Haben Personen, die mit Menschen mit Behinderung oder chronischer Erkrankung (oder medikamentöser Immunsuppression) zusammenleben, oder die solche Menschen wegen deren Einschränkung begleiten und unterstützen, ein Recht auf besondere Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz (um die Betroffenen nicht zu infizieren)?
Schutz der Kontaktpersonen von Risikopersonen
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Hallo,
ich bin selber ein Risikopatient wegen einer chronischen Erkrankung und nehme ein Medikament, welches die weißen Blutkörperchen in den Lymphknoten zurückhällt.
Ich selber konnte sofort das Angebot von meinem Arbeitgeber annehmen und habe die letzten 3 Wochen in Home Office gearbeitet. Bei meiner Frau im Büro sind auch nur wenige Kollegen/innen Vorort.
Wir halten uns strikt an das Kontaktverbot, selbst unser 20jähriger Sohn trifft sich nur mit einem Freund. Regelmäßiges Händewaschen mit Seife und warmen Wasser ist zur Routine geworden.
Wir hoffen, dass wenn wir uns alle an diese einfachen Regeln halten, uns eine Erkrankung an Covid 19 erspart bleibt. Das wäre wahrscheinlich fatal für mich. Wenn es einen Impfstoff gibt, sollten Personen wie ich und meine Familie, damit bevorzugt behandelt werden.
Haltet Abstand, bleibt Zuhause und bleibt gesund. -
Arbeitgeberschutzpflichten gegenüber Personen mit einem höheren Risiko für einen schweren COVID-19-Krankheitsverlauf
Besteht wegen einer Behinderung oder einer Vorerkrankung ein erhöhtes Risiko, an COVID-19 schwer zu erkranken, so muss der Arbeitgeber nach § 618 BGB Schutzmaßnahmenergreifen. Wo es möglich ist, muss der Arbeitgeber dem Betroffenen einen Einzelarbeitsplatz zuweisen oder die Arbeit von zu Hause im Homeoffice zulassen.
Bei schwerbehinderten Menschen muss er zudem nach § 164 Abs. 4 SGB IX alle ihm zumutbaren technischen und organisatorischen Möglichkeiten für eine risikogeminderte behinderungsgerechte Beschäftigungausschöpfen. Dazu gehört auch die Schaffung der erforderlich technischen Infrastruktur und der datenschutzrechtlichen Voraussetzungen für die Arbeit im Homeoffice. Hier kann der Arbeitgeber nicht ohne Weiteres das Entstehen übermäßiger Kosten nach § 164 Abs. 4 Satz 3 SGB IX einwenden. Dieser Einwand kann nach § 164 Abs. 4 Satz 2 SGB IX nur erhoben werden, wenn sich der Arbeitgeber zuvor redlich aber erfolglos, um finanzielle Unterstützung bei der Arbeitsagentur und um Förderung im Rahmen der begleitenden Hilfe im Arbeitsleben beim Integrationsamt bemüht hat.Bei schwerbehinderten und ihnen gleichgestellten Beschäftigten ist das Beteiligungsrecht der Schwerbehindertenvertretung (SBV) zu beachten. Nach § 167 Abs. 1 SGB IX ist es zwingende Pflicht des Arbeitgebers, die SBV schon dann einzuschalten, wenn er Schwierigkeiten bei der Beschäftigung erkennt, die in der Person eines schwerbehinderten oder gleichgestellten Beschäftigten begründet sind. Dies ist immer der Fall, wenn ein schwerbehinderter oder gleichgestellter Beschäftigter dem Arbeitgeber meldet, dass bei ihm wegen einer Vorerkrankung oder einer Behinderung ein erhöhtes Risiko besteht, schwer an COVID-19 zu erkranken. Dann hat der Arbeitgeber gemeinsam mit der SBV und Betriebs- oder Personalrat nach Lösungen zu suchen. Werden keine betrieblichen Möglichkeiten zur Verringerung des Risikos bei der Beschäftigung gefunden, so kommt eine bezahlte Freistellung nach § 616 BGB in Betracht. In vielen Behörden sind deshalb schon Hochrisiko-Personen von der Arbeit bezahlt freigestellt worden. Vorbildlich ist dievom Innenministerium Baden-Württemberg für Beschäftigte im Polizeidienst getroffene Regelung. Diese hat folgenden Inhalt:
Vorerkrankte und immunschwache Beschäftigte, für die ein erhöhtes Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs im Falle einer Infektion mit dem Coronavirus besteht, sollten grundsätzlich nicht mehr die Räumlichkeiten der Dienststellen aufsuchen oder im Außendienst tätig werden. Soweit mobiles Arbeiten nicht möglich ist, hat eine Freistellung zu erfolgen. Bestehen im Einzelfall keine Zweifel an der Zugehörigkeit zum einem erhöhten Risiko ausgesetzten Personenkreis, kann durch die Dienststelle oder Einrichtung eine Freistellung ohne die Vorlage eines aktuellen ärztlichen Attestes erfolgen; ansonsten ist der Nachweis durch ein ärztliches Attest zu führen.
