Beiträge von Tanja Apholte

    Es gibt in Deutschland eine Bandbreite an unterschiedlichen Unterstützungsmöglichkeiten, gleichzeitig gibt es auch verschiedenste Kostenträger und Zuständigkeiten sowie Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen. Aus Unternehmensperspektive sind diese oftmals nur schwer zu durchblicken und stellen Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen in der Praxis vor Herausforderungen.

    Verschiedene Kostenträger fördern Maßnahmen aus einer bestimmten Logik heraus. Neurodiverse Menschen passen aber selten in das Korsett, das die Förderlogik oder den aktuellen Zuständigkeitsbereich vorgibt. Hier gilt es, im Dialog mit den Kostenträgern Lösungen zu finden.



    Gerne nenne ich auch ein paar Beispiele (hier auch über den Rahmen der Zielgruppe kognitiv und seelisch beeinträchtigter Menschen hinaus), über die wir in der Praxis regelmäßig stolpern.


    Beispiel 1

    Innerhalb der Inklusionsabteilung kommt es regelmäßig vor, dass die Schwerbehindertenausweise von Mitarbeitenden mit einer diagnostizierten Autismus-Spektrum-Störung auslaufen oder angekündigt wird, dass der GdB zurückgestuft wird. Hiermit wird der Arbeitsplatz bzw. die Beschäftigung im Rahmen der Inklusionsabteilung mitsamt des Unterstützungsangebots bedroht. In der Praxis löst dies bei den betroffenen Personen meist eine große Unsicherheit aus und es ist nur schwer nachzuvollziehen, wieso sich Menschen mit einer ASS Diagnose hier immer wieder rechtfertigen müssen.

    Gleichzeitig machen wir die Erfahrung, dass eine Gleichstellung fast immer unbefristet erfolgt - Menschen in einem bestehenden Arbeitsverhältnis ein Gleichstellung durchzukriegen, ist jedoch eine große Herausforderung. Es folgen dann Stellungnahmen von Psychiater:innen, Arbeitspädagog:innen, Betriebsrat usw. zur Vermeidung einer Herabstufung bzw. Sicherung einer Gleichstellung und somit auch Sicherung eines langfristig ausgerichteten bedarfsgerechten Unterstützungsrahmens.


    Beispiel 2

    Wir hatten eine Anfrage eines Bewerbers, den wir gerne im Rahmen der Inklusionsabteilung einstellen wollten.

    Die Zielgruppenanerkennung beim Inklusionsamt war bereits erfolgt, ebenso das Vorstellungsgespräch sowie eine Arbeitsplatzbesichtigung.

    Aufgrund vorhandener Hörbehinderung, benötigten wir für die einstellungsrelevanten Schulungen eine/einen Gebärdensprachdolmetscher/in.

    Unsere Ansprechpartnerin vom Inklusionsamt teilte uns mit, dass wir uns bezgl. einer Förderung bzw. Kostenübernahme an die örtliche Fachstelle für schwerbehinderte Menschen im Arbeitsleben wenden könnten. Der Kollege der Fachstelle wies mich darauf hin, dass die Fachstelle erst nach der Einstellung (z.B. für Betriebsversammlungen, weitere Schulungen etc.) zuständig sei und ich die Anfrage zunächst an die Agentur für Arbeit und den Integrationsfachdienst für hörbehinderte Menschen richten solle. Die Dolmetschenden des Integrationsfachdienstes waren bereits ausgebucht, für die Hilfe bei der Suche nach Honorardolmetschenden benötigten wir einen ensprechenden Kostenübernahmebescheid.

    Da der Bewerber bereits sozialversicherungspflichtig beschäftigt war und nur zu uns wechseln wollte, fiel auch die Agentur für Arbeit aus der Zuständigkeit. Leider erfolgte zunächst nur eine mündliche Ablehnung. Jedoch benötigte ich eine schriftliche Absage, damit das Inklusionsamt als nachrangiger Kostenträger einspringen konnte. Bis ich diese vom zuständigen Sachbearbeiter erhielt, vergingen Wochen. Insgesamt hat sich der Einstellungsprozess des Kollegen aufgrund der Suche nach Zuständigkeiten über Monate gezogen. Seit Einstellung läuft die Beauftragung von Dolmetschenden für regelmäßige Feedbackgespräche, Betriebsversammlungen und Feste sowie für Schulungen sehr routiniert.


    Beispiel 3

    Menschen, die aus der Arbeitslosigkeit kommen und Bürgergeld beziehen, erhalten dieses immer zu Beginn des Monats. Das Monatsgehalt im Betrieb erfolgt jedoch erst zum Ende des Monats. Neueinsteiger:innen sind daher oft darauf angewiesen Darlehen beim Jobcenter aufzunehmen, was gerade bei der Zielgruppe kognitiv und seelisch beeinträchtigter Menschen großen Stress auslösen kann, im ohnehin schon aufregenden und alltagsverändernden Einstellungsprozess.



    Die Implementierung der einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber (EAA) hat großes Potential Unternehmer:innen Hilfestellung bei Anträgen zu geben und eine Lotsenfunktion einzunehmen.

    Hallo zusammen,


    als Inklusionsbeauftragte und Sozialarbeiterin bei der DHL Airways GmbH beschäftige ich mich seit einigen Jahren mit dem Thema betrieblicher Inklusion und Menschen mit Behinderung (Schwerpunkt neurodiverse Mitarbeitendene) – vom Einstellungsprozess über die Beantragung von Fördermitteln und die Sicherstellung benötigter Unterstützungsleistungen bis hin zu der Beratung und Begleitung von Teamkolleg:innen sowie Führungskräften mit/ohne Behinderungen oder dem Abbau von Vorurteilen und Berührungsängsten in der gemeinsamen Arbeit.

