Wo erwarten Menschen mit Behinderungen Ansprechpartner mit einer lotsenden Funktion?

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    Im Rahmen der Diskussion wurde uns folgender Kommentar zugeleitet:

    Zitat von Gast

    „Lotse zu sein für Menschen mit Behinderung oder von Behinderung bedroht im Arbeitsleben, ist ein Aufgabenschwerpunkt der gewählten Schwerbehindertenvertretungen“

    Von wem würden Menschen mit Behinderungen außerdem eine Lotsenfunktion erwarten?

  • Immer dann, wenn es Barrieren gibt, die ihre Teilnahme am gesellschaftlichen Leben verhindern. In Bezug auf das Arbeitsleben möchte ich gern an dieser Stelle die Menschen in den Fokus nehmen, die in WfbM tätig sind.

    Die Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen sind abgesehen von beeindruckenden Einzelfällen in feste Strukturen aus Arbeiten im geschützten Rahmen und Wohnen im Wohnverbund integriert. Oft koordinieren gesetzliche Betreuer*innen die existenzsichernde und Fachleistungen der Eingliederungshilfe. Mit dem zum 1.1.23 reformierten Betreuungsrecht sollen zwar die Selbstbestimmung gestärkt und die Wünsche in den Mittelpunkt gerückt werden, doch fraglich ist, wieviel Zeit ein Verändern der Arbeitsweisen beanspruchen wird. Gut informiert und gut unterstützt würde ich diese Lotsen der Menschen mit Behinderung als starke Ressource sehen, ihre rechtlich Vertretenen bzgl. der Übergänge auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu begleiten. Ihnen müssen unbedingt Ansprechpartner*innen zur Verfügung stehen, die ihnen auch Arbeit abnehmen. Indem sie Verfahrenswege und Formalitäten aufgezeigt bekommen und indem die ein oder andere erforderliche Stellungnahme unterstützt wird. Hier kommt auch das Fallmanagement in der Eingliederungshilfe ins Spiel, welches gut beraten und geschult, individuelle Wege für Menschen mit Behinderungen und die gesetzlichen Betreuer*innen aufzeigen kann. Treffen sie alle gemeinsam auf eine WfbM, die ein Ausgliederungs- Management im Blick hat, kann es gut laufen. Wie wichtig wäre eine gemeinsames Konzept- auf Bundesebene gesteuert und mit allen Verbänden und Leistungsträgern gemeinsam entwickelt! Es gibt viele Positionspapiere zur Werkstattreform und auch das MBAS legt einen Aktionsplan vor. Es muss gemeinsam gelingen!

    https://daten2.verwaltungsportal.de/dateien/seitengenerator/2dfbfa463a4d7f71be425968cfed6a22203482BAG_UB_Positionspapier_F_rderung_inklusiver_Arbeitsmarkt_2023-10-18.pdf

    file:///C:/Users/Anwender/Downloads/stellungnahme_bag_wfbm_berufliche_bildung_22.02.2024.pdf

    Menschenrechtliche Eckpunkte für die Reform von Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM)
    In Deutschland arbeiten etwa 300.000 Menschen mit Behinderung in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen. Die Übergangsquote auf den allgemeinen…
    www.institut-fuer-menschenrechte.de

    Dialogprozess: BMAS legt Aktionsplan zur Weiterentwicklung von WfbM vor - Beschäftigte in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) wechseln nur selten in eine Stelle auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAs)…

    In der Praxis tragen, von Bundesland zu Bundesland verschieden, Unterstützte Beschäftigung, das Budget für Arbeit (und Ausbildung) und Jobcoaching - alle schon lange implementiert- unterschiedlich zur Schaffung von Arbeitsplätzen auf dem 1. Arbeitsmarkt bei. In Sachsen- Anhalt gab es ein Modellprojekt, in welchem der IFD beauftragt war, Übergänge aus den WfbM zu belgeiten und zu gestalten. Ich hätte mir gewünscht, dass eine Fortsetzung möglich gewesen wäre. Denn neue Wege müssen erst eröffnet und geebnet werden. Bis diese ohne Stolperfallen und Schlaglöcher im zügigen Tempo befahrbar sind, benötigt Zeit. Es dauerte, bis Kooperationen und Kontakte tragfähig gefestigt sind und alle, sich „mitgenommen fühlend“ in ein gemeinsames und zielgerichtetes Arbeiten kommen. Jetzt, wo sich durch die erneute Staatenprüfung der UN die Impulse aus der Politik verstärken und in der Öffentlichkeit fester im Blick sind, wäre es ein wichtiges Signal an die WfbM gewesen, den IFD als verlässlichen Partner zur Verfügung zu stellen. Dank der neuen Aufgabe der Arbeitgeberberatungen/ EAA können wir hier zumindest Praktikumsbetriebe und Anbieter von Außenarbeitsplätzen zur Einrichtung von Arbeitsplätzen beraten und unterstützen.

