche zu unterstützen und zu befähigen, inmitten der Gesellschaft ihren Platz finden.

    Dazu gehört auch die Entwicklung von beruflichen Perspektiven, um nach der Schule zu wissen, wie der eigene Lebensweg weitergehen könnte. Das geht nicht theoretisch sondern muss praktisch erprobt werden, um Eindrücke und Erfahrungen zu sammeln. Es ist zunächst die gemeinsame Aufgabe von Eltern und Lehrern für einen besonderen Menschen einen geeigneten Praktikumsort zu finden, der an seinen Interessen ansetzt, und ihn dort so zu unterstützen, dass vor allem Potentiale sichtbar werden aber auch Schwierigkeiten deutlich werden, die es in einem zweiten, dritten, vierten, ... Praktikum zu fördern oder zu vermeiden gilt. Es ist ein notwendiges "Learning by doing" im echten Arbeitsleben, damit der Schüler am Ende seiner Schulzeit weiß, wie sein Lebensweg weitergehen soll.

    Wenn inklusives Lernen, Arbeiten und Leben die Ziele sind, die nicht nur auf dem Papier stehen sollen, können Eltern und Lehrer nicht auf wünschenswerte Rahmenbedingungen warten. Sie müssen mit den in ihrer jeweiligen Region derzeit zur Verfügung stehenden Mitteln möglichst früh anfangen, die Schulzeit als Vorbereitungszeit für das Leben und Arbeiten nach der Schule zu nutzen.

    Für Praktika während der Schulzeit braucht es drei Dinge: den Schüler, der gerne arbeiten und etwas ausprobieren möchte, den Arbeitsort, der geeignet scheint und dies zulässt, und die Unterstützungsperson, die dieses Lernen im Betrieb unterstützend begleiten kann. Das muss eine Vertrauensperson für den Menschen mit Beeinträchtigung sein, die sich zum einen in einem Betrieb zurechtfindet und Ideen entwickelt, was der Mensch an diesem konkreten Arbeitsort machen könnte. Es gibt in jedem Betrieb Dinge, die bisher liegenbleiben sind, Teilarbeiten, die jemand übernehmen könnte, oder auch Arbeiten, die schön wären, wenn es jemanden gäbe, der sie machen würde. Umdenken und Kreativität sind gefragt.

    Diese praktischen betrieblichen Erfahrungen brauchen Schüler, Eltern und Lehrer, um am Ende der Schulzeit zu wissen, was dieser Mensch kann, was seine spezifischen Fähigkeiten sind und in welchem Betrieb er sein berufliches Lernen vielleicht sogar fortsetzen könnte. Dieses konkrete Vorwissen ist notwendig, um mit dem dann zuständigen Leistungsträger, in der Regel ist das die Agentur für Arbeit, einen individuellen auf die Person zugeschnitten Weg der beruflichen Qualifizierung mit der dazu notwendigen Unterstützung einschlagen zu können. Die während der Schulzeit gemachten Praxiserfahrungen sind weit aussagekräftiger und zielführender als medizinische oder psychologische Gutachten.

    Im Beitrag von Eva-Maria Thoms ist einer der wesentlichen hemmenden Faktoren insbesondere für Menschen mit kognitiven Einschränkungen benannt. Schule ist BIS zum Ende der Schulzeit verantwortlich und die Agentur für Arbeit wird erst NACH der Schulzeit zuständig. Dies ist eine der vielen systemimmanenten problematischen Schnittstellen, die Menschen behindern und inklusive Arbeit verhindern.

    Diese Barriere besteht vielfach, aber sie kann auch durchbrochen werden, wenn z.B. Schulleitung und Lehrer es als ihre Aufgabe verstehen, Schüler auf ein Leben nach der Schule vorzubereiten. Dazu gehören betriebliche Erfahrungen und Praktika während der Schulzeit. Das ist in Baden-Württemberg einfacher als in anderen Bundesländern, weil dort seit 2013 die Berufswegekonferenz verpflichtend vorgeschrieben ist und engagierte Schulen bereits in der siebten oder achten Klasse damit anfangen, individuell für den einzelnen Schüler berufliche Möglichkeiten auszuprobieren.