Welche besonderen Bedarfe haben Studierende und Promovierende mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen?
(Dies ist eine Impulsfrage des Teams.)
Beeinträchtigungen, die erst im Laufe des Studiums auftreten bzw. diagnostiziert werden.
Bei den meisten Menschen tritt eine Behinderung und/oder chronische Erkrankung häufig erst im späteren Lebensverlauf. Auch unter der Gruppe der Studierenden betrifft dies immerhin 17% derjenigen, die eine oder mehrere studienerschwerende Beeinträchtigungen haben. Diese Gruppe benötigt unter Umständen mehr Zeit, um sich an die neue Lebenssituation und damit einhergehende Veränderungen zu gewöhnen und sich in der jeweiligen, neuen Bedarfslage an das (Studien-)Umfeld anzupassen (BEST2, S. 27).
Häufig wird dabei vergessen, dass der Prozess einer Diagnose je nach Beeinträchtigung sehr langwierig ist. Gerade bei nicht sichtbaren chronischen Erkrankungen kann dies mitunter Jahre dauern. Jahre, in denen Leistungen erbracht werden, die nicht oder nicht hinlänglich durch Nachteilsausgleiche kompensiert werden (können) und das tatsächliche Leistungsvermögen der Personen nichtzutreffend abbilden. Wenn eine Diagnose erfolgt, dauert es mitunter wieder sehr lange bis entsprechende Therapien einsetzen. Hier kommt es häufig zu enormen Studienzeitverzögerungen. Daran knüpfen sich sozial Probleme der Studienfinanzierung, des Aufrechterhaltens eines Mietvertrages u.v.m.
Therapieplätze sind gerade im Bereich psychotherapeutischer Versorgung extrem rar und Studierende haben sehr lange Wartezeiten, um überhaupt einen Therapieplatz angeboten zu bekommen. In Ballungsräumen, zu denen Hochschulstandorte oftmals gehören, ist die Situation noch prekärer. Die Psychologischen Beratungsstellen der Studierendenwerke und Hochschulen können hier nur Beratungsleistungen erbringen, aber in der Regel keine engmaschige therapeutische Begleitung und schon gar keine bedarfsdeckende Betreuung gewährleisten. Studierende sind in solch einer Situation häufig auf sich selbst gestellt.
Wenn eine (stationäre) Reha-Maßnahme dann doch greift, so ist der Wiedereinstieg in das Studium erschwert. Wenige Einrichtungen sind spezialisiert auf die Lebenssituation und das Arbeitsumfeld der modernen Hochschulen (um genau zu sein, ist mir keine bekannt). Eine stufenweise Wiedereingliederung, wie sie bei sozialversicherungspflichtig Beschäftigten üblich ist, ist im Hochschulkontext eher selten anzutreffen, so lassen sich z.B. Prüfungszeiträume nur unter sehr engen Vorgaben flexibilisieren.
Eine weitere Problematik ergibt sich bei Erkrankungen, die häufig bereits im Jugend- oder Kindesalter diagnostiziert worden sind, deren Auswirkungen im Studium aber verstärkt bemerkbar werden oder erst ganz deutlich zu Tage treten. Auch bei der Diagnose und Feststellung der Teilhabebeeinträchtigungen von beispielsweise Autismus oder Legasthenie im Erwachsenenalter ist es für die Betroffenen regelmäßig eine Odyssee bis zum Erhalt einer Diagnose und entsprechenden bedarfsfeststellenden Unterlagen. Hier scheint es auch einen Mangel an Fachstellen zu geben, die sich in der Diagnose und Begleitung der Klientel auskennt.
Die negativen Auswirkungen dieser Umstände auf den Studienverlauf bzw. späteren Karriereweg frisch diagnostizierter, bzw. spät diagnostizierter Studierender sind nicht zu unterschätzen.