Beiträge von Silke Brockerhoff

    Zunehmend mehr Menschen mit Behinderung wünschen sich einen inklusiven Beschäftigungsweg. Um diesen Menschen eine tragfähige Vielfalt und Auswahl an Beschäftigungsmöglichkeiten bieten zu können, sollten wir möglichst viele Unternehmen darin unterstützen, inklusive Qualifizierungs- und Beschäftigungsräume in ihren Unternehmen zu entwickeln und nachhaltig zu etablieren.

    Für erfolgreiche inklusive Beschäftigungswege sind motivierte, an Inklusion interessierte Unternehmen unerlässlich. Diese gilt es zu unterstützen.

    Allerdings haben mir meine Erfahrungen gezeigt: Es liegt nicht allein an einer fehlenden Motivation von Arbeitgebern, warum Menschen mit Behinderung immer noch zu selten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Fuß fassen. Stattdessen gibt es viele weitere strukturelle Barrieren, die eine erfolgreiche Teilnahme am Arbeitsleben verhindern.


    Solche Barrieren beginnen bereits in der Schule, zum Beispiel im Rahmen der schulischen Berufsorientierung:


    Hauptziel der schulischen Berufsorientierung ist es, dass junge Menschen, die kein Abitur anstreben, nach der Schule möglichst nahtlos in eine Ausbildung wechseln. Allerdings gilt dieses Ziel meist nicht für junge Menschen mit Behinderung, selbst wenn sie inklusiv beschult werden. Junge Menschen mit Behinderung werden am Ende ihrer Schulzeit fast immer als noch nicht ausbildungsreif angesehen und in Maßnahmen des sogenannten Übergangsbereichs vermittelt. Darüber sollen ihre Chancen auf einen Ausbildungsplatz verbessert werden. Doch die Realität sieht anders aus. Studien haben inzwischen gezeigt: Je länger junge Menschen mit Behinderung im Übergangsbereich verbleiben, umso schlechter werden ihre Chancen auf eine erfolgreiche Ausbildung und eine anschließende Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. (Endstation Übergangsbereich – Wie läuft es mit der Inklusion in Hamburg (inklusion-in-hamburg.de))


    Eine weitere Barriere liegt in den nach wie vor fehlenden individualisierten Ausbildungsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt:


    Besonders junge Menschen mit kognitiven Einschränkungen schaffen häufig keine Vollausbildung. Zwar gibt es für sie die Möglichkeit einer theoriereduzierten Ausbildung. Allerdings finden theoriereduzierte Ausbildungen bislang fast ausschließlich überbetrieblich und teils in eigenen, exklusiven Berufsschulen statt. Zudem ist das Spektrum an theoriereduzierten Ausbildungen eher gering, so dass von einer freien Berufswahl kaum gesprochen werden kann. (Inklusive Ausbildung – verzweifelt gesucht – Wie läuft es mit der Inklusion in Hamburg (inklusion-in-hamburg.de))


    Auch die Strukturen der Agentur für Arbeit verhindern erfolgreiche inklusive Berufswege:


    Junge Menschen ohne Behinderung werden beim Übergang von der Schule in die Arbeitswelt sehr erfolgreich durch Jugendberufsagenturen begleitet und unterstützt. Die Berater der Jugendberufsagenturen handeln auf und für den allgemeinen Arbeitsmarkt. Sie sind eng mit Unternehmen und Kammern vernetzt, um Schulabgänger möglichst nahtlos in eine duale Ausbildung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu vermitteln.

    Für junge Menschen mit Behinderung ist dagegen die Reha-Abteilung der Agentur für Arbeit zuständig. Die Berater der Reha-Abteilung bewegen sich sehr oft in Sonderwelten: Sie sind für die Berufsorientierung in Förderschulen zuständig. Und sie vermitteln in den Berufsbildungsbereich von Werkstätten für behinderte Menschen oder in andere, speziell für behinderte Menschen gedachte Qualifizierungsmaßnahmen. Hinzu kommt, dass die Berater in der Reha-Abteilung überwiegend mit behinderten oder langzeiterkrankten Menschen zu tun haben, die bereits mitten im Berufsleben stehen. Ihnen fehlt es meist an Erfahrung und Kontakten, was die Unterstützung und Vermittlung von jungen Menschen mit Behinderung in Ausbildungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt angeht.


