Mit einer seelischen Beeinträchtigung im Arbeitsleben: Erfahrungsberichte der beteiligten Akteure

    • Offizieller Beitrag

    Welchen Herausforderungen begegnen Menschen mit seelischen Beeinträchtigungen in der Arbeitswelt?

    Welche Erfahrungen haben Betriebe und Unternehmen gemacht?

    Wie konnten Beratungsstellen Beschäftigte und Arbeitgeber unterstützen?


    (Dies ist eine Impulsfrage des Teams.)

    • Offizieller Beitrag
    Zitat von Gast

    Ich bin derzeit als Schwerbehindertenvertretung für 259 Kollegen/innen*/- zuständig.
    Bei vielen geht die Behinderung auch in den psychischen Bereich rein.
    Auslöser ist oft Unzufriedenheit am Arbeitsplatz, Arbeitsüberlastung und auch oft einhergehend mit körperlichen Behinderungsarten.


    Wenn eine Person nicht mehr so kann wie es der Arbeitsplatz vorsieht, wird meines Erachtens viel zu schnell über den Amtsarzt geklärt welche Einsatzmöglichkeit für die betreffende Person noch möglich ist.

    Das amtsärztliche Gutachten hängt dann oft wie ein Makel an der Person und ein guter Wiedereinstieg in den Arbeitsprozeß wird damit verbaut.

    Dieser Beitrag wurde anonym an das Team übermittelt.

  • Sie haben Recht, dass ein amtsärztliches Gutachten nicht immer die Lösung aller Probleme sein kann. Dennoch liegt es im Ermessen jedes Arbeitgebers, die Einsatzmöglichkeiten des Beschäftigten fachärztlich prüfen zu lassen. Dies sollte allerdings immer im Einvernehmen mit dem Beschäftigten geschehen. Sie als Schwerbehindertenvertretung können mit der Firmenleitung darüber ins Gespräch kommen. Mir ist bewusst, dass dies in vielen Firmen/Betrieben nicht sehr gut funktioniert. Leider gibt es keine Möglichkeiten, dieses Einvernehmen zu erzwingen.

  • Ich vertrete hier den Allgemeinen Behindertenverband in Deutschland (ABiD) e.V.:


    Viele Betroffene erfahren an ihrem Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt immer noch Stigmatisierung und Diskriminierung. Teilweise erschweren krankheitsbedingte Leistungsschwankungen das Verständnis. Dies fördert wiederum auf Seiten der Betroffenen unter Umständen eine Überlastungssituation durch Stress.

    Daher ist eine Schwerbehindertenvertretung vor Ort essentiell und muss die Versorgung ausgebaut werden, um die Inklusion in die Arbeitswelt nach §27 Un-BRK zu ermöglichen. Zugleich muss das Angebot zum BEM-Gespräch ausgebaut werden. 40% sind zu wenig! (BIBB/BAuA 2018

    Umsetzung des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM)).

    Ggf. sollten wir über Sanktionen für Arbeitgebende, die dies nicht für ihre Beschäftigten anbieten, nachdenken.

    Eine vorzeitige Vorstellung beim Amtsarzt erhöht ebenfalls den Stress und ist damit als diskriminierender Faktor bei ärztlich möglicher Wiedereingliederung hinderlich für ein erfolgreiches Return to work. Es gibt teilweise Berichte von Betroffenen, die während eines Hamburger Modells (d.h. grundsätzlich positiver Erwerbsprognose) sich amtsärztlich vorstellen müssen.



  • Als Vertreterin eines Inklusionsdienstleisters sowie Geschäftsführerin eines Inklusionsunternehmens, das auch selbst Mitarbeitende mit einer psychischen Behinderung beschäftigt, gehören Überforderungssituationen fast schon zum Arbeitsalltag. Da Arbeitsabläufe und -Prozesse zudem immer komplexer und schnelllebiger werden, nehmen diese Überforderungssituationen, insbesondere dann auch für die Menschen, die auf ihr seelisches Gleichgewicht zwingend achten müssen, auch noch zu.


    Streben wir einen inklusiven Arbeitsmarkt an, müssen wir uns alle mit der Frage auseinandersetzen, wie wir ein gesundes Gleichgewicht innerhalb der Arbeitswelt erzeugen können.