Betriebs- bzw. Personalräte sind nach § 182 Abs. 1 SGB IX aufgefordert, in enger Zusammenarbeit mit der SBV, dem Inklusionsbeauftragten und dem Arbeitgeber Lösungen zu finden. Sie müssen sicherstellen, dass die schwerbehinderten Menschen trotz der Gefährdungen durch das Coronavirus am Arbeitsleben teilhaben können, ohne sich dem erhöhten Risiko eines schweren COVID-19-Krankheitsverlaufs auszusetzen.
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Hallo Herr Düwell,
wie ist es mit Personen die eine Person im Haushalt haben die ein erhöhtes Risiko haben?
Sollten sich diese in der Firma anstecken und dies mit nach Hause tragen, gibt es dazu eine Hilfestellung?
Oder ist dies eine Verhandlungssache mit dem Arbeitgeber? -
Hallo Herr Düwell,
wie ist es mit Personen die eine Person im Haushalt haben die ein erhöhtes Risiko haben?
Sollten sich diese in der Firma anstecken und dies mit nach Hause tragen, gibt es dazu eine Hilfestellung?
Oder ist dies eine Verhandlungssache mit dem Arbeitgeber?Hallo allerseits,
das interessiert mich ebenfalls, da mir solche Konstellationen in unserer Firma bekannt sind. Es erhöht ja das Risiko, dass ein schwerbehinderter Mensch im HomeOffice über seinen Partner, der noch zur Arbeit fahren muss, angesteckt wird. Dazu könnte eine Minimierung des Risikos ja schon durch eine zeitweise Anwesenheit in der Firma erfolgen.
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Ich denke ganz grundsätzlich gilt das gleiche, was Herr Düwell hier vorgetragen hat. Im übrigen wird hier jeder Arbeitgeber unter Beachtung der bereits genannten gesetzlichen Vorgaben, aber auch vor dem Hintergrund des AGG, in Zusammenarbeit mit SBV und Personal- bzw. Betriebsräten seine eigene "Firmenpolitik entwickeln müssen...Der besondere Diskriminierungsschutz spielt hier auch deshalb eine Rolle, da schwerbehinderte Arbeitnehmer eben auch nicht ohne Rechtfertigung durch vermeintliche Schutzmaßnahmen diskriminiert werden dürfen.
DR. Martin Theben
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Hallo zusammen,
Zitat Hr. Düwell:
Bei schwerbehinderten und ihnen gleichgestellten Beschäftigten ist das Beteiligungsrecht der Schwerbehindertenvertretung (SBV) zu beachten. Nach § 167 Abs. 1 SGB IX ist es zwingende Pflicht des Arbeitgebers, die SBV schon dann einzuschalten, wenn er Schwierigkeiten bei der Beschäftigung erkennt, die in der Person eines schwerbehinderten oder gleichgestellten Beschäftigten begründet sind. Dies ist immer der Fall, wenn ein schwerbehinderter oder gleichgestellter Beschäftigter dem Arbeitgeber meldet, dass bei ihm wegen einer Vorerkrankung oder einer Behinderung ein erhöhtes Risiko besteht, schwer an COVID-19 zu erkranken. Dann hat der Arbeitgeber gemeinsam mit der SBV und Betriebs- oder Personalrat nach Lösungen zu suchen. Werden keine betrieblichen Möglichkeiten zur Verringerung des Risikos bei der Beschäftigung gefunden, so kommt eine bezahlte Freistellung nach § 616 BGB in Betracht.in einer Klinik wird diesen Bedingungen allerdings keiner gerecht.
Wir haben Mitarbeiter, hauptsächlich in der Pflege, aber auch in anderen Klinikbereichen die hochrisikogefährdet sind. Da ist es nicht möglich, für diese Home- oder Einzelarbeitsplätze ohne Kontakt herzurichten.
Bezahlte Freistellungen bekommen auch sie nur, wenn sie selbst unter Verdacht stehen, mit COVID infiziert zu sein und in Quarantaine müssen.Mich hatten verzweifelte Kolleginnen und Kollegen angerufen, die große Angst vor der Arbeitsaufnahme haben und sich schon wegen Reha o. ä. längere Zeit im Krankenschein befanden. Sie fallen nämlich bei weiterer Krankschreibung aus der Lohnfortzahlung und wollten sich unter Bezügen freistellen lassen, weil die behandelnden Ärzte ihnen das empfohlen hatten.