    Solche strukturellen Barrieren sind nicht zu unterschätzen. Sie müssen erkannt und durch ein konsequentes politisches Handeln im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention angegangen werden.

    Sowohl das Budget für Arbeit als auch das Budget für Ausbildung sind eine Möglichkeit für Menschen mit Behinderung, eine selbstbestimmte Teilhabe am Arbeitsleben wahrzunehmen. Und gerade für junge Menschen, die in einer WfbM noch keine Erwerbsminderungsrente bekommen oder direkt aus der Schule in ein Budget für Ausbildung wechseln, sind das echte Alternativen zur dauerhaften Werkstattbeschäftigung. Wie schon an anderer Stelle von mir erwähnt, sind das keine Maßnahmen, die der UN- Behindertenrechtskonvention zuwider laufen. Sie werden nur noch nicht in Größenordnungen genutzt.

    Liebe Frau Bruère, möglicherweise habe ich mich unklar ausgedrückt. Auch ich halte die Budgets für Arbeit und Ausbildung für geeignete Vorkehrungen im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention, um Menschen mit Behinderung Teilhabe an Arbeit zu ermöglichen.


    Was ich problematisch finde, sind die Zugangskriterien für diese Teilhabeleistungen. Diese sollten sich am individuellen Bedarf orientieren, bedingt durch die Behinderung.


    Indem das eng mit dem Sondersystem WfbM verknüpfte Kriterium des Grads der "Erwerbsfähigkeit" benutzt wird, wird an alten, ableistischen Barrieren festgehalten, die weiterhin Menschen mit Behinderung an einer vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an unserer Gesellschaft hindern.


    Es verwundert mich daher nicht, dass das Budget für Ausbildung immer noch nicht in größerem Umfang genutzt wird.

    Der Beitrag von Frau Brockerhoff verdeutlicht, wie weit in Einzelfällen die gesetzlich festgeschriebenen Möglichkeiten umausgeschöpft bleiben, weil einzelne Verantwortliche bei Reha- oder Leistungsträger nicht bereit sind dazu.

    Liebe Frau Bruère, das klingt spannend. Wo genau sehen Sie im Fall unseres Kindes gesetzlich festgeschriebene Möglichkeiten, die bislang noch nicht genutzt wurden?

    Ein herzliches hallo in die Runde,


    bislang wurde hier noch nicht die Koppelung der Budgets für Arbeit und Ausbildung an die sogenannte Werkstattberechtigung thematisiert. Diese Verknüpfung halte ich für äußerst problematisch, hält sie doch die Zuordnung zu einem Sondersystem aufrecht, das mit der UN-Behindertenrechtskonvention nicht vereinbar ist. Menschen mit Behinderungen werden von Möglichkeiten zur Wahrnehmung ihres Menschenrechts auf Arbeit ausgeschlossen, weil sie entweder kein "Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung" erbringen können oder aber "voll erwerbsfähig" sind. Durch solch eine ableistische Sichtweise werden diese Menschen erneut diskriminiert.


    Verdeutlichen möchte ich dies am Beispiel unseres behinderten Kindes. Unser Kind wurde zehn Jahre lang inklusiv beschult. Es ist sehr offen und freundlich und, was Arbeit angeht, überaus motiviert. Daher wurde es von der Reha-Abteilung als voll erwerbsfähig eingestuft.

    Gleichzeitig hat die Reha-Abteilung festgestellt: Wegen seiner kognitiven Einschränkungen wird unser Kind keine Vollausbildung schaffen, sondern benötigt eine theoriereduzierte Ausbildung.

    Nun hat unser Kind bereits seit über einem Jahr ein Angebot auf einen Ausbildungsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Allerdings gibt es in dem Berufsfeld, das sich unser Kind ausgesucht hat, bislang keine theoriereduzierten Ausbildungen. Gleichzeitig weigert sich die zuständige Handelskammer seit fast einem Jahr hartnäckig, einen entsprechenden Ausbildungsrahmenplan für eine theoriereduzierte Ausbildung zu erlassen, obwohl unser Kind alle Kriterien dafür erfüllt.