    Welche Erfahrungen und Sichtweisen gibt es denn hierzu im Forum?

  • Bereits heute wird der überwiegende Teil der (leider sehr geringen) Übergänge aus der WfbM von der WfbM selbst initiiert. Auch die WfbM-Beschäftigten nennen die MitarbeiterInnen der WfbM als die wichtigste Unterstützung für den Übergangsprozess.Schließlich besteht oft ein enges Vertrauensverhältnis zu den Mitarbeitern der WfbM und diese kennen die unterschiedlichen Fähigkeiten der Beschäftigten am besten. Es wäre daher ein erfolgsversprechender Faktor, wenn ein professionelles Übergangsmanagement flächendeckend in den WfbM eingeführt würde. Dieses müsste entsprechend finanziert werden. Bislang beklagen die WfbM, dass ihre individuellen Bemühungen für das „Beschaffen“ ausgelagerter Arbeitsplätze und die Übergangsvorbereitung nicht gegenfinanziert werden.


    Darüber hinaus kann dies jedoch auch nur ein Baustein unter vielen sein. Genauso wichtig ist die Aufnahmebereitschaft der Arbeitgeber. Die EAA kann hier einen wichtigen Beitrag leisten. Wenn sie unter dem Dach des IFD angesiedelt wird, kann dieser die aufgbauten Netzwerke und Kooperationen nutzen und erweitern.So kann z.B. das Budget für Arbeit (BfA) bei Arbeitgebern noch bekannter gemacht werden. Auch für die WfbM-Beschäftigten wird das BfA zukünftig noch attraktiver werden, wenn – wie vom BMAS angekündigt - der rentenrechtliche Nachteilsausgleich auf das Budget für Arbeit ausgeweitet wird. Die bisherige Nichtgeltung dieses Nachteilsausgleiches im BfA stellt aktuell ein großes Übergangshemmnis dar, da es sich mehrheitlich nachteilig auf die spätere Altersrente auswirken wird.

  • Betriebliche Sozialberatung ist sowohl zu Beginn einer (drohenden) Behinderung vertrauliche innerbetrieblicher Ansprechpartnerin als auch längerfristig in der Begleitung. Dabei ist Ziel Betroffene zu entlasten und Beschäftigungs- und Erwerbsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Dabei gilt es erst in der Verschwiegenheit und der Basis einer vertraulichen Beziehung auf mögliche Ängste und Sorgen Betroffener einzugehen und gemeinsam zu besprechen wie man gegenüber den Arbeitgeber Akzeptanz und Rücksicht erreichen kann. Dies stellt oft eine kommunikative Herausforderung dar, die durch die Betriebliche Sozialberatung moderiert und unterstützt wird. Auf der Basis kooperativer Gespräche mit dem Arbeitgeber können oftmals Arbeitsbeziehungen auch langfristig dauerhaft erhalten bleiben. Deshalb ist aus meiner Sicht ein ständig verfügbares Angebot der Betrieblichen Sozialen Arbeit (http://www.bbs-ev.de) ein konstruktives Angebot sowohl für Beschäftigte aber auch für Arbeitgeber

  • Auch die Behandelnden haben eine Lotsenfunktion, indem sie über Möglichkeiten beruflicher Wiedereingliederung beraten und nach Gesundheitszustand entscheiden. Ebenso können die Kostenträger:inen bei unterstützenden Lotsengesprächen wie dem BEM-Gespräch diese Funktion übernehmen und stärken.


    (Allgemeiner Behindertenverband in Deutschland ABiD e.V.)

  • Im Rahmen der Diskussion wurde uns folgender Kommentar zugeleitet:

    Von wem würden Menschen mit Behinderungen außerdem eine Lotsenfunktion erwarten?

    Die Frage danach, VON WEM Menschen mit Behinderungen eine Lotsenfunktion erwarten, ist vielfältig zu betrachten. In den komplexen Systemen finden sich betroffene Personen häufig nicht längerfristig zurecht oder münden ohne Unterstützung oft gar nicht erst ein. Die Zugänge in Unterstützungssysteme, Versorgungs- und Beratungsstrukturen sind divers – so könnten fallabhängig Integrationsfachdienste, kommunale Projekte, Gemeindezentren, Mitarbeitende in Einrichtungen (wie in der Diskussion dargestellt in den WfbM), Ärzt:innen, Sozialarbeiter:innen, Selbsthilfegruppen, Berater:innen der sozialen Sicherung und weitere in Frage kommen. Diese Tatsache macht den Weg dorthin schwierig und undurchsichtig.