    Innerhalb dieser Tätigkeit und im Rahmen der Zusammenarbeit mit dem Inklusionsdienstleister ProjektRouter gGmbH begegne ich des Öfteren Menschen, die trotz guter Qualifizierung große Schwierigkeiten haben, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen - dies betrifft vor allem auch die Zielgruppe der Menschen mit einer psychischen/seelischen Behinderung. Mithilfe der ProjektRouter gGmbH, des LVR Inklusionsamtes sowie einer Unternehmensleitung, die dem Thema Inklusion einen hohen Stelllenwert und entsprechende Ressourcen zur Verfügung gestellt hat, konnten wir gemeinsam ein Veränderungsmanagement einleiten, dass den Einstieg und eine langfristige Beschäftigungsmöglichkeit für Menschen mit einer psychischen Behinderung erleichtern soll. Retrospektiv hat sich bewährt, dass das Management von vornherein alle beteligten Aktuere informiert, sensibilisiert und in allen aufkommenden Fragen und Bedenken abgeholt hat. So wurden beispielsweise zunächst die Führungskräfte von einer erfahrenen Psychologin der Uniklinik Köln (Spezialambulanz für Autismus im Erwachsenenalter) zum Thema Autismus und Beruf geschult und Teammeetings gehalten. Es wurden mögliche Arbeitsplätze analysiert und identifiziert (von regulären Stellen bis hin zu Nischentätigkeiten) und Einstellungsprozesse angepasst (z.B. durch neu geschaffene Assessmentcenter, die Anpassung von Stellenbeschreibungen oder die Implementierung von Arbeitsplatzbesichtigungen im Anschluss an Vorstellungsgespräche). Dieser Prozess ist in einem interdisziplinären Team von Pädagog:innen und Psycholog:innen, Schwerbehindertenvertretung, Betriebsrat und den einzelnen Fachabteilungsleitenden erfolgt und wird bis heute kontinuierlich weiterentwickelt.


    Der Fokus lag von Beginn an auf einem stärkenorientierten Einsatz der Menschen, unter Berücksichtigung behinderungsbedingter Barrieren.

    Die ersten Einsätze von Mitarbeitenden der Zielgruppe sind im Jahr 2018 über den Inklusionsdienstleister gestartet, der gleichzeitig auch erfahrene Inklusionscoaches zur Verfügung gestellt hat, die mit in den Betrieb "eingetaucht" sind, das Kerngeschäft im jeweiligen Bereich kennengelernt und eine Vertrauensbasis zu den einzelnen Teammitgliedern geschaffen haben. Ausgehend von den positiven Erfahrungen in der Zusammenarbeit hat sich das Unternehmen dazu entschiedenen eine eigene Inklusionsabteilung zu gründen und darüber hinaus auch neue inklusive Beschäftigungsräume mit Unterstützung eines Inklusionsdienstleisters für die betriebliche Erprobung und Qualifizierung zu schaffen. Es gibt inzwischen sowohl DHL Jobcoaches und feste Coaches des Dienstleisters (Beispielsweise für betriebsintegrierte Arbeitsplätze oder Qualifizierungsmaßnahmen), die eng zusammenarbeiten und allen Beteiligten bedarfsgerecht zur Seite stehen. Die Unterstützungsangebote im Unternehmen erstrecken sich mittlerweile über das Jobcoaching, Gruppencoaching, Einzelcoaching sowie die bereits oben genannten Informationsveranstaltungen, die inzwischen monatlich für alle Unternehmensangehörigen angeboten und auch von den Zielgruppenangehörigen selbst mit referiert werden.


    Inklusion gelingt m. E., wenn alle Beschäftigten, neurotypische und neurodiverse, informiert sind, wissen, was auf sie zukommt und wo sie sich bei Bedarf Unterstützung einholen können.

    All das ist ein Extra-Aufwand – doch er lohnt sich langfristig. Alleine deshalb, weil fortwährend neue Arbeitsplätze geschaffen werden – für Menschen, denen es teilweise über Jahre und Jahrzehnte nicht möglich war, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen oder überhaupt am Arbeitsleben teilzuhaben. Hieraus entsteht eine Win-win-Situation für alle Beteiligten. Zum einen erhalten Arbeitgeber:innen dringend benötigte Fachkräfte. Zum anderen bereichern die neurodiversen Menschen und der bewusste Umgang mit ihnen das Team. So wird der Zusammenhalt durch inklusive Teams gestärkt: Der Umgang miteinander wird respektvoller und unterstützender. Auch merken Vorgesetzte, wie wichtig es beispielsweise ist, Arbeitsaufträge präzise zu formulieren – denn davon profitieren alle Kolleginnen und Kollegen. Neben dem individuellen Eingehen auf die Bedürfnisse neurodiverser Personen und deren Teams, spielt auch das Thema Vernetzung und Kommunikation eine wichtige Rolle. So stehen wir in engen Kontakt mit anderen inklusiv ausgerichteten Unternehmen, Behörden, verschiedenen Kostenträgern sowie Verbänden und Inklusionsdienstleistern. Das Netzwerk bietet kommunikative Austauschmöglichkeiten und ermöglicht uns Herausforderungen zu beleuchten und gemeinsam Ideen weiterzuentwickeln und Qualitätsstandards zu setzen.


    Herzliche Grüße

    Tanja Apholte