Sie seien ja, abgesehen von der Risikogruppe, wieder arbeitsfähig.
Also eine bezahlte Freistellung beim Arbeitgeber anzufordern weil sie stark gefährdet sind und zu der Risikogruppe gehören.
Eine solche Freistellung gibt es nicht!"Möglich ist nur eine Krankschreibung mit der Begründung, dass eine Grunderkrankung besteht, die an sich noch keine Arbeitsunfähigkeit bedingt, aber die Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung oder des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit für den Fall sehr wahrscheinlich ist, wenn die derzeitige Tätigkeit weiter ausgeübt wird.-Das entscheidet allerdings der jeweilige Arzt."
Das hatte mir ein Arbeitsrechtler, den ich in meiner Verzweiflung kontaktiert hatte, geschrieben.Hier kann man bei Arbeitsaufnahme von Risikogruppen nur das Risiko verkleinern. Schutzkleidung, die der Arbeitgeber im Rahmen der Fürsorgepflicht stellen muss und evtl. eine Versetzung in infektionsärmere Bereiche. Somit ist der Arbeitgeber seiner Fürsorgepflicht nachgekommen. Einen richtigen Schutz sehe ich darin nicht.
Oder kenn jemand andere Möglichkeiten für eine bezahlte Freistellung?
Liebe Grüße und bleibt gesund
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Liebe Mitstreiter,
die Ausführungen von Herrn Düwell liefern uns sicher für die Gespräche mit den Personalverantwortlichen einige sehr fundierte Argumente - dafür vielen Dank. Wie aber sieht es mit den Umsetzungsmöglichkeiten im Bereich Schule und Hochschule aus? Wir haben viele ältere Lehrkräfte mit Vorerkrankungen und ähnlich wie im Klinikbereich wohl nicht die Möglichkeit für längere Zeit auf Homeoffice auszuweichen. Selbst wenn Klassen geteilt werden und der Unterricht in großen Räumen stattfinden wird, werden sich viele Menschen gleichzeitig in diesem Zimmer befinden müssen. Wer kann oder muss hier entscheiden, ob angedachte Schutzmaßnahmen nach § 618 BGB ausreichend sind oder nicht? Wenn ich Herrn Düwell richtig verstanden habe, dann kann es Freistellungen vom Dienst geben. Wenn der Dienstherr nicht freistellt, dann bleibt eine Krankschreibung mit den von Vertigo beschriebenen Problemen.
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@Vertigo,@ Andrea Maria
das Problem der Corona-Epidemie und auch dieses Forums ist, dass wir alle hier oft nur sehr allgemein Antworten können. In der Regel können hier unter Rückgriff auf allgemeine Rechtsgrundsätze und Normen, die eben nicht speziell für diese Krise geschaffen wurden, Hilfestellungen gegeben werden. Die Grundnormen für eine bezahlte Freistellung findet sich z.B. im BGB in en §§ 615, 616. Ansonsten kann im Einvernehmen mit Arbeitgeber bzw. gemäß jeweils gültigem Arbeitsvertrag auf Urlaub, Freizeitausgleich etc. zurückgegriffen werden. Zudem können eben Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträge passende Regelungen enthalten. Im übrigen muss auch der Arbeitgeber als Gläubiger der Arbeitsleistung Rechte des Schuldners beachten s. § 241 BGB, § 618 Abs. 1 BGB s. dazu auch mal diese nicht ganz passende, aber vielleicht doch zum Problem hinführende Entscheidung des Bundesarbeitsgericht https://juris.bundesarbeitsger…18-05-15/8_AZR_853-16.pdf
Allgemeine Infos findet man u.U. auch hier
https://www.e-recht24.de/artik…rzarbeit-home-office.html
https://www.juris.de/jportal/n…onavirus-arbeitsrecht.jsp
https://www.dgb.de/themen/++co…cd-11ea-b9ef-52540088cada
Bei weiteren Fragen bitte gerne melden.
DR. Martin Theben
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"...... Werden keine betrieblichen Möglichkeiten zur Verringerung des Risikos bei der Beschäftigung gefunden, so kommt eine bezahlte Freistellung nach § 616 BGB in Betracht. ......"
Gilt der § 616 BGB auch für Bundes- und Landesbeamte oder ist da spezielles Beamtenrecht vorrangig anzuwenden? -
Gilt der § 616 BGB auch für Bundes- und Landesbeamte oder ist da spezielles Beamtenrecht vorrangig anzuwenden?