    Die Annahme ist also, dass betroffene Menschen mit Behinderungen dort eine Lotsenfunktion von Peers oder Fachpersonen erwarten, wo sie mit ihren Herausforderungen, Problemen und Bedürfnissen in ein System eingemündet sind – sich dort jedoch nicht zielführend orientieren können und damit eine dauerhaft Teilhabeeinschränkung entsteht. Zwingend zu betrachten wäre, dass auch durch ein zugehendes Angebot zudem jene erreicht werden, die vorhandene Zugangswege nicht bestreiten können.


    Aus den bisherigen Beiträgen zeigt sich, dass es nach Einmündung in ein System ebenfalls dazu kommen kann, dass eine Neuordnung aufgrund vorhandener Potenziale nicht möglich ist. Gründe finden sich in den Hilfe- und Sozialsystemen unter anderem in Verantwortlichkeits- und Ressourcenfragen wie auch Starrheiten in den vorliegenden Strukturen. Darin liegen Ansatzpunkte für Veränderungspotenzial. Wie diese angestoßen werden können, hängt vom jeweiligen Subsystem ab.

  • Unter den Anbietern von Lotsenfunktionen für Menschen mit Behinderungen ist die Deutsche Rentenversicherung (DRV) als aktiv gestaltende Akteurin anzubringen. In der gemeinsamen DRV-Strategie für die Weiterentwicklung von Prävention und Rehabilitation werden jene Sachverhalte in Missionen
    - wie die „Sicherstellung eines einfachen, barriere- und diskriminierungsfreien Zugangs“ in Leistungen oder die „Stärkung von Kooperation und Vernetzung“ - voran gebracht.

    Deutsche Rentenversicherung - Gemeinsames Strategiepapier zur Weiterentwicklung von Prävention und Rehabilitation


    So werden Versicherte unter anderem gezielt angesprochen und/ oder erhalten bei einem Begleitungsbedarf zeitlich befristete Lotsenleistungen. Diese laufen vorrangig unter der Bezeichnung des Fallmanagements. Ferner sind das Servicetelefon, die Reha-Fachberatung oder der Firmenservice relevante Player.

    Das Fallmanagement ist für Versicherte bereits bei sechs DRV-Trägern als Routineleistung verfügbar. Dort werden ganz verschiedene Versichertengruppen einbezogen - vornehmlich die erwachsene Bevölkerung zur (Wieder-)Eingliederung in das Berufsleben. Über DRV-eigene oder extern beauftragte Fallmanager:innen finden dort je nach Bedarf kurz- bis langfristige Begleitungen statt. Es wird versucht, für diese Aufgaben sowohl fallbezogen ein Netzwerk für die aktuellen Bedarfe aufzubauen, aber auch fallunabhängig feste Kooperationen mit relevanten Playern zu installieren. Die DRV macht sich aktuell auf den Weg, ein Fallmanagementangebot bundesweit umzusetzen, damit perspektivisch jede anspruchsberechtigte Person eine unterstützende Begleitung erhalten kann.

    Des Weiteren werden Innovative Leistungen – welche die Zukunft der Versicherten bezogen auf die Arbeitsfähigkeit und Teilhabe verbessern sollen – in dem Bundesprogramm „Innovative Wege zur Teilhabe am Arbeitsleben - rehapro“ erprobt. Die durch das BMAS finanzierten Projekte finden im SGB II und SGB VI statt. Dort befassen sich DRV-seitig 13 Modellprojekte mit Fallmanagement, weitere 17 mit anderen Formen der Begleitung oder Lotsenleistungen sowie acht mit einer rechtskreisübergreifenden Zusammenarbeit (zwischen SGB II und SGB VI). Auch für Kinder und Jugendliche, die langfristig eine Erwerbstätigkeit aufnehmen wollen. Aus der Umsetzung dieses Bundesprogramms sollen u.a. die oben beschriebenen Veränderungspotenziale ausgelotet werden.

    Website zum Bundesprogramm „Innovative Wege zur Teilhabe am Arbeitsleben - rehapro“


    Bei einem entstandenen Interesse besuchen Sie unsere Homepage.

    Website der Deutschen Rentenversicherung - Dezernat Reha-Wissenschaften


    Für einen persönlichen Austausch stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung unter:

    julia.simke@drv-bund.de

    (Dezernentin der Kontaktstelle rehapro; Dezernat Reha-Wissenschaften der DRV-Bund)