    Der Personalleiter eines großen Unternehmens, der lange Zeit in Amerika verantwortlich tätig war, sagte mir in einem unserer ersten Gespräche:

    In Amerika standen uns als Unternehmen weniger gesetzlich verankerte Coaching- und Unterstützungsangebote zur Verfügung. Das es diese in der BRD gibt, begrüße ich sehr. Was ich aus meinen Erfahrungen in Amerika mitbringe, ist folgende Haltung, die wir dort schon in Bewerbungsgesprächen und dann später in der Beschäftigung einbringen:

    Wir bieten als Unternehmen folgendes Arbeitsangebot …, was ist das, was du kannst? … und, was ist das, was du nicht kannst? … du kannst aufgrund deiner psychischen Verfassung nicht gut telefonieren? … dann müssen wir schauen, ob dies innerhalb des Teams ein anderer besser kann und diese Aufgabe übernimmt.


    Der Aufbau eines inklusiven und für alle fairen Arbeitsmarktes erfordert vor allem den Mut, den bestehenden Status Quo in Frage zu stellen, eine ehrliche Ursachenanalyse zuzulassen und - scheinbar - bewährte Arbeitsabläufe und -Strukturen noch einmal neu zusammenzusetzen.


    Insbesondere im Rahmen von BEM-Verfahren wird ja nicht selten ersichtlich, dass die bestehenden Arbeitsstrukturen die nun möglichen behinderungsbedingten Einschränkungen nicht berücksichtigen können. Gibt es nun die Chance, mit der Brille des Jobcarving neue Handlungsfelder für die Person zusammenzustellen, die neben den Stärken auch die Schwächen des Menschen berücksichtigen können, kann eine neue Win-Win-Situation für beide Akteure, den Menschen und das Unternehmen, entwickelt werden.


    Mit dem zunehmenden Mangel an Fach- wie auch Arbeitskräften entwickeln immer mehr Unternehmen neue Strategien, um die weniger werdenden Arbeitskräfte an ihre Unternehmen zu binden. Wie pfiffig und innovativ solche Strategien sein können, zeigen insbesondere Unternehmen aus dem KMU-Bereich.



  • Guten Morgen zusammen

    Im BFW Bad Wildbad haben wir über einen langen Zeitraum Erfahrungen mit einem speziellen BEM-Angebot gemacht, das von den RehaTrägern, aber teilweise auch von Betrieben gebucht wurde bzw. gebucht werden kann. Der Kern des Angebots besteht darin, dass wir uns auf komplexe Verläufe im BEM konzentrieren. Typisch für diese Verläufe sind gescheiterte Versuche der Wiedereingliederung und teilweise sehr lange zeitliche Verläufe, die auf Seiten aller Beteiligten die Lösungssuche zunehmend erschweren. Neben einer am Verständnis der ICF ausgerichteten inhaltlichen Ausgestaltung des Angebots ist es unserer Erfahrung nach essentiell, als neutraler Dritter in diesen komplexen und schwierigen Situationen wahrgenommen zu werden. In der weit überwiegenden Mehrzahl von ca. 250 begleiteten BEM Verfahren konnten für beide Seiten tragfähige Lösungen gefunden werden. Eine zentrale Erkenntnis ist, dass bei allen Lösungen die Auswirkungen auf bestehende Teamstrukturen bedacht werden müssen. Eine individuell tragfähige Lösung droht zu scheitern, wenn diese von den Kolleg*innnen in ihren Auswirkungen als Mehrarbeit für sie empfunden wird.

