Erneut Hallo in die Runde,
mit großem Interesse verfolge ich die Beiträge zu diesem Thema. Bitte erlauben Sie mir, ein wenig in der Zeit zurückzugehen, um den Werdegang des "Budget für Arbeit" zu beleuchten.
2002 bis 2005 führten drei Werkstätten in Rheinland-Pfalz (die damals hießen: Caritas Werkstätten Mayen-Cochem-Sinzig-Polch, Kreuznacher Diakonie und gpe Mainz) gemeinsam mit dem Ministerium in Mainz ein Modellprojekt durch: "AIM - Arbeitsweltbezogene Integrationsmodelle", mit der Fragestellung, wie und wodurch es gelingen kann, mehr Menschen mit Beeinträchtigung den Übergang aus den Werkstätten auf den Allgemeinen Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Neben vielen weiteren Erkenntnissen, wurde den Teilnehmenden schnell deutlich, dass es sich immer wieder um die gleichen "Kernfragen" dreht (und zwar auf beiden Seiten - Arbeitgeber: in und potentielle Arbeitnehmer: in mit Beeinträchtigung):
- Finanzieller Ausgleich des Teils der Leistung / der Anforderungen, welche aufgrund der Beeinträchtigung tatsächlich auf Dauer nicht erbracht werden können
- Angst davor, bei einem Scheitern, bzw. bei Überforderung, etc., nicht mehr in das "Werkstattsystem" zurückkehren zu können, bzw. auf Seiten des Arbeitgebers (bitte wertneutral einordnen), eine: n schwerbehinderte: n Arbeitnehmer: in nicht kündigen zu können, wenn es wirklich notwendig werden würde (wobei Budget für Arbeit das Schwerbehindertengesetz und somit den besonderen Kündigungsschutz natürlich nicht aushebelt und die Gründe durch das Integrationsamt immer gehört / geprüft werden)
Also "strickte" man, als Modell, "Budget für Arbeit", welches so einfach, wie genial war und genau auf o.g. "Kernfragen" eine Antwort gab:
Bis zur Höhe des Betrages, den auch Werkstätten für einen Beschäftigungsplatz bekommen (damals hieß es 70% des Arbeitnehmer-Bruttoentgeltes, max. jedoch Werkstattkosten), sollte der zuständige Leistungsträger einen Zuschuss an einen Betrieb zahlen, wenn dieser bereit war, ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis mit einem Menschen abzuschließen, der Anspruch auf Beschäftigung im Arbeitsbereich einer WfbM hat. Dieses Arbeitsverhältnis sollte von beiden Seiten wieder aufgelöst werden können und das Recht auf Rückkehr des / der Budgetnehmer: in in das Werkstattsystem sollte dauerhaft gesichert sein.
Budget für Arbeit wurde somit zu dem Vermittlungs-Instrument, mit dem dann wiederum das Sozialministerium in Mainz, gemeinsam mit der Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten (LAG) RLP, 2006 ein auf "AIM ..." folgendes "Umsetzungsprojekt Integrationsmanagement in den Werkstätten in RLP", an dem damals 27 von 36 Werkstätten teilnahmen, "auf die Piste" schickten.
Zu diesem Zeitpunkt begannen diese teilnehmenden Werkstätten, deren gesetzliche Aufgabe dies ja eigentlich schon zuvor war, in unterschiedlichster Weise ein Integrationsmanagement systematisch zu implementieren. Befürchtung und Hoffnung gingen um, Budget für Arbeit würde die Werkstätten zunehmend "leeren". Was bis heute nicht eingetreten ist.
Leider verstarb der federführende Staatssekretär, Herr Thomas Ecker, in 2006 kurz nach Einführung Budget für Arbeit in RLP. Er hatte damals schon eine wichtige Weiterentwicklung des Fördermodells im Sinn - nämlich eine höhere Förderung für Menschen mit Körperbehinderung, welche aufgrund dieser mehr Mittel für Assistenz und Beförderung benötigen, um Budget für Arbeit überhaupt nutzen zu können. Dazu kam es jedoch leider so nicht mehr.
Für die Westpfalz-Werkstätten in Landstuhl durfte ich für dieses Thema an den Start gehen. Wir wählten dafür das Stabsstellenmodell. Und so kommt es, dass mich Budget für Arbeit, mit all seinen Entwicklungen, tatsächlich schon die letzten 17 Jahre begleitet. Wir konnten seit dem 119 Personen auf ihrem Weg in ein durch Budget für Arbeit gefördertes Arbeitsverhältnis begleiten, einige davon auch auf ihrem Weg zurück oder in ein anderes Budget-Arbeitsverhältnis. Ich stimme den Gelingensfaktoren in Frau Seegers Fachbeitrag voll und ganz zu - und doch verbirgt sich hinter allen 119 Personen noch einmal eine ganz individuelle Geschichte von Motivation, Erfolg, Konsequenzen und Erkenntnis. Wir Begleitenden sind zwar die zumeist unverzichtbaren "Randfiguren" - die eigentliche Leistung, damit es überhaupt gelingt, liegt bei den Menschen mit Beeinträchtigung selbst, genauso wie bei den chancengebenden Betrieben.
Ausdrücklich beipflichten möchte ich allen Anmerkungen, die hervorheben, dass berechtigte Personen eigentlich mit den Herausforderungen ihres Lebens und allem, was dazu organisiert und bewältigt werden muss, schon genug Belastungen standhalten müssen - Budget für Arbeit / Ausbildung für sich nutzbar, bzw. zugänglich zu machen, ist eine komplexe Fachleistung, welche sie nicht zusätzlich selbst bewältigen können und auch nicht müssen sollten.
Zuletzt noch eine Anmerkung zu den rentenrechlichen Gegebenheiten: Dass für Menschen, welche mit Budget für Arbeit in einen Inklusionsbetrieb wechseln, wie bei Werkstattbeschäftigung weiterhin Rentenbeiträge auf Basis 80% der jeweiligen Bezugsgröße abgeführt werden, ist keine explizite Modalität des Budget für Arbeit. Diese Regelung bestand schon lange zuvor und ist geregelt im §162 Nr. 2a SGB VI (vgl. https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_6/__162.html). Hinzu kommt, dass der Wechsel direkt im Anschluss an die Berufsbildende Maßnahme in einen Inklusionsbetrieb, ohne vorherige Aufnahme einer Tätigkeit im Arbeitsbereich der WfbM, diese "Aufstockung" der Rentenbeiträge durch das Integrationsamt nicht rechtfertigt und - zumindest in Rheinland-Pfalz - auch abgelehnt wird (vgl. hierzu o.g. Gesetzestext)
Ein echter Schildbürgerstreich, was Budget für Arbeit angeht - Nachbesserung dringend notwendig.
Beste Grüße
Karsten Lutz