Dieser § 616 BGB dürfte nicht direkt anwendbar sein, da kein Vertragsverhältnis, sondern Beamtenverhältnis gemäß Rspr. Hier werden vielmehr die verlinkten (speziellen) beamtenrechtlichen Verordnungen gelten. Die Stiftung Warentest schrieb bspw. am 21. Jan. 2020 in einem ähnlichen und wohl vergleichbaren Zusammenhang: „Für Beamte und Richter gelten die Sonderurlaubsverordnung des Bundes bzw. Regelungen der einzelnen Bundesländer.“ Zur Fürsorgepflicht des Dienstherren vgl. Dr. Maximilian Baßlsperger mit Rechtsprechung.
... und solange es in Deutschland keinerlei Maskenpflicht im ÖPNV gibt (im Unterschied z.B. zu Taiwan, das bei der WHO grandios abblitzte bzw. „abgewimmelt“ wurde), würde ich als Angehöriger einer RKI-Risikogruppe nie ohne FFP2-Schutzmaske zur Arbeit fahren mit Bus oder U-/S-Bahn. Maskenpflicht gibt’s auch in Jena - und „seit einer Woche ist Jena ohne Corona-Neuinfektionen“, obwohl anfänglich ein "Hotspot" laut mdr
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Hallo allerseits,
das interessiert mich ebenfalls, da mir solche Konstellationen in unserer Firma bekannt sind. Es erhöht ja das Risiko, dass ein schwerbehinderter Mensch im HomeOffice über seinen Partner, der noch zur Arbeit fahren muss, angesteckt wird. Dazu könnte eine Minimierung des Risikos ja schon durch eine zeitweise Anwesenheit in der Firma erfolgen.Der Arbeitgeber hat nach § 241 Abs.2 BGB eine Rücksichtspflicht gegenüber dem Arbeitnehmer. Wenn im Haushalt des Arbeitnehmer ein Angehöriger lebt, der ein erhöhtes Risiko im Sinne der Risikogruppeneinteilung des Robert Koch-Instituts hat, dann sollte der Arbeitnehmer das dem Arbeitgeber melden. Der Arbeitgeber muss dann prüfen, ob und welche Schutzvorkehrungen unter Berücksichtigung der Umständes dieses Einzelfalles ihm möglich und angemessen sind. Einen generellen Anspruch auf bezahlte Freistellung gibt es nicht.
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Für Beamte auf Bundes- und Landesebene gilt hier das Fürsorgeprinzip des Dienstherren. Hier siehe beispielsweise https://www.bverwg.de/031213B2B65.12.0 Rz. 11 ff.
Das VG Berlin hat in einem Eilverfahren gerade entschieden, dass der Dienstherr gemäß seines Fürsorgeprinzips gehalten ist, Home-office für seine Bediensteten anzuordnen https://www.berlin.de/aktuelle…mtin-muss-homeoffice.html
Weitere Rückfragen gerne auch an mich oder natürlich gerne auch hier.
Martin Theben
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Vorerkrankte und immunschwache Beschäftigte, für die ein erhöhtes Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs im Falle einer Infektion mit dem Coronavirus besteht, sollten grundsätzlich nicht mehr die Räumlichkeiten der Dienststellen aufsuchen oder im Außendienst tätig werden. Soweit mobiles Arbeiten nicht möglich ist, hat eine Freistellung zu erfolgen. Bestehen im Einzelfall keine Zweifel an der Zugehörigkeit zum einem erhöhten Risiko ausgesetzten Personenkreis, kann durch die Dienststelle oder Einrichtung eine Freistellung ohne die Vorlage eines aktuellen ärztlichen Attestes erfolgen; ansonsten ist der Nachweis durch ein ärztliches Attest zu führen.
Hallo,
wie verhält sich die Umsetzung denn konkret bei den (schwerbehinderten) Menschen, die ohne Vorerkrankungen ausschließlich wegen des Alters zur Risikogruppe für einen schweren Krankheitsverlauf gehören:
- ältere Personen (mit stetig steigendem Risiko für schweren Verlauf ab etwa 50–60 Jahren; 86 % der in Deutschland an COVID-19 Verstorbenen waren 70 Jahre alt oder älter [Altersmedian: 82 Jahre])
Die Definition ist für meinen Geschmack wenig trennscharf und bietet sicherlich “Zündstoff” in der Umsetzung.
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Diese Trennschwäche läßt sich, wie vieles in dem Bereich, eben nicht rechtssicher herstellen. Das hängt von zu vielen einzelnen Faktoren ab. Hilfreich sind die aktuellen Arbeitsschutzempfehlungen die gestern von BM Heil vorgestellt und Herrn Düwell hier eimngestellt wurden.
Martin Theben