  • Hallo Zusammen,


    eine Unterstützungsleistung ist meines Erachtens noch zu wenig bekannt: Das Jobcoaching direkt am Arbeitsplatz. Ein externer Jobcoach unterstützt dabei alle Beteiligten dabei, einen Arbeitsplatz zu sichern, indem mit dem Blick von außen geschaut wird, ob die Person passend eingesetzt ist. Im ersten Schritt ermöglicht ein Gespräch mit allen Beteiligten einen Abgleich zwischen vorhanden Fähigkeiten und Kompetenzen der Person, um die es geht, und den betrieblichen Anforderungen die Ausgangsbasis für ein gezieltes Jobcoaching. Ziel ist eine für alle Beteiligten gute Lösung zu finden. Wie können Rahmenbedingungen für die Person verändert werden, dass sie wieder bestmöglich eingesetzt werden kann. Aus meiner Sicht ist jobcoaching ein tolles Instrument. Jobcoaching kann befristet direkt am Arbeitsplatz angeboten werden, um z. B. Arbeitspläne zu erstellen, Aufgaben gut zu strukturieren, Kolleg*innen mit einbeziehen, wenn es um das Thema Kommunikation geht. Selbstverständlich müssen alle Parteien damit einverstanden sein. Hier braucht es noch viel Aufklärungsarbeit und ein wertschätzendes Umfeld, damit Jobcoaching nicht als Stigma erlebt wird.


    Schöne Grüße von Andrea Seeger

  • Hallo zusammen,


    Anekdote: im letzten Jahr haben wir, Team JobWERK, an einem Aktionstag in der Innenstadt mitgewirkt. Um mit den Panssant: innen ins Gespräch zu kommen, haben wir eine Frageaktion vorbereitet: "Ist Ihr Arbeitsplatz barrierefrei?" - man durfte eine Kugel in das Ja- oder Nein-Glas werfen ... so begannen die Gespräche,

    Ein Fazit des Tages war, dass viele Gesprächspartner: innen "seelische" Barrierefreiheit am Arbeitsplatz vermissen. Und dass es sehr unterschiedliche Ansichten dazu gibt, wie diese aussehen sollte, bzw. verbessert werden könnte. Überein kamen viele darüber, dass wohl alle Menschen in Arbeit und Beschäftigung von einem sensibleren gegenseitigen Umgang mit seelischen und psychischen Krisen profitieren würden.


    Jobcoaching, hier schließe ich mich gerne an, halte ich ebenfalls für ein gutes Instrument - insbesondere, da es von extern kommt (kommen sollte, die Situation zunächst neutral betrachtet und dem somit ein supervisorischer Charakter innewohnt. Das kann Ideen und Lösungen ermöglichen, die zuvor ev. gar nicht mehr gesehen wurden.


    Bei Einführung Budget für Arbeit, 2006 in RLP, vermutete man, dass es zunächst eher psychisch beeinträchtigte Menschen sein würden, denen damit die Chancen auf Vermittlung / Übergang erleichtert werden. Begründet wurde dies mit besseren kognitiven Fähigkeiten, verbunden ev. mit Vorbildung / Ausbildungen.

    Dies hat sich in meinem Wirkungsfeld so nicht bewahrheitet. Wir haben - seit 2006 weitgehend unverändert - eine Quote von ca. 70:30 (Menschen m. kogn./mehrfachen Beeinträchtigungen : Menschen mit psychsichen Beeinträchtigungen), die Budget für Arbeit für sich erschließen können. Die Gründe dafür sind vielfältig und komplex.


    Beste Grüße


    Karsten Lutz

  • Hallo zusammen,


    als Inklusionsbeauftragte und Sozialarbeiterin bei der DHL Airways GmbH beschäftige ich mich seit einigen Jahren mit dem Thema betrieblicher Inklusion und Menschen mit Behinderung (Schwerpunkt neurodiverse Mitarbeitendene) – vom Einstellungsprozess über die Beantragung von Fördermitteln und die Sicherstellung benötigter Unterstützungsleistungen bis hin zu der Beratung und Begleitung von Teamkolleg:innen sowie Führungskräften mit/ohne Behinderungen oder dem Abbau von Vorurteilen und Berührungsängsten in der gemeinsamen Arbeit.

