Beiträge von Christina Janßen

    Ich kann leider keine diesbezügliche Praxiserfahrung teilen. Die Evaluation des novellierten Behindertengleichstellungsgesetzes hat aber ergeben, dass die Schwerbehindertenvertretungen in Bezug auf die Barrierefreiheit in den Bundesbehörden eine zentrale Rolle einnehmen. Sie verfügen oft über bessere Kenntnisse zum BGG sowie zu den durch die BGG-Novellierungen entstandenen Änderungen als die ebenfalls befragten Behördenmitarbeitenden, Rechtsschutzvertretungen und Menschen mit Behinderungen. Die Schwerbehindertenvertretungen haben zudem einen kritischeren Blick auf Probleme in Bezug auf die Barrierefreiheit in den Behörden. Sie nehmen Schwierigkeiten bei der Herstellung von Barrierefreiheit nach den Befragungen häufiger wahr als die Behördenmitarbeitenden. Zudem werden die Schwerbehindertenvertretungen häufig in Bezug auf Fragen zur Barrierefreiheit konsultiert.


    Entsprechend wurde angeregt, die gesetzlich festgelegten Kompetenzen der Schwerbehindertenvertretungen zu erweitern. Die SBV sollte ein Verbandsklagerecht (§ 15 BGG) erhalten, wenn die Dienststelle gegen das BGG verstößt. Dies sollte von einem Antragsrecht in Schlichtungsverfahren gem. § 16 BGG flankiert werden. Darüber hinaus sollte in § 178 SGB IX als Teil der Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung ergänzt werden, über die Einhaltung der Vorschriften des Behindertengleichstellungrechts zu wachen.


    Anbei noch einmal der Link zum BGG-Abschlussbericht: https://www.bmas.de/SharedDocs…_blob=publicationFile&v=2


    Ich möchte auch auf einen Aufsatz zur BGG-Evaluation von meiner ehemaligen Kollegin in der BGG-Evaluation, Antonia Seeland vom HSI, in der Zeitschrift Sozialrecht aktuell aufmerksam machen: "Die Evaluation des BGG – Anspruch und Wirklichkeit der Gleichstellung von Menschen mit Behinderung", SRa, 2.2023, S. 41.


    Da Herr Hlava oben die Themen Landeskrankenhausrecht angesprochen hatte, möchte ich dies kurz aufgreifen. Leider sind die Regelungen in den Krankenhausgesetzen der Bundesländer sehr uneinheitlich und leider beinhalten auch noch nicht alle Gesetze Regelungen zur Barrierefreiheit. Meiner Erfahrung nach bringt die Krankenhausbehandlung (bezieht sich auf Akutbehandlung) gerade für Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen vielfältige Barrieren mit sich.


    Zu begrüßen ist daher grundsätzlich, dass nach § 110a i.V.m. § 136 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB V Qualitätsverträge zu verschiedenen, vom G-BA festgelegten Leistungen zu erproben sind. Diese sind zwischen Krankenkassen und Krankenhaustrgern abzuschließen. Zu den genannten Bereichen zählt auch die Versorgung von Menschen mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen im Krankenhaus. Das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) evaluiert im Auftrag des G-BA das Instrument der Qualitätsverträge und ihre praktischen Auswirkungen (§ 136b Abs. 8 SGB V). Leider wurden zu dem Bereich bisher nur zwei Qualitätsverträge abgeschlossen, während zu den anderen vom G-BA festgelegten Leistungsbereichen weitaus mehr Verträge existieren – Siehe: https://www.g-ba.de/downloads/…svertraege_Uebersicht.pdf.


    Wie sieht dies im Bereich der (medizinischen) Rehabilitation aus? Gemäß § 36 Abs. 1 S. 2 SGB IX müssen die Rehabilitationsträger ja darauf achten, dass für eine ausreichende Anzahl von Rehabilitationsdiensten und -einrichtungen keine Zugangs- und Kommunikationsbarrieren bestehen. Ist dies dann auch Gegenstand der Vereinbarungen zwischen den Trägern und Einrichtungen/ Diensten? Vielleicht hat ja jemand ein Beispiel dafür.

