Beiträge von Tatjana-Maria Schmidt

    Beim Lesen der Beiträge ist mir bewusst geworden, wie umfangreich und spezifiziert das gesamte Unterstützungsangebot für Menschen mit (drohender) Behinderung ist. Im Vergleich mit vielen anderen Ländern sind wir damit schon mal ganz weit vorne. Das möchte ich an dieser Stelle gerne sehr positiv hervorheben.

    Das sollte uns natürlich nicht daran hindern, die Angebote und ihre Zugänglichkeit zu verbessern.

    Alleine das Angebot im Blick zu haben ist meines Erachtens als Herausforderung nicht zu unterschätzen.

    In meiner Arbeit sehe ich das Problem in der Wegbereitung. Oft komme ich an Grenzen, wenn Bedingungen auftauchen, die vorher nicht ganz klar definiert waren, z.B. zusätzliche Berichte, Gutachten oder Facharztbefunde vorzulegen.

    Das Thema Wartezeiten, welches damit verbunden ist, halte ich für einen desaströsen Zustand, den ich als Beratende und auch als Betroffene erleben darf.

    Wie geht es Ihnen damit?

    Was sind die Hindernisse, die einer Umsetzung der Beratungsleistung im Weg stehen?

    Wie sehen Ihre Lösungen aus?

    Ich möchte die Fragestellung aus einer Position beleuchten, die darstellen soll, dass es meines Erachtens nach mehr als sachliche Beratung und Information braucht, um Menschen durch den Reha-Dschungel zu navigieren. Menschen in der Situation der (drohenden) Behinderung befinden sich in einer Ausnahmesituation, viele haben die Kontrolle über ihre Zukunftsgestaltung verloren. Dieses Kontrollgefühl wiederzugeben ist eng mit beruflicher Reha verbunden, dennoch ist sie erst der Endgegner (das Sahnehäubchen, die Königsklasse) nach einem beschwerlichen Weg durch viele Täler.

    Aus Sicht einer "Lotsin" im Jobcenter:

    Unser Klientel:

    Arbeitslose Menschen mit langfristigen gesundheitlichen Einschränkungen, die noch nicht zwingend dokumentiert bzw. befundet sein müssen.

    Was wir wissen:

    häufige Arbeitsunfähigkeit, selbst berichtete Einschränkungen oder Begebenheiten, welche einen Interpretationsspielraum bieten. Nicht bei allen liegen Ärztliche Gutachten vor und diese sind oft schon recht alt.

    Die Aufgabe:

    Den Bedarf erkennen: Nicht alle Menschen verfügen über die richtigen Worte oder Begriffe, da werden Befunde oder Einschränkungen auch mal falsch oder sehr abstrakt beschrieben oder absichtlich oder unbeabsichtigt ignoriert. Aber nicht nur bei uns, sondern auch an anderen Stellen, bei anderen Ansprechpartnern.

    Das Problem:

    die Abwärtsspirale: Arbeitslosigkeit führt zu fehlender Tagesstruktur, zu Motivationslosigkeit, dem Gefühl des Versagens, dem Gefühl der Wertlosigkeit, der Depression, dem Gefühl, das eigene Leben und damit die eigene Gesundheit sei es nicht Wert. Im Gegenspiel umso höher wird die Hürde, Unterstützer anzusprechen, die fehlende Arztanbindung aufzuarbeiten. Oft mit wenig Durchhaltevermögen für die Ansprache der Kontaktstellen oder für lange Wartezeiten. Im schlimmsten Fall ist man durch die Erkrankung in die (Langzeit-) Arbeitslosigkeit gelangt.


    Natürlich sind nicht alle Menschen mit (drohender) Behinderung arbeitslos. Aber wieviele sind es? Oder waren es? Oder laufen in die Richtung? Wahrscheinlich hat jeder der Betroffenen an irgendeiner Stelle ein ganz tiefes Tal durchschritten und in genau diesem Tal werden die Lotsen gebraucht.

    Um Mut zu machen, die passenden Worte zu finden, den Sinn der Aufwendungen in pragmatischen Kontext zu bringen, die richtige Reihenfolge der Netzwerkpartner zu planen, Bürokratie zu übersetzen, zu motivieren, die Zukunft handhabbar zu machen, und, und, und....

    Das wichtigste Hilfsmittel? Der beste Ratgeber? ZEIT zum Zuhören.

    Wenn dann die Aufgeschlossenheit für Diagnostik, Ärztliche Gutachten, Reha-Bedarf, Antragstellungen einmal in Gang gesetzt ist, wird auch die Idee "berufliche Reha" greifbar. Wir Lotsen machen die Türen auf und unsere Teilnehmer gehen im besten Fall hindurch, wenn sie nicht vorher noch lange auf der Wartebank Platz nehmen müssen.

    Ich glaube, das der Weg zum Ifd das Problem darstellt. Die Aufgabe des Lotsen sehe ich weit vorher:

    Von den Betroffenen Menschen aus betrachtet steht am Anfang der Verdacht einer (drohenden) Behinderung. Dieser Verdacht wird oftmals nicht von den Betroffenen selbst erahnt, sondern von Angehörigen oder Kontaktpersonen in Behörden oder Krankenhäusern. Ist die Einschränkung nicht offensichtlich, gibt es häufig einen undurchsichtigen Lebenslauf, der von verschiedensten Arten von Rückschlägen geprägt ist. Oft liegen verschiedene Diagnosen vor, die für sich alleine den Bedarf noch nicht manifestieren. In meiner Funktion als Lotsen im Jobcenter treffe ich u.a. auf Menschen, die bei sich keinen Bedarf nach weiterführender Unterstützung oder Diagnostik sehen. Für viele dieser Menschen scheint die Welt in der sie leben einfach nur nicht die passende zu sein und sie ergeben sich in ihr Schicksal. Besteht ein selbst festgestellter Bedarf geben die Betroffenen gerade bei psychischen Erkrankungen schon allein deswegen auf, weil sie keine Termine in der Diagnostik oder Therapie bekommen. Oft arbeiten wir mit den Menschen erst einmal die Sinnigkeit einer Diagnostik auf und suchen Netzwerkpartner.