    Innerhalb dieser Tätigkeit und im Rahmen der Zusammenarbeit mit dem Inklusionsdienstleister ProjektRouter gGmbH begegne ich des Öfteren Menschen, die trotz guter Qualifizierung große Schwierigkeiten haben, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen - dies betrifft vor allem auch die Zielgruppe der Menschen mit einer psychischen/seelischen Behinderung. Mithilfe der ProjektRouter gGmbH, des LVR Inklusionsamtes sowie einer Unternehmensleitung, die dem Thema Inklusion einen hohen Stelllenwert und entsprechende Ressourcen zur Verfügung gestellt hat, konnten wir gemeinsam ein Veränderungsmanagement einleiten, dass den Einstieg und eine langfristige Beschäftigungsmöglichkeit für Menschen mit einer psychischen Behinderung erleichtern soll. Retrospektiv hat sich bewährt, dass das Management von vornherein alle beteligten Aktuere informiert, sensibilisiert und in allen aufkommenden Fragen und Bedenken abgeholt hat. So wurden beispielsweise zunächst die Führungskräfte von einer erfahrenen Psychologin der Uniklinik Köln (Spezialambulanz für Autismus im Erwachsenenalter) zum Thema Autismus und Beruf geschult und Teammeetings gehalten. Es wurden mögliche Arbeitsplätze analysiert und identifiziert (von regulären Stellen bis hin zu Nischentätigkeiten) und Einstellungsprozesse angepasst (z.B. durch neu geschaffene Assessmentcenter, die Anpassung von Stellenbeschreibungen oder die Implementierung von Arbeitsplatzbesichtigungen im Anschluss an Vorstellungsgespräche). Dieser Prozess ist in einem interdisziplinären Team von Pädagog:innen und Psycholog:innen, Schwerbehindertenvertretung, Betriebsrat und den einzelnen Fachabteilungsleitenden erfolgt und wird bis heute kontinuierlich weiterentwickelt.


    Der Fokus lag von Beginn an auf einem stärkenorientierten Einsatz der Menschen, unter Berücksichtigung behinderungsbedingter Barrieren.

    Die ersten Einsätze von Mitarbeitenden der Zielgruppe sind im Jahr 2018 über den Inklusionsdienstleister gestartet, der gleichzeitig auch erfahrene Inklusionscoaches zur Verfügung gestellt hat, die mit in den Betrieb "eingetaucht" sind, das Kerngeschäft im jeweiligen Bereich kennengelernt und eine Vertrauensbasis zu den einzelnen Teammitgliedern geschaffen haben. Ausgehend von den positiven Erfahrungen in der Zusammenarbeit hat sich das Unternehmen dazu entschiedenen eine eigene Inklusionsabteilung zu gründen und darüber hinaus auch neue inklusive Beschäftigungsräume mit Unterstützung eines Inklusionsdienstleisters für die betriebliche Erprobung und Qualifizierung zu schaffen. Es gibt inzwischen sowohl DHL Jobcoaches und feste Coaches des Dienstleisters (Beispielsweise für betriebsintegrierte Arbeitsplätze oder Qualifizierungsmaßnahmen), die eng zusammenarbeiten und allen Beteiligten bedarfsgerecht zur Seite stehen. Die Unterstützungsangebote im Unternehmen erstrecken sich mittlerweile über das Jobcoaching, Gruppencoaching, Einzelcoaching sowie die bereits oben genannten Informationsveranstaltungen, die inzwischen monatlich für alle Unternehmensangehörigen angeboten und auch von den Zielgruppenangehörigen selbst mit referiert werden.


    Inklusion gelingt m. E., wenn alle Beschäftigten, neurotypische und neurodiverse, informiert sind, wissen, was auf sie zukommt und wo sie sich bei Bedarf Unterstützung einholen können.

    All das ist ein Extra-Aufwand – doch er lohnt sich langfristig. Alleine deshalb, weil fortwährend neue Arbeitsplätze geschaffen werden – für Menschen, denen es teilweise über Jahre und Jahrzehnte nicht möglich war, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen oder überhaupt am Arbeitsleben teilzuhaben. Hieraus entsteht eine Win-win-Situation für alle Beteiligten. Zum einen erhalten Arbeitgeber:innen dringend benötigte Fachkräfte. Zum anderen bereichern die neurodiversen Menschen und der bewusste Umgang mit ihnen das Team. So wird der Zusammenhalt durch inklusive Teams gestärkt: Der Umgang miteinander wird respektvoller und unterstützender. Auch merken Vorgesetzte, wie wichtig es beispielsweise ist, Arbeitsaufträge präzise zu formulieren – denn davon profitieren alle Kolleginnen und Kollegen. Neben dem individuellen Eingehen auf die Bedürfnisse neurodiverser Personen und deren Teams, spielt auch das Thema Vernetzung und Kommunikation eine wichtige Rolle. So stehen wir in engen Kontakt mit anderen inklusiv ausgerichteten Unternehmen, Behörden, verschiedenen Kostenträgern sowie Verbänden und Inklusionsdienstleistern. Das Netzwerk bietet kommunikative Austauschmöglichkeiten und ermöglicht uns Herausforderungen zu beleuchten und gemeinsam Ideen weiterzuentwickeln und Qualitätsstandards zu setzen.