    Vielen Dank für Ihre Frage! Vorweg: Ja, Menschen mit Behinderungen haben individuelle Rechtsansprüche auf Barrierefreiheit und können diese auch gerichtlich durchsetzen, was ich gerne näher erläutern möchte.


    Zunächst verpflichtet die UN-Behindertenrechtskonvention die Vertragsstaaten und damit auch Deutschland zur Barrierefreiheit in sämtlichen Lebensbereichen (Art. 9 UN-BRK). Barrierefreiheit schließt dabei nicht nur die räumliche Barrierefreiheit (z.B. von Gebäuden) ein, sondern unter anderem auch die kommunikative Barrierefreiheit sowie die Barrierefreiheit von bestimmten Prozessen und Dienstleistungen. Hierdurch soll der gleichberechtigte Zugang zu allen Lebensbereichen für alle Menschen ermöglicht werden. Besteht im Einzelfall eine Zugangsbarriere, weil die barrierefreie Gestaltung (z.B. eines Gebäudes) noch nicht erfolgt ist, müssen angemessene Vorkehrungen (z.B. Rampe, Assistenzhund, Assistenzperson) gewährt werden. Die angemessenen Vorkehrungen sind Teil des Diskriminierungsverbots gemäß Art. 5 Abs. 2 UN-BRK sowie auch Art. 3 Abs. 3 S. 2 des Grundgesetzes. Gegen eine Diskriminierung kann man sich auch gerichtlich wehren.


    Konkretere Verpflichtungen zur Barrierefreiheit beinhalten das Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes (BGG) sowie die Landesbehindertengleichstellungsgesetze. Das Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes richtet sich an die Träger öffentlicher Gewalt („Bundesbehörden“), bei den Reha-Trägern sind hier insbesondere die Bundesagentur für Arbeit sowie die DRV Bund zu nennen. Die Landesverwaltungen sind an die Landesbehindertengleichstellungsgesetze gebunden, die ähnliche Regelungen beinhalten wie das Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes.


    Das BGG verpflichtet die Träger öffentlicher Gewalt zur Barrierefreiheit in den Bereichen Bau und Verkehr (§ 8 BGG), Kommunikation (§§ 9-11 BGG) sowie IT (§ 12a BGG). Zusätzlich beinhaltet das BGG ein Benachteiligungsverbot (§ 7 Abs. 1 BGG) einschließlich eines Anspruchs auf angemessene Vorkehrungen (§ 7 Abs. 2 BGG).


    Dieses Gesetz vermittelt auch individuelle Rechtsansprüche:


    Menschen mit Hör- und Menschen mit Sprachbehinderungen haben gegenüber den Trägern öffentlicher Gewalt zur Wahrnehmung eigener Rechte im Verwaltungsverfahren einen Rechtsanspruch auf Gebärdensprachdolmetscher und weitere erforderliche Kommunikationshilfen (§ 9 Abs. 1 BGG) nach der Kommunikationshilfenverordnung. Blinde und sehbehinderte Menschen haben einen Anspruch darauf, dass ihnen Bescheide, öffentlich-rechtliche Verträge und Vordrucke ohne zusätzliche Kosten auch in einer für sie wahrnehmbaren Form zugänglich gemacht werden (§ 10 Abs. 1 S. 2 BGG). Menschen mit geistigen und seelischen Beeinträchtigungen haben einen Anspruch darauf, dass ihnen Bescheide, Allgemeinverfügungen, öffentlich-rechtliche Verträge und Vordrucke in einfacher und verständlicher Weise (§ 11 Abs. 1 S. 2 BGG) oder in Leichter Sprache erläutert werden (§ 11 Abs. 2 BGG). Zwar handelt es sich bei der letztgenannten Norm lediglich um eine Soll-Vorschrift, jedoch darf eine Behörde nur in einem atypischen Sonderfall von der Rechtsfolge, namentlich der Erläuterung in einfacher oder Leichter Sprache abweichen, sodass im Regelfall ein Anspruch besteht. Im gesamten Sozialrecht und im Sozialverwaltungsverfahren gelten zudem § 17 Abs. 2 sowie Abs. 2a SGB I und § 19 Abs. 1 sowie § 19 Abs. 1a SGB X. Menschen mit Hörbehinderungen und Menschen mit Sprachbehinderungen haben danach auch im Verwaltungsverfahren vor allen Sozialbehörden einen Anspruch auf Gebärdensprachdolmetscher oder Kommunikationshilfen (§ 19 Abs. 1 S. 2 SGB X). Dasselbe gilt für die Ausführung von Sozialleistungen in der Praxis (auch Rehabilitationsleistungen, § 17 Abs. 2 SGB I). Verantwortlich für die Leistung sind die jeweiligen Leistungsträger. Gleichermaßen müssen die Sozialbehörden Menschen mit geistiger oder seelischer Beeinträchtigung Bescheide und weitere Dokumente in einfacher oder Leichter Sprache erläutern (§ 19 Abs. 1a SGB X) und auch bei der Ausführung von Sozialleistungen muss die Kommunikation bei Bedarf in Leichter Sprache erfolgen (§ 17 Abs. 2a SGB I).


