Welchen Barrieren begegnen Menschen mit Behinderungen, wenn sie Leistungen der medizinischen oder beruflichen Rehabilitation erhalten möchten?

    • Offizieller Beitrag

    Auf dem Weg zur Reha können etliche Barrieren auftreten, angefangen beispielsweise bei der ärztlichen Verordnung und der Antragstellung, in der Beratung und Kommunikation mit Ansprechstellen, bei der Suche nach den passenden Diensten und Einrichtungen und letztlich am Ort der Leistungserbringung.

    Welche Erfahrungswerte gibt es hierzu? Wurden in den letzten Jahren positive Veränderungen wahrgenommen?


    Dies ist eine Impulsfrage des Teams.

  • Ich kann mich nur auf persönliche Eindrücke berufen, aber ich denke, auch diese spiegeln die vorhandenen Barrieren gut wider.

    Stichwort medizinische Reha: Die stationären Reha-Einrichtungen sind weder baulich, noch hinsichtlich Organisation und Ablauf der Reha sowie Kommunikation mit dem Patienten auf Menschen mit Behinderungen eingestellt. Ein persönliches Beispiel: mein Vater war nach Schlaganfall sehbehindert, halbseitig bewegungseingeschränkt, kognitiv eingeschränkt und nicht in der Lage längere Strecken selbständig zu laufen. Er war nach einer Prostatakrebsbehandlung zur Reha. Es scheiterte an einfachsten Sachen. Die Einrichtung konnte seinen Behandlungsplan leider nicht in größerer Schrift bereitstellen. Dadurch wusste er nicht, wann er welche Behandlung hat. Sie konnte auch niemanden abstellen, der ihn zu den Anwendungen begleitet hätte. Weiterhin sollte er an einem Ernährungsseminar teilnehmen: gemeinsames Kochen in der Lehrküche. Er, der nach seinem Schlaganfall seine linke Hand kaum bewegen kann, nur mit Festhalten stehen kann und sich neue Dinge maximal 10 Minuten merken kann. Die Einrichtung war in keiner Weise in der Lage, die Reha auf seine individuellen Voraussetzungen anzupassen. Es war ein Standardablauf für jeden, der natürlich davon ausgeht, dass der Patient außer seiner zu behandelnden Erkrankung keine Einschränkungen mitbringt. Und hier liegt schon das Grundproblem: die medizinischen Einrichtungen reflektieren ihr Vorgehen und ihre baulichen Gegebenheiten seltenst aus der Perspektive körperlich oder kognitiv beeinträchtigter Menschen.

    Oft wird Barrierefreiheit noch mit "rollstuhltauglich" (Wir haben doch einen Aufzug.) gleichgesetzt. Hörbehinderte, Sehbehinderte oder Menschen mit komplexen Behinderungen sind in den Standardabläufen nicht vorgesehen. Die Einrichtungen sind nicht in der Lage, sich flexibel an besondere Bedürfnisse anzupassen (angemessene Vorkehrungen), wo eine allgemeine Barrierefreiheit nicht herzustellen ist.

    Als selbst Hörgeschädigte erlebte ich zum Beispiel im Rahmen einer Cochlea-Implantat-Reha, dass ein Gruppenhörtraining regelmäßig in einer ehemaligen Teeküche der Klinik stattfand. Die Akustik darin war grottenschlecht - nur glatte Flächen, extremer Hall - der Raum war schlicht ungeeignet für die Hörtrainings. Trotzdem sah die Klinik hier kein Problem. Sind halt ziemlich wenig Räume da und man ist froh, überhaupt diesen Raum zu haben.

    Das ist eine Haltung, die mir leider oft begegnet.

    Weiterhin wurden gegen den Stress, den Hörbehinderte erleben Entspannungstrainings empfohlen. Ja, auf den ersten Blick sehr sinnvoll. Doch ein klassisches Entspannungstraining, bei dem leise Musik läuft und ein Trainer immer wieder leise Anweisungen gibt ("Sie spüren jetzt ihren linken Arm.") ist für stark Hörbeeinträchtigte kontraproduktiv. Die müssen sich dabei nämlich so sehr auf das Gesagte konzentrieren, dass sie sich überhaupt nicht entspannen können.