    Herzliche Grüße

    Tanja Apholte

  • Hallo,

    mein erster Arbeitsversuch nach einer mehrjährigen Arbeitspause war absolut gescheitert: Nach etlichen Gutachten seitens der DRV und des med. Dienstes sagte man mir, ich solle in meinem ersten Beruf als Office Manager wieder arbeiten. (Eigentlich war ich inzwischen IT-Beraterin.) Nach dem Sacken lassen dieser von mir als Demütigung empfundenen beruflichen Degradation, wagte ich einen ersten Versuch, obwohl ich aus eigener Erfahrung wusste, dass Office Management nicht weniger stressig als eine Beratungstätigkeit ist. Eher umgekehrt. Termindruck und ständig spontan wechselnde Aufgaben gehören zum Berufsbild.

    Ich versuchte meinem Chef und dem Team mehrfach zu erklären, was mir Stress bereitet. Es wurde von ihnen aber nicht verstanden oder ernst genommen, da ich im ausgeglichenen Modus sehr souverän auftrete.

    Flüchtigkeitsfehler wurden mir von meinem Chef dann schriftlich vorgeworfen und nach einem Tages-Firmenevent, zu dem wir in eine andere Stadt fliegen mussten (ca. 14 Stunden Abwesenheit), sollte ich am nächsten Tag wieder zur Arbeit kommen, obwohl ich um einen freien Tag bat, zudem ich nur einen 20-Stunden-Vertrag hatte. Natürlich gab es dann aufgrund der Überforderung einen Zusammenbruch mit Panikattacke, den meine Kollegin fassungslos machte. Während meiner Krankschreibung wurde ich dann noch in meiner Probezeit gekündigt. Ich spielte von Anfang an mit offenen Karten und wurde nicht ernst genommen. Diese Kündigung musste ich dann noch sehr lange verarbeiten.


    Als Schwerbehinderte neu angestellt zu werden, ist sowieso sehr schwierig. Wenn ich den "Joker" in der Bewerbung offen ausspielte, wurde ich meist trotzdem nicht eingeladen. Da muss nur der Studienabschluss nicht stimmen, obwohl man Praxiswissen in dem geforderten Feld nachweisen kann, dann ist man raus und muss auch nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden. Einfach ist es wirklich nicht!


    Einen Jobcoach hätte ich damals gerne gehabt, der mit dem Arbeitsumfeld und einem selbst kommuniziert, zwischen den Parteien vermittelt und klärende Gespräche führt. Anfangs oder phasenweise ist man ja mit sich selbst völlig überfordert. Wie soll man anderen dann noch erklären, was mit einem los ist. Es ist ja immer auch eine sehr persönliche Angelegenheit, und man möchte vor fremden Menschen nicht alles preisgeben. Hier zu erklären und gleichzeitig eine Distanz zu wahren, ist für mich immer noch sehr schwierig. Zum Glück bin ich jetzt berentet. So habe ich diesbezüglich weniger Druck.

  • Guten Morgen aus Sachsen-Anhalt,

    ich kann dem Beitrag von Frau Seeger nur zustimmen. Wenn es gelingen würde, das Jobcoaching als mögliche Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben bei allen Leistungsträgern, nicht nur beim Integrationsamt zu etablieren, könnte man Menschen mit seelischen Beeinträchtigungen besser in den allgemeinen Arbeitsmarkt vermitteln. Dazu müssen die anderen Leistungsträger jedoch bereit dazu sein, diese Leistung anzubieten. In Sachsen-Anhalt gibt es leider noch zu wenig Anbieter, die ein Jobcoaching anbieten. Ich wäre sehr daran interessiert, zu erfahren, ob das in den angrenzenden Bundesländern genauso ist. Vielleicht gibt es dazu Erfahrungen?

    Ich kann nur betonen, dass das Jobcoaching ein wichtiger Baustein auf dem Weg in eine selbstbestimmte Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit Behinderungen ist und überall dort, wo Jobcoaching genutzt wurde, eine längerfristige, meist dauerhafte Beschäftigung gelang.