    Um nicht ein weiteres Jahr in der Warteschleife zu verbringen, hat unser Kind nun im September zunächst mit einer Vollausbildung begonnen. Da die Reha-Abteilung den erfolgreichen Abschluss der Vollausbildung als nicht realistisch ansieht, ist eine Förderung der Ausbildung durch die Agentur für Arbeit derzeit noch völlig ungewiss.


    Könnte unser Kind aufgrund seiner Behinderung (GdB: 70!) das Budget für Ausbildung nutzen, hätte es bereits im letzten Sommer mit einer Ausbildung beginnen können. Denn beim Budget für Ausbildung geht es vorrangig um Teilhabe an beruflicher Bildung und nicht um den erfolgreichen Abschluss einer Ausbildung.


    Es grüßt aus Hamburg

    Silke Brockerhoff

    Ansonsten irriert mich die wiederholte Aussage, dass es nur 5 Fachpraktikerausbildungen geben soll. Beim LVR habe ich eine Liste gefunden, die wesentlich mehr Berufssparten aufzählt:

    https://www.lvr.de/media/wwwlv…Ausbildungsrahmenplne.pdf

    Hallo Michael,


    Sie haben Recht. In der Tat gibt es deutschlandweit mehr als 5 Fachpraktiker-Ausbildungen. Allerdings werden in Hamburg bisher nur fünf solcher Ausbildungen von Bildungsträgern wie dem BBW angeboten.


    Gruß

    Silke Brockerhoff

    Vielen Dank! Das war genau der Hinweis, der mir noch fehlte! Bisher war ich mir bezüglich der tatsächlichen Verpflichtung noch nicht ganz sicher gewesen. Doch nun habe ich eine Grundlage für die weiteren Verhandlungen mit der Agentur für Arbeit und der Kammer.

    Sehr geehrte Frau Rambausek-Haß,


    danke für diesen Hinweis! Ich hatte bisher gedacht, ein Budget für Ausbildung wäre nötig, um alles gut finanzieren zu können.


    Nun habe ich gesehen, dass in der neuen fachliche Weisung Assistierte Ausbildung flexibel (AsA flex) der BA (Stand Sept. 2020) unter förderfähigen Ausbildungen auch eine Ausbildung auf der Grundlage des § 66 des BBiG oder § 42r der HwO für Menschen mit Behinderungen aufgeführt wird (Feststellung der Behinderung i. S. d. § 19 SGB III sowie der Feststellung der Voraussetzungen für diese spezifische Ausbildungsform durch die Beraterin/ den Berater Berufliche Rehabilitation und Teilhabe). Damit käme eine assistierte Ausbildung flexibel als Fördermöglichkeit auch in Frage, sehe ich das richtig?


    Der Berater in der Reha-Abteilung der Agentur für Arbeit war bisher wenig hilfreich. Er erklärte uns, dass es keine offizielle Fachpraktiker-Ausbildung im Bereich Veranstaltungstechnik gibt und er daher so etwas auch nicht fördern könne. Stattdessen empfiehlt der Berater unserem Kind eine Werker-Ausbildung im Garten- und Landschaftsbau, gefördert durch das BBW. Allerdings solle unser Kind vorher erst noch eine weitere einjährige Bildungsmaßnahme machen, um seine "Lernrückstände" abzubauen. So würde sich die Chance erhöhen, dass es eine Werker-Ausbildung im Garten- und Landschaftsbau tatsächlich schaffe.


    Viele Grüße

    Silke Brockerhoff

    Hallo Frau Brockerhoff,

    ja, richtig. Andererseits muss man - wenn man ehrlich ist - auch sagen, dass die Herleitung von "entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen" noch der alten Denke hinsichtlich Behinderung und Rehabilitation verhaftet ist und auch der ergänzende Nebensatz über die Teilhabe keineswegs zu einer Präzisierung beiträgt. Immerhin hat der Gesetzgeber auf ein "dadurch" verzichtet, andererseits gibt die Formulierung exakt nichts her (so laufen der erste, zweite und dritte Teil des SGB IX munter nebeneinanderher und sorgen dafür, dass Landes- und Bundessozialgerichte nicht arbeitslos werden).