    Das sind jetzt einzelne Beispiele. Doch sie zeigen auf, dass die Einrichtungen noch in einer "One fits all"-Denkweise verhaftet sind, die Menschen mit Behinderungen/Einschränkungen nicht oder nur unzureichend einbezieht. Es wäre notwendig, dass die Einrichtungen der medizinischen Reha ihre baulichen Gegebenheiten, ihr Vorgehen bei der Behandlung, ihre Organisation und die Kommunikation mit den Patienten aus der Perspektive von Menschen mit unterschiedlichsten Beeinträchtigungen reflektieren. Dies wäre möglich, indem man Menschen mit verschiedensten Beeinträchtigungen die Reha-Abläufe erleben lässt und anschließend das Erlebte strukturiert auf Barrieren für die jeweilige Behinderungsart analysiert- eine Art "Mystery Shopping" für den Reha-Bereich.

  • Vielen Dank für diese Impulsfrage. Aus der Sozialberatung unseres Verbandes kann berichtet werden, dass sich gerade bei Menschen mit Behinderungen die Barrieren bereits ganz zu Beginn stellen. Schon die Möglichkeit, eine Rehabilitation zu beantragen, ist vielen Betroffenen unbekannt. Es fehlt also bereits häufig das Wissen um den Anspruch auf eine Maßnahme. Dass nicht nur Erwerbstätige, sondern auch Rentenbeziehende oder Pflegebedürftige einen Anspruch auf eine Reha- Maßnahme haben können, sind sind wiederkehrende Themen in unserer Rechtsberatung. Viele haben sehr engagierte Ärzte und Behandler, welche jedoch aus unterschiedlichen Gründen den Weg zu einer Reha nicht so begleiten können, wie es für die Betroffenen erforderlich wäre. Über die Sozialverbände erhalten Betroffene die kostengünstige Möglichkeit, sich umfassend über das ob und wie eines Reha- Antrages zu informieren. Zwar wurde im SGB IX eine einheitliche Rechtsgrundlage für Leistungen zur Rehabilitation normiert. Schon bei der Form der Antragstellung und der Zuständigkeit des Leistungsträgers ist zu unterscheiden zwischen Erwerbstätigen und Nicht- Erwerbstätigen. Auch das Wunsch- Und Wahlrecht nach § 8 SGB IX ist vielen Betroffenen zwar bekannt, der Weg. Wie jedoch eine passende Klinik gefunden werden kann, ist vielen nicht bekannt. Die häufig nicht barrierefreie und zudem aufwändige Internetrecherche steht vielen Betroffenen nicht zur Verfügung. Auch hier kann eine Rechtsvertretung beistehen und Tipps geben. Leider machen wir sehr häufig die Erfahrung, dass die Krankheitsbilder von den Leistungsträgern nur unzureichend erfasst bzw. ausgewertet werden und die Zuweisung zu einer Einrichtung nicht auf die individuellen Bedürfnisse eingeht. Was viele Betroffene nicht wissen: wird eine Reha bewilligt, kann auch isoliert gegen die Art der Durchführung (ambulant/stationär) doer aber gegen die ausgewählte Einrichtung Widerspruch eingelegt werden.

  • Als weitere Barriere auf dem Weg in eine Rehabiltationsmaßnahme ist der ablehnende Bescheid zu sehen. Viele Antragsteller lassen es damit auf sich beruhen, weil ihnen die Möglichkeiten des Widerspruchs nicht so geläufig sind bzw. sie diesen Weg scheuen. Unsere Erfolgszahlen in den Widerspruchsverfahren dokumentieren jedoch eindrucksvoll, dass sich ein Widerspruch sehr häufig lohnt. Die Betroffenen sollten sich Unterstützung bei Ihren Behandlern, den diversen Beratungsstellen oder Sozialverbänden holen. Hier kann viel Aufklärung über bestehende Ansprüche und Hilfe bei der der Durchsetzung erfolgen. Da die Durchsetzung einer Reha viele auch vor eine psychische Belastung stellt, muss das Beratungsangebot - auch der Leistungsträger - ausgebaut und individualisert werden.

  • Oft ist bereits die Suche nach einem (Fach-) Arzt eine Barriere:

    sei es sprachlich durch einen Migrationshintergrund, die Erreichbarkeit und Barrierefreiheit der Arztpraxen bzw. das Angebot an freien Behandlungsplätzen. Dazu noch viele Aufnahme-Formulare, die sowohl sprachlich als auch optisch oft Barrieren darstellen und die MmB oder deren Angehörige mit dem Ausfüllen völlig überfordert sind.