    § 8 Abs. 1 BGG sowie § 12a Abs. 1 BGG begründen zwar ihrer Formulierung nach nur eine objektiv-rechtliche Verpflichtung der Träger öffentlicher Gewalt, sie können aber auch individualschützend sein, somit einen individuellen Rechtsanspruch vermitteln und eingeklagt werden, wenn sich aus der mangelnden Umsetzung eine Benachteiligung ergibt, die gemäß Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG, Art. 5 Abs. 2 UN-BRK sowie § 7 Abs. 1 BGG verboten ist. Der verwehrte Zugang zu einem Gebäude durch mangelnde Barrierefreiheit sowie die verwehrte Möglichkeit, auf Internetseiten zuzugreifen und sich dort (ggf. auch über Leistungsansprüche) zu informieren, stellt m.E. eine Benachteiligung dar.


    Der individualschützende Charakter der genannten Normen ergibt sich auch unmittelbar aus § 14 S. 1 BGG, wonach die anerkannten Behindertenverbände nach § 15 Abs. 3 BGG die Prozessstandschaft übernehmen können und im Namen von Menschen mit Behinderungen klagen können, wenn diese in ihren Rechten aus § 7 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1, § 10 Abs. 1 S. 2 oder § 12a BGG verletzt wurden. Eine Klage ist aber auch individuell ohne die Prozessstandschaft möglich. Bei Rehabilitationsleistungen sind i.d.R. die Sozialgerichte zuständig. Hierbei ist unter Umständen auch vorab ein Widerspruchsverfahren durchzuführen. Der Rechtsweg vor den Sozialgerichten ist kostenfrei (§ 183 SGG).


    Eine gute Alternative zu einer Klage stellt das ebenfalls kostenfreie Schlichtungsverfahren nach § 16 BGG dar. So können die Streitigkeiten in Bezug auf die Rechte nach dem BGG in vielen Fällen auch außergerichtlich behoben werden, indem eine gütliche Einigung erzielt wird. Während des Schlichtungsverfahrens ruhen die Rechtsbehelfsfristen, d.h. dass ein Widerspruch gegen einen Bescheid auch noch nach dem Schlichtungsverfahren erhoben werden kann (i.d.R. binnen eines Monats), falls keine gütliche Einigung erzielt werden konnte (§ 16 Abs. 2 S. 2 BGG). Die Schlichtungsstelle des Bundes ist aber nur zuständig, wenn Antragsgegner ein Träger öffentlicher Gewalt des Bundes ist (siehe dazu: https://www.schlichtungsstelle…undesverwaltung-node.html). Die Möglichkeit eines Schlichtungsverfahrens besteht aber auch in einigen Bundesländern.


    Daneben gibt es noch die Möglichkeit einer Verbandsklage, die von den Verbänden nach § 15 Abs. 3 BGG erhoben werden kann, wenn die Voraussetzungen nach § 15 Abs. 2 BGG vorliegen. Problematisch ist, dass das Ziel der Verbandsklage lediglich die Feststellung eines Verstoßes gegen die in § 15 Abs. 1 S. 1 BGG genannten Regelungen ist und hiermit keine individuellen Rechte durchgesetzt werden können.