    Herzliche Grüße

    Kerstin Bruère

  • Mit den Beiträgen dieses wichtigen Diskussionsforums wird aus meiner Sicht deutlich, dass, wollen wir Wege in einen inklusiven Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung schaffen, müssen wir uns zwingend mit dem inklusiven Arbeitsmarkt als solchen auseinandersetzen. Baut doch die Idee der beruflichen Inklusion auf einer Vielfalt von Beschäftigungsmöglichkeiten in zunehmend mehr Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarktes auf.


    Mit dem Gesetz zur Stärkung eines inklusiven Arbeitsmarktes bekommt der Aufbau des bestehenden Arbeitsmarktes hin zu einem inklusiven Arbeitsmarkt eine wichtige gesellschaftliche Aufmerksamkeit. Diese sollte so genutzt werden, dass ´Arbeitsversuche`, wie von Jolinde beschrieben, einen anderen und positiven Verlauf bekommen. Von ähnlich gescheiterten ´Arbeitsversuchen` berichten leider auch Unternehmen.


    Damit wiederholte ´Frusterlebnisse` nicht zu der Annahme ´es geht nicht`, hier sowohl auf Seiten der Menschen wie der Unternehmen, führen, ist es wichtig, dass das in den Beiträgen deutlich werdende fundierte (Handlungs)Wissen inklusionserfahrener Leistungserbringer mit dem heute schon bestehenden (Handlungs)Wissen inklusionserfahrener Unternehmen zu einem gemeinsamen (Handlungs)Wissen verzahnt wird.


    Die Stärkung eines inklusiven Arbeitsmarkt benötigt zwingend die offene und vertrauensvolle Zusammenarbeit der Unternehmen, der Menschen mit Behinderung, der Leistungserbringer, der Leistungsträger und der Politik.



  • Hallo an die Runde,


    wir sind ein Inklusionsunternehmen mit vielen verschiedenden Bereichen (Parkbewirtschaftung, Restaurant, Onlinehandel,... nur um ein paar zu nennen). In all unseren Bereichen arbeiten Mitarbeiter, die über das Budget für Arbeit (BfA) gefördert werden. Und leider ist es in allen Bereichen so, dass die Integration in die bestehenden Teams und in den Arbeitsablauf für Mitarbeiter mit einer kognitiven Beeinträchtigung "einfacher" verläuft als die für Mitarbeiter mit einer psychischen Beeinträchtigung. Und das betrifft auch Mitarbeiter, die nicht über das BfA gefördert sind.


    Gründe hierfür sind unter anderem auch das Verständnis der anderen Mitarbeiter/ Vorgesetzen/ ... Bei einem Mitarbeiter mit kognitiver Beeinträchtigung fällt es den Menschen schlichtweg einfacher Dinge mehrmals zu erklären, Sachen umzuformulieren, Hilfsmittel einzubauen. Bei Mitarbeitern mit psychischer Beeinträchtgung fällt es gerade Menschen, ohne fachlichen Hintergrund, schwerer. Man sieht den erwachsenen Menschen, der sich gut ausdrücken kann und auch gute Leistungen bringt und bekommt das, gerade im stressigen Arbeitsalltag, nicht unter einen Hut mit auftretenden Schwierigkeiten. Als unterstützende Fachkraft ist man dann in der Rolle immer wieder zu senibilisieren und aufmerksam zu machen. Diesen Raum und die Zeit haben wir, glücklicherweise häufig, als Inklusionsbetrieb. In einem reinen Wirtschaftsbetrieb wird für diesen wichtigen Austausch kaum Platz sein.


    Vor ein paar Jahren habe ich dazu mal eine interessante Fortbildung besucht: Barrierefreiheit für Menschen mit psychischer Beeinträchtigung - was heißt das? Die Ergebnisse waren zum Teil richtig inspirierend und an so vielen Punkten mit dem momentanen Arbeitsmarkt nicht zu vereinbaren. Hier fehlt es noch an so viel Flexibilität und individuellen Arbeitsstrukturen, die sich dem Menschen anpassen und nicht andersrum.


    Viele Grüße


    Kathrin Engel