  • Vielen Dank für die Hinweise zu den Barrieren der Antragstellung, das Suchen geeigneter Kliniken, bzw. die Zuweisung zur passenden Rehaklinik und den nachgehenden Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur sozialen Teilhabe. Ich möchte diese wichtigen Hinweise durch einige Anmerkungen ergänzen:


    Hinsichtlich der Klärung des zuständigen Kostenträgers im Antragsverfahren wurden im Rahmen des Bundesteilhabegesetztes (BTHG) wichtige Änderungen vollzogen. Beispielsweise soll ein einziger Antrag ausreichen, um alle benötigten Leistungen zu erhalten. Dabei soll ein leistender Rehabilitationsträger für die Koordination verantwortlich sein. Durch die Reform wurde auch die Verantwortung der Rehabilitationsträger zur schnellen Klärung erhöht und die Fristenregelungen verbessert. Dies wird in § 14 SGB IX geregelt. Eine weitere wichtige Änderung durch das BTHG ist das Teilhabeplanverfahren in § 19 SGB IX, das insbesondere bei komplexen Bedarfslagen in der Zuständigkeit mehrerer Rehabilitationsträger wichtig ist, um alle notwenigen Leistungen „wie aus einer Hand“ erhalten zu können. Hier kann auch das durchführen einer Teilhabekonferenz nach § 20 SGB IX hilfreich sein, die auch von den Leistungsberechtigten selbst vorgeschlagen werden kann. Nähere kompakte Informationen zu den Änderungen durch das BTHG gibt es unter https://www.bar-frankfurt.de/f…%84nderungenSGBIX.web.pdf.


    In der medizinischen Reha können bei Fragen zu nachgehenden Leistungen die Beratung der Sozialdienste durch die Fachkräfte der Sozialen Arbeit genutzt werden. Diese beraten zu psychosozialen und beruflichen Problemlagen. Ein wichtiger Aspekt ist beispielsweise Unterstützung in der Rückkehr an den Arbeitsplatz. Hier kann z.B. bei Bedarf zur Einleitung der Stufenweisen Wiedereingliederung (STW) und wenn notwendig Hinweise zu den zuständigen Integrationsfachdiensten (IFD) in der Region https://www.bih.de/integrationsaemter/kontakt/ beraten werden. Wenn aufgrund der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben notwendig sind, kann hierzu beraten (wie zum Beispiel auch das beschriebenen Antragsverfahren und die daraus resultierenden Rechte) und in der Antragstellung unterstützt werden. Durch die Beratung können die weiteren Schritte zur Teilhabe geplant werden. Bei dem Bedarf an Leistungen mehrerer Rehabilitationsträger kann die Beratung zur oben genannten Teilhabeplanung wichtig sein.


    Ein weiterer wichtiger Aspekt beim Zugang zu Leistungen sind die genannten niederschwelligen Beratungsangebote. Leider sind diese nur sehr unterschiedlich regional verfügbar und es muss in der jeweiligen Region recherchiert werden. Durch das BTHG wurden die Ergänzende unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB) eingeführt. Diese sind Bundesweit https://www.teilhabeberatung.d…eratungsangebote-der-eutb verfügbar und können insbesondere auch beim Zugang zu notwendigen Leistungen beraten. So sollen die genannten Barrieren zur medizinischen Rehabilitation verringert werden und sind für die Sozialdienste in der Rehabilitation eine wichtige Ressource in der Beratung zu den nachgehenden Leistungen. Die Beratungsstellen, Sozialdienste und EUTB können auch bei der Suche nach notwendigen Fachärzten, Heilmittelerbringern, Soziotherapeut:innen etc. beraten.


    Eine weitere Neuerung des BTHG sind die Ansprechstellen die in § 12 SGB IX als eine der Maßnahmen zur Unterstützung der frühzeitigen Bedarfserkennung geregelt sind. Auf der Homepage der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) gibt es dafür ein Verzeichnis https://www.ansprechstellen.de/suche.html.


    In wie weit diese Reformbemühungen zur Verringerung der Barrieren führen, hängt sehr stark von der Umsetzung dieser ab. Bei den genannten Problemen in der Antragstellung und der Ablehnung von Leistungen sind bei der Durchsetzung von Rechten die genannten Sozialverbände sehr wichtig.