    Hallo Michael,

    es wäre ja auch zu schön gewesen, wenn endlich einmal etwas leichter würde. :rolleyes:

    Gruß, Silke Brockerhoff

    Hallo Herr Kranz,


    danke für Ihre Antwort. Das wäre für unser Kind die perfekte Lösung!


    Es gibt nur ein Problem: Trotz einer nachweisbaren Lernbehinderung und Hinweisen auf eine vorliegende geistige Behinderung hat die Agentur für Arbeit unserem Kind keine Werkstatt-Berechtigung zugesprochen. Zwar ist unser Kind der Reha-Abteilung der Agentur für Arbeit zugeteilt, doch hält diese es für "zu fit" für die Tätigkeit in einer WfbM. Damit hat unser Kind keinen Anspruch auf ein Budget für Ausbildung.


    Womit wir wieder bei dem Problem sind, dass der Kreis der Anspruchsberechtigten auf ein Budget für Ausbildung viel zu eng gefasst ist. So werden Menschen mit Behinderung, denen das BTG erforderliche Leistungen zur Teilhabe an Arbeit zuspricht, von ebendiesen Leistungen wieder ausgeschlossen. Das ist für mich nicht nachvollziehbar.

    Hallo Michael,


    wie ich merke, habe ich meine Frage nicht klar genug formuliert.


    Wir haben ein Kind mit Behinderung, das im Sommer die Schule ohne Abschluss beendet hat.

    Über Praktika hat unser Kind Fuß gefasst in einem Betrieb für Veranstaltungstechnik. Dieser Betrieb möchte unser Kind gerne ausbilden. Damit die Ausbildung Erfolg hat, müsste sie theoriereduziert werden. Allerdings gibt es im Bereich Veranstaltungstechnik noch keine Fachpraktiker-Ausbildungen.

    Bietet hier das BBiG Spielraum für eine individualisierte Form der Ausbildung/Qualifizierung?


    Erfolgreiche Teilhabe an Arbeit gelingt nur, wenn jeder die Chance auf Qualifizierung und Weiterbildung hat, angepasst an seine individuellen Möglichkeiten und Fähigkeiten.

    mit dem BfAus können auch Ausbildungen zum/zur Fachpraktiker:in gem. § 66 BBiG/§ 42r HwO gefördert werden. Menschen mit Behinderungen können auf Antrag eine theoriereduzierte Ausbildung absolvieren. Sie wird aus den Inhalten anerkannter Ausbildungsberufe zusammengesetzt und somit individuell an den Menschen mit Behinderungen angepasst.

    Liebe Frau Rambausek-Haß,


    erlaubt das BBiG Menschen mit Behinderung, für jeden Beruf einen Antrag auf eine theoriereduzierte Ausbildung zu stellen? Oder ist der Antrag nur für Berufe möglich, in denen es bereits anerkannte Fachpraktiker-Ausbildungen gibt?


    In Hamburg gibt es zur Zeit nur fünf (!) Berufe, für die Fachpraktiker-Ausbildungen angeboten werden. Wenn Menschen mit geistiger Behinderung nur zwischen diesen fünf Berufen wählen dürften, widerspräche das in meinen Augen dem Recht auf freie Berufswahl.

    Ich stimme Kirsten Erhardt zu. Das Budget für Ausbildung an die sogenannte Werkstattberechtigung zu koppeln, greift deutlich zu kurz.

    Ich frage mich, in wie weit das mit dem neuen Bundesteilhabegesetz vereinbar ist.

    In §49 SGB IX ist festgelegt, dass die erforderlichen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erbracht werden sollen, "um die Erwerbsfähigkeit von Menschen mit Behinderung (...) entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern." Diese Leistungen umfassen ausdrücklich auch die berufliche Ausbildung.

    In § 2 SGB IX wird der Begriff der "Behinderung" definiert. Von einer "Werkstattfähigkeit" oder "Werkstattberechtigung" ist hier nicht die Rede.