  • Ergänzend zu meinen Anmerkungen zu den Barrieren beim Zugang zur Rehabilitation möchte ich auf das Entlassmanagement in den Krankenhäusern und Rehabilitationskliniken hinweisen. Dieses ist für die Krankenhäuser in § 39 Absatz 1a SGB V gesetzlich normiert. In der medizinischen Rehabilitation gilt nach § 40 Absatz 2 SGB V dieses Entlassmanagement unter der Leistungsträgerschaft der Gesetzlichen Krankenversicherung. Die Deutsche Rentenversicherung hat im Anforderungsprofil zur medizinisch-beruflichen Rehabilitation https://www.deutsche-rentenver…onzepte/MBOR_AP_2019.html das Übergansmanagement geregelt. Das Entlass- und Übergangsmanagement ist eine multiprofessionelle Aufgabe, bei dem die Sozialdienste mit den Fachkräften der Sozialen Arbeit (wie bereits beschrieben) eine wichtige Aufgabe beim Zugang in notwendige nachgehende Leistungen erfüllen. Das Positionspapier der Deutschen Vereinigung für Soziale Arbeit im Gesundheitswesen (DVSG) zum Entlassmanagement durch Soziale Arbeit https://dvsg.org/fileadmin/use…ngsmanagement-2022-05.pdf gibt den Sozialdiensten Informationen zum entwickeln einer guten Prozessqualität im Entlassmanagement an die Hand. Die tatsächliche Umsetzung in den Sozialdiensten, deren Aufgaben auch in der Gemeinsamen Empfehlung Sozialdienste der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) https://www.bar-frankfurt.de/f…2022_web_barrierefrei.pdf beschrieben werden, ist sicher unterschiedlich. Wichtig ist unter anderem ein klar geregelter Zugang zur Beratung der Sozialdienste.


    Im ambulanten Sektor zur Nachsorge gibt es eine Vielzahl von gesundheitsbezogenen Beratungsangeboten. Diese ist jedoch für Ratsuchende sehr unübersichtlich geregelt und es fehlt ein systematischer Zugang zu den Sozialdiensten, um den Zugang zu Leistungen zu verbessern. Es ist bleibt abzuwarten, ob die geplanten Gesundheitskioske (https://dvsg.org/service/alle-…ionell-ausgerichtet-sein/ ) sicherstellen, dass sie mit allen vor Ort vorhandenen Akteur*innen des Gesundheits- und Sozialwesens zusammenarbeiten, um Doppelstrukturen zu vermeiden, systematisch Synergien nutzen und eine multiprofessionelle Beratung im Sozialraum entwickeln. So könnte sie ein wichtiger Baustein zur systematischen gesundheitsbezogenen Beratung für den Zugang zur Rehabilitation werden.

  • Insbesondere im Bereich der Kinderreha Imitation begegnen mir leider immer wieder Fälle, bei denen Kinder mit GdB (bzw deren pflegende Angehörige) zwischen den Zuständigkeitsquerelen der EU zelnen Träger aufgerieben werden. Seit 2017 sollte eigentlich die RV erster Ansprechpartner bei Kinderreha Imitation sein, da auch im Kindesalter eine Reha schon zur (Wieder-)Herstellung/Sicherstellung der Einstiegsmöglichkeiten in den ersten Arbeitsmarkt dient. Leider scheint man bei den verschiedenen Rentenversicherungen über Glaskugeln zu verfügen. Denn regelmäßig wird die Zuständigkeit verneint mit der Begründung das Kind würde eh nie dem ersten Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Und wir reden hier nicht von schwerst mehrfach behinderten Kindern. Gleichzeitig berufen sich die Krankenkassen, die dann bei der ersten Reha oft noch relativ problemlos einspringen, bei einer Wiederholungsmaßnahme auf die 4jährige Wartefrist zwischen zwei Maßnahmen, die aber für Kinder so seit 2017 auch nicht mehr gilt.

    Wenn nun Eltern als Vertreter ihrer Kinder, nicht 100% informiert sind und dazu noch durch die tägliche Belastung aus der Kombination von Erwerbstätigkeit, Haushalts-/Familienführung, Pflege und den ständigen bürokratischen Hürden aufgerieben und zu kraftlos fürs Kämpfen sind, bleiben Kinder mit GdB bei der notwendigen Rehabilitation leider oft auf der Strecke.


    Von dem Umstand mal ganz abgesehen, dass auch und insbesondere bei Ärzten und Therapeuten (also den offiziellen Fachkräften) oft totale Unkenntnis über die Möglichkeiten einer Kinderrehabilitation bestehen, teilweise sogar die tatsächlich vorliegenden Voraussetzungen bei den betroffenen Kindern negiert werden, der "Aufwand" den Befundbericht auszufüllen gescheut wird bzw gleich verweigert wird und/oder regelmäßig auch veraltete Formulare benutzt werden auch auch nur die des "falschen" Trägers.